In medizinischen und psychologischen Fachzeitschriften wurden Religion und Geistigkeit bis vor einigen Jahren noch nicht ernst genommen; man sah sie nicht als wesentliche Faktoren bei der Gesundheitsfürsorge an. In gewissen Berichten wurde sogar behauptet, Religion oder Gottgläubigkeit hätten negative Auswirkungen auf das mentale, emotionale und körperliche Wohlbefinden. Immer mehr angesehene Mediziner und andere Wissenschaftler bezweifeln aber heute die Richtigkeit der alten Denkmodelle und befassen sich in ernsthaften Untersuchungen mit dem heilenden Einfluß von Gebet, Spiritualität bzw. Geistigkeit und Religion.
Vom 3. bis 5. Dezember 1995 fand in Boston, USA, eine wichtige Tagung statt, die sich mit dem Thema „Spiritualität und Heilen in der Medizin" beschäftigte. Sie wurde von geleitet und stand unter der Schirmherrschaft der Medizinischen Fakultät der Harvard-Universität und dem „Medizinischen Institut für Geist und körper" am Deaconess-Krankenhaus. (Die Veranstaltung wurde teilweise durch einen Studienfonds der John-Tempelton-Stiftung finanziert.) Im Mittelpunkt der Konferenz stand die ernsthafte Diskussion geistiger Heilverfahren in den größeren Glaubensgemeinschaften. Über den Verlauf der Tagung berichteten verschiedene Nachrichtenmedien, unter anderem der Fernsehsender „ABC", die Zeitschrift Harper's Magazine, der Christian Science Monitor sowie andere Tageszeitungen. (Siehe den ausführlichen Bericht in der Wochenausgabe des Monitors vom 14.–18. Dezember 1995 und im Christian Science Sentinel vom 15. Januar 1996.)
Dr. Benson befaßt sich schon länger mit der Heiltätigkeit in verschiedenen Religionsgemeinschaften. Er hat jahrelang einen Dialog mit der Kirche Christi, Wissenschafter, geführt, und so nahm diese korche die Einladung zu der Konferenz an. Wir geben hier den Text der Ansprache wieder, die die Vorsitzende des Vorstands der Christlichen WissenschaftChristian Science, gehalten hat, sowie einführende und abschließende Bemerkungen von Dr. Benson.
Aus Dr. Bensons Einführung:
Dr. Benson begann seine Einführung über Mrs. Harris mit der Bemerkung, daß während der Jahre, in denen er den therapeutischen Wert der Meditation in Kombination mit medizinischer Behandlung erforschte, die Frage aufgetaucht sei, ob Gebet auch allein zu einer Heilung führen könne. „Ich war der Meinung", sagte er, „daß wir für die Klärung dieser Frage einen Modellversuch in der Kirche Christi, Wissenschafter, haben.... Und das war gegen Ende der siebziger Jahre....
Langsam, aber unausweichlich stellte es sich dabei heraus, daß uns genug Gemeinsames verbindet, was einen Gedankenaustausch möglich macht, und daß wir voneinander lernen können. Ich muß betonen, daß es wegen der Anfeindungen, die es gut hundert Jahre gegeben hatte, sehr viel Mut von seiten der Kirche erforderte, zu dieser Auffassung zu kommen. Und heute kann ich erfreut feststellen, daß wir gemeinsam daran arbeiten, besser zu verstehen, wie eine spirituelle, eine geistige Behandlung zu Heilung führen kann."
Die Ansprache von Virginia Harris:
Guten Tag, meine Damen und Herren! Für mich ist es eine besondere Freude und ein Vorrecht, mit so vielen Heilern in einen Gedankenaustausch treten zu dürfen! Heute morgen mußte ich daran denken, was für ein mächtiges gemeinsames Band uns alle verbindet. Mir wurde so klar, daß wir alle jeden Morgen mit dem Verlangen aufwachen, möglichst viele Menschen in jeder denkbaren Lage zu heilen, zu trösten und von Leiden zu erlösen.
Gott, Allah, Elohim, das göttliche Gemüt ... schaut gewiß erfreut auf dieses Symposium und alle, die sich hier versammelt haben. Wir sind mit der Frage hierher gekommen: Gibt es irgend etwas Wichtiges, was wir bei unserer Heilpraxis übersehen? Gibt es ein umfassenderes Universum der Gesundheit und Ganzheit, das wir kennen und verstehen sollten? Und können wir uns bei der Suche nach Erkenntnis gegenseitig noch mehr unterstützen — zum Wohl der Menschheit?
