Marilyn war unvergesslich als „Josef” in dem Weihnachtsspiel an unserer Mädchenschule. Niemand in unserer vierten Klasse wollte Josef sein. Hatte er doch keinen Text zu sprechen und stand die meiste Zeit nur im Hintergrund. Aber Marilyn brachte Leben in die Rolle. Sie verstand Josef richtig gut — seine zärtliche Fürsorge für Maria, sein Staunen über das Kind Jesus und seinen starken Beschützerinstinkt, der sich angesichts seiner kleinen Familie geltend machte. Die Geschichte der Geburt Jesu war neu für Marilyn, die aus einer nicht christlichen Familie stammte. Doch Josefs Sanfmütigkeit und Treue berührten sie zutiefst.
Josefs Rolle
Die Rolle, die Josef im wirklichen Leben hatte, konnte nicht einfach gewesen sein. Siehe Mt 1:18-25. Es konnte nicht leicht gewesen sein, mit der Tatsache zu leben, dass die Frau, die er heiraten sollte, auf unerklärliche Weise schwanger geworden war. Es konnte nicht leicht gewesen sein, sich mit der Frage herumzuschlagen, ob er diese Frau „heimlich” verlassen sollte. Oder ob er zulassen sollte, dass sie gesteinigt wurde, wie es das Gesetz des Altertums verlangte.
Und wahrscheinlich konnte Josef auch nicht ohne Weiteres akzeptieren, was der Engel ihm später im Traum erzählte, nämlich dass Marias Kind „von dem heiligen Geist” gezeugt worden war. Und dass Josef sie nicht im Stich lassen sollte. Ferner, dass er das Kind als sein eigenes aufziehen und ihm den Namen Jesus oder Heiland geben sollte. Denn dieses Kind würde der langersehnte Messias — der Erretter der Welt—sein!
Diese Nachricht stellte dringliche Forderungen an Josef, denen er sich jedoch gewachsen zeigte. Er hielt in absoluter Treue zu Maria, vielleicht weil er erkannte, wie wichtig er für die Erfüllung der biblischen Verheißung war. Aufgrund der Position, die Josef als direkter Nachkomme von König David in Israel innehatte, würde Jesus, auch wenn er von einer Jungfrau geboren wurde, königlicher Abstammung sein, wie es im Alten Testament vorausgesagt und im Matthäus-Evangelium noch einmal hervorgehoben wurde.
Josefs Bereitschaft
Sicherlich, Josef war arm und nicht reich—er war ein Zimmermann und kein Theologe. Aber er war treu und in jeder Hinsicht willig. Er war bereit und willens, den jungen Messias in den Kreis der Familie aufzunehmen. Er war bereit die Verantwortung für ihn zu übernehmen und Jesus die religiösen Gesetze der Hebräer beizubringen, wie es alle hebräischen Väter mit ihren Söhnen taten. Er war bereit ihm zu zeigen, wie man ein guter Zimmermann wird; bereit, ihn zu lieben, zu beschützen und seine Hinwendung zu Gott zu fördern, der sein wirklicher Vater war.
Es gab auch Dinge, deren sich Josef sofort annehmen musste. Es galt für die schwangere Maria zu sorgen und sie vor dem Kleinstadt-Klatsch zu bewahren. Und als dann die Geburt kurz bevorstand, musste er sie zur Volkszählung mit nach Bethlehem nehmen, damit sie das Kind nicht ohne ihn an ihrer Seite zur Welt bringen würde. Siehe Lk 2:1-7.
Die Ankunft in Bethlehem brachte eine Enttäuschung. Müde und abgespannt von ihrer Reise werden Josef und die hochschwangere Maria an der überfüllten Herberge im Ort abgewiesen. So ziehen sie weiter zu einem schlichten Stall. Und dort wird Jesus geboren — im Verborgenen, in Demut und in strahlender Herrlichkeit.
Für mich ist dies das Erstaunlichste an Josefs Treue: dass alles, was er für den Schutz und die Fürsorge der ihm anvertrauten Mutter und ihres Kindes tat, im Verborgenen geschah, unter den bescheidensten Umständen und ganz ohne öffentliche Anerkennung.
Die Bedeutung des Kommens Jesu
Nur wenige Menschen erkannten die Bedeutung des Kommens Jesu. Unter ihnen befanden sich die Weisen aus „dem Morgenland", die den heiligen Stern über dem Ort der Geburt des Heilands leuchten sahen. Dann die Hirten auf dem Felde, die hörten, wie ein Chor von Engeln Jesu Kommen ankündigte. Und später ein Mann und eine Frau im Tempel von Jerusalem, die die göttliche Sohnschaft des Kindes augenblicklich erkannten. Siehe Lk 2, Kap. 2.
Ansonsten aber waren es allein Maria und Josef, die verstanden, dass Jesu Mission die Welt für immer verändern würde. Kurz nach seiner Geburt bewahrten sie ihn davor von der Welt, die er retten sollte, umgebracht zu werden. Durch einen Traum erfuhr Josef, dass König Herodes den Entschluss gefasst hatte das Jesuskind zu finden und zu töten. Siehe Mt 2:13-15. Und so zögerte Josef nicht lange, sondern führte seine Familie in einer dramatischen Flucht bei Nacht aus dem Land hinaus und nach Ägypten. Erst nach dem Tod des Herodes kehrte er mit seiner Familie wieder in die Heimat zurück.
