Als Christ suchte ich natürlich nicht nach einem Glauben, der das Christentum ersetzen sollte, sondern nach einem tieferen Verständnis von Gott, das mir helfen würde, mehr von den ursprünglichen Lehren Christi Jesu zu verstehen und zu leben. Ich war damals sehr krank. Doch das eigentliche Problem war, daß ich tief im Innern fühlte — ein bißchen wie der Apostel Paulus —, daß ich gegen das, wozu Gott mich bestimmt hatte, ankämpfte. Dennoch erlebte ich inmitten des Kampfes Augenblicke der Intuition, in denen ich die Realität ganz anders empfand. Es gab Momente, in denen ich Gottes Gegenwart geradezu spüren konnte. Irgend etwas änderte sich, so daß ich eine Zeitlang, statt zu drängen oder zu kämpfen, im Strom der Liebe Gottes lebte.
War das, bevor Sie die Christliche Wissenschaft kannten, oder danach?
Vorher. Ja, es war kurz bevor ich meine Stelle aufgab, in einen anderen Landesteil zog und eine weniger anspruchsvolle Tätigkeit annahm, um mehr Zeit zum Beten und Studieren zu haben. An meinem ersten Tag in der neuen Stadt lernte ich einen Mathematiklehrer kennen. Als ich ihn näher kennenlernte, war mir aus der Art, wie er lebte, klar, daß er Christ war, aber auf ganz andere Weise als ich; er schien mehr eins mit Gott. Er sprach selten von Gott, aber man konnte die tiefe Geistigkeit spüren, von der sein Leben durchdrungen war — eine Lebensfreude, eine innere Ruhe und eine Liebe, die in den Menschen, mit denen er in Kontakt kam, das Beste hervorzubringen schienen. Ich wollte wissen, was es war, das ihn so sein ließ. Eines Tages sah ich ein Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft auf seinem Schreibtisch liegen und beschloß herauszufinden, was es mit der Christlichen Wissenschaft auf sich hatte. Ich dachte, das könne mir vielleicht erklären, wieso er anders war. So lieh ich mir in der Bücherei das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft aus, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy.
Ich glaube, man kann sagen, daß ich im Leben dieses Mannes — und in dem einiger anderer Christlicher Wissenschafter, die ich später kennenlernte — dieselbe „ursprüngliche Schönheit der Heiligkeit“ sah, von der Mrs. Eddy sagte, daß sie sie so sehr an den christlichen Geistlichen geschätzt habe, die sie in ihrer Jugend unterrichtet hatten. Siehe Botschaft an Die Mutterkirche für 1901, S. 31—35. Als ich Wissenschaft und Gesundheit studierte und damit arbeitete, stellte ich nach und nach fest, daß es sich bei der Christlichen Wissenschaft nicht um einen ketzerischen Zusatz zur Heiligen Schrift handelte. Vielmehr eröffnete sie mir die geistigen Lehren der Bibel und machte mehr von ihrer praktisch anwendbaren und dauerhaften Grundlage sichtbar.
Was meinen Sie damit?
Zunächst einmal hat die Christliche Wissenschaft mein Verständnis von Gebet vertieft — in dem das Böse niemals als Gottes Wille anerkannt wird. Dieses Gebet beginnt mit der Zuversicht, daß Gottes Wille immer gut ist, daß wir Ihm vertrauen können, daß Sein Wille Leiden weder verursacht noch duldet. Vorher war für mich „sich Gott unterstellen“ gleichbedeutend gewesen mit „christlicher Resignation“ — in manchen Fällen fast schon mit einer Art Martyrium. Der Glaube, daß Gott Krankheit oder Krieg oder Leiden irgendwelcher Art zuläßt, untergräbt kaum merkbar unser Vertrauen in Gottes Liebe und unsere Bereitschaft, gehorsam zu sein. Jetzt bedeutet für mich „sich unterstellen“, einen umfassenderen Begriff von Gott zu akzeptieren — einem Gott, der ganz und gar Liebe ist.
