Der sehnliche Wunsch nach gegenseitigem Verständnis läßt sich ebensowenig unterdrücken wie das Nahen einer neuen Jahreszeit. Wir möchten mehr über unseren Nächsten erfahren als das, was vor Augen ist — insbesondere möchten wir wissen, was ihn bewegt, was ihm Mut und Freude gibt. So ermutigend es auch ist, daß Diplomaten und Staatsoberhäupter miteinander reden, so wichtig ist auch mitunter ein Gespräch über den Gartenzaun, ja manchmal sogar nützlicher, um die Stabilität herzustellen, die unsere heutige Welt so dringend benötigt.
Es erscheint uns sinnvoll, über einige Gespräche dieser Art aus jüngster Zeit zu berichten; sie zeigen auf, wie Christliche Wissenschafter über tiefer gehende Lebensfragen denken. Keine Geheimnisse und keine Heimlichtuerei umgibt unsere Kirche. Seit unsere Kirche vor über hundert Jahren ihre Tore zum erstenmal öffnete, ist die Öffentlichkeit zum Besuch der Gottesdienste eingeladen. Jede Kirche Christi, Wissenschafter, unterhält einen Leseraum, in dem man sich über vieles informieren kann. Dennoch kommt es in einer Welt, die mehr Gewicht auf technischen Fortschritt als auf den geistig-seelischen Bereich legt, zu beträchtlichen Mißverständnissen über die Christliche Wissenschaft.
Die folgenden Fragen wurden Christlichen Wissenschaftern in dem einen oder anderen Zusammenhang gestellt; wir haben uns bemüht, die Antworten genau wiederzugeben. Einiges Material haben wir der Korrespondenz mit dem Informationsbüro unserer Kirche, dem Komitee für Veröffentlichungen, entnommen. Andere Aspekte wurden in Ansprachen angeschnitten, die Christliche Wissenschafter auf Einladung von Kirchengemeinden oder Erziehern gehalten haben. Diese Aussagen sind nicht als Erklärung der Kirchenpolitik gedacht, vielmehr sollen sie einen Einblick in die religiösen Überzeugungen Christlicher Wissenschafter und in das Wesen unserer Kirche gewähren.
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Aus einem Gespräch mit einer Gruppe von Baptisten
Frage: Ist Erlösung möglich, ohne Christus persönlich anzunehmen?
Antwort: Die Worte „Ich nehme Christus an“ mögen nicht so schwer wiegen wie die tatsächliche Nachfolge Christi. Jemand mag vom Christus berührt worden sein, ohne sich dessen bewußt zu sein, wohingegen ein frommer Kirchgänger hart und lieblos sein kann. Wer diesen Worten gemäß lebt, kann auf dem Wege der Erlösung weiter vorangekommen sein als der, der sie im Munde führt.
Aus einem Gespräch mit den Teilnehmern eines konservativ christlichen Predigerseminars
Frage: Was bedeutet für Sie das Leben Jesu?
Antwort: Wir sind der Überzeugung, daß man auf Jesu Leben ebenso ansprechen sollte, wie es die Jünger taten, als sie ihre Netze verließen — daß man durch sein Licht förmlich dazu gezwungen wird, ja, gar nicht umhin kann, als die eigene frühere Lebensweise aufzugeben. Ihn zu lieben bedeutet, daß wir dazu bereit sein müssen, uns ständig den geistigen Forderungen seines Lebens zu stellen, die uns taufen und „die Spreu ... mit unauslöschlichem Feuer“ Matth. 3:12. verbrennen. Es erfordert die Bereitschaft, seine Gebote und Lehren zu befolgen und sie zum Kernpunkt unseres Lebens zu machen. Jesus lebte auf dieser Welt genauso, wie es die Bibel schildert. Und wir können uns nur dann aus dem Netz der Materialität befreien, wenn wir die Tatsachen seines Lebens und ihre Bedeutung für uns anerkennen.
