Auf zweierlei Art beten die Menschen; die eine Art ist das Bittgebet; es besteht im Bitten, im dringenden Vorstellen, es fleht Gott an, gut zu sein; die andere ist das Gebet der festen Bejahung, das Gebet des Glaubens; es besteht in der Zusicherung, daß Gott gut ist und spiegelt so ein Bewußtsein von Gottes Gegenwart und Macht wider.
Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Habt Glauben an Gott. Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berge spräche: Heb dich, und wirf dich ins Meer, und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen würde, was er saget, so wird’s ihm geschehen, was er saget. Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr’s empfahen werdet, so wird’s euch werden.” Dies zeigt uns, wie wir zu beten haben, und der Christian Scientist gebraucht die Art von Gebet, welche Jesus darstellt in den Worten: „So wird’s ihm geschehen, was er saget.” „Saget” heißt es hier. Es wird geschehen, wie ein Mensch versichert oder erklärt, nicht wie er fleht. Hieraus ergibt sich, daß wir die Wahrheit, und die Wahrheit allein, mit festem Vertrauen aussprechen müssen; um dies jedoch tun zu können, müssen wir erst wissen, was Wahrheit ist, denn das Wissen, das Erkennen der Wahrheit ist es, das uns Freiheit bringt. Wenn wir mit festem Vertrauen und klarer Erkenntnis versichern, daß Gott gut ist, so wird unsere Erfahrung dieser Erklärung entsprechen. Das Christian Science Gebet ist ein machtvolles Aussprechen dessen, was ist, und was in dem Maße „geschehen wird”, als die Ansprüche des Christian Scientisten auf Glauben und Erkenntnis gestützt sind. Solch ein Gebet ist die Äußerung der Wahrheit von Gott und Seinem Menschen, die Unabhängigkeitserklärung des Menschen im wahren Sinne der Freiheit. Erkenne (äußere) die Wahrheit, und die Wahrheit wird dich frei machen; dies veranschaulicht das Christian Science Gebet und seine Wirkungen in der menschlichen Erfahrung. Wenn wir beten oder behandeln, so beschäftigen wir uns in wissenschaftlicher Weise mit dem Gegenstand des Seins — Gott und Mensch — und geben demselben Ausdruck.
Als Jesus den Lazarus vom Tode auferweckte, war sein Gebet einfach und gebieterisch. Er sprach: „Komm heraus,” und es geschah, wie er sagte. Er sah dem Tode ins Antlitz und verkündete oder bezeugte die Macht des Lebens. Die Christian Scientisten blicken der Krankheit ins Antlitz, begegnen ihr mit dem Mut der Erkenntnis und beten das Gebet zielbewußter Aussage in der Zuversicht, daß das, was sie aussprechen geschehen werde. Sie sprechen das Wort der Wahrheit, sie sagen „komm heraus”, denn der Mensch ist nicht tot in der Sünde, nicht von Krankheit gefesselt; der sterbliche Sinn schläft nur unter dem Bann des sterblichen Gesetzes, — des tiefen mesmerischen Schlafes des Adam. Jede Stufe der Erlösung wird durch dieses nämliche Gebet geistigen Machtgebotes oder geistiger Äußerung gewonnen. Das geistige Bewußtsein spricht: „Komm heraus, komm heraus aus dem Bann sterblicher Gesetze, hinein in das geistige Gesetz des Seins, komm heraus aus dem Sinn von einem in der Sterblichkeit Begrabensein, von einem in der Materie Gefesseltsein, erhebe dich in das geistige Bewußtsein vom Menschen. Laß den Christus, wie vor Zeiten, in dir sprechen: ‚Stehe auf‘, ‚komm heraus.‘” Wenn wir glauben, daß es geschehen wird, so werden wir als auferstandener Mensch herauskommen, auferstanden von falschen Begriffen, dem Glauben an Sünde, Krankheit und Tod.
„Herr, hilf mir”, ist das Gebet des Bittens und Flehens. „Komm heraus,” ist das Gebet bewußter Machtäußerung, womit der Mensch auf geistige Erkenntnis gestützt, seine Seligkeit schafft, anstatt in blinder Weise darum zu flehen. Unser Gebet wird keinen Zweifel darüber zulassen, daß Erlösung uns zu teil werden wird, und es wird geschehen, wie wir gesagt haben.
