Viele Leute, die mit den fundamentalen Lehren der Christian Science bekannt werden — z. B. mit derjenigen, daß es keine Materie gibt — meinen, die Anhänger dieser Lehre müßten in Übereinstimmung mit ihrer Theorie strenge Enthaltsamkeit üben. Sie werfen den Christian Scientisten vor, sie seien inkonsequent, weil sie schöne Kirchen bauen, gute Kleider tragen, in bequemen Häusern wohnen und auch nicht selten wohlhabend sind. Bei näherer Betrachtung zeigt es sich jedoch, daß die Christian Scientisten hierin nicht inkonsequent sind und man ihre Gesinnung nicht als unchristlich bezeichnen kann.
Gottes Universum ist in all seinen Teilen geistig, ewig und vollkommen. Ehe der irrige, sterbliche Begriff vom Weltall durch das Verständnis und die Anwendung der Wahrheit berichtigt worden ist, erscheint dieses Weltall in seinen verschiedenen Teilen materiell, mehr oder weniger zeitlich und vergänglich, mehr oder weniger unvollkommen und der Disharmonie unterworfen. Die Christian Scientisten erkennen das Irrige dieses Begriffs; sie sehen, daß derselbe nur eine verkehrte, unwirkliche Auffassung des wahren Weltalls darstellt, und wenn sie könnten, würden sie diesen irrigen Begriff sofort ganz aus ihrem Bewußtsein und somit aus ihrer Erfahrung ausscheiden und sich der vollen Verwirklichung und des unbeschränkten Genusses wahrer Erkenntnis erfreuen. Diese Änderung können sie jedoch nicht mit einem Schlage bewirken. Es gelingt ihnen zunächst nur, eine Erscheinungsform des sterblichen Begriffs auf einmal aus ihrem Bewußtsein und aus dem ihrer Mitmenschen auszuscheiden, indem sie theoretisch an jener Kenntnis vom Weltall festhalten, die sie als die wahre erkennen und indem sie jene Kenntnis nach bestem Wissen und Vermögen zur Vernichtung des ihnen entgegentretenden Irrtums anwenden.
Wenn wahres Wissen auf den irrigen, sterblichen Begriff geistig angewandt wird — sei es im engeren oder weiteren Kreis —,so besteht die Wirkung zunächst darin, daß der irrige Begriff der Disharmonie, des Zwistes, der Armut, der Krankheit und des Verfalls Schritt für Schritt in sein Nichts aufgelöst wird, und zwar durch die Demonstration der Tatsache, daß im wirklichen Weltall ewige und unveränderliche Harmonie und steter Überfluß herrscht. Hierin besteht gewöhnlich die erste wahrnehmbare Wirkung bei Anwendung wahrer Kenntnis, weil nämlich der Irrtum sich lange nicht so heftig gegen die Vernichtung der scheinbaren Disharmonie auflehnt als gegen die Vernichtung seiner Behauptung, daß das Weltall aus Materie bestehe. Die Anwendung des wissenschaftlichen Verständnisses zerstört den irrigen Begriff, Materie genannt, nicht sogleich in all seinen mannigfachen Erscheinungsformen; aber sie scheidet aus diesem Gesamtbegriff alles Irrigen mehr und mehr den Begriff der Zwietracht, der Armut, der Krankheit und des Verfalls aus — Erscheinungen, die sämtlich Gott, der Wahrheit entgegengesetzt sind. Dadurch wird der menschliche Begriff vom Sein, obwohl er noch größtenteils materiell ist, harmonischer, erträglicher und kommt somit dem Ideal näher. Die Wahnbegriffe erfahren insofern eine Veränderung als sie besser werden. Zustände der Harmonie, der Gesundheit, des Überflusses und der Schönheit, welche auf wissenschaftliche Weise ein Teil des Bewußtseins geworden sind, können wir als echt ansehen. Diese Zustände sind Anfänge des wahren Christus-Bewußtseins, wenn sie auch noch mit einem mehr oder minder irrigen Begriff von Substanz verbunden zu sein scheinen. Diesen irrigen Begriff vermögen die Christian Scientisten noch nicht zu zerstören.
Somit wird es also klar, daß es gottähnlicher ist, ja daß es dem Wesen des nach dem Bilde Gottes erschaffenen Menschen mehr entspricht, in dem Bewußtsein des Wohlstandes zu sein, gute Speisen zu essen, gute Kleider zu tragen, in behaglichen Häusern zu wohnen, schöne Kirchen zu bauen — falls diese Umstände ein Ergebnis wissenschaftlicher Demonstration sind —, als in einem Zustande der Disharmonie, der Armut und des Verfalls zu leben. Die Christian Scientisten sehen sehr wohl ein, daß es nicht gottähnlich ist, einem materiellen Begriff von Schönheit und Überfluß sich hinzugeben und daß sie diese Begriffe so bald als tunlich mit dem Sichbewußtwerden geistiger Schönheit und geistigen Überflusses vertauschen sollten. Sie wissen aber auch, daß ein auf wissenschaftlichem Wege bewirkter Austausch des Begriffs der materiellen Armut gegen den Begriff des Überflusses und der Schönheit — sei derselbe auch vorderhand noch mit dem falschen materiellen Begriff verknüpft — einen Fortschritt in der rechten Richtung bedeutet, wobei das Gesetz des Christus erfüllt wird.
