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Das Eine, was not ist

Aus der April 1910-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wenn das Licht der Wahrheit zum ersten Mal in das Bewußtsein scheint und die Torheit des Glaubens an den Reiz der Sünde bloßlegt, geht eine große Umwandlung im Menschen vor. Der Widerwille, den die Wahrheit gegen alles erzeugt, was ihr nicht entspricht, ist so groß, daß notwendigerweise eine Läuterung des Charakters stattfindet. Unter dem Einfluß der Wahrheit fallen Sünden und Irrtümer, die lebenslängliche Gefährten gewesen waren, durch ihr eignes Gewicht; Versuchungen verschwinden vor der Erkenntnis der Nichtigkeit dessen, worauf die Versuchung es abgesehen hatte, und der Mensch findet sich in einer besseren, größeren Welt, mit Aussicht auf völlige Freiheit.

Der Kontrast zwischen der glorreichen Gegenwart voll unerkannter Möglichkeiten und der wegen ihrer Fehlschläge und Sünden trostlosen Vergangenheit ist so groß, daß sich leicht eine gewisse Art der Selbstbewunderung bemerkbar macht, falls man seine Schanzen nicht gut imstand hält und scharf bewacht. Die Schlacht ist geschlagen, der Sieg errungen und das Sichgehenlassen hat aufgehört. Die unzähligen Arten der Sinnlichkeit haben ihre Macht verloren, und der Sieger, voller Freude über seinen Erfolg, behält sein Glück nicht für sich, sondern schickt sich an andern zu helfen. Indem er nun so im Umgang mit den Mitmenschen Tag für Tag Berichte über Sünde, Krankheit und Tod hört, tritt der Unterschied zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart noch deutlicher hervor, und wenn er dann vergißt, was ihn frei gemacht hat — wenn er vergißt, daß „niemand ... gut” ist, „denn der einige Gott”, so verfällt er leicht (und zwar ohne es zu wissen) in den Fehler, Gott zu danken, daß er nicht ist „wie die andern Leute”. Er ist sich seiner Überlegenheit bewußt, vergißt aber, daß er alle seine Siege der göttlichen Weisheit und Güte verdankt. Daher denkt er, seine eigne Lauterkeit, sein eignes Können berechtige ihn dazu, über andre abzuurteilen und sie zu verdammen.

Wegen des erstaunlichen Sieges der Wahrheit über die sogenannten materiellen Gesetze kommt mancher in Versuchung zu denken, seine eigne Frömmigkeit erhalte nun ihren Lohn und sein Fortschritt sei jetzt rasch und sicher. Da er zu viel an sein eignes Können denkt, so entwickelt sich in ihm ein Gefühl des Mitleids und der Kritik gegen andre. Er ist nicht damit zufrieden, daß Christus gekommen ist, er begnügt sich nicht damit, daß sein Name „im Himmel geschrieben” ist, sondern mit zu großer Freude frohlockt er darüber, daß ihm „die Teufel untertan” sind. Daraufhin verlangt er dann, andre sollten dies anerkennen und ihm Beifall zollen; er meint, seine Umgebung sei ihm einen gewissen Grad von Verehrung und Respekt schuldig. Nachdem seine geistige Schutzmauer in dieser Weise eine Bresche bekommen hat, drängt sich bald Tadelsucht ein gegen diejenigen, die besseren Erfolg haben als er. Das Gefühl der Persönlichkeit hat sich geltend gemacht, was für ihn und andre Unheil bedeutet, denn nachdem dieses Gefühl festen Fuß gefaßt hat, stellen sich gar bald Eifersucht, Mißtrauen, ungerechter Tadel, Verleumdung und zahllose andre Übel ein.

Jesus sagte: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt”. Ferner sagte Paulus in Demut: „Und wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis, und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.” Martha, die geschäftige Haushälterin, hatte „viel Sorge und Mühe”, und als zuletzt ihre Selbstgerechtigkeit über sie Herr geworden war, sprach sie den Wunsch aus, Maria sollte auf ihre Pflicht, wie sie (Martha) dieselbe sah, aufmerksam gemacht werden. Martha mußte jedoch zu ihrem Leidwesen erfahren, daß Maria das eine, was not ist, zum Ausdruck brachte, nämlich Liebe. Agape war das Wort, welches Paulus anwandte; dasselbe bedeutet wörtlich brüderliche Liebe.

Haben wir je darüber nachgedacht, wie schön es in der Welt wäre, wenn alle Menschen die Ermahnung des Apostels Paulus beherzigen würden: „Die Liebe sei nicht falsch. ... Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.” Wenn ein jeder von uns dieses Gebot befolgen würde, gäbe es dann Eifersucht, ungerechte Kritik, Klatscherei, Verleumdung, Eigenliebe? Hätten wir dann den Wunsch, daß uns andre für weiter vorgeschritten betrachten sollten als wir wirklich sind, oder wäre es uns um Lob und Schmeichelei zu tun? „Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor!” Wie viele Personen kennt die Geschichte, die diese Ermahnung befolgt haben? Nur sehr wenige! Hat es je eine Sekte oder Kirche gegeben, in welcher die Befolgung dieses Gebotes die allgemeine Regel war? Und doch bildet dasselbe die Grundlage der brüderlichen Liebe, ohne welche — wie Paulus sagt — wir nichts sind.

Brüderliche Liebe üben heißt, nie einen unfreundlichen Gedanken hegen; nie Gott danken, daß wir nicht „wie die andern Leute” sind; nie einem andern in unserm Denken Böses anheften oder diejenigen verachten, die sich in einem Zustand befinden, welchem Schwierigkeiten zugrunde liegen, von denen wir keine Ahnung haben — in einem Zustand, der uns leicht überwindbar erscheint. Allenfalls sollten wir niemals von jemand hinter seinem Rücken Übels reden, sondern — wenn es etwas ist, was uns angeht — ihm unter vier Augen und in Liebe seinen Fehler vorhalten. Ist es aber etwas, was uns nichts angeht — wie meistens der Fall ist —, so können wir wenigstens für uns selbst wissen, daß der wahre Mensch in der göttlichen Wissenschaft das Kind eines all-liebenden Vaters ist. Machen wir uns einen Begriff, wie wichtig es für die höherstehenden und dem Feinde am meisten ausgesetzten Personen ist, daß wir, die „gemeinen Soldaten” das Gesetz der Liebe streng befolgen? Unter ihrer Fürsorge ist unsre Arbeit verhältnismäßig leicht, während sie um unsert- und der Welt willen Kämpfe durchzumachen haben, von denen wir uns nur annähernd einen Begriff machen.

Ist es uns je eingefallen, daß wenn unsre Liebe von der rechten Art wäre, wir die Zeit sehr beschleunigen würden, da „der letzte Feind ... aufgehoben wird”? Die „völlige Liebe” ist es, die die Furcht austreibt, und nach völliger Liebe sollen wir trachten. Paulus gilt uns als Autorität für die Erklärung, daß alles Predigen, alle guten Werke umsonst sind, wenn wir nicht agape, brüderliche Liebe haben.

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