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Entschiedenheit in der Christian Science

Aus der September 1910-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Unlängst äußerte sich ein Mitglied einer der älteren Kirchengemeinschaften im Beisein des Verfassers dahin, daß die Christian Scientisten die unduldsamsten Religionsbekenner seien, mit denen er je zu tun gehabt habe. Er konnte jedoch keinen weiteren Grund für diese Ansicht angeben, als den, daß diese Leute so „schrecklich entschieden” in ihren religiösen Überzeugungen seien.

Wenn es nun im Leben dieses oder jenes Scientisten eine Zeit gibt, da er mit gewissem Recht unduldsam genannt werden könnte, so ist es am Anfang seines Studiums der Christian Science. Die neuentdeckte Freiheit von Schmerz und Kummer und eine hoffnungsvolle Zukunft veranlaßt manche Christian Scientisten, zu „eifern um Gott, aber mit Unverstand.” Sie sind geneigt ihre Ansichten denen aufzudrängen, die nicht für den Empfang der Wahrheit bereit sind und nicht nach derselben verlangen, Punkte zu erörtern, die sie selbst nur annähernd erfaßt haben, Äußerungen zu tun, die den Außenstehenden sehr töricht vorkommen müssen, und dann Enttäuschung oder gar Ungeduld an den Tag zu legen, wenn diejenigen, die sie bekehren wollen, nicht mit ihnen übereinstimmen. Diese Periode mag für viele wegen des Widerstandes, den sie erregt haben, zur „Sturm- und Drangperiode” werden; jedoch ist dieselbe nur von kurzer Dauer. Je mehr sie das wahre Wesen der Christian Science erfassen, je mehr sie sich über den Buchstaben zum geistigen Verständnis erheben, desto mehr sehen sie ein, wie weitreichend dieser Gegenstand ist und wie wenig sie noch von demselben erfaßt haben. Sie werden duldsamer und zeigen eine größere Bereitwilligkeit, alles Gute in der Welt anzuerkennen, sei es innerhalb der Kirchen oder außerhalb derselben — alles, was zur Linderung von Schmerz und Kummer und zur Veredelung des Charakters beiträgt.

Es hat noch keinen Menschen gegeben, der in seinen religiösen Ansichten bestimmter war als unser Meister. „Denn ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetze, bis daß es alles geschehe.” „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.” Dies waren seine Worte. Und doch war er gänzlich frei von Vorurteil und religiöser Unduldsamkeit. Glaubensbekenntnisse hatten in seinen Augen keinen Wert, wenn ihnen die Beweise, die guten Werke fehlten. Er erklärte, die Zöllner und Huren würden wohl eher ins Himmelreich kommen, denn die heuchlerischen Schriftgelehrten und Pharisäer. In einem seiner Gleichnisse war es ein verachteter Samariter, der dem unter die Mörder gefallenen Menschen beistand, während ein Priester und ein Levit vorübergingen. Als die Schriftgelehrten und Pharisäer ein Weib zu ihm brachten, die sich ein moralisches Vergehen hatte zu Schulden kommen lassen, sagte er zu ihnen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie”; und als sie sich alle hinausgeschlichen hatten, sagte er zu dem Weibe: „Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.” Diese Beispiele zeigen ferner, daß Jesus das Gute, welches die Menschen zum Ausdruck brachten, würdigen konnte, ohne ihre Religionssysteme oder ihre Fehler gutzuheißen.

Wenn religiöse Entschiedenheit durch Unwissenheit, Habsucht, Herrschsucht und Mangel an Verständnis des Wesens Gottes unterstützt und gefördert wird, so entwickelt sie sich zur Unduldsamkeit und zum Fanatismus. In der Geschichte finden wir manch trauriges Beispiel hiervon, wie z. B. die Religionskriege und die Verfolgung derjenigen, die es wagten anders zu glauben, als die vorherrschende Religionspartei vorschrieb. Das Sonderbarste dabei ist, daß diejenigen, welche um ihres Glaubens willen verfolgt wurden, später, nachdem sie zur Macht gelangt waren, wiederum diejenigen verfolgten, die nicht mit ihnen übereinstimmten.

