Solange die Christian Science die Sterblichen nicht eines Besseren belehrt, finden sie nur wenige Punkte der Übereinstimmung in Bezug auf das, was grundlegende Wahrheit oder Irrtum ausmacht. Glücklicherweise jedoch sind einige Ansichten in Bezug auf das menschliche Leben so augenfällig, daß alle mit denselben übereinstimmen. Wohl ein jeder gibt zu, daß wir als Menschengeschlecht nicht so glücklich oder harmonisch sind, wie wir gerne sein möchten. Die Geschichte alles menschlichen Strebens ist nichts als ein Bericht über den Versuch der Sterblichen, ihr eignes Leben zu erhalten und es richtig zu gestalten. Ich brauche die verschiedenen Arten des Vorgehens in dieser Richtung nicht weiter aufzuzählen. Es mag genügen zu sagen, daß sie bis heute erfolglos blieben, und daß auch für die Zukunft keine günstigere Aussicht vorhanden ist. Das Eldorado blieb unentdeckt, das Elysium unbekannt.
Die Christian Science ist kein magisches Allheilmittel, sie weist keinen Weg, auf dem eine träge und gleichgültige Menschheit Frieden und Glück finden kann, ohne sich in entsprechender Weise darum zu bemühen, sondern sie ist ein System des reinen Christentums. Durch ihre Ausübung werden alle, die nach Harmonie, Glück und Zufriedenheit verlangen, diese Segnungen schließlich gewinnen und schon heute einen Vorgeschmack der himmlischen Freuden erlangen. Jesus, der Christus, lehrte diesen Weg und erläuterte ihn durch Beispiele. Diesen Weg, den Christus-Weg, wollen wir hier miteinander betrachten. Laßt uns sehen, ob wir nicht in der kurzen Zeit, die uns zugemessen ist, etwas Bestimmtes über diesen Weg erfahren können, um denselben dann mit Zuversicht und Freudigkeit zu betreten.
Die vorherrschenden Erziehungssysteme haben die Lehren und das Leben Jesu nicht richtig dargelegt Weder den religiösen, noch den wissenschaftlichen Schulen ist es gelungen, die wahre Bedeutung dieser von Gott verordneten und von Gott geleiteten Laufbahn zu erfassen. Seine Wunderwerke sind von der Wissenschaft als unmöglich, von der Theologie als rein persönlich hingestellt worden. Die Christian Science führt zu besseren Anschauungen. Sie zeigt, daß die Werke, die Jesus und seine Jünger vollbrachten, in Wirklichkeit nicht Wunderwerke waren, sondern, im Gegenteil, natürliche Erscheinungen, wie sie sich aus einer genauen Kenntnis Gottes und Seines Gesetzes ergeben — einer Kenntnis, die wir alle gewinnen können und von der Jesus wußte, daß jeder sie erlangen müsse, als er sagte: „Ich bin der Weg”. Was ist das Wesen dieser Kenntnis? Können wir sie heute erlangen? Die Christian Science beantwortet alle solche Fragen bejahend und in umfassender und verständlicher Weise. Sie ist ein Erziehungssystem in des Wortes höchster Bedeutung. Sie erklärt sich selbst in vollkommenster und einfachster Weise. Alle, die den Wunsch haben, können heute anfangen sie zu verstehen; sie können sogleich fortschreitende, christliche und wissenschaftliche Erfahrungen haben, die fortdauern werden, bis das Reich Gottes auf Erden gekommen ist.
Das unendlich weite Weltall
Um genaue Schlüsse zu ziehen und einander klar zu verstehen, müssen wir zuerst einen weiteren Punkt der Übereinstimmung zu finden suchen. Wenn wir in das Weltall hinaus sehen, so wie wir es wahrnehmen, erscheint uns nichts auffallender und tatsächlicher zu sein als seine unendliche Weite. Selbst mit unserm geringen Beobachtungsvermögen erscheint uns das Weltall als etwas Unbegrenztes. Es wird von jedermann als unendlich anerkannt, und dieses Zugeständnis schließt andre Zugeständnisse in sich. In unsern materiellen Anschauungen über das Weltall gibt es nichts, was irgendwie auf dessen Ursache hinweisen könnte. Selbst die Ursache und das Prinzip von Bewegung und Kraft sind nicht in materiellen Erscheinungen zu finden.