Ich glaube, daß unsere Gesellschaft bei der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Geist und Körper an einem Punkt angelangt ist, wo ein grundsätzliches Umdenken stattfindet. Die Menschen fordern und suchen ein vollkommeneres Prinzip des Heilens.
Könnte es sein, daß wir Zeugen eines beginnenden Umdenkens hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen Geist und Körper sind, das in seiner Tragweite den Veränderungen gleichkommt, die Kopernikus für unser Weltbild bewirkt hat?
Für mich ist das geistige Heilen etwas Lebensnotwendiges. Ich verdanke ihm buchstäblich mein Leben. Ich hoffe, Ihnen einige Einsichten darüber zu vermitteln, was ich über Geistigkeit und Heilung gelernt und erfahren habe, und zwar aus vier verschiedenen Blickwinkeln:
• als Patientin, die die Segnungen des geistigen Heilens von Kind auf erlebt hat,
• als Ausüberin und Lehrerin der Christlichen Wissenschaft sowohl beim Heilen anderer als beim Lehren des Heilens,
• als Mitglied des Vorstands der Christlichen Wissenschaft, dem die Fakten über Tausende von Menschen in aller Welt zugänglich sind, die durch geistige Mittel heilen oder geheilt werden,
• und als Mutter, die drei gesunde Jungen großgezogen hat und dabei einzig und allein von der Behandlungsmethode Gebrauch gemacht hat, die ich heute mit Ihnen besprechen werde.
Ich möchte Ihnen von einem Erlebnis berichten, das mich zutiefst berührt und mein Vertrauen auf Gott gefestigt hat. Ja, es hat mich tatsächlich dazu gebracht, die Heilarbeit zu meiner Lebensaufgabe zu machen.
Vor neunzehn Jahren hatte ich auf einer Autobahn bei Detroit einen schweren Unfall. Man brachte mich in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses. Die Ärzte sagten meinem Mann, sie glaubten aufgrund meiner Verletzungen nicht, daß ich eine Überlebenschance hätte. Sie wollten mich sofort operieren.
Als ich zwischendurch zu Bewußtsein kam, hörte ich, wie die Ärzte meinen Mann über die Risiken einer solchen Operation aufklärten. Ich wollte nicht sterben. Mir wurde klar, daß wir uns über die Form der Behandlung entscheiden mußten. Es war eine lebenswichtige Entscheidung: Gebet oder Operation.
Für die meisten von Ihnen mag das sehr ungewöhnlich klingen — wie jemand, der im Notaufnahmeraum liegt, an irgend etwas anderes denken kann als an die zur Verfügung stehende Technik und ärztliche Kunst. Aber ich mußte da eine wichtige Entscheidung treffen.
Ich wollte leben. Zu Hause warteten drei Jungen auf mich. Ich wollte erleben, wie sie aufwuchsen, ihren Schulabschluß machten und heirateten. Deshalb entschied ich mich für die christlich-wissenschaftliche Behandlung durch Gebet. Sehen Sie, ich hatte mich mein ganzes Leben lang mit Erfolg auf die heilenden Gesetze Gottes verlassen. Deshalb war es für mich in diesem Augenblick ganz natürlich, mich völlig auf Ihn zu verlassen. Das war kein blinder Glaube. Es war eine Überzeugung, die sich auf Erfahrung gründet.
Mein Mann rief einen Ausüber der Christlichen Wissenschaft an und bat ihn, mich zu behandeln. Dann unterschrieb er die Enthaftungserklärung, und ich wurde nach Hause gebracht. Meine Mutter und mein Mann sorgten für mich, und Nachbarn und Freunde kümmerten sich um unsere Jungen.
Obwohl ich etwa drei Tage lang sehr große Schmerzen hatte, kann ich ehrlich sagen, daß es eine Zeit der Ruhe war, eine Zeit, in der wir alle viel beteten und die Liebe unseres gütigen Gottes für mich empfanden. Ich hatte das Gefühl, daß ich wichtig für Gott war, nicht bedeutungslos oder weit von Ihm entfernt. Ich spürte eine enge Verbindung zu Gottes Güte und Macht.
Am zweiten Tag jedoch gab es sehr kritische Stunden. Ich glaubte zu sterben. Der mentale Sog, das Leben loszulassen, war sehr stark. In diesem Augenblick spürte ich ganz deutlich, wie Gottes Liebe und Gegenwart mich festhielt. Dies war die größte Kraft, die stärkere Anziehungskraft, ja die einzige Macht, die es gab, und ich wußte, daß das mein Leben war!