Als Christ ahnte ich schon, daß es Geistigkeit war, wonach ich mich sehnte; was ich aber nicht wußte, war, daß das göttliche Gesetz so praktisch ist. Jesus versicherte uns, daß das Reich Gottes tatsächlich schon jetzt „herbeigekommen“ ist. Die Christliche Wissenschaft hat mir gezeigt, daß dies beweisbar ist — selbst wenn die uninspirierte menschliche Wahrnehmung dafür blind ist. Sie zeigt, daß Gott tatsächlich der Eine und Alles ist — unendlich, allumfassend —, mit anderen Worten, daß Er wirklich Gott ist. Ich gewinne ein neues Verständnis von dem Gott, der schon immer Gott gewesen ist.
Wie Martha oder der ältere Sohn im Gleichnis vom verlorenen Sohn hatte ich mich Gott gegenüber verpflichtet gefühlt — aber auch belastet. Der ältere Sohn war im Hause seines Vaters geblieben, hatte gearbeitet und gelebt und liebte ihn zweifellos. Aber erst als der Vater zu ihm sagte: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein“ Luk. 15:31., begann er mehr von der völligen Güte und Gnade und den unbegrenzten Möglichkeiten der väterlichen Liebe zu verstehen. Die Christliche Wissenschaft hat mir den Gott gezeigt, wie Ihn die Bibel offenbart, ohne die Tünche der Begrenzungen und Mißverständnisse, mit der wir Ihn angestrichen haben.
Worin unterscheidet sich denn Ihr jetziges Verständnis von Gott von dem, das Sie vorher hatten?
Ich begann, den Gott zu entdecken, zu dem ich schon immer gebetet hatte und den ich schon immer besser verstehen wollte, aber nicht völlig oder von ganzem Herzen mit in mein tägliches Leben hatte hineinnehmen können. Früher hatte ich das Gefühl, daß eine Verbindung zu Gott fehlte. Ich wollte mein Leben völlig Gott weihen, und doch hielt mich irgend etwas davon ab. Ich sah mich nicht in der Lage, einem Gott völlig zu vertrauen, der, wie ich wußte, immer antworten konnte — aber ich war mir nicht sicher, ob Er immer antworten würde —, einem Gott, der Seinen Nachfolgern schwere Zeiten brachte oder es zuließ, daß sie sie durchmachten.
Es schien immer eine Kluft zu bestehen zwischen dem Gott, dem die Bibel völlige Herrschaft und Güte zuschrieb, und dem Gott, wie ich Ihn erlebte. Mir wurden die bedrängenden Probleme der Welt mehr und mehr bewußt, und ich war zutiefst enttäuscht darüber, daß ich nicht einmal — was mein eigenes Leben anging — rückhaltlos auf Gott vertrauen konnte, und schon gar nicht, wenn es darum ging, anderen zu helfen. Deshalb bedeutet mir die Idee einer Wissenschaft des Christentums so viel — sie machte Gottes Güte und Herrscahft wirklich und realisierbar.
Könnten Sie diesen Punkt — Christentum als Wissenschaft — näher ausführen?
Die Wissenschaft macht die Tatsache deutlich, daß Gebet sich auf unveränderliche Wahrheiten und auf göttliches Gesetz gründet. Sie gibt einem die Gewißheit, daß Gott unveränderlich gut ist und wir Ihm absolut vertrauen können. Ebendieser Gedanke des völligen Vertrauens führte zu einem Wendepunkt in meinem Leben.
