Die Christian Scientisten sprechen oft von der materiellen Welt als von einem Traum und suchen sich durch diesen Vergleich deren Unwirklichkeit wenigstens teilweise zu vergegenwärtigen, Unsre geliebte Führerin weist in ihren Schriften öfters auf den „Adams-Traum” hin. Durch einen jüngst erlebten Traum ist es dem Schreiber dieser Zeilen erleichtert worden, das Zeugnis der Sinne beiseite zu setzen und sich vom Glauben an das Scheinbare zur Realisierung der wahren Schöpfung des Geistes zu wenden. In der Hoffnung, daß Folgendes auch andern helfen möge über diesen Stein des Anstoßes hinwegzukommen, schreibe ich diese Erfahrung nieder.
Jener Inkonsequenz gemäß, welche unsre Erfahrungen im Schlafzustand charakterisieren, befand ich mich im obersten Stock eines großen Ziegelgebäudes. Auf einer Seite schloß sich der Fußboden, auf dem ich stand, nicht ganz an die Wand an, so daß ich von diesem hohen Standpunkt aus tief hinuntersehen konnte, bis zum untersten Stockwerk des Gebäudes, wo Pferde, Wagen und Menschen zu sehen waren. Die Empfindung, mit welcher ich von dem Rande des Fußbodens zurückbebte, war sehr lebhaft; schaudernd wandte ich mich ab von der Stelle, von wo aus ich hinuntergeblickt hatte. Die einzige Person, welche mit mir oben zu stehen schien, war eine zufällige Bekannte. Ohne jeden sichtlichen Grund warf ich zunächst mein Taschentuch über den Rand in den großen offenen Raum hinunter. Wiederum wandte ich mich schaudernd ab und ein Gefühl von Übelkeit überkam mich, als ich meiner Gefährtin gegenüber davon sprach, wie schrecklich es doch wäre, von einer solchen Höhe hinabzustürzen.
Wir entschlossen uns nun hinunterzugehen, und meine Begleiterin machte mich auf eine schmale Tür in einer gegenüberliegenden Ecke aufmerksam. Als wir dieselbe öffneten, erblickten wir eine eiserne, von Mauerwerk umgebene Wendeltreppe. Es fiel uns auf, wie eng und dunkel dieser Ausgang war. Wir waren jedoch gezwungen ihn zu benutzen, da es augenscheinlich keinen andern gab. Mit einigem Widerstreben gingen wir durch die schmale Tür und stiegen hinunter. Meine Gefährtin ging voran. Es durchschauerte mich, als ich das schmale Eisengeländer ergriff, und ich bemerkte, daß sich die Decke, welche aus grobem grauen Mörtel war, dicht über meinem Kopf befand.
Als ich einige Windungen der Wendeltreppe hinabgestiegen war, fühlte ich, daß der Raum enger und enger wurde. Ich wußte, daß es noch weit bis zur ebenen Erde war, und daher schien es mir sehr fraglich, ob ich mich durch einen noch engeren Raum würde hindurchzwängen können. Ich stand einen Augenblick still und hörte gleich darauf die Stimme meiner Gefährtin, die mir von unten zurief, sie könne nicht mehr weiter. Ich erwiderte, wir müßten wohl umkehren, denn ich konnte in der dumpfigen Luft kaum noch atmen und mich bewegen. Dann muß ich noch einige Stufen abwärts gestiegen sein, denn als ich umkehren wollte, beugte ich mich weit hinten über, um nicht mit dem Kopf an die Decke über mir zu stoßen. Mit dem Rücken berührte ich die eisernen Stufen, deren kalte, unangenehm scharfe Kanten mich drückten, als ich mit den bloßen Händen an die Decke faßte, welche sich kalt, feucht und rauh anfühlte. Die Handflächen taten mir weh, indem ich mich krampfhaft gegen die Decke stemmte, und es kam mir vor, als sei dieselbe unbeweglich, wie eine starre Felswand. Nichts ist mir im wachen Zustand je wirklicher vorgekommen. Über der verzweifelten Anstrengung, mich zu befreien, wachte ich auf. Eine Zeitlang konnte ich mich nicht zurechtfinden, überzeugte mich aber bald, daß ich wirklich in meinem eignen, weichen, warmen Bett lag. Und wo waren nun der elende Traum? Wo war meine Gefährtin, welche ich soeben verlassen hatte?
Oftmals seit jener Nacht, wenn ich ernstlich bemüht war ein Gefühl von Schmerz, Unbehagen, oder irgend ein Übel zu überwinden, kam mir der Gedanke: „Dies hat für dich nicht mehr Wirklichkeit als das Eisen, der Mörtel und die Kälte jenes Traumes. Warum also dieses für wahr halten, wenn du die Wahrheit jenes Zustandes leugnest?” Und stets hat dieser Gedanke geholfen und den Beweis ermöglicht, daß eine scheinbare Wirklichkeit gar wohl als eine bloße Annahme aufgefaßt werden kann. Shakespeare sagt: „Wir sind solcher Stoff, aus dem die Träume sind.” War Shakespeare wohl unbewußt ein Christian Scientist? Denn aus was auderm sind Träume gemacht als aus Unwirklichkeit? Woraus war die massive Mauer gemacht? Wo waren jene Ziegel und Pferde und Menschen? In welcher Fabrik wurde die eiserne Treppe hergestellt?
Allerdings besteht ein Unterschied zwischen Träumen im Schlaf und Träumen im wachen Zustand, denn im Schlaf können wir scheinbar nicht so planmäßig handeln wie im wachen Zustand; außerdem haben unsre Träume im Schlaf nicht die beständig wiederkehrende Gleichartigkeit der Erfahrungen unsres wachen Zustandes. Insofern wir aber diesen Vergleich anwenden auf unsre Auffassung von jenen in einem Augenblick hergestellten Geschöpfen und Dingen, welchen wir im Schlaf begegnen, sowie auf unsern Begriff von den objektiven Schöpfungen des sterblichen Denkens im wachen Zustand, ist derselbe zutreffend. Wenn wir nach der menschlichen Auffassung der Dinge solche lebhafte, fühlbare Wirklichkeiten während des Schlafes schaffen und sie beim Aufwachen dadurch vernichten können, daß wir sie als einen Traum erkennen, so ist es gewiß denkbar, daß wir nach derselben Auffassung im wachen Zustand das materielle Weltall, einschließlich der Sünde, der Krankheit, des Leidens und des Todes, herstellen können, und daß uns dieses materielle Weltall durch die Erkenntnis der geistigen Schöpfung Gottes ebenso unwirklich wird, wie die Dinge unsrer Traumwelt.