Die Menschen haben sich von jeher nach ihrem Begriff von Gott entwickelt. Der Glaube an einen grausamen und rächenden Gott hat dazu beigetragen, grausame und rachsüchtige Menschen hervorzubringen. Dies bezieht sich besonders auf viele heidnische Völker. Jedoch selbst die Juden glaubten an einen Gott, der vielen menschlichen Schwachheiten unterworfen war, wie Zorn, Grausamkeit und Veränderlichkeit. Ist dies nicht der selbe Begriff von Gott, den die christlichen Kirchen gelehrt und an den sie geglaubt haben? Ist es ein Wunder, daß die Menschen unduldsam, fanatisch und grausam wurden, wenn sie sich einen solchen Begriff von Gott gebildet hatten und demselben gemäß lebten? Ohne Zweifel waren viele Christen ernstlich bestrebt, vollkommen zu sein, gleichwie ihr Vater im Himmel vollkommen ist; jedoch, war ihr Maßstab der Vollkommenheit derjenige, den der Meister hatte? Der Gott, den Jesus lehrte und an den er glaubte, ist ein Gott der Liebe — der Ursprung des Guten, nie aber des Übels. Ferner hatte der Meister ein klares Verständnis von Gott, und dies gab ihm auch ein klares Verständnis vom Menschen, nach dem Bilde Gottes erschaffen. Mrs. Eddy schreibt: „Jesus sah in der Science den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo dem Sterblichen ein sündhafter, sterblicher Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Erlöser Gottes Ebenbild, und diese richtige Anschauung vom Menschen heilte die Kranken” („Science and Health“, S. 476). Wie konnte er gegen diesen vollkommenen Menschen unduldsam sein?

Mrs. Eddy hat uns deutlich erklärt, was die Mission Jesu war. Sie sagt: „Er verrichtete sein Lebenswerk in der rechten Weise, nicht nur, um sich selbst gerecht zu werden, sondern auch aus Mitleid gegen die Sterblichen — um ihnen zu zeigen, wie sie ihr Lebenswerk verrichten sollten.” Sein Lebenswerk bestand darin, alle materiellen Zustände zu überwinden und jede Einflüsterung des Übels abzuweisen — kurzum, sich Gott anzupassen. Er hatte den vollkommenen Gott, den Gott der Liebe und des Erbarmens stets vor Augen und richtete sich in Gedanken, Worten und Werken nach dieser vollkommenen Norm. War es da nicht ganz natürlich, daß er Duldsamkeit und Liebe zum Ausdruck brachte? Wie kann ein Christian Scientist die entgegengesetzten Eigenschaften an den Tag legen, wenn er klar erkennt, daß Gott unveränderliche Liebe ist, und wenn er die Notwendigkeit einsieht, dem Beispiel Jesu gemäß sein Lebensproblem auszuarbeiten?

Es ist zu betonen, daß Entschiedenheit und Unduldsamkeit zwei durchaus verschiedene Begriffe sind. Warum auch sollte ein Christian Scientist gegen diejenigen unduldsam sein, die seine Stufe des Verständnisses noch nicht erreicht haben? Leute, die reich an Kenntnissen dieser Welt sind, hegen keinen Groll gegen diejenigen, die keinen hohen Bildungsgrad erlangt haben, oder die erst anfangen sich Kenntnisse zu erwerben. So weiß z. B. ein Knabe, der fürs Gymnasium reif ist, daß, wenn man in der Mathematik den Divisor mit einer bestimmten Zahl multipliziert, der Quotient dadurch mit der gleichen Zahl dividiert wird, und daß, wenn man den Divisor mit einer bestimmten Zahl dividiert, der Quotient dadurch mit der gleichen Zahl multipliziert wird. Er ist absolut sicher, daß diese Regel richtig ist, denn er hat sie oft bewiesen und kennt das derselben zugrundeliegende Prinzip. Er wird jedoch gegen die Knaben der unteren Klassen der Volksschule nicht unfreundlich sein, weil sie diesen Punkt noch nicht erreicht haben. Er erwartet, daß sie mit der Zeit die selbe Stufe der Erkenntnis erreichen werden, auf der er jetzt steht. Ferner weiß er, daß er selbst noch sehr viel zu lernen hat.