Und doch muß das Weltall, wenn es wirklich ist oder auch nur einen Schein von Wirklichkeit hat, eine Ursache oder ein Prinzip haben. Ohne solches Zugeständnis wird selbst das Denken chaotisch, wenn nicht gar unmöglich. Wie muß nun die Ursache eines unendlichen Weltalls sein? Es ist klar, daß sie nichts andres als eine unendliche Ursache sein kann. Dies führt zu der weiteren logischen Schlußfolgerung, daß eine unendliche Ursache die Möglichkeit von mehr als einer Ursache ausschließt und stellt die Tatsache fest, daß solche Ursache sich selbst erhaltend und ewig sein muß. Was verstehen wir nun unter dem Wort Ewigkeit? Es bezeichnet etwas, das ohne Anfang und ohne Ende ist, das also immer forbesteht. Dies muß das Wesen jener ersten, großen Ursache, des einen Schöpfers sein, den die Christen übereinstimmend Gott nennen. Da wir nun zugeben müssen, daß Gott ewig ist, so folgt daraus unvermeidlich, daß Gott frei ist von allen Elementen der Zerstörung.
Menschliches Wissen wird uns niemals befähigen, den Unendlichen oder Ewigen zu umgrenzen oder zu ermessen. Der materielle Sinn kann Gott nicht verstehen. Nur durch das Denken können wir uns zu der geistigen Höhe emporschwingen, wo wir Ihn recht erfassen können. Selbst die schönsten und erhabensten Worte, die wir anwenden mögen, sind unzureichend, um Ihn zu beschreiben. Worte müssen jedoch in der Christian Science angewendet werden, genau wie in andern Erziehungssystemen, und wenn sie richtig in Anwendung kommen, dienen sie dazu, richtige Begriffe von der Gottheit zu erwecken. Alle Erkenntnis besteht aus Ideen. Selbst die christliche Erkenntnis besteht aus Ideen und nicht aus Dingen oder Symbolen oder mentalen Bildern, obwohl diese Tatsache von den christlichen Kirchen nicht allgemein, ja wohl überhaupt nicht verstanden worden ist. Wenn wir dies erkennen, so haben wir ein gewisses Maß wissenschaftlich-christlicher Erkenntnis, die wir an uns selbst erproben können, und wenn wir lernen, ihre Wirkungen in unserm täglichen Leben zu erproben und zu beweisen, so brauchen wir nicht weiter überzeugt zu werden, daß wir die Wahrheit gefunden haben.
Es ist unmöglich, etwas Geringeres denn Intelligenz als die Ursache des Weltalls anzunehmen. Das Wort Geist (Mind) jedoch macht einen tiefen Eindruck und gibt uns einen höheren Begriff. Aus diesem Grunde erklärt die Christian Science, daß Gott Geist (Mind) ist. Die Worte, die für den Begriff Gott stehen, sind durchweg nicht richtig verstanden worden. Die Christian Science befähigt uns, sie zu verstehen. Die Erklärung, daß Gott Geist (Mind) ist, ist der Wahrheit gemäß, und sie ist außerordentlich hilfreich, um alte, irrtümliche Anschauungen und allen Aberglauben zu beseitigen.
Wir haben gesehen, daß Gott frei ist von jedem Element der Zerstörung. Wir können diese Tatsache auch durch die Erklärung ausdrücken, daß Gott gut ist. Um aber den vollen Nutzen aus diesen Bezeichnungen zu ziehen, müssen wir uns von den Begrenzungen frei machen, durch die sie allgemein eingeschränkt werden. Das Wort gut, wie wir es anwenden, ist ein Synonym für Gott, nicht eine bloße Eigenschaft von Ihm. Man kann also diese beiden Erklärungen wechselweise brauchen: Geist (Mind) ist Gott; das Gute ist Gott. Auf diese Weise fangen wir endlich an zu verstehen, was Gott tatsächlich ist.
