Am 7. Oktober, dem Tag, an dem die Hamas einen Angriff auf Israel startete, las ich die letzten Seiten eines Buches von einem angesehenen libanesischen Autor über die Kreuzzüge. Das Buch gibt die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber wieder, und der Verfasser lässt muslimische Historiker der damaligen Zeit ausführlich zu Wort kommen. Man erkennt, wie sehr sich die arabische Sichtweise jener Zeit von der westlichen Sicht unterscheidet, die sich bis heute auf Ereignisse auswirkt.
Das warf in mir die Frage auf, wie wir „die anderen“ betrachten, insbesondere im Kontext des Nahen Ostens.
Es wird häufig darauf hingewiesen, dass das Judentum, das Christentum und der Islam ihren Ursprung bei Abraham haben, und somit vereint sind. Doch mich hat besonders diese Aussage von Jesus inspiriert: „Bevor Abraham war, bin ich“ (Johannes 8:58).
Jesus bezog sich nicht auf sich selbst als Mensch, sondern auf den Christus, die göttliche Natur, die er exemplifizierte. Diese Aussage stellt für mich einen Zusammenhang zu einem anderen Mann her, der für diese drei Religionen von großem Wert ist: Mose. Als Mose von Gott beauftragt wurde, die Kinder Israel aus der Sklaverei zu führen, fragte er Gott, wie er ihnen Gottes Namen nahebringen sollte. Gott antworte: „Ich bin, der ich bin“ (2. Mose 3:14).
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, stellte eine Sichtweise der Schöpfung des göttlichen Ich Bin vor, die eine hilfreiche Grundlage für Frieden bildet – einer Schöpfung, die alles umfasst, was wahrhaft existiert. Sie schreibt in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Das Sein ist Heiligkeit, Harmonie, Unsterblichkeit“ (S. 492). Und an anderer Stelle schreibt sie: „Der Mensch ist der Ausdruck von Gottes Sein“ (ebd., S. 470).
Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis über geistige Identität. Zwar hat jeder Mensch eine Geschichte, Sprache und Kultur, die der Wertschätzung würdig ist, doch wir alle werden vor allem durch eine „Präexistenz“ mit Gott definiert. Das ist kein anderes Leben, sondern eine ewige, geistige Koexistenz mit Gott, dem Guten, in der wir eins mit dieser einen göttlichen Quelle und somit miteinander sind. In Wahrheit ist jeder von uns ein einzigartiger geistiger Ausdruck der universalen Eigenschaften Gottes, wie Freude, Intelligenz, Freundlichkeit und Großzügigkeit. Diese Tatsache der geistigen Existenz ist älter als die gesamte menschliche Geschichte, einschließlich des Lebens von König David, Jesus, Mohammed und den Kreuzrittern.
Das beschert uns eine solide Grundlage, auf der unser Denken über die begrenzenden Sichtweisen hinauswachsen kann, die Misstrauen, Hass und Gewalt hervorrufen, hin zu einer höheren Sicht – der geistigen Wirklichkeit, in der wir alle Kinder Gottes, also Brüder und Schwestern, sind. Obwohl es nicht immer leicht ist, besonders wenn „die anderen“ Brutalität an den Tag gelegt haben – ob vor tausend Jahren oder wenigen Wochen –, können wir uns auf diese absolute Wahrheit stützen, um unsere Sicht „der anderen“ so zu erheben, dass damit Heilung gefördert wird.
Vor ein paar Jahren wurde eine mir sehr nahestehende Person durch eine Gewalttat getötet. Das war eine sehr schwere Zeit, doch ich wusste, dass ich den Täter zu meinem Wohl und zum Wohl derer in meinem Umfeld nicht dehumanisieren durfte. Das hätte mich nur selbst dehumanisiert, und damit wäre eine Heilung nicht möglich gewesen.
Stattdessen war ich bestrebt, diese schreckliche Tat als von der wahren, geistigen Individualität dieser Person getrennt zu betrachten – d. h. getrennt von dem, was diese Person in ihrer menschlichen Geschichte war. Dadurch wurde die Tat nicht akzeptabler; ja, der Täter wurde letztendlich rechtmäßig vor Gericht gebracht und verurteilt. Doch ich wollte den Täter so sehen, wie Gott jeden von uns sieht, als geistig und gut und zum Lieben erschaffen, statt ihn einfach als Aggressor oder Monster zu betrachten.
Zu bedenken, wie Gott Seine Kinder sieht, half mir außerdem zu verstehen, dass ich niemals wirklich von der ermordeten Person getrennt werden kann, denn ihre wahre, geistige Natur ist unzerstörbar und immer eins mit Gott, dem Guten, so wie wir es alle sind. Dieser eine Gott hat mir Frieden geschenkt und mich davon abgehalten, Gedanken des Hasses und der Rache zum Opfer zu fallen. Ich hege nur den tiefen Wunsch, der Täter möge sich selbst erkennen und eine echte Umwandlung erleben.
Die Idee, dass es nur einen Gott gibt, ist die unverrückbare Grundlage des Judentums, Christentums und Islams. In der Christlichen Wissenschaft enthalten ist die Überzeugung, dass der Glaube an einen einzigen Gott, das Gute, die Fähigkeit beinhaltet, andere zu heilen. Wiederum in Wissenschaft und Gesundheit lesen wir folgende Aussage: „Der eine unendliche Gott, das Gute, vereint Menschen und Völker, begründet die Brüderlichkeit unter den Menschen, beendet Kriege, erfüllt die Bibelstelle: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘, vernichtet heidnische und christliche Abgötterei – alles, was in sozialen, bürgerlichen, strafrechtlichen, politischen und religiösen Gesetzen falsch ist, stellt die Geschlechter gleich, hebt den Fluch über den Menschen auf und lässt nichts übrig, was sündigen, leiden, was bestraft oder zerstört werden könnte“ (S. 340).
Im Nahen Osten ist Heilung eindeutig vonnöten. Doch wir brauchen nicht zu verzweifeln. Nur einen Gott, den großen Ich Bin, zu haben, der die göttliche Mutter und der göttliche Vater aller ist, hilft uns, „die anderen“ auch als Kinder Gottes zu erkennen. Das ist ein machtvoller Ausgangspunkt zur Wertschätzung von Frieden in unserem eigenen Herzen. Dieser Frieden kann uns befähigen, danach zu streben, die Menschen, die wir augenscheinlich verloren haben, zu ehren, indem wir den heilenden Balsam der Liebe auf die inneren Wunden der anderen auftragen. Unser eigener Frieden kann wahrhaft zum Frieden der Welt beitragen.
 
    