Eines Nachmittags fühlte ich mich nicht ganz wohl; es war wirklich nichts Besorgniserregendes, aber ich verließ mein Büro und ging in ein anderes Zimmer, um zu beten. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß Gott in dieser Sache zu vertrauen tatsächlich ein Ansporn zur Nachfolge und eine wunderbare Gabe war. Es war wirklich eine unbedeutende Herausforderung, aber gerade das machte die Gabe so wunderbar. Ich begriff, daß alles uns Gelegenheit gibt, Gott mehr zu vertrauen. Wenn wir Gott in jeder kleinen Angelegenheit vertrauen, lernen wir Ihn besser verstehen, und wenn wir Gott besser verstehen, verändert uns jede Kleinigkeit. Und das ist es, was wir als Christen suchen: einen Weg, in den Dingen des täglichen Lebens ein besserer Jünger zu sein.
Ich erkannte, daß die Forderung der Christlichen Wissenschaft — sich auf Gott zu verlassen, Ihm in jedem Lebensbereich zu gehorchen — uns hilft, Gott umfassender zu vertrauen, statt den Glauben abzugrenzen und ihn nur auf bestimmte Dinge anzuwenden und nicht auf andere. Sie ließ für mich konkreter werden, was es heißt, ein christlicher Jünger zu sein. Ich sah, daß wahres Heilen nicht von Gehorsam getrennt werden kann — daß alles aus der wachsenden Liebe zu Gott hervorgeht und aus der Erkenntnis von des Menschen Einheit mit Ihm. Wahres Heilen bedeutet, Gott umfassender wahrzunehmen und darum zu ringen, an dieser umfassenderen Sicht von Ihm gehorsam festzuhalten. Diese unbegrenzte Sicht von Gott begann, meine ganze Einstellung umzugestalten.
Wie veränderte sie Ihre Einstellung?
Zum einen veränderte sie allmählich meinen Begriff vom Menschen. Ja, sie tut es noch heute! Wenn man erfaßt, daß Gott unbegrenzt ist, fängt man an, sich selber weniger begrenzt zu fühlen. Man fängt an, sich an einen Gott zu wenden — sogar mit Ihm Gemeinschaft zu haben —, der aus der völligen Güte heraus, die Er ist, liebt und handelt. Man fühlt sich Gott näher und erkennt besser, was es bedeutet, jetzt, in diesem Moment, das Kind Gottes zu sein, und wie man diese Geistigkeit praktisch ausdrücken kann.
Ich erinnere mich: Ein Freund erzählte mir eines Abends von der Heilung seines verstauchten Knöchels, die er gerade erlebt hatte. Ich war nicht besonders überrascht. Ich hatte im Laufe der Jahre eine ganze Anzahl wunderbarer Heilungen miterlebt, die durch Gebet erfolgt waren. Was mich aber überraschte, war seine ruhige Gewißheit, daß wir erwarten können, daß Gott heilt, weil das in Einklang mit Seiner Natur steht. Ich war mehrere Jahre lang krank gewesen, aber vielleicht — aber auch nur vielleicht — war Gott wirklich so, obwohl mich die feste Überzeugung meines Freundes zu der Zeit verwirrte und ein bißchen ärgerte.
In den nächsten Monaten las ich die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit wieder und wieder, als ob ich sie nie zuvor gelesen hätte, und versuchte herauszufinden, wer oder was Gott wirklich war.
Diese „neue Welt“, die sich mir auftat, fesselte mich so, daß ich die Krankheit vergaß. Irgendwann im Juni des betreffenden Jahres — neun Monate nachdem ich angefangen hatten, Wissenschaft und Gesundheit zu studieren — mußte ich mich einer Reihe ärztlicher Untersuchungen unterziehen. Sie belegten, was ich schon nach und nach akzeptiert hatte: Ich war tatsächlich kerngesund, ohne eine Spur der früheren Beschwerde. Die nachhaltigere Wandlung aber war ein sich erweiterndes Bewußtsein von Gottes Gegenwart und Güte. Eine Gewißheit, daß Er mich und jeden, der sich an Ihn wandte, befreien konnte und würde.
Ich stelle mich jetzt bereitwilliger schwierigen Dingen, weil ich verstehe, daß Gotte sie nicht verursacht. Schwierigkeiten kommen nicht von Gott, sondern vom Widerstand gegen die grundlegende Tatsache, daß Gottes Reich hier ist und daß es gut ist.