Die Christian Scientisten hören häufig die Bemerkung: „Aber ich habe jahrelang gebetet und wenn Gott meine Gebete nicht direkt beantwortet, weshalb sollten sie durch einen Christian Scientisten erhört werden?” Der Unterschied liegt in dem Charakter des Gebetes. Das eine ist bloßes Bittgebet; das andere, das aus Erkenntnis springende Gebet der Zusicherung. Das eine bittet Gott sich als Macht zu erweisen, das andere besteht auf und bezeugt seine Macht. Das eine fleht; das andere verkündet die Wahrheit des Seins und sagt aus, was geschehen soll; nämlich: der Wille Gottes, Gesundheit, Ganzheit, Harmonie, und das Resultat wird sein wie er gesagt hat. Das Resultat wird durch das Maß bestimmt, in welchem Jesu Worte „und zweifelt nicht in seinem Herzen” erfüllt werden, und seiner Lehre Gehorsam geleistet wird.
In “Science and Health” lesen wir: „Du sagst, du hast schlecht geschlafen, oder hast dich überessen. Du bist dir selber ein Gesetz. Durch solch einen Ausspruch und Glauben daran wirst du der Stärke deiner Furcht und Glaubens entsprechend leiden” (S. 385). Dies veranschaulicht, in was für eine Knechtschaft der Mensch gerät, wenn die von Jesus gelehrte Art des Gebetes umgekehrt wird. Wenn er an Krankheit, an das Böse glaubt und nicht zweifelt, daß es geschehen wird, so wird es geschehen wie er sagt. Dies steht im Widerspruch mit Gottes Gesetz. Die Sterblichen sind sich selber ein Gesetz, sie schaffen sterbliche Gesetze zu ihrem eigenen Nachteil; der Christian Scientist dagegen wählt sich das geistige Gesetz zur Richtschnur, zu höchstem Vorteil und Segen für sich selber.
Das Christian Science Gebet ist die Erkenntnis eines wissenschaftlichen Vorganges oder die eines geistigen Gesetzes, und besteht in einer Äußerung der Wahrheit. Es liegt auf der Hand, daß man dem Gesetz des Guten — Gottes — nicht Ausdruck geben kann, wenn man nicht ein gewisses Verständnis von geistigem Gesetz, oder von Gott, als Prinzip, hat; wenn man nicht den engen, schmalen Weg wahrnimmt, der sterbliche Begriffe und geistiges Gesetz, fleischliche Gesinnung und das Gesetz des Geistes von einander scheidet. Wenn man ein Verständnis von geistigem Gesetz gewonnen hat, so ist der nächste Schritt dasselbe anzuwenden. Daß es so geschehen soll wie der erwachende Mensch sagt, bedeutet, daß das geistige Gesetz, welchem er auf Erkenntnis und Glauben fußend Ausdruck verleiht, erfüllt werden soll.
Wenn die Christian Scientisten Glaubensheilen von dem Christian Science Geistesheilen unterscheiden, so setzen sie damit durchaus nicht den Wert des Glaubens herab. Das erstere sucht durch das Gebet zu einem menschlichen Begriff von einem persönlichen Gott zu heilen; das zweite durch ein auf der klaren Erkenntnis von Gott als Prinzip beruhendes Gebet, indem es Sein Gesetz ausspricht, und auf diese Erkenntnis seinen Glauben stützt. Durch diese Unterscheidung unterschätzen wir den Glauben, seine Macht und Wirkungen nicht, denn das Gesetz, welches wir aus der Erkenntnis heraus aussprechen, wenden wir auf den Glauben an. Wir schieben den Glauben nicht beiseite, sondern dringen darüber hinaus bis zur Erkenntnis von geistigem Gesetz. Wir verwerfen durchaus nicht den alten hochgeschätzten Glauben an Gott und Seine Liebe, Seine Gesetze, Seine Herrschaft und Seinen Willen. Mit der Verheißung, es „wird ihm geschehen, was er saget” in der Wahrheit, oder welches Gesetz er auch in der Wahrheit aussprechen mag, ist für immer als Bedingung der Glaube verknüpft „und zweifelt nicht in seinem Herzen”.