Aus dem Briefwechsel mit einem Geistlichen
Frage: Ich habe gehört, daß Christliche Wissenschafter Mrs. Eddy mit Jesus auf eine Stufe stellen. Stimmt das?
Antwort: Nein. Es steht sogar im Gegensatz zu ihren eigenen klaren Lehren. Echte Christliche Wissenschafter betrachten Christus Jesus, und nicht Mrs. Eddy, als ihren Herrn und Erlöser. Ihre einzigartige Rolle als Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft hat keinerlei Vorrang vor Jesu heiliger Stellung. Doch sind Christliche Wissenschafter der Ansicht, daß Mrs. Eddys Arbeit es anderen ermöglichte, die Gebote Jesu verständnisvoller und tatkräftiger zu befolgen — in das „volle Maß der Fülle Christi“ Eph. 4:13. hineinzuwachsen, wie Paulus es in seinem Brief an die Epheser ausdrückte.
Aus einem Gespräch mit Studenten, die eine Vorlesung über „Religion in Amerika“ belegt hatten
Frage: Was soll das mit dem Heilen? Geht es der Christlichen Wissenschaft allein darum?
Antwort: Das Heilen ist ein besonderer und wichtiger Bestandteil der Christlichen Wissenschaft, wie es ja auch ein herausragender Aspekt der Religion des Neuen Testaments war. Doch das Lebensziel eines Christlichen Wissenschafters ist nicht physisches Wohlbefinden. Die Christliche Wissenschaft ist eine christliche Religion, nicht ein materielles System der Gesundheitsfürsorge. Sie kennen sicherlich das Bibelwort: Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.“ Matth. 6:33. Nun, der Christliche Wissenschafter sucht dieses Reich, und dann fällt ihm die Heilung zu. Die Heilung ist der Beweis, daß das Reich Gottes auf Erden herbeigekommen ist.
Aus Informationsunterlagen für Journalisten
Frage: Läßt sich die Christliche Wissenschaft mit jenen Gruppen auf die gleiche Stufe stellen, die Kranke gesundbeten und die in letzter Zeit große Schlagzeilen machten?
Antwort: Die Lehren der Christlichen Wissenschaft sind absolut christlich. Zwischen ihrer Heilungspraxis und der der Gesundbeter, die im Augenblick öffentliche Sorgen ausgelöst haben, liegen Welten.
Zum einen verlassen sich die Christlichen Wissenschafter nicht auf geistige Mittel, um gesund zu werden, weil sie von Predigern oder der Kirche dazu angehalten werden — so wie es bei einigen Glaubensheilern der Fall ist. Die Christlichen Wissenschafter können sich frei für die Behandlungsmethode entscheiden, die sie in einer gegebenen Situation für richtig halten. Das Wohlergehen ihrer Kinder liegt ihnen sehr am Herzen, und sie sind seit langem den Gesundheitsbehörden für ihre gute Zusammenarbeit bekannt. Sie melden die Krankheiten, die möglicherweise ansteckend sind. Und bei einer Entbindung ist stets ein Arzt oder eine ausgebildete Hebamme anwesend.
Die Christlichen Wissenschafter verlassen sich auf eine geistige Heilmethode aufgrund einer wohlbegründeten Überzeugung und oftmals langer Erfahrung. Für sie bedeutet Heilen nicht einfach, daß sie blind an die Möglichkeit eines „Wunders“ glauben oder darauf warten, daß es jemandem wieder besser geht. Sie sind auch nicht der Ansicht, daß Leiden auf einen „Mangel an Glauben“ verweise oder auf Gottes Willen zurückzuführen sei.
Die Christlichen Wissenschafter sehen das Heilen als natürlichen, wesentlichen Teil ihrer ganzen Lebenseinstellung an. Sie versuchen, das Heilen in einem logischen und wohldurchdachten Zusammenhang zu begreifen; und das hat das Interesse einiger großer Glaubensgemeinschaften am christlichen Heilen wiedererweckt.
Aus einem Radiointerview
Frage: Hat die Christliche Wissenschaft nicht ihren Ursprung in Phineas P. Quimbys Heilmethode?
