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Nicht Vernichtung, sondern Umwandlung

Aus der Mai 1910-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Geschichte vom Propheten Elia, wie wir sie im 19. Kapitel der 1. Könige aufgezeichnet finden, enthält vieles, was sehr lehrreich ist. Der Prophet befand sich in einer Höhle, wo er sich vor der Isebel versteckte, weil sie ihm Rache geschworen hatte. In seiner Not betete er zum Allmächtigen, „daß seine Seele stürbe”, damit er sein Gefühl des Verlassenseins und die Gedanken an seinen Mißerfolg los wäre. Man fragt sich unwillkürlich: Wie ist nur der Mann Gottes in einen solchen Gemütszustand hineingeraten? Welch irrige Gefühle haben ihn dazu verleitet, an sich selbst zu verzweifeln und sich den Tod zu wünschen?

Monate vorher hatte Elia dem Ahab verkündet, es werde kein Regen fallen, falls er und sein Volk im Götzendienst beharrten. Nachdem er diese Warnung geäußert hatte, zog er sich an einen einsamen Ort zurück, auf den Befehl Gottes wartend, und infolgedessen erhielt er einen klaren Einblick in das Walten Gottes. Er wurde von den Raben gespeist, ging dann zu der Witwe in Zarpath und enthüllte ihr die unbegrenzten Hilfsmittel der Liebe. Als sich sein Denken noch höher emporgearbeitet hatte, wurde er so vom Vertrauen auf die Allmacht der Liebe erfüllt, daß er den Sohn der Witwe vom Tode erwecken konnte. Nachdem er durch diese wiederholten Beweise der Gegenwart und Macht Gottes gestärkt worden war, erhielt er den Auftrag, zu Ahab zurückzukehren und ihm aufs neue die Ströme der Segnungen Gottes zu versprechen, falls er und sein Volk sich dem Quell alles Guten zuwenden würden.

Elia begegnete dem Ahab, beauftragte ihn, das Volk und die Baalspriester zu versammeln und schlug dann vor, daß sie ihre widersprechenden Ansichten über das Wesen des Allerhöchsten einer Probe unterwerfen sollten. Die Priester des Baal sollten ihrem Gott ein Opfer zubereiten und ihn anrufen, und Elia wollte dem Gott Israels einen Altar errichten. Derjenige Gott nun, der mit Feuer antworten würde, sollte hinfort als der wahre Gott gelten. Der weitere Verlauf dieser Geschichte ist uns bekannt. Es folgten Stunden des qualvollen Gebetes und der Selbstverstümmelung seitens der Baalspriester, bis sie endlich die Zwecklosigkeit ihrer Bemühungen zugeben mußten — denn da war „keine Stimme noch Antwort, noch Aufmerken.” Daraufhin folgte das ruhige vertrauensvolle Gebet des Mannes Gottes, welches auch sofort erhört wurde, so daß das Volk voller Begeisterung in den Ruf ausbrach: „Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott!” Nun könnte man billig erwarten, daß Elia mit innigem Dank erfüllt gewesen wäre und sich sehr gefreut hätte. Sein Werk der Befreiung war vollbracht, der Beweis der Macht Gottes war gegeben und das Volk hatte sein Unrecht eingesehen und bereut; alle Bedingungen zum Empfang der Segnungen Gottes waren erfüllt. Leider aber bemächtigte sich des Propheten ein Gefühl des persönlichen Triumphes, der Aufregung und des menschlichen Hasses, und er vergaß, daß Gott Liebe ist und daß es nicht seine Aufgabe war zu zerstören, sondern zu erretten. Deshalb gab er den grausamen Befehl: „Greift die Propheten Baals, daß ihrer keiner entrinne! Und sie griffen sie. Und Elia führte sie hinab an den Bach Kison, und schlachtete sie daselbst.” Darauf folgte die Wiedervergeltung, nach dem unabänderlichen, ewigen Gesetz Gottes: „Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.” Auch er wird zum Tode verurteilt, und wir sehen ihn als einen gejagten, verzweifelten Flüchtling, der sich in einer Höhle versteckt und sein Ende herbeiwünscht. Durch den inneren Kampf völlig erschöpft, schläft er ein; aber die göttliche Liebe erreicht ihn. Ein Engel weckt ihn auf, bringt ihm wiederum das Brot vom Himmel, so daß er sich stärken kann, und führt ihn dann aus den Berg Gottes. Als er sich eben wieder in der Dunkelheit versteckt hat, erweckt ihn der geistige Ruf: „Was machst du hie, Elia?” Er hat jedoch seinen Irrtum noch nicht erkannt und fängt deshalb an zu klagen und sich zu rechtfertigen, worauf ihm die Wahrheit den Irrtum in seiner Handlungsweise enthüllt. Er erhält den Befehl: „Gehe heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn!” Und dort erkennt er aufs neue, wie die göttliche Liebe wirkt. Ein großer, starker Wind, gleich dem Ausbruch menschlichen Hohnes und Hasses, zerreißt die Berge — aber der Herr ist nicht in dem Wind; sodann folgt ein Erdbeben, die zerstörenden Kräfte der sterblichen Vernunft (mortal mind) darstellend — aber der Herr ist nicht im Erdbeben; auch nicht im darauffolgenden Feuer. Dann hört er „ein still sanftes Sausen” [nach der englischen Bibel, „eine stille, sanfte Stimme”], die Stimme der göttlichen Liebe, welche das menschliche Bewußtsein mit der ruhigen und allbezwingenden Demut des Christus erreicht. Aufs neue hört er die Frage: „Was hast du hie zu tun, Elia?” und als er sich wiederum wegen seiner Untätigkeit und Mutlosigkeit rechtfertigen will, wird sein Einwand zunichte gemacht. Es wird ihm gezeigt, daß es noch manches für ihn zu tun gebe, daß er aber nach Gottes Weise verfahren müsse — nicht mit Haß und Rache, sondern mit der Salbung des Geistes. Er soll einen besseren, frömmeren König suchen, einen weiteren Propheten berufen und sich mit sieben tausend Leuten in Israel verbinden, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt haben. Jetzt macht er sich auf im Gefühl der göttlichen Stärke, des Erfolges gewiß.