Ich möchte an die, welche in ihrem Suchen nach Gesundheit und Glück von Mutlosigkeit überwältigt werden, — welche jahrelang um Hilfe gebetet und gefleht haben, die Frage richten: Was habt ihr zu jenem Berg von Trübsal und Not gesagt? Was habt Ihr gesagt, das geschehen soll? Auf was für Gesetze habt ihr euch gestützt? Habt ihr im Namen geistigen Gesetzes gesprochen und in eurem Herzen keinen Zweifel an die Macht und Wirkung dieses geistigen Gesetzes zugelassen? Versteht ihr dieses Gesetz? Kennt ihr die Wahrheit, welche frei macht? Wißt ihr wie dieses Gesetz oder diese Wahrheit anzuwenden ist? Nein. Dann danket Gott, daß die Stunde des Erwachens gekommen ist, in welcher ihr den Ruf zu wirkungsvollem Gebet zum Schaffen eurer Seligkeit vernehmt, und an euer Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit eine Aufforderung gelangt, geistiges Gesetz, die Wissenschaft des Seins, oder Christian Science zu erforschen. Das Gebet ist das mächtigste Hilfsmittel, das dem Menschen bekannt ist, ein Mittel zu dem ein jeder instinktiv greift, in Unwissenheit vielleicht, jedoch mit demselben natürlichen Triebe, mit dem die Blume sich zur Sonne wendet. Das Gebet ist daher der wichtigste Gegenstand unseres Forschens, die Krone alles Wissens. Wie in der Not Hilfe zu finden ist, ist die praktischste Weisheit, die der Mensch sich erwerben kann; und wo dieselbe zu finden, nächst jenem das für uns Wichtigste und Nützlichste. Die Wissenschaft richtigen Gebetes, die exakte Wissenschaft des Gebetes wird in dem Schlüssel zur heiligen Schrift, dem Lehrbuch der Christian Science erklärt, und allen, die anklopfen, wird geöffnet werden. „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Denn wer da bittet, der empfähet; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgethan.”
Eine der wichtigsten Fragen, die ein Christ stellen kann, ist: „Worin besteht das Gebet?” Eine der praktischsten Fragen für den Anfänger in Christian Science ist: „Worin besteht die Behandlung?” Die erste Pflicht für uns im Leben ist zu verstehen, wie wir zu beten (oder zu behandeln) haben, nicht zu spekulieren, Theorien aufzustellen, oder den Menschenfreund, der andern zu helfen sucht, in Verlegenheit zu setzen, sondern zu lernen wie wir das, was wir wissen, anzuwenden haben. Wir sind hier die Wahrheit zu gebrauchen, nicht sie zu bewundern. Und es „sprach seiner [Jesu] Jünger einer zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrete.” Lehre mich die Wahrheit anzuwenden, ist das ernste Verlangen des aufrichtigen Schülers. Wenn unser Vertrauen auf geistiges Gesetz nicht größer ist als ein Senfkorn, so wird schon dieses Berge von Irrtum beseitigen.
Die wissenschaftliche Erklärung vom Sein (Science and Health, S. 468), ist auf jedes Bedürfnis anwendbar, ein Hilfsmittel für jede Not. „Es findet sich weder Leben, Wahrheit, Intelligenz noch Substanz in der Materie,” Wenn wir den Ausdruck „Materie” in seinem weitesten Sinne nehmen, so können wir ihn auf das ganze Gebiet des sterblichen Geistes ausdehnen; z. B. es ist weder Leben, Wahrheit, Intelligenz noch Substanz in der Bosheit, im Neid, in der Eifersucht, Sinnlichkeit, Furcht, Ungerechtigkeit, Sünde, Krankheit und Tod. „Alles ist der unendliche Geist und Seine unendliche Offenbarung.” Alles ist unendlicher Geist, Leben, Wahrheit, Liebe, Seele, Prinzip, Intelligenz, Gegenwart, Macht, Harmonie und die unendliche Äußerung, das unendliche Dasein derselben. Die wissenschaftliche Erklärung vom Sein ist ein Gebet oder eine Behandlung, stets bereit für die, welche ihrer eigenen Fähigkeit die Wahrheit auf die Nöte des täglichen Lebens anzuwenden nicht trauend, vor dem Gedanken eine Behandlung zu geben, zurückschrecken. Wir haben hier das „Nein, Nein” und das „Ja, Ja” des wissenschaftlichen Gebetes, das Leugnen des Irrtums und die Erklärung der Wahrheit. Der Christian Scientist lebt nicht ohne Gebet, weil er feste Aussagen macht anstatt zu flehen; im Gegenteil, er betet ohne Unterlaß insofern als er die Wahrheit beständig anwendet. In der Tat, das Gebet der Christian Scientisten hat einen weiten Bereich; es erstreckt sich von dem Heilen der Völker bis zum Fall des Sperlings, dessen Leben sich in Gott findet. Ein orthodoxer Prediger sagte einst: „Ich verstehe die Fernbehandlung nicht.” Er erhielt die Antwort: „Haben Sie jemals für das Wohl der Nation und für den Präsidenten in Washington gebetet?” Er bejahte dieses. „Erwarteten Sie dann, daß Ihr Gebet erhört würde, obgleich Sie sich in einer andern Stadt befanden?” „O, das war ja Gebet”, wendete er ein. „Das ist die Behandlung ebenfalls”, erhielt er zur Antwort.