Der mentale Sog, loszulassen, zu sterben, nahm ab und verschwand dann völlig. Das war der Wendepunkt! Ich hatte wieder sicheren Boden unter den Füßen. Und dann ging es sehr schnell aufwärts mit mir. Nach zwei Wochen war ich geheilt. Ich stand auf, versorgte meine Familie und fuhr die Jungen zur Schule. Diese Heilung hat den Lauf meines weiteren Lebens bestimmt. Sehr bald begann ich mit der öffentlichen Ausübung des christlich-wissenschaftlichen Heilens.
Die Ausübung des christlich-wissenschaftlichen Heilens begann vor etwa 125 Jahren hier in der Umgebung von Boston. Jahrelang hatte Mary Baker Eddy nach einem Heilverfahren für ihren sehr schlechten Gesundheitszustand gesucht. Dabei ging sie Wege, die vielen modernen Wissenschaftlern sehr vertraut sein müßten, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Geist und Körper befassen. Sie versuchte es mit der Homöopathie. Sie versuchte es auch mit mentaler Suggestion. Obwohl diese Praktiken sie der rein mentalen Medizin näherbrachten, verwarf sie sie schließlich, weil sie nichts mit Gott zu tun hatten.
Im Leben von Mrs. Eddy hatte Gott immer eine wesentliche Rolle gespielt. Die Bibel war ihr ständiger Begleiter gewesen, ein wichtiger Zeuge für die heilende und erlösende Gegenwart Gottes und eine lebendige Erinnerung daran. Die Heilungsberichte der Bibel waren für sie eine lebendige Wirklichkeit — der epileptische Junge, das sterbende Mädchen, die Frau, die zwölf Jahre unter Blutungen gelitten hatte, der leprakranke Befehlshaber und noch viele andere.
Im Winter des Jahres 1866 veränderte sich Mrs. Eddys Leben auf dramatische Weise. Beim sturz auf einem vereisten Bürgersteig in Lynn, Massachusetts, wurde sie schwer verletzt. Der behandelnde Arzt glaubte, daß es keine Hoffnung auf Genesung gab. Sie verlangte nach ihrer Bibel und las Berichte über die Heilungen Christi Jesu. Dabei kam sie zu grundlegenden Einsichten. Und in dem Augenblick war sie geheilt.
Das Erlebnis veränderte ihr Weltbild. Man könnte sagen, daß es für sie eine ähnliche Bedeutung hatte wie für die Menschheit die Ablösung des ptolemäischen Weltbildes durch das koperni-kanische. Ihre weiteren Untersuchungen gingen nun in eine ganz bestimmte Richtung. Sie suchte nach einer Erklärung für das Prinzip des Heilens und erforschte die Bibel noch gründlicher. Sie erprobte, was sie herausfand, indem sie andere heilte.
Eines Tages zum Beispiel erhielt sie ein Telegramm mit der Bitte, zu einer an Lungenentzündung erkrankten Frau zu kommen, die im Sterben lag, und für sie zu beten. Die Patientin atmete stoßweise und unter Qualen. Die Frau wurde geheilt, während Mrs. Eddy an ihrem Bett saß und betete. Der Arzt dieser Patientin, der Zeuge dieser Heilung war, ein Dr. Davis aus Manchester in New Hampshire, regte Mrs. Eddy an, ein Buch zu schreiben und ihre Heilmethode zu erklären. Siehe Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 105.
Sechs Jahre später — im Jahre 1875 — wurden ihre Entdek-kung und Erklärung der Regeln des christlich-wissenschaftlichen Heilens in einem Buch veröffentlicht, dem sie den anspruchsvollen Titel Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift gab. Es war ihre Absicht, ihre Entdeckung allen Menschen ohne Einschränkung mitzuteilen. Später gründete sie die „Lehranstalt für Metaphysik in Massachusetts", die eine staatliche Zulassung für Zwecke der Gesundheitsfürsorge erhielt. Es folgte die Organisation einer Kirche mit einer gezielten Veröffentlichungstätigkeit, deren Höhepunkt in Mrs. Eddys achtundachtzigstem Lebensjahr die Gründung der Tageszeitung The Christian Science Monitor war.
Die letzten hundert Seiten des Buches Wissenschaft und Gesundheit enthalten ein Kapitel, in dem die Berichte von Menschen gesammelt wurden, die nur durch das Lesen dieses Buches geheilt worden waren. Ähnliche Heilungen werden seit 1882 in Jeder Ausgabe des Christian Science Journals veröffentlicht und seit 1898 auch in der Wochenzeitschrift Christian Science Sentinel. In diesem Monat finden Sie dort zum Beispiel Heilungsberichte aus vielen Ländern, von Australien bis Brasilien, die über Heilungen sowohl von Knochenbrüchen und Blindheit bis hin zu Schlaflosigkeit berichten.