Antwort: Dieser Vorwurf wird zwar gelegentlich erhoben, doch Gelehrten, die diese Frage untersucht haben, erscheint er völlig unhaltbar. Zwei Autoren haben die diesbezüglichen historischen Fakten eingehend geprüft und in wissenschaftlichen Werken niedergeschrieben. (Robert Peel, Mary Baker Eddy: The Years of Discovery; Mary Baker Eddy: The Years of Trail; Mary Baker Eddy: The Years of Authority [New York: Holt, Rinehart and Winston, 1966, 1971, 1977] und Stephen Gottschalk, The Emergence of Christian Science in American Religious Life [Berkeley: University of California Press, 1973].)
Aus diesen und anderen sorgfältig recherchierten Studien geht hervor, daß zwischen dem grundlegenden Christentum, wie es Mrs. Eddys Lehren darstellen, und Quimbys Ansichten, die sich aus dem Mesmerismus entwickelten, ein kategorischer Unterschied besteht. In der Christlichen Wissenschaft ist die Heilung eine Phase der christlichen Erlösung, und sie erfolgt durch rückhaltloses Hinwenden an Gott, das eine unendliche, göttliche Gemüt. Quimby hingegen betrachtete die Heilung als das Ergebnis dessen, was wir heute mentale Suggestion nennen würden — als eine Sache psychologischer Manipulation statt geistiger Wiedergeburt.
Aus einer Diskussionsrunde mit Kongregationalisten
Frage: Wie stehen Sie zu einer ärztlichen Behandlung — vor allem in einem ernsten Fall?
Antwort: Vor allen Dingen sollte jeder stets frei darüber entscheiden können, was für eine Behandlung er bevorzugt. Lassen Sie mich etwas über den Zusammenhang sagen, in dem Christliche Wissenschafter ihre Entscheidung treffen. Sie verlassen sich schon viele Jahre auf diese Heilmethode. Sie entscheiden sich also für die Christliche Wissenschaft nicht in einem Vakuum. Manche wandten sich ursprünglich an die Christliche Wissenschaft, weil ihr Leiden nach ärztlichem Gutachten tödlich oder unheilbar war. So ist denn ihr Vertrauen auf Gebet kein blindes Hoffen, daß sie irgendwie wieder gesund würden. Gewiß, die Heilungen sind nicht immer aufsehenerregend; manchmal ändert sich ein Zustand trotz größter Anstrengungen nicht. Doch haben die Christlichen Wissenschafter an sich selbst und bei anderen Kirchenmitgliedern zu viel wirkliches Heilen erlebt, als daß sie eine Situation als hoffnungslos ansehen. Oftmals stellt sich die Heilung erst ein, nachdem sie mit der Mutlosigkeit gerungen und viel gelernt haben und geistig gewachsen sind. Dieses Wachstum erachten sie als unbezahlbar.
Aus einem Gespräch mit Medizinstudenten
Frage: Wie können Sie behaupten, die Materie sei unwirklich?
Antwort: Wenn auch Mrs. Eddy zu dem Schluß kam, daß die Materie keine endgültige Wirklichkeit — und keine geistige Autorität — hat, so beansprucht doch kein Christlicher Wissenschafter, das selber völlig verstanden oder bewiesen zu haben. Wir fühlen uns aber dazu aufgerufen, das nach und nach zu beweisen, indem wir uns dem Heilen widmen — körperliche Beschwerden und alle anderen Formen der Entfremdung des Menschen von Gott heilen. Jesus mußte etwas über die Materie gewußt haben, was anderen Menschen verborgen geblieben war, denn er wandelte auf dem Wasser, speiste die Fünftausend, stillte den Sturm und heilte die Menge. Wer wollte schon sagen, daß wir in diesem gegenwärtigen, begrenzten Entwicklungsstadium wirklich die ganze Fülle der Schöpfung Gottes wahrnehmen?