Das Wirkliche und das Unwirkliche
Es ist klar, daß Gott als unendliche Ursache und als Schöpfer Macht ist. Da es nur einen Gott gibt, so kann es auch nur eine Macht geben. Die Erklärung, daß Gott allmächtig ist, bedeutet deshalb viel mehr, als man allgemein angenommen hat. Sie lautet dahin, daß das Gute die einzige Macht im Weltall ist. In eben dem Maße, wie wir diese Tatsache unerschütterlich festhalten, werden wir beweisen können, daß das Übel keine Macht ist und daß es uns im täglichen Leben nicht beeinflussen kann. Auf diese Weise führen wir das Übel schließlich auf seinen Nullpunkt zurück. Wäre das Übel ebenso wirklich wie Gott, so würde es ewig und unendlich sein, und wir könnten auch nicht den geringsten Teil desselben jemals loswerden. In dem Bestreben, die Christian Science zu verstehen und auszuüben, erscheint die Frage vom Wirklichen und Unwirklichen zuerst schwierig. Sie erfordert eben ein eingehendes Studium. Die Christian Science lehrt uns nicht, solch schreckliche Erfahrungen wie Sünde und Krankheit in leichtsinniger Weise zu verneinen. Der Zweck der Ausübung der Christian Science ist, Sünde und Krankheit zu vermindern und sie schließlich gänzlich auszutreiben, da es klar ist, daß diese Übel keinen göttlichen Ursprung haben. Daß die Schöpfung dem Schöpfer entsprechen muß und Ihm auch wirklich entspricht, ist eine unbestreitbare Tatsache, und in ihrem Lichte sehen wir, warum die Bibel erklärt: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.” Gott kann nur eine vollkommen gute Schöpfung sehen.
Nun entsteht die Frage: Ziemt es sich uns, die Schöpfung so zu sehen, wie Gott sie sieht? Ist es gut, ist es religiös, ist es wissenschaftlich, wenn wir nach einer Höhe des Denkens streben, von welcher aus wir zum wenigsten über Gott und Seine Schöpfung und Seinen Menschen die Wahrheit erklären können? Was ist christlicher: darnach zu streben das Weltall als geistig, oder es als materiell anzusehen? Was ist wissenschaftlicher: zu erklären, daß die Wahrheit, ihrem Wesen nach, ewig, gerecht, gesetzmäßig und vollkommen richtig und gut sein muß, oder zu glauben, daß sie sterblich wie unsterblich, gerecht wie ungerecht, gesetzmäßig wie gesetzlos, richtig wie falsch sei? Die Ausübung der Christian Science umfaßt das Walten der Wahrheit, die göttlich ist, die Gott ist. Sie ruft die Macht der Wahrheit an. Sie erklärt den heilenden und rettenden Christus und ermöglicht es uns, die Universalität dieses Christus zu erkennen. Sie zeigt, daß der Christus nicht eine Person ist, sondern ein göttlicher Einfluß. Sie schreibt alle Ehre und Herrlichkeit Gott und Seinem Worte zu. Sie flößt eine Verehrung gegen Christum Jesum ein, die wahrhaft christlich, die frei ist von den üblichen, abergläubischen Begriffen, welche in Bezug auf ihn vorherrschen. Sie zeigt, weshalb er der Christus ist, indem sie erklärt, daß sein Denken oder sein Bewußtsein eins war mit Gott, eins mit Liebe, eins mit dem Guten; daß die Macht, die er ausübte, göttliche Macht war und daß seine Werke den Beweis liefern, daß solche Macht dem Menschen hier auf Erden unter allen Umständen zugänglich ist.
Fernerhin beweist die Christian Science klar, daß nicht die Persönlichkeit Jesu die Kranken heilte und die Toten auferweckte, sondern die Wahrheit, die seinen Geist oder sein Bewußtsein erfüllte. Seine Erkenntnis der Wahrheit war wirksam und unwiderstehlich. Jesus setzte dies mit Bezug auf sich selbst auseinander, indem er sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.” Diese Wahrheit, dieses Leben und dieser Weg sind noch heute die Wahrheit, das Leben und der Weg für jeden Christen — die heilende Wahrheit, die praktische Erläuterung des ewigen und vollkommenen Lebens, der Weg oder das Prinzip, durch welches die heilende Wahrheit und das ewige Leben sich kundtun. Dies Prinzip ist absolut und der einzuschlagende Weg ist unwandelbare Treue gegen das Prinzip, im Denken wie im Handeln.