Nun handelt es sich hier nicht um phänomenale Ereignisse oder Wunder. Die Christliche Wissenschaft betrachtet diese Heilungen als die liebevollen Auswirkungen des Prinzips des Heilens, das im Leben einfacher Menschen von Tag zu Tag auf natürliche Weise zum Ausdruck kommt.
Kürzlich erzählte mir ein Bekannter, daß er eines Morgens mit schrecklichen Kopfschmerzen aufwachte und sich unwohl fühlte. Er mußte an diesem Tag ein Seminar über die Besteuerung von Personengesellschaften leiten und kämpfte sich nur mühselig durch die ersten Stunden.
Bis zum Mittag waren die Kopfschmerzen so stark geworden, daß er sich in eine stille Ecke zurückzog, um zu beten. Ihm fielen ein paar Sätze aus Wissenschaft und Gesundheit ein, die aus der sogenannten „wissenschaftlichen Erklärung des Seins" stammten. Das ist eine grundlegende Erklärung über die Ausübung der Christlichen Wissenschaft. Sie beginnt mit den Worten: „Es ist kein Leben, keine Wahrheit, keine Intelligenz und keine Substanz in der Materie. Alles ist unendliches Gemüt und seine unendliche Offenbarwerdung, denn Gott ist Alles-in-allem." Wissenschaft und Gesundheit, S. 468
Sorgfaltig dachte er über jedes dieser Worte nach, während er sie aussprach. Er suchte nach der heilenden Kraft in diesen Gedanken. Wenn diese Aussage über die Allheit Gottes richtig war, so wußte er, dann hatten die Schmerzen und das Unwohlsein, das er empfand, keine Dauer. Die Kopfschmerzen verschwanden. Er fühlte sich wohl, ging zurück und führte das Seminar zu Ende. Das Ganze geschah innerhalb von etwa dreißig Minuten.
Mary Baker Eddy wurde durch ihre Heilung zur Entdeckung völlig neuer Einsichten über die Beziehung zwischen Gott und dem menschlichen Gemüt und Körper geführt.
Bis dahin war sie von der herkömmlichen Meinung ausgegangen, das menschliche Gemüt sei ein Derivat der physischen Welt. Nun kam sie zu der Einsicht, daß die materielle Welt ein Produkt des menschlichen Gemüts ist. Anstatt das Denken als Phänomen der Materie zu betrachten, kam sie nun zu der Einsicht, daß die Materie ein Phänomen des Denkens ist.
Vor ihrer Entdeckung hielt sie den mentalen Zustand eines Patienten, der zum Beispiel Schmerzen hat, lediglich für einen Faktor bei der Behandlung. Nach ihrer Entdeckung erkannte sie, daß das Denken der Patient ist.
Ich muß das noch einmal wiederholen: Vor ihrer Entdeckung war der mentale Zustand des Patienten für sie lediglich ein Faktor bei der Behandlung. Nach ihrer Entdeckung erkannte sie, daß das Denken der Patient ist.
Das Denken ist also der Schauplatz, auf dem die Veränderung stattfinden muß, damit eine Heilung eintritt. Diese Veränderung geht davon aus und beruht darauf, daß es einen Gott gibt, das göttliche Gemüt. Gemüt ist ein Wort, das wir oft als Synonym für Gott verwenden. In der Bibel finden wir im Buch des Propheten Daniel die folgenden Worte, die auf Gott als die Quelle der Intelligenz hinweisen: „Gelobet sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit, denn ihm gehören Weisheit und Stärke!" Dan 2:20. Unsere Verwendung des Wortes Gemüt bezieht sich nicht auf das menschliche Gemüt, sondern auf das tatsächliche, das göttliche Gemüt.
Zur Erläuterung möchte ich Ihnen von einem Fall berichten, bei dem diese Behandlungsmethode zur Heilung eines Leidens führte, das der Diagnose nach eine organische Ursache hatte.
Als ich den Fall übernahm, war Linda vierzehn Jahre alt. Ihre Krankheit hatten die Ärzte als arteriovenöse Malformationen diagnostiziert. Seit ihrer frühen Kindheit hatte sie unter stechenden Kopfschmerzen gelitten und oft die Schule versäumt. Sie hatte die beste medizinische Fürsorge erhalten, aber man machte ihren Eltern kaum Hoffnung auf Besserung, Zur Überwachung ihres Zustands wurden alle drei Monate Computertomographien angefertigt. Ein Arzt sagte, daß ihr Leben immer von lähmenden Schmerzen begleitet sein würde und daß sie nie Kinder bekommen könne.
