Selbstverwirklichung steht heute ganz oben auf der Prioritäten-Liste der Menschen. Viele lesen Bücher und gehen zu Motivationskursen über Selbsterkenntnis, Selbsterfüllung und Selbstverteidigung. Aber wenn diese unausgewogen praktiziert werden ohne Rücksicht auf Entfaltung, Fortschritt und Wohlergehen der Mitmenschen führen sie zu Ichbezogenheit, die sich meistens in Selbstsucht und Selbstmitleid zeigt. Das wiederum kann dann Selbstzerstörung zur Folge haben.
Denken, das nur um die eigenen, persönlichen Interessen kreist, ist begrenzt, kurzsichtig, verliert die Flexibilität und die Fähigkeit, ganzheitlich zu sehen. Eine weitsichtige und objektive mentale Sichtweise dagegen bezieht immer die Interessen anderer mit ein.
Durch das Studium der Christlichen Wissenschaft habe ich erfahren, dass Kooperation die Norm ist, wenn man das Leben als geistig versteht als Widerspiegelung des einen schöpferischen Gemüts oder Gottes, der unser wahres Leben ist. Gedanken, die nicht in Übereinstimmung mit dem allem zu Grunde liegenden Einssein des geistigen Seins sind, entfernen sich von der wahren Natur des Lebens. Daraus folgt, dass es genauso wichtig ist, für den inneren Frieden und die Harmonie anderer zu sorgen wie für die eigene Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung.
Ich bin zur Ansicht gelangt, dass wir wahre Selbsterfüllung nur dann erfahren können, wenn wir verstehen, dass wir nicht nur für uns selbst existieren. Als Ausdruck eines allumfassenden göttlichen Gemüts sind alle Teil eines großen Zusammenhangs. Wenn wir uns in unser Schneckenhaus zurückziehen und diesen Zusammenhang ignorieren, verlangsamt sich unser geistiger Fortschritt. Wir schränken dadurch unsere Fähigkeit ein, die unbegrenzten Möglichkeiten des unendlichen Gemüts zu erfahren.
Es gibt eine Geschichte von zwei Männern in einem Boot: Einer der Männer beginnt plötzlich, ein Loch in den Boden des Bootes zu bohren. Der andere ist sehr ärgerlich und fragt ihn: „Was machst Du denn da? Wenn Du ein Loch ins Boot bohrst, wird Wasser eindringen und wir werden ertrinken!" „Reg dich nicht auf", antwortet der andere, „ich bohre das Loch ja nur auf meiner Seite!"
Selbstsucht und Ichbezogenheit sind selbstvernichtend, weil sie die Unausgewogenheit verursachen, die zu Rivalität, Hass, Furcht, Unsicherheit, Gier und Einsamkeit führt. Diese Gedankenmuster verursachen die schwerwiegendsten Probleme unseres Planeten: destruktive Ausbeutung von Menschen und Natur, Umweltverschmutzung und Kriege.
Gebet ist sicherlich der Menschheit größte vereinende Macht. Hier gibt es keine Grundlage für destruktive Selbstbehauptung, denn in Gott gibt es keine Ursache für Wettbewerb oder Rivalität.
David Bohm, ein international anerkannter Physiker, schreibt, „... dass der Ursprung der weit reichenden und durchgängigen Abgrenzungen zwischen den Menschen (nach Rasse, Volk, Familie, Beruf usw.), die uns derzeit davon abhalten, für das gemeinsame Wohl, ja für das Überleben selbst, zusammenzuarbeiten, zu einem wesentlichen Teil in einem Denken besteht, das Dinge als ihrer Natur nach getrennt und in immer kleiner werdende Bausteine, zerbrochen' behandelt. Jeder Teil wird als im Wesentlichen unabhängig und für sich selbst existierend angesehen." (Die implizierte Ordnung, Seite 11)
Was können wir tun, um diese Gedankenmuster aufzulösen, die Menschen voneinander trennen und den Einzelnen und die Nationen abhalten, das Gute für alle zu suchen? Gebet ist sicherlich der Menschheit größte vereinende Macht. Hier gibt es keine Grundlage für destruktive Selbstbehauptung, denn in Gott gibt es keine Ursache für Wettbewerb oder Rivalität. Wir alle teilen den einen allgegenwärtigen Geist als unsere Quelle der Intelligenz. Es gibt auch niemals eine Notwendigkeit für herabsetzendes Vergleichen mit anderen, da jeder Mensch, als Ausdruck des göttlichen Lebens, wertvoll ist.
Jeder von uns hat Anspruch auf einen eigenständigen Platz und einen Zweck in Gottes Universum. In Wahrheit können wir uns nicht davon zurückziehen, Teil des einen unendlichen Ganzen zu sein. Intelligenz und jede andere gute Eigenschaft, die wir ausdrücken, gehört Gott. Er ist ihr einziger Schöpfer und Eigentümer. Einssein ist daher die zentrale Tatsache des Seins.
Alle Männer, Frauen und Kinder — alles Leben — drückt dieses eine unendliche Sein aus, das immer vollständig ist.