Welche Bedeutung hat nun diese Geschichte für uns? Wenn wir die Macht der Wahrheit und Liebe zu unsrer Zufriedenheit bewiesen haben und dann, durch unsre Erfahrungen ermutigt, uns anschicken, den falschen Gesetzen und Lehren entgegenzutreten, die das Kommen des Reichs Gottes zu verzögern scheinen: wie gehen wir zu Werke? Denken wir daran, daß Freiheit nur durch Liebe erreicht wird? Wenn wir, wie Elia, Individuen bekämpfen anstatt den Irrtum, der die Individuen plagt, so werden auch wir unsern Mitbruder hassen — werden sogar wünschen, daß uns dieser oder jener aus dem Wege gehe, damit er unserm Erfolg nicht hinderlich sei. Das Gesetz der Liebe ist nicht das Gesetz der Vernichtung, sondern der Umwandlung. Unser Gott ist nicht der Jehova des Kampfes und Streites, sondern „der Gott des Friedens”, wie ihn Paulus wiederholt nennt. Wenn wir uns über diesen Punkt nicht klar werden, so sind auch wir in Gefahr dahin zu kommen, wo wir uns gerne vor den Folgen unsrer falschen Handlungsweise Verstecken möchten. Als Elias den Priestern Götzendienst beimaß und sie dann tötete, vergaß er, daß es seine Aufgabe war, diesen Leuten sowohl wie allen andern Israeliten Erlösung zu bringen.

Wir wollen doch nur deshalb den Glauben an den Irrtum und die Sünde zerstören, weil wir überzeugt sind, daß derselbe unsern Mitmenschen schadet und sie gefangen hält. Wie töricht ist es daher, wenn wir während unsrer Bemühungen zu ihrem Wohle diejenigen von ihnen aus dem Wege schaffen wollen, die unsrer Hilfe am meisten bedürfen. Elia dachte, er könne die Kinder Israel dadurch vom Götzendienst befreien, daß er einige von ihnen tötete. So denken auch wir zuweilen, wir könnten der Menschheit dadurch helfen, daß wir einzelnen Gliedern derselben Schaden zufügen. Christian Science zeigt uns, daß Liebe allumfassend, universell ist. Unser Begriff von Liebe muß umfassend genug sein, um alle Menschen in sich zu schließen. Liebe hört nie auf zu lieben. Wenn wir das Werk der Liebe betreiben wollen, so dürfen wir nie aufhören zu lieben. Wir sind nicht in Gefahr dies zu tun, so lange wir uns davor hüten, der Persönlichkeit unsern Begriff vom Übel beizumessen. Ein Nichts können wir nicht hassen. Wenn wir uns bemühen, das Übel alleinstehend, von der Persönlichkeit getrennt zu sehen, so verschwindet es. Um unsre Brüder zu befreien, müssen wir die falschen Annahmen, die Suggestionen mit Geduld und Liebe aus dem beunruhigten menschlichen Bewußtsein entfernen. „Löset ihn auf und lasset ihn gehen” sagte Jesus; und unsre Führerin sagt („Science and Health”, S. 201): „Laßt Wahrheit einströmen vermittelst der steigenden Flut der Liebe.” In dieser Weise wird unsres Bruders Begriff vom Guten umgewandelt und sein Bewußtsein erhoben werden, so daß er „den König ... in seiner Schöne” sehen und freudig ausrufen kann: „Der Herr ist Gott!”