Ein anderer Arzt, den die Eltern um Rat gefragt hatten, bot an, eine Operation zu versuchen, für die er aber nur eine fünfzigprozentige Überlebenschance einräumte und auf die innerhalb einer Woche eine zweite Operation hätte folgen müssen, ohne daß man mit Sicherheit hätte voraussagen können, daß die Schmerzen damit endgültig beseitigt worden wären.
Lindas Mutter arbeitete in dem Gebäude, in dem ich mein Büro hatte. Eines Tages entdeckte sie auf dem Namensschild an meiner Tür den Zusatz C.S. und fragte, was das bedeute. Ich erklärte ihr, ich sei Ausüberin der Christlichen Wissenschaft, und sie erinnerte sich, daß sie an der Hochschule einmal etwas über die Christliche Wissenschaft gehört hatte. Sie fragte, ob Linda geheilt werden könne, worauf ich antwortete, daß ich bereit wäre, mit Linda darüber zu reden.
So fing Linda an, mich jede Woche in meinem Büro zu besuchen, um mit mir zu sprechen. Da sie fast keinen Religionsunterricht gehabt hatte, fingen wir bei den Grundlagen an — bei der Bibel.
Zusammen suchten wir in der Bibel nach Beweisen für Gottes Güte und für Seine Macht, besonders in den Berichten über Jesu Wirken und seine Heilungen. Wir stellten fest, daß Gott sie liebt und Er deshalb eine fürsorgende Gegenwart in ihrem Leben ist. Wir sprachen auch eingehend über ihre Gotteskindschaft und darüber, was es ganz speziell und praktisch bedeutet, das Bild und Gleichnis Gottes zu sein, wie die Bibel es nennt. Langsam begriff sie, daß es in Gottes Macht liegt, sie zu heilen.
Nach einigen Wochen brauchte Linda keine schmerzstillenden Mittel mehr. Sie und ihre Eltern entschieden sich gegen die Operation. Sie wollte sich nun auf die Behandlung durch die Christliche Wissenschaft verlassen. Jetzt begann ich, sie durch Gebet zu behandeln.
Meine Aufgabe als Heiler ist es, den Patienten dazu zu bringen, daß er die Gegenwart des heilenden Gesetzes des göttlichen Gemüts gedanklich akzeptiert und sich seiner Macht anvertraut. Der Ausüber betet demütig und ausdauernd, um zu verstehen, daß Gott die unendliche Fähigkeit hat, Seine Schöpfung zu erhalten. Diese geistige Argumentation berührt und verändert das Denken des Patienten, so daß es von Gesundheit statt von Krankheit erfüllt wird, und stellt so den Körper wieder her.
Diese metaphysische Behandlung bzw. die Anwendung der Geistigkeit auf das Heilen sorgt dafür, daß die Gedanken oder Vorstellungen, die das Denken des Patienten regieren, heiligeren oder geistigeren Gedanken weichen. Dieser Vorgang ist die Wirkung des vom göttlichen Gemüt gelenkten Gebets. Man spürt dabei wirklich, wie das Göttliche das Menschliche umfaßt. Es ist ein tätiges Verbundensein mit Gott, eine Versöhnung, ein Einssein mit Ihm.
Ich hatte Linda im Oktober kennengelernt und am Danksagungstag im war sie vollkommen geheilt. Keine Medikamente, keine Operationen — und auch keine Kopfschmerzen mehr. Heute, sechzehn Jahre später, ist sie verheiratet und hat zwei Kinder.
Kürzlich fragte ich sie, ob sie irgendwann während der Behandlung gemerkt habe, daß sich etwas bei ihr verändert hatte. Sie antwortete, daß es der Augenblick gewesen sei, als ihr klar wurde, daß sie in Sicherheit war — daß sie nichts zu fürchten hatte. Bei dieser Behandlung, sagte sie, habe sie keinerlei Ängste empfunden. Sie war sich sicher — und das sind ihre Worte —, daß sie ihren „Körper beherrschte".
Als sie geheilt zur Schule zurückkehrte, hatten ihre Freunde und Freundinnen natürlich viele Fragen an sie. Wie? Warum? Was hatte sie getan? Zumindest zwei von ihren Freunden waren tief beeindruckt von den Antworten und natürlich von der Heilung. Sie begannen Wissenschaft und Gesundheit zu lesen, und einer der beiden wurde durch das Lesen dieses Buches und durch christlich-wisssenschaftliche Behandlung von Drogenabhängigkeit geheilt.
