Wenn Sie einmal über längere Zeit eine schwere Last getragen haben, vielleicht sogar bergauf, wie groß war da die Erleichterung, als Sie die Last absetzen konnten. Wie aber würden Sie reagieren, wenn Sie merkten, daß Ihnen die Last gar nicht gehörte oder sie sogar gefährlich war und Sie sie nur deshalb getragen haben, weil Ihnen vorgeschwindelt wurde, daß sie Ihnen gehöre? In gewisser Weise trifft das auf die Belastungen zu, denen wir heutzutage ausgesetzt sind; so tragen wir vielleicht an der Last der Furcht, der überholten Traditionen und Sitten, der Selbstverdammung und der Krankheit. Wir nehmen damit eine Last auf uns, die uns gar nicht gehört. Wir können sie abwerfen.
Durch einen falschen Ichbegriff können uns ohne unser Wissen Belastungen auferlegt werden. Wir übernehmen die Auffassung, daß der Mensch hauptsächlich materiell sei und auf ein begrenztes, menschliches Gemüt angewiesen sei. Wenn Gott überhaupt in Betracht gezogen wird, so wird im allgemeinen angenommen, daß Er sich vom Menschen weit entfernt habe. Die Furcht vor Krankheit ist eine der schwersten Bürden, die der Menschheit durch diese Auffassung auferlegt wird. Aber Christus Jesus sagte zu allen seinen künftigen Nachfolgern: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ Mt 1 1:28–30. Jesus nahm den Menschen die belastende Angst und heilte alle Krankheiten. Selbst die, die viele Jahre unter einer Last gelitten hatten, wurden augenblicklich befreit.
Durch das Heilen von krankheit und Sünde lehrte und lebte Jesus den Christus, die wahre Idee der Gottessohnschaft des Menschen. Damit zeigte er uns, wie wir erkennen können, daß wir in unserem wahren Sein als die geliebten Kinder Gottes untrennbar mit Ihm verbunden sind. Jesus bewies, daß der Mensch keine biologische Maschine ist, das Produkt materieller Vererbung und menschlicher Umstände. Die wirkliche Identität — Ihre und meine Identität — ist der strahlend reine und heilige Ausdruck Gottes, des Gottes, der Liebe ist.
Die göttliche Liebe umsorgt und erhält den Menschen, die geistige Idee der Liebe, unser einziges Sein, in völliger Sicherheit und Vollkommenheit. Diese Vollkommenheit wird nicht erst in grauer Ferne möglich, sondern sie ist die Tatsache der Schöpfung, die jetzt und für immer bewiesen werden kann. Jesus sagte: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Mt 5:48. Die Erkenntnis der Wahrheit, die hinter dieser Forderung Christi steht, versetzt uns in die Lage, die Last der Furcht und Krankheit abzuwerfen, andere zu heilen und auch selbst geheilt zu werden.
Wir alle haben schon Anzeichen für die dem Menschen angeborene Geistigkeit entdeckt — erkannten sie z. B. an der sanften Geduld eines Vaters oder einer Mutter im Umgang mit einem kind, das gerade laufen lernt, an der Rechtschaffenheit eines Geschäftspartners in seinem Geschäftsgebahren, an dem Bestreben eines Beamten, alle, die mit einem Anliegen auf die Behörde kommen, gleichermaßen gerecht zu behandeln. Solche Einblicke in das Wesen des Menschen mögen uns sehr vereinzelt gewährt werden; aber sie kommen vor. Selbst wenn dem so ist, ist jedoch mehr erforderlich, wenn wir über diese bloßen Andeutungen hinausgehen wollen. In Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mary Baker Eddy: „Da der wirkliche Mensch durch die Wissenschaft mit seinem Schöpfer verknüpft ist, brauchen sich die Sterblichen nur von der Sünde abzuwenden und die sterbliche Selbstheit aus den Augen zu verlieren, um Christus, den wirklichen Menschen und seine Beziehung zu Gott, zu finden und die göttliche Sohnschaft zu erkennen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 316.
Dadurch, daß wir das Selbst opfern, wird ein freudiger und lohnender Prozeß in Gang gesetzt, durch den wir die Bürden abwerfen, die eine falsche Auffassung über den Menschen uns auferlegt. Wenn wir diese falsche Vorstellung von unserer Identität ablegen und tatkräftig die Freude, Freiheit und Liebe zum Ausdruck bringen, die uns als Kind Gottes angeboren sind, können wir mit froher Erleichterung Selbstverdammung, Selbstmitleid und Zügellosigkeit aufgeben. Wer würde das Kind Gottes bemitleiden oder verdammen? Der geistige Mensch besitzt bereits alles, was der himmlische Vater zu geben hat; und wenn wir das wissen, kann uns nichts dazu verleiten, weiterhin gegen uns nachsichtig zu sein oder an einem falschen Selbstbild festzuhalten. Sicherlich wird es uns nicht gelingen, unser Selbst schon an einem Tag völlig zu opfern. Doch mit jeder Last, von der wir uns befreien, wird unser Weg klarer und jeder Schritt leichter. Die Bibel umschreibt das Aufgeben des eigenen Selbst so: „ ... ihr habt den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat.“ Kol 3:9, 10.