Die Christian Science ist wissenschaftliches Christentum; sie hat ein unveränderliches Prinzip. Die Christian Scientisten haben die Richtigkeit und Unveränderlichkeit dieses Prinzips oft bewiesen, indem sie Sünde, Krankheit und andre unharmonische Zustände überwunden haben. Sie haben gelernt, daß sie sich im Denken, Reden und Handeln immer mehr nach dem göttlichen Prinzip richten müssen, um dadurch ihr Seelenheil auszuarbeiten. Sie wissen, daß blinder Glaube ihnen bei dieser Arbeit nicht helfen wird, sondern sie sehen ein, wie nötig es ist, in der geistigen Erkenntnis zu wachsen und vermöge derselben die Unwissenheit, die fleischliche Gesinnung zu überwinden, die an dem scheinbaren materiellen Zustand des Menschen und an all seinem Elend schuld ist. Es ist ihnen klar, daß sowohl sie wie auch ihre Mitmenschen nur in dieser Weise den Himmel, die Harmonie des Seins erreichen können. Ferner erkennen sie, daß ihre Kenntnis im Vergleich zu dem, was sie noch lernen müssen, sehr gering ist. Warum also sollten sie gegen irgend jemand unduldsam sein? Es wäre das ebenso töricht, als wenn ein Astronom, der eine Sonnenfinsternis ausrechnen kann, diejenigen verachten würde, die nichts von Astronomie verstehen.

Wir sehen also, daß man sehr entschieden sein kann, ohne unduldsam zu sein. Tatsächlich herrscht in der Welt ein großer Mangel an entschiedenen Christen — Christen, deren Überzeugung auf einem Verständnis des göttlichen Prinzips, der göttlichen Liebe fußt. Der Apostel Jakobus schreibt: „Denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und geweht wird. Solcher Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfahen werde. Ein Zweifler ist unbestimmt in allen seinen Wegen.” Beschreiben diese Worte nicht sehr treffend den Zustand der christlichen Kirche in den vergangenen Jahrhunderten? Erklären sie uns nicht, warum so viele verschiedene Denominationen und Glaubensbekenntnisse entstanden sind. Ist es nicht hohe Zeit, daß die Christen diese Unbeständigkeit, diese Zweifel aufgeben und entschiedener werden? Wie ist ihnen aber solches möglich, wenn sie kein Prinzip haben, nach dem sie sich richten können?

Dank der Wirksamkeit Mrs. Eddys haben die Christian Scientisten ein Prinzip, welches sie leitet und sie entschieden macht. Sie selbst ist ein leuchtendes Beispiel der Entschiedenheit. Seit der Zeit, da sie die Offenbarung der Wahrheit erhielt und dieselbe in ihrem Buche „Science and Health with Key to the Scriptures“ niederlegte, hat sie felsenfest gestanden, wie sehr auch die Wellen des Mißverständnisses und des Undanks um sie her tobten. Ihre Schriften enthalten die allerentschiedensten Behauptungen und Darstellungen, die in irgendeinem Werke zu finden sind; und doch gibt es heute keine Person, die mehr Mitgefühl und Liebe zum Ausdruck bringt, als Mrs. Eddy. Es ist das ernste Bestreben eines jeden wahren Christian Scientisten, ihrer erleuchteten Führerschaft zu folgen — immer entschiedener und immer liebevoller zu werden.


[ in der „Norristown (Pa.) Times“]

Die Christian Science hat stets behauptet, daß das Übel im menschlichen Denken und somit im materiellen Weltall als ein falscher Begriff besteht. Sie bietet jedoch das, was sich für Tausende als eine praktische Methode zur Überwindung des Übels erwiesen hat, möge dasselbe als Sünde oder als Krankheit auftreten. Es wird keineswegs behauptet, die Christian Scientisten seien vollkommen. Im Gegenteil: die Lehren der Christian Science zeigen ihren Anhängern das im eignen Bewußtsein vorhandene und zu überwindende Übel oftmals in hellerem Lichte.

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