Vor ein paar Jahren schaute ich in der Weihnachtszeit in ein Lexikon der Religion, um zu sehen, wie die einzigartige Geburt Jesu dort behandelt wurde. Ich hatte eins auf meinem Bücherbord stehen und schaute im Index nach. Nichts unter „Jungfrauengeburt". Ich dachte, dass ich wohl nicht das richtige Stichwort gewählt hatte und suchte unter anderen Begriffen. Wieder nichts. Schließlich schlug ich einfach den Anfang des Kapitels über das Christentum auf. Auf den folgenden vierzig Seiten wurde die Jungfrauengeburt kein einziges Mal erwähnt.
Offensichtlich meinen viele, auch wenn sie ein gewisses Maß an Religion akzeptieren, dass sie den Glauben an die allgemein anerkannte physische Lebensordnung nicht aufgeben können. Daher besteht die Tendenz Ereignisse, die physischen Theorien zufolge unmöglich sind, herunterzuspielen oder sogar ganz beiseite zu schieben — oder sie einfach zu überarbeiten, damit sie plausibel erscheinen. (Ein Beispiel dafür liefert ein Bibelkommentar, der das Wandeln Jesu auf dem Wasser zu einem Waten durch die Brandung degradiert.)
Doch die Jungfrauengeburt ist weit mehr als ein entbehrlicher Punkt einer Doktrin oder ein Wunder, das man durch Glauben akzeptieren muss. Das Verständnis ihrer Logik ist geradezu grundlegend für das Christentum und das christliche Heilen in unserer Zeit. Mary Baker Eddys Erläuterungen in Wissenschaft und Gesundheit geben uns einige Denkanstöße in dieser Hinsicht. Sie schreibt: „Die Erleuchtung von Marias geistigem Sinn brachte das materielle Gesetz und seine Ordnung der Zeugung zum Schweigen und sie gebar ihr Kind durch die Offenbarung der Wahrheit, wodurch sie bewies, dass Gott der vater der Menschen ist. Der Heilige Geist, oder der göttliche Geist, überschattete den reinen Sinn der Jungfrau-Mutter mit der vollen Erkenntnis, dass das Sein Geist ist. Der Christus lebte für immer als eine Idee im Schoße Gottes, des göttlichen Prinzips des Menschen Jesus, und die Frau nahm diese geistige Idee wahr, wenn auch zuerst wenig ausgeprägt." Wissenschaft und Gesundheit, S. 29.
Mrs. Eddy schätzte Maria, die Mutter Jesu, sehr und empfand große Achtung vor ihr. Dass sie sie nicht für ein göttliches Wesen hielt, erhöht nur die Bedeutung dessen, was Maria für die Menschheit geleistet hat. Wie die Bibel sagt, war sie eine Jungfrau. Siehe Lk 1:34. Doch was sie am meisten auszeichnete, war die einzigartige Reinheit ihres Denkens. Mit kindlicher Unschuld vertraute sie der Engelsvision, die zu ihr von Dingen sprach, die über den menschlichen Verstand hinausgingen. Offensichtlich bekam sie einen Schimmer von einem Dasein, das anders war als alles, was sie je gekannt hatte — eine Wirklichkeit, in der, wie es in Wissenschaft und Gesundheit heißt, „Gott der einzige Urheber des Menschen" Wissenschaft und Gesundheit, S. 29. ist.
Im übertragenen Sinn ist es nicht schwer, die Beziehung zwischen Reinheit und Empfängnis zu verstehen. Rein bedeutet unvermischt, frei von allem, was nicht dazugehört. Empfängnis oder Konzeption bedeutet die Fähigkeit Ideen zu verstehen oder zu formen. Es ist einfacher Ideen zu formen, wenn das Denken von äußerlichen Elementen frei ist. Dadurch, dass man sich von konventionellen Theorien löst, wird die Entdeckung besserer, ja sogar radikal neuer Konzepte gefördert. Aber hat denn ein Gedankenzustand einen Bezug zu dem, was wir körperliche Empfängnis nennen? Konnte Marias inspiriertes Bewusstsein eine objektive Wirkung produziert und dabei konventionelle materielle Vorgänge umgangen haben? Das wäre nur möglich, wenn diese Vorgänge tatsächlich selbst mentale Konzeptionen und somit — durch Gebet und Offenbarung — dem umwandelnden Gesetz Gottes unterworfen sind. Um es noch einmal zu wiederholen: Marias einzigartiges Kind Jesus wurde „durch die Offenbarung der Wahrheit" geboren und brachte die „volle Erkenntnis, dass das Sein Geist ist". Diese reine geistige Herkunft und Empfängnis befähigte Jesus wirksam und augenblicklich zu heilen. Das Verständnis des Christus-Geistes in Jesu Leben ermöglicht es uns, seinem Beispiel zu folgen und seine Verheißung zu erfüllen, dass noch größere Werke geschehen würden.
