Carlyle machte eine interessante Beobachtung über das Wesen der Welt und der Musik. „Blick nur tief genug“, sagte er, „und du blickst musikalisch, der innerste Kern der Natur ist überall Musik, man muß es nur verstehen, ihn zu erreichen.“ Thomas Carlyle, Helden und Heldenverehrung (Halle an der Saale: Verlag von Otto Hendel, 1898), S. 100.
In einer prosaischen, pragmatisch nüchternen Welt mag eine solche Aussage bestenfalls abstrakt klingen. Aber es gibt eine göttliche Harmonie, die unser Leben Zutiefst erfüllt. Es handelt sich dabei nicht um Musik, die das menschliche Ohr als materielle Schwingungen wahrnimmt. Die göttliche Harmonie spricht den geistigen Sinn an. Und diesen geistigen Sinn besitzt jeder von uns.
Zwischen einem uninspirierten, materiellen Begriff von Musik und dem harmonischen Rhythmus der göttlichen Seele, Gottes, der das menschliche Herz erreicht und es in Einklang mit dem göttlichen Willen schlagen läßt, besteht ein ziemlich großer Unterschied.
Ein Beispiel dafür aus dem Alten Testament: König Saul wurde als Führer seines Volkes von immer größeren Sorgen gequält. Schließlich fühlte er sich seelisch so belastet, daß er den jungen David bat, auf der Harfe zu spielen, damit sein aufgewühltes Gemüt beruhigt werde. Die materiellen Melodien Davids brachten ihm wenig mehr als kurze Erleichterung. Sie schützten Saul nicht vor der Eifersucht, die bald in die Gewalttätigkeit des „bösen Geistes“ überschlug. Siehe 1. Sam, Kap. 16 und 18.
Gewiß, Saul ist nicht der einzige in der Bibel, der mit dieser materiellen Auffassung von Musik Schwierigkeiten hatte. Es gab Zeiten, wo einem Volk das Herz so schwer war, daß der musikalische Impuls nahezu ausgelöscht war. Doch selbst dann gab es Psalmisten, die durch eine tiefere Musik dazu angeregt wurden, die Worte ihrer Gebete in der rhythmischen Kadenz der Poesie wiederzugeben. Die ergreifende Melodie der Klage eines verbannten Volkes erklingt deutlich in dem Refrain des Psalmisten:
An den Wassern zu Babel
saßen wir und weinten,
wenn wir an Zion gedachten.
Unsere Harfen hängten wir
an die Weiden dort im Lande.
Wie könnten wir des Herrn Lied singen
in fremdem Lande? Ps 137:1, 2, 4.
Wie können wir des Herrn Lied singen, wenn wir keine der profunden Harmonien fühlen, die uns der Liebe und immergegenwärtigen Fürsorge Gottes versichern?
Vielleicht sollten wir uns noch einmal die „Musik“ ansehen, die wir bereits besitzen. Erfüllt uns nicht tief im Innern ein geistiger Gesang, der auf die eigentliche geistige Beziehung des Menschen zu Gott hinweist? Das Verlangen, Respekt zu verdienen, gesund zu sein, sich anderen zu widmen, etwas im Leben zu leisten und die Resultate unserer ununterbrochenen Bemühungen zu sehen, ist ein unstillbares Streben, in dem die geistigen Melodien des göttlichen Gemüts widerhallen. Und wie beim Klang der Musik, so verhält es sich auch mit den geistigen Melodien: Je näher wir der geistigen Quelle dieses Strebens kommen, desto stärker fühlen wir die Gegenwart Gottes und den geistigen Rhythmus der heilenden Botschaft der göttlichen Liebe.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß das materielle Dasein nicht die Wirklichkeit der wahren Natur des Menschen zeigt. Jedoch kann unser Leben schon jetzt den Harmonien der Seele näherkommen. Wir können die Wirklichkeit von Gott und Seinem göttlichen Gesetz so lieben und wertschätzen, daß wir unsere Beweggründe und Ziele Seiner immergegenwärtigen Fürsorge anheimstellen können. Gottes Fürsorge läßt sich überhaupt nicht mit dem manchmal schwachen Bemühen vergleichen, das wir mit menschlichem Wohlwollen verbinden. Menschliche Fürsorge kann versagen, aber Gottes Fürsorge ist ein göttliches Gesetz. Dieses Gesetz ist die eigentliche Wirklichkeit und das ewige Wesen des Geistes, Gottes, und ist als solches unablässig wirksam.