Die Vertreter der Medizin behaupten gern, daß „die Christian Science Behandlung für schwache, hysterische Frauen gut genug, für andere Fälle jedoch völlig unzureichend sei.” Wenn der Körper einer Frau schwach und ihre Nerven abgespannt sind, so geht daraus nicht hervor, daß ihr Geist und Charakter schwach sind, wie wir an Elizabeth Barrett Browning, der Dichterin ihres Zeitalters sehen. Viele solche Frauen werden natürlich durch Christian Science aufgerichtet und geheilt. Wenn die Menschen Christian Science besser verstehen und sehen, welch einen Schutz sie gewährt, so wird die „schwache hysterische Frau” unbekannt sein. Ein Gebet, welches nur eine heftige religiöse Gemütsbewegung erzeugt, ist in der Tat für eine solche sehr nachteilig, führt zu Mitleid mit sich selber, Tränen, und läßt sie in einem schlimmeren Zustand als vorher. Solch ein Gebet trägt zur Genesung nervöser Kranken nicht bei, und wenn Christian Science gut genug für solche ist, so liegt die Erklärung darin, daß sie dieselben von einer übermäßigen Empfindlichkeit, Sentimentalität und einem krampfhaften Flehen zu Gott heilt, und ihnen so einen völligen neuen Begriff von Gebet und Religion verleiht; einen Begriff, der zur Selbstbeherrschung, zur Selbsterhaltung, mit einem Wort zur Erlösung führt. Und was sagt man von der einst „nervösen hysterischen Frau”, welche von ihrem eigenen Leiden geheilt, jetzt andere von solchen schlichten altmodischen Krankheiten heilt, wie Rheumatismus, Sumpffieber, Knochengeschwulst, Gallenfieber u. s. w., die sich bei den Ärzten eines so guten Rufes erfreuen?
Die Berechtigung von Vergütung für Gebet in Christian Science findet nur widerstrebende Anerkennung, und doch ist die Vergütung für geistige Dienstleistung in jeder anderen religiösen Organisation so allgemein verbreitet, daß keine Bemerkung darüber laut wird. Ungerechtigkeit, Selbstsucht und Undankbarkeit verhindern eine gerechte Vergütung und so entsteht Armut und Bettelei, ein Zustand, der mit Aufklärung, Zivilisation und Christentum unvereinbar ist. Ungerechtigkeit, Selbstsucht und Undankbarkeit sind unpersönliche Irrtümer, welche die Reihen der Christian Scientisten ihrer besten Mitarbeiter zu berauben suchen, indem sie dieselben durch veraltete Anschauungen fesseln und sie zwingen ihren „Zentner” der Heilgabe in einem irdischen Beruf zu vergraben. Daher ist es notwendig, diese Übel und diese Blindheit zu überwinden. Diejenigen, welche die Kranken heilen, für ihre Arbeit zu entschädigen, sollte nicht als ein Werk der Barmherzigkeit, sondern als Gerechtigkeit angesehen werden, denn wenn Gerechtigkeit und Dankbarkeit allein herrschen, so wird Armut und Bettelei unbekannt sein. Ist Undankbarkeit eine so christliche Tugend, daß sie sich zum Richter des Christian Scientisten, der jemand anders die Früchte seiner Erkenntnis vom Leben ernten läßt, machen darf, wenn diese Erkenntnis das Resultat jahrelanger Erfahrung und Selbstüberwindung ist? Wenn es die Aufgabe der Christian Scientisten ist, allen Irrtum zu heilen, weshalb soll nicht jede Form ausgerottet werden, wie Selbstsucht, Ungerechtigkeit und Undankbarkeit, damit die Armut verschwindet? Die göttliche Liebe taut die erfrorenen Ströme des gefesselten Herzens auf, damit die Dankbarkeit freien Lauf haben kann.