Die Religionslehren haben allgemein erklärt, daß der Schöpfer gut und von Sünde und Krankheit frei ist; aber man hat sich gefürchtet, den logischen Schluß zu ziehen, daß wie Gott selbst, so auch Seine Schöpfung gut und von Sünde und Krankheit frei sein muß. Die Christian Science ist radikal. Sie zeigt, daß die Erkenntnis der Wahrheit niemand schaden, sondern einen jeden nur segnen kann, und daß Harmonie, einschließlich der Gesundheit und des Lebens, die natürliche, göttliche Ordnung ist, die für den Menschen und die ganze Schöpfung gilt. Gott hat nie etwas gesagt oder getan, wodurch Sünde oder Krankheit erscheinen oder bekannt werden könnten. Wenn wir nur auf den göttlichen Geist (Mind) hören, wenn wir nur Gedanken pflegen, die Gott, das Gute offenbaren und zum Ausdruck bringen, so wissen und erleben wir nichts von Sünde oder Krankheit, denn diese werden nur vermittelst der materiellen Sinne erkannt und sind nur den materiellen Sinnen bekannt.
Durch die Erhebung des menschlichen Denkens über den bloßen Augenschein der Sinne hinaus wird eine wissenschaftliche Stellung erreicht, die, wenn sie aufrecht erhalten wird, praktische Ergebnisse zur Folge hat. Der Augenschein der Sinne wechselt beständig, den aufsteigenden Stufen der geistigen Entwickelung entsprechend. Viele Dinge, die früher, solchem Augenschein gemäß, als unmöglich angesehen wurden, haben sich heute nicht nur als möglich erwiesen, sondern sind sogar gewöhnliche, alltägliche Vorgänge geworden.
Die Christian Science lehrt indessen nicht, daß man das Übel bloß zu ignorieren braucht, um Sünde und Krankheit zu überwinden. Dennoch aber steht es im Einklang mit einer Richtung, die fortschrittlich und erhebend ist wie keine andre, wenn man fordert, daß die geistigen Tatsachen anerkannt werden, selbst wenn sie dem Sinnenzeugnis widersprechen, ganz besonders wenn solches Zeugnis in Gestalt von Krankheit oder Leiden auftritt.
Es widerlegt keineswegs die göttlichen Tatsachen, welche die Christian Science offenbart, wenn man erkennt, daß das menschliche Leben denselben nicht entspricht, sondern es beweist vielmehr nur die Notwendigkeit, sich diese Tatsachen nutzbar zu machen. Zuweilen macht der Psychologe gegen unsre Erörterungen den Einwurf, daß, wenn wir erklären, Gott kenne Sünde und Krankheit nicht, dies der Behauptung gleichkäme, daß wir etwas wissen, was Gott nicht wissen könne. Die Christian Science erwidert darauf: Es ist klar, daß Wahrheit den Irrtum nicht kennen kann. Das Erscheinen der Wahrheit bewirkt das Verschwinden des Irrtums. Irrtum mag man durch verkehrte Erziehung oder durch Furcht erleben, aber er kann nicht im eigentlichen Sinne erkannt werden. Um ein vielgebrauchtes Bild anzuwenden: wir mögen wähnen, daß zweimal zwei fünf sei, können dies aber niemals erkennen, denn es ist nicht wahr. Wir waren nur in einem Irrtum befangen. Sünde, Krankheit und alles übel wird in dieser Weise durch die Christian Science gekennzeichnet. Sie können nicht erkannt werden, denn sie sind kein Teil des Wissens, der Wahrheit, kein Teil Gottes. Selbst wenn wir sie erleben, sind sie noch immer kein Teil eines wirklichen Wissens, vielmehr werden sie durch das wirkliche Wissen der Christian Science beseitigt. Die ganze Welt gibt diese Behauptung der Christian Science stillschweigend zu, denn das Menschengeschlecht strebt stets vorwärts, wodurch große Veränderungen hervorgebracht werden.