Beispielhafte Fürsorge
Vor zweitausend Jahren sah Christus Jesus das Einssein allen Lebens in Gott. Daher erfüllte ihn großes Mitgefühl für die Kranken und Hungernden. Er sah jeden Menschen als der Liebe Gottes würdig. Er drückte liebevolle Fürsorge aus, und das jedem gegenüber, dem er begegnete. Jesus wies auf die Notwendigkeit hin, Leben als solches als Einheit zu erkennen und sich um das Wohlbefinden anderer zu bemühen, als er uns die Richtlinie gab, andere wie uns selbst zu lieben (siehe Matthäus 19). Er bewies auch, dass ein bewusstes Verständnis der Einheit mit Gott heilt und das vollständige Sein des Einzelnen wiederherstellt.
Vor über einem Jahrhundert hat Mary Baker Eddy die von Jesus verkündete Wahrheit von Gottes und des Menschen Untrennbarkeit und Gottes bedingungsloser, liebevoller Fürsorge für alle wieder aktualisiert. Sie erkannte die geistigen Gesetze, die Jesus befähigten, zu heilen. „Allumfassende Libeb", folgerte sie, „ist der göttliche Weg in der Christlichen Wissenschaft". Sie schreibt: „Alles, was den menschlichen Gedanken in Übereinstimmung mit selbstloser Liebe hält, empfängt unmittelbar die göttliche Kraft", und „... gesegnet ist der Mensch, der seines Bruders Not sieht und ihr abhilft, indem er das eigene Gute in dem des anderen sucht." (Wissenschaft und Gesundheit, S. 266, 192, 518)
Für mich bedeutet „selbstlose Liebe" nicht, meine eigene Individualität um anderer willen auszulöschen. Es bedeutet vielmehr, sie in einer Weise auszudrücken, die frei von selbstsüchtigen Motiven ist, die nur mir persönlich dienen, zum Beispiel, wenn ich zu einer Person nur nett wäre, weil ich befürchte, dass sie mich sonst nicht akzeptieren oder gegen meine Interessen handeln würde. Wenn eine Nation ein unterentwickeltes Land nur deshalb unterstützen würde, um Zugang zu seinen natürlichen Ressourcen zu erhalten, und nicht aus dem echten Wunsch, ein besseres Leben für die Menschen in diesem Land zu schaffen, würde die helfende Nation Jesu Gebot ebenfalls missachten.
Viele haben das Gefühl, dass sie ihren Nächsten einfach nicht lieben können. Gibt es einen Weg heraus aus dieser Sackgasse? Ja, hier kann Gebet führen jenes Gebet, das in uns das Bewusstsein des allumfassenden Einsseins mit Gott und allem Leben wiederherstellt und uns bewusst macht, wie groß Seine Güte und Liebe für alle ist. Dieses Gebet hilft uns dabei, gut zu sein um des Guten willen, zu lieben, um der Liebe selbst willen.
Für mich bedeutet „selbstlose Liebe" nicht, meine eigene Individualität um anderer willen auszulöschen. Es bedeutet vielmehr, sie in einer Weise auszudrücken, die frei von selbstsüchtigen Motiven ist.
Bedingungsloser Mut
Ich habe einen Verwandten, der im Zuge der allgemeinen wirtschaftlichen Lage in Europa aufgrund von Rationalisierung seine Stellung verloren hatte. Er hatte mehr als 20 Jahre lang eine führende Position in einem Unternehmen innegehabt. Seine Frau hatte eine eigene Firma und eine Angestellte, die in ihrer Firma die gleiche Position hatte, die ihr Mann in seiner ehemaligen Firma gehabt hatte. Freunde und Bekannte meinten nun, sie solle diese Angestellte entlassen, um die Stelle ihrem Mann zu geben. Es war nicht leicht für sie, sich gegen den äußeren und inneren Druck zu verteidigen.
Meine Verwandte ist eine Christliche Wissenschaftlerin und hielt eine Entlassung dieser Angestellten für unmoralisch.
Von Gott aus gesehen braucht kein Mensch einen anderen seines Platzes zu berauben. Das gilt bei der Arbeit, der Familie, der Freundschaft und jedem anderen Gebiet im Leben.
Ihr war Folgendes klar: Von Gott aus gesehen braucht kein Mensch einen anderen seines Platzes zu berauben. Das gilt bei der Arbeit, der Familie, der Freundschaft und jedem anderen Gebiet im Leben. Sie erkannte, dass das achte Gebot in der Bibel „Du sollst nicht stehlen" auch hier gilt. Dieses Gebot wurde uns gegeben, weil wir nicht zu stehlen brauchen! Wir sind alle direkt mit unserem Ursprung, mit Gott, verbunden, und nur von dort kommt unser rechter Platz, unsere Aktivität, der Zusammenhang, in den wir gestellt werden und der Zweck und Sinn unseres Lebens. Wir brauchen nicht das an uns zu reißen, was einem anderen gehört. Ihr Mann teilte ihre Auffassung.