Christian Science zeigt, daß Dankbarkeit eine wesentliche Bedingung für geistigen Fortschritt ist; Undankbarkeit hält den Menschen in den Fesseln körperlicher und geistiger Gefangenschaft, daher sagt der Apostel Paulus: „Nicht daß ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, daß sie reichlich in eurer Rechnung sei.” Ein Ausdruck von Dankbarkeit von seiten des Patienten wird gewünscht, nicht für den Heiler, sondern weil hierdurch die Rechnung, die Empfänglichkeit des Patienten gesegnet wird. Dankbarkeit vertreibt Mutlosigkeit und Selbstsucht, welch letztere immer nur sehen, wie fern wir vom Ziel sind, nicht wie nahe demselben. Wir hören oft die Bemerkung: „Wenn die heilende Wirkung von Gott ausgeht, weshalb dann den Heiler entschädigen?” Wenn ihr den Menschen, den ihr seht, nicht lieben könnt, wie könnt ihr dann Gott lieben, den ihr nicht seht? Und wir möchten hinzufügen, wenn wir dem hilfreichen Menschen, den wir sehen, nicht einen Ausdruck der Dankbarkeit bieten können, wie können wir dann gegen den hilfreichen Gott, den wir nicht sehen, Dankbarkeit fühlen? Das Himmelreich ist zur Hand, lehrte Jesus, und Dankbarkeit gehört zu diesem Himmel, der zur Hand ist, nicht in weiter Ferne liegt. Es ist blinder Glaube, wenn wir zu einem Begriff von einem persönlichen Gott beten, in der Voraussetzung, daß das Leben sich im Fleische befindet; solch ein Glaube betet um Gesundheit im Fleische, anstatt um Erlösung von demselben, und Herrschaft über die Materie zu beten. Geistige Erkenntnis, das Gebet der Christian Science, schließt eine Erkenntnis vom Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist ein. Sie enthüllt das Antlitz des Vaters nicht nur, sondern auch des Sohnes, — sie enthüllt das Antlitz des Menschen, den Christusgeist und den heiligen Geist, den Tröster, — die göttliche Wissenschaft. Zu diesen Dreien in Einem müssen die Kranken sich um Hilfe wenden. Sie müssen zu Gott als der Quelle aller Gesundheit gehen, ferner zu dem Sohne (dem Mittler oder dem Christus-Bewußtsein) und zu der geistigen Erkenntnis von der göttlichen Wissenschaft. Der heilende Christus ist sehr, sehr nahe, und die Kranken müssen sich zu dem „Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen”, hinwenden. Jesus sagte: „Bleibt in mir, und Ich in euch,” und „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”
Wir können einem passenden Ausdruck der Dankbarkeit nicht dadurch aus dem Wege gehen, daß wir das Heilen einem in der Ferne weilenden Gott zuschreiben, in der Hoffnung hierdurch unsere Verpflichtung in der Gegenwart zu erfüllen. All unsere Gebete zu dem fernen Gott heilten in der Vergangenheit die Kranken nicht, denn die Menschen werden durch einen solchen Gott nicht geheilt, sondern „durch den Menschen, wenn der Mensch von Gott beherrscht wird” (Science and Health, S. 495). Den Kranken wird Hilfe zu teil durch den, der sich von Gott beherrschen läßt. Sie werden durch den Heiler geheilt, der bei jedem Menschen ist, bis an der Welt Ende. Daher muß die Dankbarkeit auf eine breite Grundlage gepflanzt werden. Es mag darin selbst Dankbarkeit für unsere Empfänglichkeit für die Wahrheit, welche beim Heilen eine so wichtige Rolle spielt, mit eingeschlossen sein.
Wir sehen, daß Jesus bei seinen Heilungen eine gewisse Auswahl traf, er heilte nur die, welche für die Berührung der Wahrheit und Liebe empfänglich waren. Er gab uns den Rat, unsere geistigen Schätze nicht den unempfänglichen darzubieten. Er verlangte zuweilen ein dreimaliges Flehen um Heilung, als Prüfstein für die Empfänglichkeit, ehe er der Bitte nachgab. Es lag in seiner Macht, die Magdalene von der Sinnlichkeit zu heilen, weil sie für Keuschheit empfänglich war, während die Eifersucht des Judas an seiner Seite wandelte, ohne von dem Christusgeist berührt und geheilt zu werden. Auch betete Jesus nicht ohne Unterschied zu machen, wie wir aus dem folgenden ersehen: „Ich bitte für sie, und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein.” Wiederum sagte er: „Die du mir gegeben hast, die habe ich bewahret, und ist keiner von ihnen verloren”; woraus wir schließen können, daß er keinen von denen verlor, welche für den Christus, die Wahrheit, empfänglich waren: denn die waren ihm von Gott gegeben.