Ein neues „Kindlein"
Wie seinerzeit, so wird auch heute Josefs Rolle wenig anerkannt. Kaum je wird über seinen Mut und seine Treue, seine Weisheit, Hingabe und Selbstlosigkeit gesprochen. Ein moderner Bibelforscher äußert seinen Protest so: „Josefs Rolle im Evangelium wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt."The Interpreter's Bible, New York: Abington, 1951, Bd. VII, S. 254.
Es lohnt sich Josef mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Besonders jetzt, wo wir am Beginn des zweiten Jahrtausends nach dem Kommen Jesu Christi stehen. Denn heutzutage hat die Wissenschaft des Christentums der Menschheit ein weiteres „Kindlein" beschert, über das es zu wachen gilt. Es ist das Kindlein des christlichen Heilens. Mary Baker Eddy beschreibt die Ankunft dieses Kindes in einem Artikel über Weihnachten. „Die göttliche Idee", so erklärt sie, „nimmt in verschiedenen Zeitaltern verschiedene Formen an, je nach den Bedürfnissen der Menschheit. In diesem Zeitalter nimmt sie, weiser denn je, die Form des christlichen Heilens an. Das ist das Kindlein, das wir liebhaben sollen. Das ist das Kindlein, das seine Arme liebend um den Hals der Allmacht Gottes schlingt und Seinem liebenden Herzen unendliche Fürsorge entströmen lässt."Vermischte Schriften, S. 370.
Moderne „Josefs"
Moderne „Josefs" werden notwendig gebraucht, um über diesem neuen Kommen des Christus in Form von christlichem Heilen Wache zu halten. Sie werden gebraucht, um jedes Zeichen solchen Heilens wertzuschätzen — und um dieses Heilen zu fördern und ihm zur Erfüllung zu verhelfen. Sie werden gebraucht, um die Offenbarung der Wahrheit — und die damit einhergehende Heilung — zu unterstützen, zu verteidigen und, wenn nötig, dafür zu kämpfen.
Diese Josefs sind nötig, um den Glauben an die Gesetze Gottes auch unter den schwierigsten Bedingungen aufrechtzuerhalten. Selbst dann, wenn niemand anders davon weiß — oder es niemand anders kümmert. Und sie werden weiter gebraucht werden, bis das Kindlein des christlichen Heilens heranwächst und stark geworden ist. Bis der von Jesus verheißene Tröster das Denken der Welt durchdringt und die Menschen gründlich von Krankheit und Leiden befreit. Ja, bis jedermann erkennt, dass das Gute wirklich und das Böse unwirklich ist, dass Geist alles und Materie nichts ist.
Jeder Tag bietet uns Gelegenheiten dem Kindlein des christlichen Heilens zur Seite zu stehen — oftmals in der gleichen ruhigen Weise, in der Josef Maria und ihr Kind unterstützt hat. Als ich etwa fünf Jahre alt war, hatten meine Eltern und ich einmal solch eine Gelegenheit, die ich nie vergessen werde.
Gelegenheiten für jedermann
Ein Bekannter von uns fühlte sich durch seinen neuen Job total gestresst. Der enorme innere Druck führte schließlich zu einem mentalen Zusammenbruch. Er unternahm mehrere Selbstmordversuche. Seine Frau war fassungslos. Beide hatten jedoch die tiefe Überzeugung, dass Gott und Sein Christus irgendwie eine Erlösung bringen könnten.
Die beiden fuhren über 1000 Kilometer, um einige Zeit mit unserer Familie zu verbringen. Wir wohnten damals in einer winzigen Wohnung und sie blieben gut zwei Wochen. Meine Eltern waren zuversichtlich, dass unser Bekannter geheilt werden konnte. Aber sie machten mir klar, dass wir sehr behutsam und verständnisvoll und fürsorglich mit ihm umgehen mussten. Wir würden viel gemeinsam beten müssen.
Später erzählte uns das Ehepaar, dass unser Heim für sie wie eine heilige Stätte gewesen sei — ein Zufluchtsort, an dem sie in Ruhe beten und Gottes Liebe fühlen konnten. Als sie abreisten, war der Mann wieder völlig normal. Er war bereit seinen neuen Job in Angriff zu nehmen. Und er und seine Frau hatten später eine lange Laufbahn als christliche Heiler, die viele andere in der gleichen Weise stärkten, wie sie es erlebt hatten.
Ein Glaube, wie Josef ihn hatte, ist die natürliche Folge unserer Liebe zu Gott — und unseres Vertrauens auf Seine Fürsorge. Denn die Fähigkeit andere zu stärken, zu unterstützen und wertzuschätzen bekommen wir von unserem Vater/unserer Mutter, von dem ewig treuen Einen, der jedes Seiner Kinder erhält, versorgt und heilt — und zwar unfehlbar und ohne Ausnahme.