Diese Geschichte enthält eine weitere Lehre für uns. Falls wir in den Fehler verfallen sind anzunehmen, daß das Übel persönlich sei, und falls wir dann, dem göttlichen Gesetz der Wechselbeziehung gemäß, Tadel und Verfolgung erleiden mußten, wie wir sie andern zuerteilt haben: müssen wir deshalb annehmen, unsre Bemühungen seien ohne allen Erfolg gewesen, und die Wahrheit habe ihren Zweck nicht erreicht? Wäre es recht von uns, die Arbeit einzustellen und unsre Untätigkeit damit zu entschuldigen, daß unser Eifer für Gott an all unserm Ungemach schuld sei — als ob wir so Vieles und so Herrliches geleistet hätten und dennoch ohne Trost und Hilfe seien? Die Geschichte von Elia zeigt uns das richtige Verfahren. Auch wir können die geistigen Eingebungen empfangen, welche stets von Gott auf den Menschen übergehen; auch wir können das geistige Brot — den Christus, die Wahrheit — zu uns nehmen, um dann neu gestärkt auf den Berg Gottes zu steigen und uns dort die Macht der Sanftmut und Demut anzueignen. Auch wir können uns mit dem Öl der Heiligung, der Mildtätigkeit, des Gebets salben. Unser König ist der moralische Mut, der alles für Christus wagt; unser Prophet ist die erlösende Idee.

Als viele Jahrhunderte nach der Zeit Elias die Samariter unserm Meister die Gastfreundschaft verweigerten, fragten ihn feine Jünger: „Herr, willst du, so wollen wir sagen, daß Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia tat?” Aber Jesus „bedräute sie und sprach: Wisset ihr nicht, welches Geistes Kind ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht kommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten”— also keine Vernichtung, sondern Umwandlung.

Nun mag der eine oder der andre denken, das Gesagte sei nicht immer zutreffend. Verfolgung sei zwar oft das Ergebnis des Mangels an Weisheit und Liebe unsrerseits, aber nicht immer; man könne auch um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Wie soll man da unterscheiden? Der Meister gibt uns darüber Auskunft. Er sagt: „Selig [gesegnet] sind die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr.” Wir haben uns also nur zu fragen: Bin ich gesegnet? Ist der Gedankenzustand, in dem ich mich befinde, das Himmelreich? Verfolgung um Gerechtigkeit willen weist uns vom Sinn zur Seele, vom menschlichen Haß zur göttlichen Liebe; sie regt uns zur Tätigkeit an und führt uns nicht an einen Ort, wo Dunkelheit, Untätigkeit und Verzweiflung herrscht, sondern unter den „Schirm des Höchsten” und unter den „Schatten des Allmächtigen”; sie erregt nicht den Wunsch zu sterben, sondern hilft uns „die Auferstehung und das Leben”, die Herrschaft des Friedens, der Glückseligkeit und der Harmonie kennen zu lernen.

In unsern Tagen hat uns unsre geliebte Führerin aufs neue diese Herrschaft des Christus, wie Jesus sie demonstrierte, zum Bewußtsein gebracht; sie wies uns auf der Wahrheit unsterbliche Idee, welche durch all die Jahrhunderte zu uns gekommen ist und „die Kranken und Sünder unter ihre Flügel versammelt” hat („Science and Health“, S. 55.) Diese Idee wandelt um und wird fortfahren umzuwandeln, bis alle Menschen die Herrlichkeit der göttlichen Liebe wiederspiegeln. Wenn wir Mrs. Eddys Lebensbeschreibung lesen und sehen, wie jeder Angriff auf ihren Charakter, jede Mißdeutung ihrer Beweggründe und Werke sie nur dazu antrieb, inniger zu lieben und dem Himmel näher zu kommen, so werden wir von dem ernsten Wunsch erfüllt, das Gesetz und die Verfahrungsweise der Liebe immer besser kennen zu lernen, damit wir fähig werden mögen, an dem Erneuerungswerk der wahren Christian Science mitzuwirken.

Copyright, 1910, by Mary Baker Eddy
Verlagsrecht 1910, von Mary Baker Eddy.

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