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Unterricht in Neukölln — Lehren im Brennpunkt

Aus der März 2009-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Seit ungefähr sechseinhalb Jahren unterrichte ich an einer Brennpunktschule in Berlin-Neukölln, dem sozial schwächsten Bezirk mit hohem Migrationsanteil.

Schüler, die an diese Gesamtschule kommen, haben größtenteils schon eine schlechte Schulkarriere und kleinere bis größere Familiendramen hinter sich. Die Grundschulen „vermachen" der Oberschule häufig Schüler-Akten, die Berichte über Kriminalität, Gewalt, Verhaltensauffälligkeiten oder-störungen enthalten.

Als ich dieser Schule vor einigen Jahren zugeteilt wurde, war ich zuerst völlig „am Boden zerstört", da ich weder mit pubertierenden Teenagern noch im „wilden" Neukölln hatte arbeiten wollen.

Würde ich stark genug sein, um mich als junge Frau den Schülern gegenüber — ganz besonders den ausländischen, sehr patriarchalisch erzogenen Jungen — zu behaupten? Würde ich mich dort sicher fühlen können?

Doch schon bald empfand ich die Gewissheit, dass es meine Mission war, dort zu unterrichten. Es gelang mir oft, negative Bilder gestörten Verhaltens zu durchschauen und stattdessen das Gute in den Menschen(kindern) zu suchen, zu sehen und zu fördern. Dabei half mir das Wissen, das mir selbst als Schüler in der christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschule vermittelt wurde: dass wir alle Gottes kinder sind und dass Er — unser all-liebender Vater-Mutter-Gott uns zu Seinem Bild und Gleichnis, mit dem Prädikat „sehr gut" geschaffen hat (1. Mose 1). Den für mich zur Selbstverständlichkeit gewordenen Gedanken, dass das Schlechte oder das so genannte „Böse" zwar angemessen in die Schranken gewiesen, jedoch nicht personifiziert werden sollte, empfinde ich täglich als große Hilfe. Er hilft mir, die Schüler von ihren „Altlasten" zu befreien, von der Überzeugung, die sie im Laufe ihres Lebens gelernt zu haben scheinen: dass sie nämlich unbegabt, unfähig, gestört, ungeschickt, unkonzentriert etc. seien.

Die Worte eines Liedes aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft (Nr. 83) kommen mir häufig in den Sinn:

„Gott schuf frei die Kreatur,
Leben selbst ist Freiheit nur,
Gott gab uns kein anderes
Band als der Eintracht
Bruderhand.
Wenn wir einig im Gemüt,
sehen, wie der Vater sieht,
o, wie dann Sein Segen quillt
und all unser Sehnen stillt.
Unsere Knechtschaft ist vorbei,
Gottes Kinder, ihr seid frei!
Und die Erde jauchzt befreit:
Liebe herrscht in Ewigkeit!"

Durch das Bewegen und Ausstrahlen dieser Gedanken kommen immer wieder Projekte und Aufgaben auf mich zu, bei denen ich dieses positive Menschenbild und meine christlichwissenschaftliche Lebenseinstellung voll einsetzen kann, wie zum Beispiel in meiner Rolle als Vertrauenslehrerin.

Ich schloss jeden gedanklich bewusst in Liebe ein und dachte über Kooperation, Harmonie und Vollständigkeit aller Gotteskinder nach.

Eine fünfzehnjährige Schülerin wandte sich über Monate in Briefen an mich. Sie war innerlich zerrissen und wollte sich das Leben nehmen. Kulturelle Zwänge und bestimmte Erziehungsmodelle ihrer Familie nahmen ihr alle Hoffnung. Ich erinnerte sie an all ihre wertvollen Eigenschaften und Fähigkeiten und erklärte ihr, dass es darum ginge, diese zu „verteidigen". Dass sie in ihrer Einzigartigkeit und als Individuum dazu beitragen könne, das Gute in der Welt zu vermehren und dass sie Freude auch für sich beanspruchen könne. Da sie viel gebe, würde sie auch viel empfangen. Nur sei es hilfreich, sich nicht im Detail vorzustellen, auf welche Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt.

Sie ließ schließlich von ihren Selbstmordgedanken ab und strahlte täglich Glückseligkeit aus. Die Schülerin stellte einen kompletten inneren Wandel bei sich fest und dankte mir von Herzen für meine Unterstützung.