Auch bin ich weniger bereit, Begrenzungen aus der Vergangenheit anzuerkennen, die versuchen, sich in die Gegenwart hinein fortzusetzen, wie z. B. charakterliche Veranlagung, Vererbung usw. Diese Wissenschaft des Christentums anzunehmen ist keine einmalige Entscheidung, sondern ein dauerndes Ringen! Sie beginnen, Gott zu fragen, wer Sie sind und wer Er ist. Sie stellen alles, was Sie bisher als wahr angesehen haben, im Lichte dessen, was die Bibel für tatsächlich wahr erklärt, in Frage.
Wo finden Sie die Antworten?
In der Bibel. Das Studium von Wissenschaft und Gesundheit hat mir geholfen, direkt zum Evangelium zurückzugehen, und ich sehe sowohl die Fragen als auch die Antworten in einem neuen Licht. Wenn Sie Gott verstehen lernen, sehen Sie, daß das Evangelium nicht nur Geschichte — „Seine Geschichte“ — oder Biographie ist, sondern daß es auch Ihre Geschichte sein kann. Ich beginne zu verstehen, daß durch diese Umwandlung, durch Erlösung, das Evangelium in dem Verhältnis unsere Autobiographie wird, wie wir unser geistiges Erbe annehmen.
Heißt das, daß Sie Gleichheit mit Jesus für sich beanspruchen?
Nein, keineswegs. Es läuft etwa auf das hinaus, was Mrs. Eddy zum Ausdruck bringt, wenn sie schreibt: „Der Mensch sollte nicht den Anspruch erheben, jene Höhe des Gemüts, das in Christus Jesus war, erlangt zu haben, sondern sollte zu ihr heranwachsen.“ Vermischte Schriften, S. 255. Damit gewinnt Jesu Leben größere Bedeutung. Es schreibt seinem Opfer größere Bedeutung zu und verleiht ihm Fortdauer. Es zeigt die außerordentlichen Konsequenzen seines Lebens für unser Leben, wenn wir echte Jünger werden. Ich fühle mich Jesus wirklich näher, wenn ich sein Beispiel nicht so unerreichbar mache, daß es unmöglich wird, ihm zu folgen. Jesu Anweisung „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ Matth. 5:48. erscheint nicht länger als eine unnütze Last, wenn man die Untrennbarkeit des Menschen von Gott zu erkennen beginnt. Wir können anfangen, den Weg zu gehen, den er ging.
Inwieweit ist dies Ihres Erachtens heute wirklich möglich angesichts der enorm starken, materialistischen und weltlichen Strömungen unserer Zeit?
Das scheint gerade jetzt eine entscheidende Frage zu sein. Diese Wissenschaft des Christentums bietet dem Materialismus wirklich die Stirn. Sie zeigt, daß die Verwirklichung christlicher Verheißungen nicht von äußeren Umständen abhängt, sondern davon, daß wir das Gemüt des Christus haben. Sie bringt neue Einsichten davon, was die Bibel als Ganzes wirklich bedeutet. In Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Die zentrale Tatsache der Bibel ist die Überlegenheit der geistigen Kraft über die physische.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 131. Es ist kolossal befreiend, zu erkennen, daß wir in diesem Augenblick zur Verwirklichung der biblischen Verheißungen des endgültigen Triumphes über den Materialismus beitragen können.
Und viele Menschen sehnen sich bereits nach mehr geistigem Licht, und viele empfangen auch schon mehr davon. Wenn wir Gott, Wahrheit, dorthin folgen, wohin Er uns führt, dann brauchen wir keine Angst zu haben, irregeleitet zu werden.
So sollst du nun heute wissen und zu Herzen nehmen,
daß der Herr Gott ist oben im Himmel
und unten auf Erden und sonst keiner.
5. Mose 4:39
