Der wunderbare Umschwung, welcher im religösen Denken der Gegenwart stattfindet, ist kaum weniger überraschend, als die augenscheinliche Unfähigkeit und Abneigung mancher seine wahre Bedeutung und Ursprung zu erkennen. Ein deutliches Beispiel hierfür ist ein Artikel über „Die neue Hölle,” welcher kürzlich in einer leitenden Zeitschrift erschien und teilweise in „The Literary Digest“ abgedruckt worden ist.
Der Verfasser verweilt länger bei der soeben erwähnten großen Umwandlung im Denken, der Reaktion gegen die Lehre von Edwards, daß die Gewißheit der ewigen Qual der Verdammten „das Feuer der Liebe und Dankbarkeit der Heiligen im Himmel verdoppeln würde.” Er erkennt die Unvereinbarkeit zwischen dem Miltonischen Materialismus der alten Theologie und einem würdigen Begriff der göttlichen Natur und Willens rückhaltlos an und erklärt offen, daß die Auslegung des biblischen Realismus als figurlich sich allgemeiner Annahme erfreut. Er unterläßt es jedoch, die sehr bedeutungsvolle Tatsache zu erwähnen,— möglicherweise weil sie ihm entgangen ist,— daß diese außerordentliche Bewegung, hinweg von traditionellen Anschauungen, welche Jahrhunderte lang den religiösen Glauben beherrscht haben, zusammenfällt mit dem Entstehen und Wachsen von Christian Science, und daß jede lebendige und antreibende Idee der gegenwärtigen edleren Anschauung ein Teil der besonderen Lehre von Christian Science ist, und zwar seit der Veröffentlichung ihres Lehrbuches „Science and Health“ im Jahre 1875. Das Entrinnen einsichtsvoller Menschen aus der Sklaverei der drückenden, materiellen Anschauungen der Vergangenheit ist somit von der Verbreitung der großen Wahrheiten von Christian Science nicht zu trennen, und es erscheint seltsam, daß irgend ein aufgeweckter, unparteiisch urteilender Mensch, der über diesen Gegenstand schreibt, diese Wechselbeziehung übersehen oder ignorieren sollte. Ebenso könnte man berechtigterweise erwarten, daß die Zeitschrift „The Digest“ da, wo sie auf den Artikel aufmerksam macht und vielfach daraus anführt, in ehrlicher Weise auf eine Bewegung hingewiesen hätte, welche so eng damit verknüpft ist.
Als Jesus durch die Werke des Heilens, seine Erkenntnis von der Wahrheit offenbarte, da verloren die alten Lehren ihr Ansehen, die so hoch verehrten menschlichen Anschauungen mußten vor seinen überzeugenden Tatbeweisen weichen, und hieraus allein läßt sich die schnelle Umwandlung im Denken der Menschen erklären. Ebenso sind in der Folgezeit in das Gebiet falscher Anschauungen nur die Herolde einer höheren geistigen Erkenntnis mit Erfolg eingedrungen, und der verständnisvolle Deuter neuerer Religionsgeschichte wird den Schlüssel zu den mächtigen Umwälzungen in der Offenbarung der Wahrheit finden, welche vor einem Menschenalter durch Mrs. Eddy der Welt zu teil wurde, einer Offenbarung, deren wohltätiger und läuternder Einfluß keineswegs auf die Christian Science Bewegung beschränkt ist.
Eine heilkräftige Verwirklichung der Wahrheit als Tatsache in einer Familie, einer Gemeinde, einer Nation, einzuführen, bedeutet die Erfüllung der Verheißung, daß das Alte vergeht und alle Dinge neu werden. Auf welche Weise dies zugeht, offenbart sich, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß jede von der Wahrheit abweichende Lehre oder Anschauung den vollen Stoß der überzeugenden „Werke,” welche durch Christian Science vollbracht worden sind, erhält. So stark die Stützen auch sein mögen, auf denen unsere Überzeugung sich gründet, ihr Ende ist unvermeidlich herbeigekommen, sobald ich finde, daß ein anderer Glaube die christlichen Werke vollbringt, an die ich mich überhaupt nicht einmal herangewagt habe.
