Von den vielen Anklagen, welche von Kritikern gegen Christian Science erhoben werden, tritt diejenige der Inkonsequenz, der Unbeständigkeit in der praktischen Anwendung ihres Glaubens am häufigsten an uns heran. Der Bilderstürmer, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Gebäude von Christian Science niederzureißen, scheint ein besonderes Vergnügen daran zu haben, an ihren Vertretern etwas auszusetzen zu finden, weil sie essen, sich kleiden, materielle Gebäude errichten und sich an den Schönheiten der Musik, der Kunst und der besten Litteratur erfreuen. Es wird uns gesagt, daß ein solches Verfahren logisch nicht von uns erwartet werden kann, die wir gänzlich die Existenz der Materie leugnen und behaupten, daß Geist die einzige Substanz ist.
Der gelegentliche Beobachter dieser religiösen Bewegung mag denken, daß er in der Verschiedenheit zwischen den Behauptungen des Christian Science Textbuches und der gegenwärtigen Erfahrung derjenigen, welche es studieren, große Widersprüche entdeckt hat. Was er wirklich beobachtet hat, ist die Verschiedenheit zwischen dem Dinge selbst und der individuellen Auffassung des Dinges, die Verschiedenheit zwischen dem Ganzen und einem Teile. Es ist der Unterschied, welchen wir zwischen der Mathematik und der individuellen Beweisführung der Mathematik finden. Es ist dieselbe Verschiedenheit, welche zwischen der Philosophie im Abstrakten und der Ausübung bemerkbar ist. Wir finden ebenso dieselbe Verschiedenheit zwischen jedweder Theologie und des Schülers Anstrengung jene Gotteslehre in seinem täglichen Leben zum Ausdruck zu bringen. Es liegt in der Tat kein Widerspruch vor. Wenn der Christ, welchen Glaubens er sein mag, nach diesem unvernünftigen Maßstabe gerichtet werden sollte, müßte er sich der Anklage schuldig bekennen. Der Christian Scientist maßt sich nicht die Fähigkeit an, jetzt in seinen Erfahrungen das Ultimatum von Christian Science zu beweisen, weil er nur ein Schüler und nicht ein Meister ist; und er sollte nicht beurteilt werden, als wenn er solch einen Anspruch erhöbe.
Mrs. Eddy hat viel Sorgfalt angewandt um zu erklären, daß der Sieg über den letzten Feind nicht auf einmal errungen werden mag, und sie erklärt noch besonders, daß keine der absoluten Aussagen in „Science and Health“ als persönlich angesehen werden sollten, das bedeutet, daß man nicht annehmen solle, sie hätte in irgend einer Weise auf ihre persönliche Lebensgeschichte hingewiesen, auf das, was sie vollbracht, oder nicht vollbracht hat.
Es ist wahrscheinlich, daß jeder Christian Scientist in irgend einer Stunde mit dem niederdrückenden Gedanken gekämpft hat, daß der Kontrast zwischen seinem Ideal und seiner Demonstration den Gedanken in seiner Umgebung erwecken könne, daß er inkonsequent sei, daß er nicht gut genug ist, sich wirklich ein Christian Scientist zu nennen, weil er sich bewußt ist, dem erhabnen Zustand, wie er in „Science and Health“ beschrieben ist, durchaus nicht zu entsprechen. Ich glaube, sagen zu können, daß manche sich unter dem Stachel der Selbstanklage gewunden haben, wenn sie, nachdem sie die „wissenschaftliche Erklärung des Seins” ausgesprochen hatten, das häßliche Wort „Heuchler” in ihrem Bewußtsein flüstern hörten, und daß sie von der Eingebung, daß ihr Leben ein gänzlicher Fehlschlag war, gequält worden sind. Wenn du, der du diese Worte liest, jemals diesem teuflischen Anschlag Beachtung geschenkt hast, welcher dich deines Friedens und deiner Gesundheit beraubt und deinen normalen Fortschritt aufhält, dann kannst du jetzt wissen, daß solch eine Einflüsterung in Sünde empfangen und vom Teufel oder von dem Bösen geboren ist. Du magst dein Haupt emporheben, wenn du dir bewußt bist dein Bestes zu tun, und du brauchst dich nie wieder zu fürchten, weil deine schwachen Schritte nicht Riesenschritte sind. Es liegt ein Reichtum an Trost in dem gütigen Versprechen: „Der Herr wird dich immerdar führen.”
Die geistreiche Streitfrage lautet ungefähr folgendermaßen: „Du sagst, daß kein Leben in der Materie ist, und doch handelst du fortwährend, als ob Leben in der Materie wäre. Du sagst, es gibt keinen Tod für den Menschen, und doch sehen wir Todesfälle überall um uns. Nun, es ist nicht unvernünftig von dir zu verlangen, daß du entweder alles, was du sagst, beweist und das sofort, oder daß du für immer deine Theorie verläßt und dich einem materiellen Leben in einer materiellen Welt hingibst und die Folgen trägst.” Es ist das Kreuz des Reformators, daß er dieser Lüge entgegentreten und sie beseitigen muß. Jesus trat ihr ganz am Anfang seiner Laufbahn entgegen: „Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt, und stellte ihn auf die Zinne des Tempels, und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab; denn es stehet geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln über dir Befehl thun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.‘” Unsere Führerin, welche geduldig in den Fußstapfen Christi folgt, hat dieselbe Versuchung bestanden und alle, welche Christum folgen, müssen von seinem Kelche trinken und mit seiner Taufe getauft werden.
Ohne Zweifel sind die Christian Scientisten manchmal zu eifrig beim Ausarbeiten des Problems, wodurch sie sich selber in einen gespannten Zustand versetzen, der höchst verderblich ist. Wir müssen uns hüten vor diesem intensiven, menschlichen Bestreben, andere zu zwingen, die Wahrheit zu beweisen, das ist nichts anderes als Hypnotismus. Wenn wir uns weigern eine Stellung einzunehmen, welche wir nicht bewiesen haben, werden wir freier in unserer Arbeit sein. Wir werden dann den von Gott gegebenen Impuls unterscheiden und dem Stachel des sterblichen Geistes entgehen, welcher darauf besteht, daß wir gleich Stellungen einnehmen, welche großen fortschritt verlangen und welcher uns dann verspottet, wenn wir den Anforderungen dieser Stellungen nicht gerecht werden. Das Anhören dieser üblen Einflüsterungen ruft einen nervösen Zustand der Selbstverdammung hervor, welcher weit davon entfernt ist, wissenschaftlich zu sein; er führt eine fieberhafte Hast herbei, das zu vollbringen, was wir normaler Weise noch nicht vollbringen können, und er öffnet den Weg für eine traurige Reaktion und eine darauf folgende Entmutigung. Wenn wir dem Bösen dieselbe Antwort geben, die Jesus gab, wenn wir versucht werden, so zu handeln, als ob wir schon etwas erreicht hätten, dann wird das Resultat dasselbe für uns fein, wie es für ihn war, denn der Teufel wird uns verlassen, und siehe Engel werden kommen und uns dienen und uns Frieden bringen.
Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch das Schöne, das Wahre!
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor;
Es ist in dir, du bringst es ewig hervor. —