Ein Christlicher Wissenschafter glaubt, daß er nur durch das Heilen mehr über die Substanzlosigkeit der Materie erfährt und über das, was Gottes Schöpfung wirklich in sich schließt. Er ist normalerweise bei seinen Behauptungen zurückhaltend. Er trachtet aber beständig danach, mehr über Leben, Güte, Wirklichkeit und Geist zu erfahren.
Aus einem Gespräch mit Studenten an einem Baptisten-Seminar
Frage: Sind Sie als Christlicher Wissenschafter gegen Sünde immun, oder haben Sie immer noch mit ihr zu kämpfen?
Antwort: Und ob! Ich muß jeden Augenblick, tagtäglich — wie jeder andere Christ auch — mit ihr kämpfen! Ich weiß jedoch, daß der Sieg auf der Seite Gottes ist.
Aus einer Verlautbarung unserer Kirche
Frage: Wie steht Ihre Kirche zur Homosexualität?
Antwort: Unsere Kirche hat schon immer den Standpunkt vertreten, daß Homosexualität der mitfühlenden Heilung bedarf, statt einerseits die Person zu verdammen oder andererseits Homosexualität als eine mit dem Christentum vereinbare Lebenseinstellung zu akzeptieren. Unsere Religion stellt die Bibel in den Mittelpunkt, aber unser Standpunkt hierzu beruht nicht nur auf dem dritten Buch Mose, sondern auf der ganzen Bibel, vor allem auf dem Neuen Testament.
Unser Ideal bezüglich aller sexuellen Beziehungen außerhalb des üblichen Ehebundes kommt in den Worten zum Ausdruck, die Christus Jesus an die Frau richtete, die im Ehebruch ergriffen wurde; in ihnen vermischen sich Vergebung und Heilkraft: „So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Joh. 8:11 (Hervorhebung durch den Verfasser).
Aus einem Gespräch mit Angehörigen einer anderen Religionsgemeinschaft
Frage: Kann die Christliche Wissenschaft einen Blinden heilen?
Antwort: Es gibt beglaubigte und sehr beeindruckende Fälle, in denen Blindheit durch Gebet im Sinne der Christlichen Wissenschaft geheilt wurde. Ein Christlicher Wissenschafter geht nun nicht geradewegs zu einem Blinden oder Kranken hin und verspricht ihm Heilung. Die Christliche Wissenschaft bietet weder eine Zauberformel, noch hat sie etwas mit Willenskraft zu tun, noch verspricht sie eine schnelle und leichte Lösung für alle Probleme. Sie verlangt, daß wir den alten Menschen ablegen — Gott an erste Stelle setzen —, aber sehr oft paßt uns das nicht. Die Verheißungen der Christlichen Wissenschaft sind groß, die Freude ist groß, doch die Forderungen sind ebensogroß.
Aus einem Gespräch mit angehenden Krankenschwestern
Frage: Was können Sie für die hungernden Kinder in Afrika tun?
Antwort: Was mich betrifft, so würde ich, wenn ich dort wäre, wahrscheinlich das gleiche tun wie Sie: Ich würde so viele Kinder in die Arme schließen, wie ich könnte, und ihnen so viel zu essen geben, wie ich nur könnte — und über all dem würde ich hoffentlich auch daran denken, mich aufrichtigen und erwartungsvollen Herzens an Gott zu wenden, daß Er mir zeigen möge, was ich zusätzlich tun könnte — mit Verstand —, um nicht nur die unmittelbare menschliche Not dieser vielen Menschen zu stillen, sondern um praktische, inspirierte Schritte in die Wege zu leiten, damit die Angst, der Haß, das Mißverständnis und die Grausamkeit geheilt werden, die der Menschheit solches Leiden bringen. Weniger zu tun wäre wohl kaum christlich! Doch ich lebe hier! Ich glaube nicht, daß der Umstand, daß ich hier lebe, mich vom Geben abhalten oder meine Gebete zum Schweigen bringen kann — Gebete, in denen ich darauf vertraue, daß Gott die grundlegenden Irrtümer des menschlichen Denkens Heilt, die sich in Kriegen, Unheil und Hungersnot zeigen.