Wochen vergingen, aber er fand keine Arbeit. Es sah aus, als ob alles stillstand. Nichts schien sich zu rühren. Der damit in diesem Fall verbundene Stress wurde unerträglich.
Aber sie waren standhaft, denn sie wollten das Gute nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen suchen. Eines Tages traf ihr Mann auf der Straße einen Bekannten. Dieser Bekannte besaß eine Firma und erzählte ihm, dass seit einiger Zeit Veränderungen in seinem Betrieb vorgenommen worden waren und dass er nun sehr dringend einen Mitarbeiter für eine bestimmte Position brauchte. Es musste jemand sein, der die Qualifikationen meines Verwandten besaß. Dieser erzählte nun, dass er arbeitslos wäre und gern zu Hilfe kommen würde! Augenblicklich wurde er eingestellt - mit großer Freude!
Es zeigte sich, dass er der rechte Mann am rechten Platz war; die Arbeit machte ihm Spaß und seine Arbeitsbedingungen verbesserten sich sogar.
Selbstloses Geben heilt
Wir können diese beschützende Macht fühlen, die meine Verwandten durch selbstlose Liebe erfahren haben, wenn wir uns der ganzen Welt öffnen, statt uns nur auf unsere eigenen Probleme zu konzentrieren. Das trifft auf alle menschlichen Situationen zu, einschließlich des körperlichen Wohlbefindens.
Hier ein Beispiel: Meine Mutter hatte sich einmal ein Bein verletzt, als sie auf der Straße gestürzt war. Es schien so, als ob ein Knochen verschoben oder gebrochen war. Sie hatte große Schmerzen und konnte nicht auf dem Fuß stehen. Sie hatte sogar Schwierigkeiten, ihren Fuß zu heben, um ins Bett zu gehen. Mit ihrem Verständnis von der Christlichen Wissenschaft betete sie und hielt an der Untrennbarkeit von Gott und dem Menschen, dem göttlichen Gemüt und seiner Idee, fest. Sie vergegenwärtigte sich, dass diese Beziehung auf Gottes unwandelbare Güte gegründet ist und deshalb niemals zerbrochen oder verändert werden kann. Sie schlief ein, wachte aber bald durch sehr starke Schmerzen wieder auf.
Da dachte sie: „Ich muss hier nicht für die Heilung meiner persönlichen Verletzung beten! Stattdessen werde ich meine Gedanken der ganzen Welt zuwenden und in Liebe für sie beten." Sie erzählte mir, dass sie die sieben Synonyme für Gott, die auf der Bibel basieren und in dem Buch Wissenschaft und Gesundheit behandelt werden, studierte: Gemüt; Seele; Geist; Leben; Wahrheit; Liebe und Prinzip (S. 587). Als sie das tat, erkannte sie, dass Gottes geistige Schöpfung Seine unendliche Güte ausdrückt. In Gottes Sein, dachte sie, gibt es nur Einheit, keinen Mangel an Gleichgewicht oder an Liebe. Deshalb gibt es in dem wahren Leben auch keine destruktiven Mächte. Keine Erdbeben, Flutkatastrophen, Hungersnöte, Umweltverschmutzung, Kriminalität, kein Terror, Rassenhass, Streit zwischen Religionen noch irgendwelche politischen Kämpfe können jemals die Ganzheit und Vollständigkeit von Gottes Schöpfung zerstören. Sie folgerte daraus, dass Gottes Unendlichkeit Gleichgewicht und Frieden für alles Leben bedeutet.
Während meine Mutter in dieser Weise betete, hörte sie es in ihrem Fuß zweimal laut knacken. Die Schmerzen verschwanden, sie konnte sich aus ihrem Bett erheben, stand auf und konnte wieder frei laufen. Alles fühlte sich vollkommen normal an. Weil meine Familie und ich im selben Haus wohnten, erlebten wir die augenblickliche und permanente Wirkung ihres Gebets für die ganze Welt mit.
Selbstlose Motive gaben Jesus die innere Stärke und die heilende Macht, die ihn befähigten, allumfassende Liebe auszudrücken. Jesus liebte es, anderen zu helfen, er liebte das Gute um des Guten willen.
Ein zeitloses Modell
Selbstlose Motive gaben Jesus die innere Stärke und die heilende Macht, die ihn befähigten, allumfassende Liebe auszudrücken. Jesus liebte es, anderen zu helfen, er liebte das Gute um des Guten willen. Er liebte die Wahrheit über das Einssein des Menschen mit Gott. Mary Baker Eddy folgte Jesu Beispiel und lehrte andere, das Gleiche zu tun.
Anderen zu helfen — für die Welt um uns herum zu beten —, befreit unvermeidlich von destruktiver Egozentrik und Verstrickung in sich selbst. Dadurch kommen Heilung, innerer Friede und wahre Erfüllung ganz natürlich in unsere Erfahrung, weil wir alles Leben in der einen universalen göttlichen Liebe sehen. Diese universale Liebe gibt uns Gott, damit wir sie mit anderen teilen.