In dem Verhältnis, wie wir „den alten Menschen“ ausziehen, erkennen wir, daß Furcht nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen ist, durch die uns weisgemacht werden soll, daß Gott abwesend oder sich Seiner geliebten Söhne und Töchter irgendwie nicht bewußt sei. Wir mögen sogar glauben, daß Er uns nicht geschaffen habe oder wir soweit abgeirrt seien, daß Er nicht mehr helfen könne. Aber das kann nicht sein. Wir sind Sein geistiger Sprößling, und Seine Liebe umgibt uns überall und immer.
Viele Jahre lang trug ich schwer an der drückenden Last, daß ich auf bestimmte Nahrungsmittel allergisch reagierte. Aß ich ein wenig Tomate, ein Stück Apfelsine oder ein paar Erdbeeren, so bildete sich überall bei mir auf der Haut ein juckender Ausschlag. Dieser Hautausschlag hielt in der Regel eine Woche an, manchmal auch länger. Die Ärzte konnten mir zur Erleichterung allein empfehlen, ein kühles Bad zu nehmen mit einer Lösung doppelt kohlensaurem Natrium. Natürlich versuchte ich, diese Allergie erregenden Nahrungsmittel zu vermeiden, aber war in einem Gericht auch nur eine Spur davon enthalten, so hatte das den Ausschlag zur Folge. Daher hatte ich ständig Angst vor der Nahrungsaufnahme. Als junge Frau ließ ich mir viele gesellige Zusammenkünfte entgehen, da dieser Ausschlag sehr unansehnlich und auch äußerst unangenehm war.
Eines Tages lieh mir eine Freundin das Buch Wissenschaft und Gesundheit. Eifrig las ich es. Dabei wurde ich unweigerlich von der Überzeugung durchdrungen, daß die Materie keine Macht hat. Gott ist der einzige Gesetzgeber, und Sein Gesetz ist völlig gut. Eine Strafe könnte nur die Folge falschen Denkens über Gott und Seine Schöpfung sein. Mir wurde klar, daß ich mich dazu hatte verleiten lassen, eine falsche Annahme über die Macht der Nahrung zu akzeptieren.
Man könnte sagen, daß Christus Jesus das ganze Thema der Verdauungsstörungen umreißt mit seinen Worten: „Was zum Mund hineingeht, das macht den Menschen nicht unrein; sondern was aus dem Mund herauskommt, das macht den Menschen unrein.“ Mt 15:11. Wissenschaft und Gesundheit weist auf die heilende Wahrheit im Denken des Menschen hin, die der Moral dieser Worte zugrunde liegt: „Wenn die Sterblichen meinen, daß Nahrung die harmonischen Funktionen des Gemüts und des Körpers störe, muß entweder die Nahrung oder dieser Gedanke aufgegeben werden, denn die Strafe knüpft sich an die Annahme. Welches von beidem soll es sein? Wenn die Entscheidung der Christlichen Wissenschaft überlassen bleibt, so wird sie zugunsten der Herrschaft des Gemüts über diese Annahme und über jede irrige Annahme oder jeden materiellen Zustand gefällt werden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 388.
Nun, das überzeugte mich, und ich handelte nach meiner neugefundenen Überzeugung. Mit Freude und Genuß nahm ich einen Eisbecher mit frischen Erdbeeren zu mir. Es traten keine Nachwirkungen auf. Ich war völlig geheilt. Seit jenem Tage hat mir keine Speise mehr — nicht einmal die exotischsten Gerichte aus den verschiedensten Teilen der Welt — auch nur die geringsten Beschwerden verursacht.
Diese schlichte Erfahrung war ein solider Baustein für mein weiteres geistiges Wachstum. Die Tatsache, daß Gott der einzige Schöpfer ist, läßt Krankheit, Leid und sündiger Abhängigkeit keinen Raum.
Im Buch des Propheten Jesaja finden wir Gottes Zusicherung: „Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Laß los, die du mit Unrecht gebunden hast, laß ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!... Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Jes 58:6, 8. Wir können die unwillkommene Last der Furcht und all die anderen wertlosen Gewichte, die sich an uns hängen, abwerfen. Wir, Gottes geliebte Kinder, können frei mit dem himmlischen Vater wandeln und die Freude und Schönheit des geistigen Lebens zum Ausdruck bringen.
Man kann mit Recht davon ausgehen, daß Jesus beim Heilen versuchte, die Leidenden, denen er begegnete, zu größerer Geistigkeit zu erheben. Er wollte, daß die Menschen für das Reich Gottes gewonnen werden und an der Kraft und Energie teilhaben, die in der Beziehung zwischen ihm und seinem Vater erkennbar wurde; denn darin bestand schließlich seine Mission für die Menschheit (siehe Lk 7:21–22).
, „Heilen“, in The Interpreter’s Dictionary of the Bible (Abingdon Press)