Hieraus geht hervor, daß die Stellung des Christian Scientisten zum materiellen Überfluß und zur materiellen Schönheit von der des Durchschnittsmenschen dieser Welt ganz verschieden ist, da dieser materielle Dinge als wirklich betrachtet und dieselben ihrer selbst wegen sucht, ohne dabei weiter an eine Beziehung zu Gott, Geist zu denken. Sein Gewinn an materiellen Dingen kann durchaus nicht das Ergebnis religiösen Denkens oder gar der Demonstration genannt werden. Das Gefühl des Glückes wird bei ihm fast ausschließlich durch das Ergebnis seines Strebens nach materiellem Gewinn bestimmt. Ein Christian Scientist hingegen weiß, daß materielle Dinge nicht wirklich sind, sondern daß sie nur veränderliche Gebilde und Schatten geistiger, daher wirklicher, harmonischer, unveränderlicher und ewiger Dinge darstellen. Er demonstriert einen reicheren und mehr harmonischen Begriff von materiellen Dingen, und zwar nicht indem er diese ihrer selbst wegen sucht, sondern indem er sich der Betrachtung geistiger Dinge widmet, von denen die materiellen Dinge nur Symbole sind.
Er erlangt also sein Bewußtsein des Überflusses und der Schönheit dadurch, daß er den Gang der Demonstration befolgt, wie Jesus ihn in den folgenden Worten festgestellt hat: „Darum sollt ihr nicht sorgen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? (Nach solchem allen trachten die Heiden.) ... Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen”— bis schließlich die Zeit kommt, da ihr euch über den materiellen Begriff der Dinge gänzlich erheben werdet. Der Anhänger der Christian Science ist froh, wenn er Überfluß und Schönheit zunächst in Verbindung mit dem materiellen Begriff der Dinge demonstrieren kann, und es gelingt ihm dies auch in der Regel; aber sein Wohlergehen ist weit weniger von dem Begriff des materiellen Überflusses und der materiellen Harmonie abhängig als das Wohlergehen des Durchschnittsmenschen auf dieser Welt.
Der Grund hierfür liegt darin, daß er materielle Dinge nicht als wirklich oder endgültig betrachtet, weil er weiß, daß sie nur Schatten sind; daß wenn auch Mangel und Disharmonie zu herrschen scheint, Gott und Seine Manifestationen doch bestehen und er von ihnen nicht getrennt werden kann; daß wenn er fortfährt, sich diese Tatsache zum Bewußtsein zu bringen, er zunächst den Begriff materiellen Überflusses in dem Maße erlangt, wie zur Deckung seiner menschlichen Bedürfnisse nötig ist. Der wahre Christian Scientist sieht sich vor. damit er nicht in das Netz irriger Annahmen verstrickt werde. Er läßt sich nicht durch sinnliche Genüsse zum Sklaven der Materie machen, und ganz besonders hütet er sich, nicht in einen Geisteszustand zu geraten, der ihn verleiten würde, die Materie als wirklich zu betrachten oder der geeignet wäre, diesen falschen Begriff in seinem Bewußtsein oder in dem seiner Mitmenschen fortzupflanzen. Der wahre Christian Scientist blickt stets vorwärts und seine Gesinnung trägt dazu bei, die Zeit, da wir alle zur Erkenntnis und zur Verwirklichung des geistigen Himmels und der geistigen Erde gelangen werden, näher zu rücken. Dieses geistige Bewußtsein werden wir dann erreicht haben, wenn der frühere materielle Begriff von dem Himmel und der Erde vergangen sein wird.
Weder die Lehren Jesu noch die der Heiligen Schrift überhaupt lauten dahin, daß die Nachfolger des Christus (und das sind Christian Scientisten) aszetisch und an Gütern dieser Welt arm sein sollen. Jesus sagte, indem er im Sinne des ewigen Christus sprach: „Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, so er verläßt Haus oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfältig empfahe, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mit Verfolgungen, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.” „Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als derselbigen eins. So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht vielmehr euch tun, o ihr Kleingläubigen?” In dem Reich Gottes, das da geistig und ewig ist, herrscht Überfluß, Harmonie, Schönheit — alles was zum Dauernden und Wahren gehört.