Jeder, der heute hier sitzt und direkt mit Patienten zu tun hat, weiß nur allzu gut, was für einen negativen Einfluß Furcht auf die Gesundheit und Genesung eines Patienten haben kann. In Wissenschaft und Gesundheit weist Mrs. Eddy den Heiler an: „Fange deine Behandlung stets damit an, daß du die Furcht der Patienten beschwichtigst." Und auf der gleichen Seite erklärt sie: „Die bewirkende Ursache und Grundlage aller Krankheit ist Furcht, Unwissenheit oder Sünde. Krankheit wird immer durch einen falschen Begriff herbeigeführt, der mtreibtental beherbergt statt zerstört wird. Krankheit ist ein verkörpertes Gedankenbild. ... Alles, was im sterblichen Gemüt als physischer Zustand gehegt wird, bildet sich am Körper ab." Wissenschaft und Gesundheit, S. 411.
Bei der Anwendung der Christlichen Wissenschaft wird Furcht durch zunehmende Geistigkeit beseitigt — durch das Verständnis der Macht der Liebe Gottes. Gottes Macht und Gegenwart, vom Denken akzeptiert, läßt im menschlichen Bewußtsein keinen Raum für Furcht, für Schmerz oder Krankheit. In der Bibel finden wir die Verheißung des Apostels Johannes: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe." 1. Joh 4:16, 18.
Doch was macht man Patienten mit Verhaltensstörungen, bei denen die Schmerzen und Qualen deutlich mentale Ursachen haben? Wenn jemand zum Beispiel triebhaft und selbstzerstörerisch handelt? Einen solchen Fall habe ich gerade kürzlich behandelt.
Vor zwei Jahren machte Paula ihr Examen am College. Sie war einen Meter zweiundsiebzig groß und wog sechsundvierzig Kilo — sicherlich nichts Ungewöhnliches, wenn man Fotomodell in New York werden will.
Nach ihrem Examen unternahm sie eine mehrmonatige Europareise. Als sie von dieser Reise zurückkam, wog sie noch weniger. Dabei trank sie riesige Mengen Wasser, so daß ihre Eltern sehr besorgt waren. Sie suchte dann zunächst einen Ernährungsspezialisten auf, der sie in Fragen der richtigen Ernährung beraten sollte. Doch ihr Wasserkonsum stieg weiter, und sie aß immer weniger. In kurzer Zeit sank ihr Gewicht auf sechsunddreißig Kilo.
Die Eltern entschieden sich, Paula in eine Klinik zu bringen, die sich auf Ernährungsstörungen spezialisiert hatte. Sie hofften, daß die Fachleute dort Paula zur Nahrungsaufnahme bewegen könnten. Bei der Aufnahmeuntersuchung waren die Ärzte erstaunt und dankbar zugleich, daß Paulas Gehirn noch keinen Schaden genommen hatte. Etwa zur gleichen Zeit baten Paula und ihre Eltern mich, für sie zu beten. Die Mitarbeiter im Krankenhaus kannten die Wirksamkeit christlich-wissenschaftlicher Behandlung und waren mit dieser Behandlung statt einer medikamentösen Therapie einverstanden. Die Eltern besuchten Paula, wann immer es ihnen möglich war. Sie wurden von den Mitarbeitern des Krankenhauses immer verständigt, wenn es ihr schlechter ging. Ein Arzt, der besonders aufgeschlossen für geistiges Heilen war, machte die Eltern jeweils auf Umstände aufmerksam, die ich bei meiner Behandlung durch Gebet berücksichtigen sollte.
Hier suchte eine junge Frau verzweifelt Hilfe. Es gab Zeiten, wo Paula ständige Unterstützung durch Gebet brauchte. In diesen kritischen Phasen rief sie jede Stunde bei mir an, und ich betete ununterbrochen für sie.
Wenn man eine Sucht wie diese behandelt, so halte ich es für sehr wesentlich zu verstehen, daß der Patient kein schwaches oder verletzliches Opfer ist. Es gibt keine Gott entgegengesetzte Kraft. Die geistige Energie oder das wiederherstellende Wirken Gottes regiert die menschlichen Handlungen und kann zwanghaftes Verhalten berichtigen.
Gleichzeitig ist es manchmal erforderlich, dem Patienten klarzumachen, wohin sein Denken ihn bringt. An einem besonders schwierigen Tag bat ich Paula, sich vorzustellen, daß sie sich auf einer geistigen Wendeltreppe befinde, auf der sie nach oben steigen oder sich hinabziehen lassen kann. Die fadenscheinigen Versprechungen, die das Denken zu zwanghaftem Verhalten verleiten, ziehen uns nach unten. Die Überzeugung und Gewißheit über unseren gottgegebenen Selbstwert und unsere Würde vergeistigen das Denken und machen es fähig, sich der Kraft Gottes zu ergeben und so den Einfluß der Sucht zu zerstören. Als sie diesen einfachen Gedanken begriffen hatte, vollzog sich eine merkliche Veränderung. Ihr war der Absprung gelungen.