Auch die Gebete der Apostel, welche sich doch des persönlichen Unterrichtes Jesu erfreuten, scheinen nicht immer von Erfolg begleitet gewesen zu sein. In einem solchen Falle kamen sie einst zu Jesus und fragten ihn nach der Ursache ihres Mißerfolges; nicht, weshalb Gott, sondern weshalb sie den Irrtum nicht vertrieben hätten. Jesus antwortete: „Diese Art kann mit nichts ausfahren, denn durch Beten und Fasten.” Das Fasten, was hier verlangt wird, ist das Ersticken des sterblichen Denkens — seiner Begriffe. Befürchtungen, Sünden u. s. w. Viele Formen des Irrtums können nicht ausfahren, weil wir nicht gefastet, oder unseren sterblichen, materiellen Begriff vom Leben nicht erstickt haben. Unsere Gebete erheben sich zu höherem Glauben und Erkenntnis, nicht dadurch, daß wir die Materie, sondern dadurch, daß wir das Bewußtsein von der Materie überwinden. Der sterbliche Geist, das sterbliche Denken muß ausgehungert und erstickt werden, damit der geistige Sinn Gott deutlicher erkennen und sich im Gebet höher und freier erheben kann.
Im Brief an die Römer finden wir eine ähnliche Forderung: „So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferwecket hat, in euch wohnet, so wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferwecket hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß sein Geist in euch wohnet.” Wie oft, wie oft haben die Kranken und Bekümmerten um Hilfe gebetet und sie kam nicht! Geht daraus nicht hervor, daß mehr als bloßes Bitten erforderlich ist? Was sind die Bedingungen, die in dem angeführten Text erwähnt werden? So der Geist in euch wohnet. Hierin liegt mehr als bloßes Bitten, Vorstellen, Flehen. Es setzt Gehorsam an eine Vorschrift voraus. Es deutet auf das Herrschen und Wirken von Gesetzen, von Ordnung.
Gebet ist die praktische Anwendung geistiger Erkenntnis auf das tägliche Leben. Es ist die lebendige Kraft des Christentums, und das Christentum muß lebendig, muß lebenspendend sein, muß jedes unserer Bedürfnisse befriedigen, sonst bringt es dem Menschen keinen Erlöser. Mit demselben Rechte, mit dem jemand sich ein Christ nennt, ohne auf unzweideutige Fälle von Gebetserhörung in seiner Lebenserfahrung hinweisen zu können, kann man behaupten: „Ja, ich verstehe die Mathematik, aber ich kann keine mathematische Aufgabe lösen.” Was sollen wir von einem Christen halten, der sagt: „Ja, ich weiß was Christentum ist, aber ich kann meine Seligkeit nicht schaffen; meine Lebensaufgabe ist ungelöst, meine Gebete finden keine Erhörung.” Es erregt oft großes Erstaunen, wenn nach jahrelangem vergeblichem Beten, ein einziges Christian Science Gebet häufig die Gesundheit völlig wiederherstellt. Und wie erklärt sich dies? Der Christian Scientist versteht das gesetzmäßige Wirken des Gebetes; er hat die sterbliche Anschauung des Seins zum Schweigen gebracht, während der Patient sich darauf beschränkte, Gott zu bitten, ihn von einer Krankheit zu heilen, die er für wirklich hielt, und dies nannte er Gebet. Ein Bitten um Gesundheit kann von Segen sein, wenn es das Denken in die richtigen Bahnen leitet, denn wenn man sich zu Gott wendet, anstatt zu materiellen Mitteln zu greifen, so wird man schließlich der Vollkommenheit und Harmonie zugeführt, nach der man sucht. Aber die Mehrzahl sogenannter Gebete ist lediglich ein Verlangen nach irdischer Hilfe, nicht nach der Gerechtigkeit, welche Hilfe verdient und nach sich zieht. Wir müssen zwischen dem Gebet des sterblichen, fleischlichen Sinnes, und dem Gebet des geistigen Sinnes unterscheiden. Der tierische Instinkt der Selbsterhaltung wird auch in den tiefgesunkenen, in der äußersten Not und Furcht vor dem Tode ausrufen: „O Gott, hilf mir!” Das Gebet des geistigen Sinnes wird in der Not sich über die Furcht erheben und mit dem Gefühl der Sicherheit ausrufen: „Gott ist mein Leben, ich kann nicht sterben!”