Das sterbliche Dasein befindet sich ständig im Wandel, es ist eine Kakophonie, die von Dissonanz und der unmöglichen Vermischung von Gut und Böse spricht. Aber das göttliche Gesetz, das seinen Ursprung in Gottes allmächtigem und allgegenwärtigem Wesen hat, ändert sich nicht. Es bleibt konstant. Der Schreiber des Jakobusbriefes im Neuen Testament erkannte, was die Gottheit verhieß und daß es vernünftig ist, auf Gottes unfehlbare Fürsorge zu vertrauen. Er bezeichnete Gott als den Vater, „bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“ Jak 1:17..
Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß wir tatsächlich Gott verstehen lernen können. Und wir können das geistige und harmonische Wesen von Gottes Bild und Gleichnis, dem Menschen, erkennen. Dieses geistige Verständnis bricht nicht nur die Macht von Furcht, Unwissenheit oder Sünde, die Krankheit verursachen, sondern bringt auch den menschlichen Herzen Licht, bis sie buchstäblich in Lobeshymnen über die Güte Gottes und des Menschen ausbrechen. Solche Geistigkeit kann nicht zurückgehalten werden. Schon ein Schimmer von den geistigen Möglichkeiten, die dem wahren geistigen Heilen innewohnen, erweckt in uns eine tiefe, seelenerfüllte Harmonie, die unser Leben in Einklang mit Gottes unendlicher Liebe bringt.
Der Macht des Christentums unterliegt tatsächlich eine Wissenschaft, ein göttliches Gesetz. Dieses göttliche Gesetz ist ebenso unfehlbar wie das Prinzip, das die Harmonie der Musik regiert; und wir können es verstehen lernen und uns ihm fügen, um das Böse zu überwinden. Die Christliche Wissenschaft macht klar, wie wir dem geistig Guten, dem Reinen und Ewigen nachgeben können. Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Die Vergeistigung des Denkens und die Verchristlichung des täglichen Lebens, im Gegensatz zu den Resultaten des grausigen Possenspiels des materiellen Daseins; Keuschheit und Reinheit, im Gegensatz zu den herabziehenden Tendenzen und dem auf das Irdische gerichteten Streben der Sinnlichkeit und Unreinheit, sind es, die tatsächlich für den göttlichen Ursprung und das göttliche Wirken der Christlichen Wissenschaft zeugen... Gott ist das göttliche Prinzip von allem, was Ihn darstellt, und von allem, was wirklich besteht.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 272.
Wir müssen uns aber vergegenwärtigen, daß wir die geistige Fähigkeit haben, mit Gottes Gesetz in Einklang zu stehen. Diese Fähigkeit weist auf die geistige Natur des Menschen als Widerspiegelung Gottes hin und kann — ungeachtet der menschlichen Umstände — niemandem abgesprochen werden.
Ich hörte einmal ein Interview mit dem Sohn eines berühmten Pianisten und dabei faszinierte mich, wie der Sohn die Größe seines Vaters erklärte. Sein Vater, so sagte er, habe sich als Instrument des Komponisten gesehen. Er habe nicht versucht, zu verschönern, was der Komponist an Ideen empfangen oder was er geschrieben hatte.
Wir können uns diese praktische Einsicht zur Richtschnur machen. Wir brauchen das, was Gott schon getan hat, nicht zu verschönern oder ihm etwas hinzuzufügen. Die geistige Musik oder Harmonie der göttlichen Seele, der göttlichen Liebe, wird sich in unserem Leben zeigen, wenn wir danach streben, Seinem göttlichen Gesetz treu zu sein. Eine Sinfonie erwartet uns alle, wenn wir die geistige Bedeutung der Heiligen Schrift verstehen lernen. Das ist der grundlegende, praktische Zweck der Lehren der Christlichen Wissenschaft. In unserem tiefsten Inneren haben wir alle ein feines Ohr für das Geistige, um Gott lobsingen und Seine Güte zum Ausdruck bringen zu können.