Die Jungfrauengeburt und Jesu Heilungswerke werden niemals durch die empirischen Wissenschaften bestätigt werden können. Aber sie werden jedesmal bestätigt, wenn Gottes Macht in christlichem Heilen fühlbar wird.
Es gibt Hinweise, dass die verschiedenen Zweige der Wissenschaften den materialistischen Determinismus zunehmend in Frage stellen und aufgeschlossen werden für die Idee, dass das, was wir physische Wirklichkeit nennen, subjektiv ist. Die Jungfrauengeburt, Jesu Heilungswerke und seine Auferstehung werden niemals durch die empirischen Wissenschaften materiell bestätigt werden können. Aber sie werden jedesmal dann bestätigt, wenn so genannte physische Gesetze zum Schweigen gebracht werden und Gottes Macht in reinem christlichen Heilen fühlbar wird. Dabei kommt mir ein Erlebnis aus meinem eigenen Leben in den Sinn. Ich verstauchte mir einmal meinen Fuß schwer. Er schwoll an und ich konnte mit dem Fuß nicht auftreten. Den ganzen Nachmittag humpelte ich barfuß herum und betete um eine klarere Erkenntnis meiner geistigen Identität, die völlig von der Materie getrennt ist.
Am Abend musste ich aus dem Haus gehen. Normalerweise wäre ich die acht Häuserblocks bis zu meinem Ziel zu Fuß gegangen, aber es war klar, dass ich nicht so weit humpeln konnte, so beschloss ich zu fahren. Aber da war noch das Problem, wie ich meinen Schuh ankriegen sollte, der nun wie Aschenputtels zierlicher Schuh neben einem Elefantenfuß aussah. Doch dann schaute ich weg von meinem Fuß und erklärte mit Bestimmtheit etwa Folgendes: „Dieser Schmerz ist nicht in meinem Knöchel. Er ist nur eine mentale Vorstellung, ein falscher Glaube, dass Substanz materiell ist und verletzt werden kann. Aber die einzig wirkliche Substanz ist Geist [Gott] und ich bestehe aus geistigen Eigenschaften. Diese Wahrheit wird den Fehler korrigieren, denn er existiert nur im Denken. Es gibt also keinen Grund, warum ich nicht mit dem Fuß auftreten kann."
Nach diesen wenigen Augenblicken tiefsten Gebets und metaphysischer — nicht physischer — Behandlung zog ich meinen Schuh an und ging den ganzen Weg ohne Beschwerden. Der Fuß, der steif und geschwollen gewesen war, war es plötzlich nicht mehr. Ich weiß, manche Leute können so etwas nicht glauben. Vielleicht hilft es, wenn ich hinzufüge, dass ich zahlreiche schnelle körperliche Heilungen allein durch geistige Behandlung erlebt habe, dass diese aber besonders eindrucksvoll war, weil der äußere Anschein und das Schmerzgefühl sich augenblicklich änderten. Ich kann das nur so erklären, dass eine klare Wahrnehmung dessen, was wirklich wahr ist — das vollkommene, geistige Leben — die falsche Vorstellung von einer materiell bedingten Unvollkommenheit vertrieb. Dieser Wandel im Denkenbrachte eine Wirkung hervor, die augenblicklich ein Bedürfnis stillte, — eine Wirkung, die mit Gottes Ordnung, mit ewiger Harmonie in Übereinstimmung stand.