Man wendet vielleicht ein, daß das „nicht wie Ich will, sondern wie Du willst” der Gipfelpunkt von Jesu Gebet in Gethsemane war, und so war es, so ist es im Licht der Wahrheit. Aber viele unter uns können sich einer Zeit erinnern, wo der Gedanke an Gottes Willen sie mit Furcht erfüllte, und wir uns mehr einer Furcht vor Gott als Seinem Willen unterwarfen. Unser Gehorsam sollte vernünftiger Art sein, aus Erkenntnis hervorgehen, er sollte im Gehorsam gegen die Wahrheit des Seins bestehen, ein dem Geiste sich Ergeben, nicht dem Fleische; er sollte das Aufgeben eines Glaubens an einen Willen des Todes und des Bösen sein, und ein festes Bestehen auf dem Willen des Lebens und der Harmonie. Der Wille des Lebens ist zu leben, und das Leben ist Gott, daher ist es der Wille Gottes zu leben. „Der Mensch ist unsterblich — und lebt durch göttlichen Machtanspruch” (Science and Health, S. 76). Ein Heiler, der einst zu einem im Sterben liegenden Kranken gerufen wurde, wurde von demselben mit den niedergeschlagenen Worten empfangen: „Ich bin in mein Schicksal ergeben.” „Ergeben? in was für ein Schicksal?” war die belebende Antwort. Zu wem sagen wir „Dein Wille geschehe.” Wem fügen wir uns, wem ergeben wir uns? Der Armut, Krankheit, dem Tode; oder ergeben wir uns dem Christus, der Wahrheit, sind wir so eins mit dem Leben, daß wir mit St. Clement, dem Märtyrer, ausrufen können: „Ich bin gewiß, daß Christus in mir überwinden und triumphieren wird.” Haben wir uns dem Geiste so völlig übergeben, daß wir sagen können: „In mir überwindet der geistige Sinn, Erkenntnis, der Christus, und wird über die Materie (das Fleisch), die Sünde und den Tod triumphieren für immer „bis an der Welt Ende”?
Wir müssen persönlichen Wunsch und geistiges Verlangen unterscheiden. Das, was von diesen beiden überwiegt, wird das andere vernichten. Es war Jesu persönlicher Wunsch, daß der Kelch an ihm vorübergehen möge, aber er gab seinem stärkeren, geistigen Verlangen, den Beweis für die Unsterblichkeit des Menschen, für ewiges Leben, auf alle Zeiten zu erbringen, nach. Er überwand den Tod, indem er durch die Pforte desselben hindurchging. Nachdem der letzte Feind überwunden und die Auferstehung gewonnen war, sagte er: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.” Sein Verlangen, die göttliche Macht in ihrer ganzen Vollkommenheit widerzuspiegeln war größer als seine Neigung zum Wohlbefinden auf Erden. Er entsagte seinem persönlichen Wunsche, in menschlicher Weise verschont zu werden, für das göttliche Verlangen sich geistig zu heben, und die Welt, das Fleisch, den Teufel, ebenso wie den Tod, zu überwinden. Das hartnäckige Festhalten an einem persönlichen Wunsche erstickt nur das höhere Streben zum Geiste hin. Wir durchkreuzen die Erfüllung unserer Gebete, wenn wir das natürliche Wachsen und Entfalten des Lebens hindern. Laß dem Willen des Geistes Freiheit, und laß diesen Willen geschehen bis der persönliche Wunsch vernichtet ist. Laßt uns Trost finden in der Erkenntnis, daß das geistige Verlangen oder Gebet seiner Erfüllung am nächsten ist, wenn der persönliche Wunsch am wenigsten Raum hat.