Die Lehren der Vergangenheit über die Hölle entsprangen aus einem Glauben an die Wirklichkeit des Bösen, obschon Jesus solch einen Glauben durch seine Werke, welche die Unwirklichkeit der Äußerungen des Bösen, der Sünde, Krankheit und des Todes bewiesen, unhaltbar gemacht hatte. Jetzt werden die Tatbeweise in Christian Science wiederholt, der Verheißung und dem Gebote Jesu getreu, und das Verschwinden der Anschauungen, welche aus der Annahme des Bösen als wirklich entsprangen, läßt sich daher unmittelbar auf den Einfluß von Christian Science auf das öffentliche Denken zurückführen.
Während nun die Lehre und der heilende Einfluß von Christian Science dahin gewirkt hat, die Menschen von den Fesseln und Einschränkungen traditioneller Anschauungen über diesen Gegenstand wie auch andere frei zu machen, so ist sie jedoch in keiner Weise verantwortlich für die unklaren Ideen, in die gewisse Personen verfallen sind, welche ihre Freiheit nicht ihrer Lehre entsprechend gebraucht haben. In dem oben erwähnten Artikel macht der Verfasser auf die Gefahr aufmerksam, daß in der Denkweise eine Reaktion entstehen könnte, welche das göttliche Regiment der Energie und des Nachdruckes in der Handhabung der Gerechtigkeit berauben und „die neue Hölle” so behaglich machen würde, daß sie wie gewisse moderne Gefängnisse, den Zweck der Reformation völlig verfehlt, und sich in einer geistigen Unbestimmtheit und Schalheit verliert, welche weder Furcht noch Begeisterung einflößt.
Mrs. Eddys Worte in ihrer kürzlich an die Kirche zu Concord gerichteten Botschaft geben derjenigen Lehre von Christian Science, welche diese Tendenz vorhersieht und ihr entgegentritt, positiven und entschiedenen Ausdruck. Sie sagt: „Es gibt in der Tat eine Hölle für alle, welche dabei verharren, die goldene Regel zu brechen, oder die Gebote Gottes zu übertreten.” Dieselbe besteht „in dem Feuer eines schuldbewußten Gewissens, welches zu einer wahren Erkenntnis seiner selbst erwacht, und Qualen der Feuersglut leidet, so lange bis der Sünder verzehrt ist und seine Sünden vernichtet sind, eine Läuterung, die Millionen von Zeitperioden in Anspruch nehmen mag; wenn auch Länge und Dauer derselben niemand wissen kann. Der einsichtsvolle Menschenkenner sieht, daß dies ein geistiger, nicht ein köperlicher Zustand ist, und daß der Christ keinen Anteil daran hat. Nur die Erzeuger einer Hölle brennen in ihrem eigenen Feuer.
„Verhehlte Verbrechen, das anderen zugefügte Unrecht sind Mühlsteine, welche den Nacken der Bösen belasten. Christus Jesus bezahlte unsere Schuld und machte uns frei, indem er uns in den Stand setzte, dieselbe zu bezahlen, — und hierfür bleiben wir seine Schuldner und waschen die Füße unseres Wegweisers mit Tränen der Freude.
„Wer absichtlich andere zu verderben sucht, würde sich selber auf ewig vernichten, wenn er nicht durch seine Leiden zur Umkehr gezwungen würde, und so seine Schuld bei der göttlichen Liebe, welche niemals die zur Bekehrung des Sünders erforderliche Strafe aufhebt, ausgleicht. Daher die Worte Jesu: ‚Weichet alle von mir, ihr Übelthäter! Da wird sein Heulen und Zähneklappen, wenn ihr sehen werdet Abraham und Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen‘ (Evang. Lukas, 13: 27, 28). Wer Selbsterkenntnis, Selbstbeherrschung und das Himmelreich in seinem Innern, — in seinem Bewußtsein gewinnt, wird durch Christus, die Wahrheit erlöst. Die Sterblichen müssen von dem Kelch unseres Herrn und Meisters genügend trinken, um das sterbliche Selbst abzulegen und seine falschen Ansprüche zu vernichten, daher sagte Jesus: ‚Ihr werdet den Kelch trinken, den Ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, da ich mit getauft werde.‘”
Dem nur das Gefühl ein wenig erregenden und verweichlichenden Zufriedenseins, welches sich damit begnügt zu singen: „Jesus hat es alles bezahlt,” während es sich garnicht einmal bemüht, die Irrtümer und bösen Triebe des fleischlichen Sinnes zu „überwinden,” oder die geistige Erkenntnis zu erreichen, welche den Angriffen der Sünde, der Krankheit und des Todes erfolgreich widersteht, wird keinen Spielraum, keine Schonung vergönnt in dieser entschiedenen Erklärung, daß der Sünder seine eigene Seligkeit schaffen muß, und die Strafe für sein böses Handeln leiden muß, bis er auch den letzten Heller bezahlt hat, und die Herrschaft der Sünde durch diejenige der Gerechtigkeit und Wahrheit ersetzt worden ist. Jede reine Gesinnung treibet zu dem rechten Ziele hin und Christian Science vertritt eine Wahrheit von höchster Bedeutung, wenn sie eine scharfe Unterscheidungslinie zieht zwischen dem Ziel und Ergebnis eines Glaubens, welcher zu selbsüchtigem Streben nach einem Zufluchtsort für die eigene Sicherheit führt, und dem einer Erkenntnis, welche dazu treibt, schon in der Gegenwart nach dem Charakter und der Freiheit zu ringen, welche dem Geist, der auch in Christo Jesu war, angehören.