Ihr Körpergewicht nahm auf fünfzig Kilo zu, und sie wurde aus der Klinik entlassen. Kurz darauf wachte sie eines Tages auf und sagte: „Ich muß etwas essen." Das Verlangen, ständig Wasser zu trinken, verließ sie, und ihr Appetit normalisierte sich schnell. Jetzt wiegt sie sechsundsechzig Kilo (also eher so viel wie die meisten von uns hier) und weiß, daß sie nie wieder einem selbstzerstörerischen Trieb nachgeben wird.
Der Arzt sagte Paulas Eltern, daß ihr Zustand so ernst gewesen sei wie der eines Kokainsüchtigen und daß ihre Nahrungsverweigerung tödlich gewesen wäre.
Zu allen Zeiten haben geistig gesinnte Menschen füreinander gebetet und sich und andere körperlich, moralisch und seelisch geheilt. Ein deutlich erkennbares Band solcher Heilungen zieht sich durch Religion und Bibel. Das Heilverfahren der Christlichen Wissenschaft geht aus diesem Erbe hervor — ein Erbe, das von Menschen zeugt, die an Leib und Seele erneuert und geheilt wurden. In allen Fällen, von denen ich heute berichtet habe, waren die körperlichen Heilungen bedeutsam. Aber die weitaus wichtigste Wirkung dabei war die geistige Umwandlung und Erneuerung der Menschen, die zu größerem Mitgefühl und größerer Geistigkeit führte.
Die kopernikanische Revolution brachte einen grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung. Die Astronomen sind nie wieder zu der früheren Auffassung von unserem Sonnensystem zurückgekehrt. Gleichermaßen hat Mary Baker Eddy mit ihrem Schritt vom Physischen zum Metaphysischen Neuland betreten, wobei sich gezeigt hat, daß die Gottheit, Gott, das göttliche Gemüt, der Mittelpunkt Seines Universums ist und der geistige Mensch als Seine höchste Idee unter Seiner Obhut steht. In Wissenschaft und Gesundheit wird diese Entdeckung vollständig erklärt. (Neun Millionen Exemplare des Buches sind bisher verkauft worden, und es ist in sechzehn Sprachen übersetzt und auch in englischer Blindenschrift erschienen!)
Jeder Versuch, das Heilverfahren der Christlichen Wissenschaft in einer halben Stunde zu beschreiben, kann nur sehr unvollständig gelingen, aber ich möchte hier mit einer Zusammenfassung der Hauptpunkte schließen:
• Erstens: Die Bibel ist ein inspirierter und verläßlicher Leitfaden für die Gesundheit — sowohl für die körperliche als auch die mentale Gesundheit.
• Zweitens: Die Grundlage der Heilpraxis der Christlichen Wissenschaft ist der eine liebende und allmächtige Gott, der immer gegenwärtig ist.
• Drittens: Wir sind keine schwachen oder verletzlichen Opfer, sondern das Bild und Gleichnis Gottes, Seine geliebten Kinder.
• Viertens: Das Denken ist der Schauplatz, auf dem eine Veränderung stattfinden muß, damit die Heilung eintritt. Diese Veränderung beruht auf dem einen Gott, dem göttlichen Gemüt, und geht von Ihm aus.
• Und schließlich fünftens: Das christlich-wissenschaftliche Heilen ist keine raffinierte Technik, kein Wunderheilen, kein blinder Glaube oder Willenskraft. Statt dessen ist es ein Akt der Gnade und das kindliche Vertrauen auf das, was das göttliche Prinzip, was Gott über uns weiß.
Mit wenigen Worten fassen diese fünf Punkte die wesentlichen Elemente des christlich-wissenschaftlichen Heilverfahrens zusammen.
Wir alle hier haben uns Zeit von unserer täglichen Arbeit genommen, um drei Tage lang über Spiritualität und Heilung nachzudenken. Zu Ehren dieser wichtigen Tage und als Ermutigung für die Tage, die vor uns liegen, möchte ich ein paar Worte aus Wissenschaft und Gesundheit als Segen an den Schluß stellen: „Angesichts der unendlichen Aufgaben der Wahrheit halten wir inne — warten auf Gott. Dann dringen wir vorwärts, bis der schrankenlose Gedanke voll Entzücken dahinwandelt und der unbeschränkte Begriff sich beschwingt, damit er die göttliche Herrlichkeit erreiche." Wissenschaft und Gesundheit, S. 323.