Krankheit
Krankheit kommt in dem sogenannten menschlichen Körper zum Ausdruck. Aber wer dürfte behaupten, daß der menschliche Körper vom Denken getrennt bestehe? Die Menschen haben ein Bewußtsein; es umschließt das, was sie ihren Körper nennen. Kann nun das, was sie ihren Körper nennen, krank sein, während ihr Bewußtsein von Krankheit frei ist? Wenn das Bewußtsein den Körper als einen Teil mit einschließt — und dies ist der Fall —, dann kommt das Bewußtsein als Erstes und nicht als Letztes, und das Überwinden der Krankheit sollte mit dem Denken beginnen und nicht mit der Materie.
Wenn wir der alten Auffassung gemäß denken, daß Krankheit natürlich oder von Gott gesandt sei, daß sie eine ihr innewohnende Macht besitze und gesetzmäßig bestehe und fortdauere, so sind wir ohne Hoffnung. Aber durch das Verständnis, daß solches nicht der Fall ist, daß Krankheit, da sie nicht von Gott herstammt, keinen wirklichen Ursprung und keine eigne Kraft besitzt — durch dieses Verständnis wird es uns möglich Krankheit zu vernichten. Ohne Zweifel wird manch einer sagen oder denken: Ich wünschte, es wäre wahr, daß Krankheit und Sünde kein Bestehen hätten und bloße falsche Vorstellungen wären. Es ist ein Trost, daß wir alle eins sind in dem Verlangen, den göttlichen Gesichtspunkt zu erreichen, daß wir alle das Verlangen haben zu erkennen und dann zu beweisen, daß Leiden und alle Arten des Übels vor Gott unwirklich sind und deshalb auch für uns unwirklich werden sollten. Wenn die ganze Welt dieses Verlangen hätte, so würden die Macht und das Verständnis, welche die Erfüllung bringen, nicht mehr lange ausbleiben. Diese Dinge klar zu erkennen, verringert die Furcht vor Sünde und Krankheit bedeutend. Es ist jedoch nicht zu verwundern, daß die oben aufgestellten Behauptungen, wenn sie ohne Erklärung bleiben, sonderbar und töricht erscheinen und infolgedessen einen falschen Eindruck von der Christian Science hervorrufen.
Wir wollen nicht vergessen, daß keine richtige Schlußfolgerung von einem menschlichen Standpunkt aus zu erreichen ist, und daß die Christian Science einen solchen Standpunkt auch niemals gelten läßt. Richtschnur und Standpunkt der Christian Science sind göttlich, und wir brauchen darum vor ihren Schlüssen nicht zu erschrecken. Sie werden uns nie dazu führen, kalt oder gleichgültig gegen die Leidenden und Sünder zu sein, sondern ganz im Gegenteil. Denn diese Folgerungen beruhen auf dem Verständnis, daß Gott Liebe ist, wie Johannes von Ihm aussagt. Wer diese Überzeugung gewonnen hat und klar erkennt, daß der eine Gott, welcher Liebe ist, Geist (Mind) ist, also allgegenwärtige Liebe, kann nie anders als liebevoll und barmherzig sein. Seit Jahrhunderten hat sich die Menschheit bemüht die Verheerungen, welche Krankheit anrichtet, zu lindern und zu überwinden. In der Tat, man gibt zu, daß Krankheit etwas völlig Abnormes und Unerwünschtes ist. Jeder vernünftige Mensch ist willens, sie von sich zu weisen. Die Christian Science beweist, daß Krankheit nicht wirklich ist, daß sie kein Teil von Gott ist, daß der Schöpfer niemals etwas Verderbliches oder Unharmonisches schaffen kann. Krankheit ist darum kein Teil des göttlichen Wissens oder der Wahrheit, und daraus ergibt sich unvermeidlich der Schluß, daß sie nichts weiter als ein Irrtum ist. Doch ist diese Analyse, obwohl sie ganz logisch ist, an sich noch nicht befriedigend. Sie bedarf des Beweises.