Zugegeben, von einem geheilten Knöchel bis zur Jungfrauengeburt ist es ein Riesensprung. Aber leuchtet es nicht ein, dass, wenn die physischen Theorien über das Verhalten der Materie bei einem noch so kleinen Vorfall außer Kraft gesetzt werden können, wir demütig die Möglichkeit in Betracht ziehen sollten, dass die Erklärung für Ursache und Wirkung woanders als in physischen Theorien zu finden ist? Nicht wenige hervorragende Wissenschaftler erkennen an, dass das Universum, so wie wir es vor Augen haben, niemals durch zufällige materielle Prozesse entstanden sein kann.
Dass jedoch ein genialer Gott unpersönlich ein materielles Universum ausgetüftelt haben soll, ist auch keine befriedigende Erklärung. Denn dann wäre Gott auch verantwortlich für die Verwundbarkeit und Zerstörung und nicht nur für das Gute, das wir im Universum sehen. Aber das entspricht nicht der Natur Gottes, der unendliche Liebe, das unfehlbare göttliche Gemüt oder Geist ist. Nur wenn wir die Tatsache erfassen, dass das von Gott erschaffene Universum Ihm gleich ist — rein geistig und vollkommen — und dass der äußere Anschein der Dinge tatsächlich ein falscher mentaler Begriff von dieser idealen Wirklichkeit ist, können wir die Logik harmonischer Ereignisse, fälschlicherweise Wunder genannt, erkennen. Das geistige Heilen beispielsweise ist kein übernatürlicher Eingriff in eine materielle Ordnung, sondern vielmehr ein mentaler, geistiger Durchbruch zur wirklichen und harmonischen geistigen Ordnung des Geistes, die von Liebe eingesetzt wurde. Jesus bewies das in reichem Maße.
Die Logik und der geistige Zweck der Jungfrauengeburt Christi Jesu werden verständlich, wenn wir anerkennen, dass ein Leben, so wie seines es war, nicht die Wirkung bloßer materieller Vorgänge war. Es war das Ergebnis der reinsten Konzeption von Gott als Liebe, als Geist, der Ursprung und die eigentliche Substanz aller Identität. Durch Jesu unvergleichliche Geburt, sein Heilungswerk und seine Herrschaft über materielle Phänomene zeigte die göttliche Liebe der Menschheit auf eine ihr begreifliche Weise, dass das Leben völlig von Gott regiert wird und geistig ist. Die Offenbarung der geistigen Wahrheit kommt zu den verschiedenen Zeitaltern auf Wegen, die für das jeweilige mentale Entwicklungsstadium der Menschen verständlich sind. Zur Hauptsache geschieht das durch geistiges Heilen. Wohl kaum etwas verleiht uns in größerem Maße das Gefühl, von Gott geliebt zu werden, oder überzeugt uns mehr von der geistigen Wirklichkeit als eine Heilung durch Gebet.
Dennoch macht selbst jenen Nachfolgern Christi, die schon Heilungen erlebt haben, die scheinbare Unanfechtbarkeit materieller Gesetze zu schaffen. Die Handfestigkeit von Krankheit, Schmerz und Trauer stellt sich manchmal sehr drastisch dar und scheint unser eigenes Denken und Fühlen zu sein. Ein wundervolles Gebet, das Maria nach der Überlieferung vor der Geburt Jesu gesprochen hat, zeigt die Demut vor Gott, die über materielle Zweifel triumphiert: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes ... Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen." Lk 1:46, 47, 51, 52.
Nur wenn wir die Tatsache erfassen, dass das von Gott erschaffene Universum Ihm gleich ist — rein geistig und vollkommen — und dass der äußere Anschein der Dinge tatsächlich ein falscher mentaler Begriff von dieser idealen Wirklichkeit ist, können wir die Logik harmonischer Ereignisse, fälschlicherweise Wunder genannt, erkennen.
Sucher nach der Wahrheit werden Wunder nicht nur als einen Glaubensartikel akzeptieren. Mehr als wörtliche und historische Kenntnisse brauchen wir das inspirierte Verständnis der Bibel. Die Jungfrauengeburt spricht zu uns heute von der unvergleichlich wundervollen Verheißung, dass die göttliche Liebe die einzige Schöpferkraft ist und dass das christliche Heilen eine höchst logische Auswirkung dieser Liebe ist.