Dr. Bensons sagte abschließend:
Im Anschluß an die Ansprache von Mrs. Harris und nachdem die Teilnehmer Gelegenheit hatten, Fragen über das christlich-wissenschaftliche Heilen zu stellen, sagte Dr. Benson: „Nachdem wir nun die Zusammenhänge zwischen Spiritualität, Heilung und Medizin besser verstehen, sollten wir uns alle folgendes überlegen: Welche Risiken und Vorteile bieten unsere heutigen Medikamente? Welche Nebeneffekte treten dabei auf? Zu welchen Ergebnissen kommt man. .. mit weniger Medikamenten oder ohne Medikamente?. .. Ich glaube, ein mögliches Ergebnis dieser Konferenz wäre, daß wir uns selber fragen, welche Risiken das Heilverfahren beinhaltet, das uns heute vorgestellt wurde, und welche Risiken und Vorteile demgegenüber mit dem Gebrauch der Medikamente zusammenhängen, die wir gegenwärtig benutzen."
Nach Schluß der Versammlung, bei der Mrs. Harris ihre Ansprache gehalten hatte, sammelte sich schnell eine größere Anzahl von Teilnehmern aus den verschiedensten Fachrichtungen und geographischen Regionen um Mrs. Harris. Bei dieser und anderen Gelegenheiten während der Tagung sprach Mrs. Harris persönlich mit vielen der fast tausend Teilnehmer. Diese fortschrittlichen Vertreter ihrer Fachgebiete zeigten großes Interesse am Heilen durch die Christliche Wissenschaft.
• Die Christliche Wissenschaft wurde eindeutig als verläßliches Heilverfahren betrachtet. So fragten Teilnehmer, wie man Verbindung mit einem Ausüber der Christlichen Wissenschaft aufnimmt, um im Bedarfsfall für sich selbst oder für Familienmitglieder Heilung zu erlangen. Sie waren erfreut zu erfahren, daß sie aus den Verzeichnissen im Christian Science Journal die Ausüber, Leseräume und Kirchen in ihrer Nähe herausfinden können.
• Ärzte erkundigten sich nach christlich-wissenschaftlicher Behandlung und entsprechenden Anwendungsmöglichkeiten in ihrer Praxis. Ein Arzt zum Beispiel, der sich am Büchertisch ein Exemplar von Wissenschaft und Gesundheit gekauft hatte und schon durch seine Familie von der Christlichen Wissenschaft gehört hatte, wollte wissen, was er in diesem Buch lesen müsse, um ein besserer Heiler zu werden. Diese Ärzte betrachteten Wissenschaft und Gesundheit als Nachschlagewerk — um effektiver mit ihren Patienten arbeiten zu können.
• Die Teilnehmer regten an, daß weitere Ansprachen über das christlich-wissenschaftliche Heilen vor den verschiedenen Gremien der Gesundheitsfürsorge, vor religiösen Zuhörerschaften, an Hochschulen und Universitäten gehalten werden sollten.
Die verschiedenen Gespräche mit Ärzten, Pflegern, Krankenhausleitungen, Psychotherapeuten, Geistlichen und Vertretern anderer Heilberufe brachten u. a. folgende Ergebnisse:
• Interesse an weiteren gemeinsamen Gesprächsrunden und Foren, bei denen Mediziner das geistige Heilen weiter erforschen können, insbesondere in der Form, wie es diejenigen praktizieren, die Wissenschaft und Gesundheit studieren;
• ein korrekteres Verständnis der Christlichen Wissenschaft und ihrer heilenden Tätigkeit;
• die Anerkennung der wichtigen Rolle, die Gebet und Geistigkeit beim Heilen spielen — und daß diese weder versteckt, trivialisiert oder in säkulare Modelle hineingezwängt werden sollten.
Die Teilnehmer kamen aus siebenundvierzig Bundesstaaten der Vereinigten Staaten, aus Kanada, Japan, Malaysia und Ländern Europas und Südamerikas. Bei allen Ansprachen und persönlichen Gesprächen konnte man ein ehrliches Interesse spüren. Die geistigen Heilverfahren und die Gedanken einzelner wurden in keinem Fall angegriffen. Eine typische Äußerung bei Gesprächen war: „Wir suchen nach gemeinsamen Grundlagen zum Wohl der ganzen Menschheit."
Während der dreitägigen Konferenz konnten Exemplare des Christian Science Journals und des Christian Science Sentinels und auch zwei Bücher von Mary Baker Eddy, und zwar Wissenschaft und Gesundheit und Die allgemeine Anschauung der Menschen von Gott, erworben werden. Freiexemplare des Christian Science Monitors standen jedem Teilnehmer jeden Tag zur Verfügung.