Es entsteht nun die Frage: Wie erklärt denn die Christian Science eigentlich Krankheit? Die Antwort lautet: Da Krankheit nicht in der Wahrheit oder in Gott besteht, so besteht sie nur in der falschen Anschauung, so daß am letzten Ende die Menschheit nicht mit der Krankheit selbst kämpft, sondern mit der falschen Anschauung, die Krankheit genannt wird. Durch jahrhundertelange verkehrte Erziehung unter dem Einfluß von Aberglauben und Furcht erscheint Krankheit wirklicher als die Wahrheit selbst. Aber, wirft jemand ein, wenn wir zugeben, daß die Menschheit leidet, welchen Unterschied macht es dann, ob wir dies als Krankheit oder als falsche Anschauung bezeichnen, da doch die Erfahrung dieselbe bleibt? Die Christian Science antwortet darauf, daß ein himmelweiter Unterschied besteht. Wenn wir Krankheit als falsche Anschauung erkennen, so benimmt das die Furcht vor derselben und es steigt sofort die Möglichkeit auf, sie zu überwinden — wenn die diesbezügliche Lehre der Christian Science richtig verstanden wird.
Krankheit in das Gebiet falscher Anschauung zu verweisen, wohin sie gehört, ist der einzig wissenschaftliche Weg. Mrs. Eddy erläutert dies durch ein treffendes Beispiel in ihrem Buch „Science and Health with Key to the Scriptures“ auf Seite 416. Sie spricht von einem Fall, der in der ärztlichen Erfahrung etwas Alltägliches ist. Sie setzt eine Person voraus, die an heftigen Schmerzen leidet, der man deshalb Morphium einspritzt und die in Folge des allgemeinen Glaubens, der über diese Arznei besteht, bald darauf einschläft. Das Gehirn, die Nerven, alle materiellen Bedingungen, die als der Sitz des Schmerzes oder als damit zusammenhängend betrachtet werden, bleiben unverändert, und jedes materielle Heilverfahren nimmt an, daß der Schmerz wieder einsetzen wird, sobald der Patient aufwacht. Mrs. Eddy stellt nun die treffende Frage: „Wo war der Schmerz während der Patient schlief?” Aus diesem angenommenen Fall erhellt es klar, daß der Schmerz irgendeiner Art von Mentalität bedarf, um empfunden zu werden, und er ist, wie schon gezeigt wurde, nicht in der Materie sondern im Denken, in der Vorstellung. Demnach ist das Heilmittel nicht in einer besonderen Art der Vorstellung zu suchen, sondern in dem Verständnis, das sich den göttlichen Geist (Mind) zu nutze macht. So ist also die wahre, geistige Heilung nicht der Einfluß eines sterblichen Geistes über einen andern, sondern die Gegenwart des göttlichen Geistes, durch die Christian Science anwendbar gemacht.
Ist es nun nicht der Mühe wert, die Lehren der Christian Science zu prüfen, anstatt sie kurzweg zu verwerfen? Ich glaube, daß wir sogar jetzt schon, durch die Betrachtung dieser Ideen einige gute Wirkungen an uns verspüren können. Ich weiß gewiß, daß im Lichte dessen, was wir soeben gelernt haben, Krankheit uns weniger schrecklich und Sünde weniger verlockend erscheint. Ich kann mir nicht denken, daß diese erhabenen Gedanken Sie jemals verlassen werden, oder daß Sie gleichgültig gegen dieselben werden können. Wenn ein Sterblicher die Wahrheit dieser Ideen erfaßt und angenommen hat, so fordert ihn die Christian Science dazu auf, sie sofort anzuwenden. Er wird ermahnt, sein eignes Bewußtsein, sein Denken, das was er seinen Geist (mind) nennt, genau zu prüfen. Sein Christentum hat die Gestalt tätiger Anwendung und fortschreitender Demonstration angenommen. Es befähigt ihn zu erkennen, daß Sünde und Krankheit keinen Raum in Gottes Schöpfung haben. Er hält sie nicht länger für Kundgebungen des göttlichen Geistes, der Wahrheit, sondern er trennt sie von Gott sowie auch nach und nach von sich selbst.