Kürzlich nahm ich mit meiner neuen siebten Klasse an einem einwöchigen „Zirkusprojekt" teil. Die Schüler konnten in verschiedenen Bereichen für eine abschließende Vorstellung trainieren. Aufgrund eines religiösen Feiertages fehlten am ersten Tag zehn ausländische Schüler, von denen sieben oft aufgefallen waren, da sie Probleme hatten, ihre Emotionen zu kontrollieren und sich in die Gemeinschaft einzufügen. Ich hatte in vergangenen Monaten immer wieder Unterrichtsstörungen durch diese Schüler erlebt, die durch ihr „Machogehabe", die lgnoranz allgemeingültiger Regeln und „verbale Gewalt" gegenüber Mitschülern geprägt waren.

Ich erwischte mich dabei, wie ich mir ausmalte, dass es am folgenden Tag wegen der Anwesenheit der „schwierigen" Schüler sicherlich wesentlich mehr Unruhe und Durcheinander geben würde. Außerdem fand ich es schade, dass ein Junge, der als „Alleingänger" bekannt war, die Teilnahme an jeglichen Aktivitäten komplett verweigerte.

Am Folgetag trat genau das Chaos ein, das ich erwartet hatte. Unzufrieden kam ich vom Zirkus nach Hause. Doch dann beschloss ich, mir, und auch allen anderen, die Freude nicht nehmen zu lassen, sondern sie für das ganze Projekt und jeden Einzelnen zu beanspruchen. Ich überlegte mir, welch wunderbare Gelegenheit dieses Zirkusprojekt für alle darstellte, um die vielfältigen göttlichen Eigenschaften, wie Teamarbeit, Geschicklichkeit, Mut, Stärke, Beweglichkeit, Humor, Vertrauen, Achtung, Disziplin, Geduld etc. auszudrücken, sie z. T. sogar erst einmal zu erlernen und dann an sich selbst gezielt zu arbeiten. Diese göttlich verliehene Tätigkeit der Schüler, Trainer und Lehrer als eine Einheit in Gott konnte durch kein „sich aufblasendes", unpersönlich zu nehmendes Böses, gestört werden.

Ich schloss jeden gedanklich bewusst in Liebe ein und dachte über Kooperation, Harmonie und Vollständigkeit aller Gotteskinder nach.

Auf dem Anfahrtsweg sprach ich den Text eines meiner Lieblingslieder aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft (Nr. 139), das mich oftmals stärkt:

„Mit Liebe geh' ich meinen
Weg, und oh, es ist ein
heil'ger Tag;
ich fühle Gottes Gegenwart,
bin nicht mehr müde, bang
und zag. Die Freud', die niemand
nehmen kann, ist mein,
ich geh' mit Lieb' fortan.
Wer stets mit Liebe wandelt
hier, der spricht mit Liebe,
merkt auf sie; so oft er ruft,
wird er erhört, denn Gott versaget
sich uns nie. Er lässt die
Wolken grau verwehn,
dass alle heut mit
Liebe gehen.
Komm geh' mit Liebe deinen
Weg, Sei mutig und vertrau ihr
still. Erheb das Denken, schenke
froh aus deines Herzens
Überfüll'; so wird dein Tag
voll Fried' und Freud'. Komm,
wandle mit der Liebe heut."

Es fielen mir noch andere Gedanken aus dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft von Mary Baker Eddy ein. Als ich das Zirkus zelt betrat, stellte ich mir das ganze Ausmaß des folgenden Satzes lebhaft vor:

"Die Tiefe, Breite, Höhe, Macht, Majestät und Herrlichkeit der unendlichen Liebe füllen allen Raum. Das genügt!" (WuG., S. 520)

Ich fühlte mich gut ausgerüstet und blieb den ganzen Vormittag diesen Gedanken. Erstaunliches war geschehen: Alle Schüler, selbst der so genannte „Verweigerer", übten diszipliniert und mit großer Freude die unterschiedlichen Programm punkte ein. Anstelle der gewohnten Störungen ließ sich gegenseitige Ermutigung und ein wachsender, in diesem Maße noch nicht vorhanden gewesener Teamgeist beobachten. Die Schüler erlebten zum Teil das erste Mal in ihrem Leben das erfüllende, befreiende Gefühl, sich etwas zuzutrauen und so lange durchzuhalten, bis man ein Stück über sich selbst, über die auferlegten Begrenzungen, hinausgewachsen ist; was es heißt, zufrieden mit einer wirklichen Leistung zu sein, die nicht darin besteht, die härtesten Schimpfwörter auszusprechen oder die coolsten, teuersten Klamotten zu tragen!

Die Woche war ein voller Erfolg und hat uns alle, im wahrsten Sinne des Wortes, beflügelt. Es ist ein schönes Gefühl, sich über die verschiedensten Erscheinungsformen des Bösen zu erheben und schließlich triumphieren zu können.

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