„Desselbigen gleichen auch der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen forschet, der weiß, was des Geistes Sinn sei; ... wir wissen aber, daß denen, die Gott [das Gute] lieben, alle Dinge zum Besten dienen.” Die Liebe zum Guten hält die Beweggründe rein, und das geistige Verlangen lebendig; ebenso vertritt sie uns mit unaussprechlicher Liebe. Selbst wenn wir nicht wissen, um was wir bitten sollen, so beherrscht doch ein lauteres Motiv unsere Lebensbestimmung, und wird alles zum Besten führen, — zur unumschränkten Herrschaft des Höheren und Reinen im Streben und in den Beweggründen. Der, welcher die Herzen erforschet, kennt die Gesinnung, das Motiv, das Verlangen des Geistes, hat jedoch kein Ohr für persönliche Wünsche. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” ist der Ausruf des sich verlassen fühlenden leidenden, persönlichen Bewußtseins. Der geistige Sinn, welcher allein wahre Intelligenz ist, überwindet immer den sterblichen Sinn, und führt alle Dinge zum Besten für die, welche das Gute lieben, für die, deren Ziel und Streben geistiger Natur sind.
Mrs. Eddy schreibt: „Wird die Freude am Irdischen, irdische Bande und Schätze, dir genommen, so wisse, es ist die göttliche Liebe, die dies tut und spricht: ‚Ihr bedürfet alles dessen‘” (Message, 1902). Nicht als ob Gott Leiden schickte, sondern Er entfernt nur, was geistige Entwicklung und Fortschritt hindert. Die göttliche Liebe tritt in den geistigen Bestrebungen des Menschen heraus. Unsere reinen Motive sind der Ausdruck von Gottes Willen, unsere Sehnsucht nach Liebe ist die Spiegelung des Verlangens der göttlichen Liebe nach uns. „Lasset uns ihn lieben; denn Er hat uns erst geliebet.” Die höhere geistige Liebe vernichtet im Menschen seine irdischen Bande, Schätze und Freuden; beseitigt, was seinen Fortschritt hindert, so daß das höhere Leben in ihm, nach welchem er sich sehnt, triumphieren kann, wie es in Jesu in Gethsemane tat. Das höhere Motiv triumphiert über das niedere, „und haben keine Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung, die besser ist, erlangeten.” Die reinere Liebe triumphiert über die menschlichere und nimmt sie nicht an, damit eine höhere Neigung erwache, in welcher die Liebe zu Gott ausruft:
Näher mein Gott zu Dir, näher zu Dir:
Sollt’s auch ein Kreuz sein, das mich erhöht.
Unsere reinen Triebe und Verlangen sind uns von Gott gegeben. Der Mensch spiegelt den göttlichen Geist wider; daher fühlen wir bei Jesu Worten: „Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet,” daß der Mensch als Spiegelbild des Vaters, das Recht hat, die Dinge zu wissen, die Er weiß. In dem Maße, in welchem wir Gott bewußt widerspiegeln, bringen wir das zuwege, was am besten für uns ist, ehe wir darum bitten. Wenn die Liebe zu Gott alles in unserem Leben überwiegt, so beseitigt dieselbe alles, was uns hindert, ihm näher und näher zu kommen. Es ist die göttliche Liebe selber, die dies bewirkt; die göttliche Liebe, die im Menschen widergespiegelt wird, entfernt alle Hindernisse und leitet ihn zur Befriedigung seines Bedürfnisses, ehe er darum bittet. Die unendliche Liebe und ihre unendliche Äußerung ist alles, was ist, und wenn wir Liebe fühlen und zeigen, so werden wir finden, daß unsere Gebete erfüllt werden, ehe wir darum bitten. „Alles ist der unendliche Geist und Seine unendliche Offenbarung” (Science and Health, S. 468), und wenn wir den Geist widerspiegeln, so werden wir wissen, was am besten für uns ist, wie der Vater es weiß. Wir könnten niemals wissen, was am besten für uns ist, wenn nicht Gott es schon wüßte.
Jesu größtes Gebet war: „Dein Wille geschehe.” Dieses Gebet müssen wir alle lernen. Es ist gleichbedeutend mit: „ Laß den Willen der Wahrheit, des Lebens, der Liebe, des Guten in mir geschehen. Laß den Christus in mir auferstehen; laß den überwindenden Christus in mir als ewiges Leben triumphieren. Laß die geistige Natur die sterbliche in meinem Innern vernichten; laß den Willen geistigen Wachstums, geistiger Auffahrt und des Sieges geschehen.” So wird das geistige Verlangen triumphieren, ein reiner Wille wird geschehen im sogenannten physischen Reich wie er im Himmel geschieht „denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.”
Copyright, 1904, by Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht im Jahre 1904 von Mary Baker G. Eddy.