Durch diesen Vorgang rechten Denkens stellt er sich auf die Grundlage der Furchtlosigkeit; er wird ein reinerer Christ und spricht mit dem Gründer des Christentums: „Der Sohn kann nichts von ihm selber tun, sondern was er siehet den Vater tun; denn was derselbige tut, das tut gleich auch der Sohn.” Ein Mensch, der so die Wirklichkeit des Guten erkennt und der anfängt sein neuerworbenes Wissen anzuwenden, steht den Erziehungssystemen einer ganzen Welt gegenüber, mit ihrer Geschichte des Menschengeschlechtes und allem, was damit zusammenhängt. Er wird darum die göttlichen Tatsachen nicht sofort völlig beweisen können, obwohl er sie teilweise versteht. Der Beweis kommt nur Schritt für Schritt, aber in höchst ermutigender Weise, den Gedanken erhebend und vergeistigend. Bald wird er physische Wirkungen beobachten können, besonders im Heilen von Krankheit.
Wenn der göttlichen Macht oder ihrer Anwendung irgend welche Grenzen gezogen werden, so ist die Religion nichts weiter als eine begrenzte Ansicht über die unendliche Basis oder das unendliche Prinzip des Weltalls und dessen unendliche Gesetze, anstatt die genaue Darlegung dieses Prinzips und dieses Gesetzes zu sein. Wenn daher der Christian Scientist auch nur in geringem Grade beweisen kann, daß Christian Science sowohl christlich als auch wissenschaftlich ist, so tut er damit mehr, als seit den Zeiten Jesu und seiner ersten Nachfolger in der Welt getan worden ist.
Der Durchschnittsdenker, der seine Erziehung auf einem mehr oder weniger materiellen Wege erlangt hat, ist geneigt, die Anwendbarkeit der Christian Science zu bezweifeln. Er bleibt bei der Anerkennung ihrer Schönheit, ihrer geistigen Wahrheit stehen, und wenn er nicht eine höhere und lebendigere Anschauung gewinnt, mag an dieser Stelle für ihn eine Stockung eintreten. Bedürfte die Christian Science einer neuen Begriffsbestimmung, so könnte man sagen, daß sie einen Vorgang der Erweckung für die ganze Menschheit bedeutet. Sie erweist sich als eine vollkommene und befriedigende Erklärung aller Daseinserscheinungen, als eine vollständige und vollkommene Methode zur Lösung aller Probleme. Jesu mißlang es niemals, eine Krankheit zu heilen. Zweifellos ist der Weg, auf dem es kein Mißlingen gibt, der scientifische oder wissenschaftliche Weg, und niemand wird bestreiten, daß dieser Weg der Christus-Weg war und auch jetzt noch ist.
Die religiöse Erfahrung zeigt, daß Sünde dasjenige Element des Übels ist, welches sich am schwersten ausrotten läßt. Alle Christen geben zu, daß sie nur von dem Christus, der Wahrheit überwunden werden kann. Wenn dies zugegeben wird, ist es einfach widersinnig anzunehmen, daß das geringere Element, Krankheit, von dem Christus nicht überwunden werden könne, außer mit Hilfe von Arzneien, chirurgischen Operationen und andern materiellen Mitteln. Die Christian Science ist konsequent, indem sie beweist, daß Gedanken, die Gott offenbaren, in Ihm ihren Ursprung haben und daß sie angewendet werden können durch das wissenschaftliche Verfahren der Christian Science, durch die Christus-Macht, die den unharmonischen Augenschein der Sinne umwandelt. Nun mag aber der eine oder der andre fragen: Wenn die Christian Science einen Krankheitsfall heilt, sagen dann nicht die selben Sinne, daß der betreffende Mensch gesund ist? Und wenn man solchen Sinnenbeweis in Bezug auf Krankheit verwirft, wie kann man ihn dann annehmen, wenn er Gesundheit bekundet? Die Christian Science erwidert, daß Harmonie der natürliche Zustand des Menschen, daß sie dem Gesetze Gottes gemäß ist. Wenn Krankheit durch die Anwendung eben dieses Gesetzes überwunden wird, so hat es die Science oder Wissenschaft vollbracht, und das Ergebnis ist wissenschaftlich. Die materiellen Sinne, die in Christus, der Wahrheit ihren Meister finden, fügen sich dem Gesetz der Wahrheit und bekunden Gesundheit. Wäre es anders, so würden sie größer sein als Gott. Die Heilung ist aber nicht bloßer Sinnenbeweis; sie ist der Beweis wissenschaftlicher Wahrheit.
(Schluß folgt.)
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