Wer glaubt, Christian Science bestehe darin, daß man in sentimentaler Weise beständig die Unwirklichkeit des Bösen und die Allgegenwart des Guten erklärt, so daß man schließlich für göttliche Gerechtigkeit und göttliches Gesetz gar keinen Sinn mehr hat, mißversteht Christian Science völlig. Im Gegenteil, die Alleinherrschaft der Wahrheit, ihre absolute Unduldsamkeit gegen jeden Irrtum werden jedem Schüler in unzweideutiger Weise vor Augen geführt. „Die Sünde wird ihre volle Strafe erhalten, sowohl für das, was sie ist, wie für das, was sie tut. Die Gerechtigkeit kennzeichnet den Sünder und lehrt die Sterblichen, die Merkmale Gottes nicht zu entfernen. In die vom Haß geschaffene Hölle verweist die Gerechtigkeit die Lüge, welche zu morden sucht um sich selber einen Vorteil zu verschaffen.” „Die Gerechtigkeit fordert die Umkehr des Sünders. Die Barmherzigkeit hebt die Schuld nur dann auf, wenn die Gerechtigkeit es billigt” (Science and Health, S. 542, 22). Mit diesen und vielen ähnlichen Aussprüchen trifft Mrs. Eddy jede Äußerung feigherzigen Verlangens nach unverdienter Milde, und fordert die Christen auf zu energischem und schonungslosem Streite gegen jeden Trug des Bösen, bis die Harmonie, der Himmel, erreicht wird, der Verheißung gemäß, „wer überwindet”; und diejenigen, welche sie am besten kennen, bezeugen, daß in ihrem Charakter und Verhalten Sanftmut und liebendes Mitgefühl gepaart sind mit einer schonungslosen, unbeugsamen Verurteilung jedes Irrtums, wo und in wem er auch erscheinen mag.
Wer gelernt hat auf die göttliche Stimme zu hören, hat keinen Zweifel über die unwandelbare Haltung Gottes gegen seine Sünde, der Wahrheit gegen seinen Irrtum, und die Lehre von der Hölle, wie sie sich in Christian Science findet, ist diese selbe Haltung auf einem weiteren Gebiete.
Daß die Wahrheit ihrem innersten Wesen gemäß keinen Irrtum dulden kann, daß die Strafe, welche das materielle Bewußtsein, — der Glaube an den Sinnengenuß und Befriedigung desselben,— nach sich zieht, nicht aufhören kann, bis das menschliche Bewußtsein gereinigt ist durch Zerstörung jenes Glaubens, wie des Glaubenden, und daß die wahre Individualität in der Obhut des göttlichen Lebens unversehrt bewahrt bleibt, — dies ist die Lehre von Christian Science; diese Wahrheit ist durch die Worte und Werke des Meisters, und durch die Resultate, welche auf ihre praktische Anwendung in der Gegenwart folgen, begründet und befestigt worden. Als göttliche Wissenschaft wird sie in der Zukunft, wie in der Vergangenheit, ihren gestaltenden und heilenden Einfluß weiter ausüben, unbekümmert darum, ob sie anerkannt wird oder nicht.
Die Heilung der Christian Science kommt nur durch einen erkennenden Sinn von Gottes göttlicher Liebe und Macht, und wer durch Christian Science geheilt wird, muß moralisch und geistig wiedererneuert sein. Ein Christian Scientist zu werden, bedeutet der Vorschrift Jesu zu folgen, Gott „von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und von allen Kräften” zu lieben, und unsern Nächsten als uns selbst.
