Unser Kritiker nimmt hauptsächlich daran Anstoß, daß die Christian Science auf der Unwirklichkeit der Materie besteht. Er faßt ihre diesbezügliche Lehre so auf als ob sie behaupte, das ganze Weltall sei eine Illusion. Deshalb führt er die Schriftworte an: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde”, und will damit die Christian Science als der Bibel widersprechend darstellen. Leider hat der Herr diese Lehre falsch verstanden; er irrt sich sowohl in seiner Prämisse wie in seiner Folgerung. Wenn er das Christian Science Textbuch mit Verständnis gelesen hätte, so wäre es ihm klar geworden, daß nur das von den materiellen Sinnen bezeugte Weltall als unwirklich und illusorisch bezeichnet wird. Gewiß hat Gott Himmel und Erde erschaffen; dieselben waren jedoch gottgleich, geistig, „nach seiner Art”, rein, vollkommen, unveränderlich und ewig, wie Gott selbst. Unser Kritiker betrachtet den Ausdruck „Materie” als gleichbedeutend mit „Himmel und Erde”. Eine solche Auffassung läßt jedoch der Zusammenhang nicht zu, denn es heißt in der Bibel, Gott habe den Menschen „ihm zum Bilde” erschaffen. Materie ist nicht das Ebenbild Gottes, denn Gott ist Geist. Die Christian Scientisten glauben auch, daß Gott „Himmel und Erde” erschaffen hat, sind aber andrer Ansicht in Bezug auf das Wesen des Himmels und der Erde. Und gerade diese ihre Auffassung steht in engster Beziehung zu ihrer Fähigkeit, die Kranken zu heilen.
Unser Kritiker erklärt, wenn man behauptet, es gebe keine Materie, so sei das gleichbedeutend mit der Behauptung, es gebe kein Weltall, keine Mathematik, keine Wissenschaft. Mit diesen Worten erklärt er im wesentlichen, es bestehe nichts außerhalb der Materie; nichts könne man außerhalb derselben erkennen, und sie sei die Basis aller Wissenschaft. Daß es über Gott und „das Ebenbild seines Wesens” eine gewisse Kenntnis gibt, die wir uns aneignen müssen, geht aus den folgenden Worten des Meisters klar hervor: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast. Jesum Christ, erkennen.” Unser Meister sagt deutlich, daß durch das Erlangen der wahren Kenntnis im Gegensatz zu der irrigen Annahme in Bezug auf Gott und Seinen Christus das wandelbare Sein beseitigt und das dauernde Sein verwirklicht werden muß. Um bessere Menschen zu werden als wir jetzt sind und um das geistige Menschentum zu erreichen, haben wir bezüglich dieses Menschentums etwas zu lernen. Dieses Etwas ist nicht weniger wahr, weil es geistiges Verständnis ist, im Gegensatz zu materiellen Annahmen, und es führt daher mit Recht den Namen „Science” oder Wissenschaft, denn es ist die beweisbare Kenntnis geistiger Wahrheit. Wir haben kein Recht, die Bezeichnung Wissenschaft auf materielle Dinge zu beschränken. Die Christian Science (Christliche Wissenschaft) ist die Wissenschaft der Christus-Lehre; sie trägt daher mit Recht diesen Namen.
Nicht das wirkliche, von Gott erschaffene Weltall verwirft die Christian Science, sondern die materielle Auffassung von demselben. Sie lehrt, daß alles in der Schöpfung, vom Kleinsten bis zum Größten, der Wirklichkeit angehört, daß es aber nicht so ist, wie es dem nicht-erleuchteten menschlichen Sinn erscheint — nicht so, wie der menschliche Verstand es erfaßt, der alle Dinge materiell auslegt, anstatt sie von dem göttlichen oder geistigen Standpunkte aus zu sehen. Paulus sagt: „Denn so das Klarheit hatte, das da aufhöret, vielmehr wird das Klarheit haben, das da bleibet.”
Die Christian Science lehrt, daß die Sterblichen in ihrem gegenwärtigen unreifen Zustand mehr oder weniger unvollkommene Anschauungen von Gottes Schöpfung und von Seinem Menschen, der wahren Individualität haben; daß sie durch geistigen Fortschritt höhere Begriffe erlangen werden und daß, wenn sie zuletzt zum „Maße des vollkommenen Alters Christi” hingekommen sind, wenn sie die Vollkommenheit erreicht haben, sie alle Dinge so sehen werden wie sie sind und wie Gott sie erschaffen hat — in all ihrer Schönheit, Vollkommenheit und Geistigkeit. Die Christian Scientisten glauben daher, daß das Ende der Welt, von dem in der Heiligen Schrift die Rede ist, nicht das Ende der Schöpfung Gottes bedeutet, sondern das Ende aller Unvollkommenheiten, welche der menschliche Begriff ihr beigemessen hat und welche mit dem Aufdämmern des geistigen Verständnisses werden „zusammengerollt werden wie ein Buch.”
Nun mag wohl eingewandt werden: „Wie, diesen wunderbaren Menschen, die Sperlinge, die Lilien auf dem Felde sollte Gott nicht erschaffen haben?” Wir antworten: Ja, Gott hat sie alle erschaffen, und wenn nur der Schleier des materiellen Sinnes und die Unvollkommenheiten der menschlichen Auffassung beiseite geschoben wären, so daß wir die Dinge so sehen könnten, wie sie wirklich sind, dann würden sie uns im Vergleich mit unsrer jetzigen Anschauung um so viel schöner und wunderbarer erscheinen als die unendliche Weisheit größer ist denn unser gegenwärtiges begrenztes Verständnis von der Wahrheit. Paulus sagt, Gott habe erwählet „das da nichts ist, daß er zunichte machte, was etwas ist, auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme.” Er meint damit, die Dinge, die für den menschlichen Sinn „nichts” sind, müßten die Dinge zunichte machen, die nach dem menschlichen Begriff „etwas” sind, damit erkannt werde, daß die materiellen oder fleischlichen Sinnesgebilde vor Gott keine Geltung haben, weil sie Irrtümer sind.
Unser Herr Kritiker aus dem geistlichen Stand erhebt eine schwere Anklage gegen die Christian Science, weil sie Sünde, Krankheit und Tod für unwirklich hält. Er führt sodann eine ganze Reihe Stellen aus der Bibel an, um zu beweisen, daß diese Dinge als Wirklichkeiten angesehen werden müßten, weil sie so oft in diesem Buche erwähnt seien. Und doch zitiert er keine einzige Bibelstelle, in welcher direkt und bestimmt für die Wirklichkeit von Krankheit und Sünde Stellung genommen wird. Gottes Wort warnt uns vor der Sünde und gibt uns den Auftrag, Kranke zu heilen; aber nicht eine einzige direkte Behauptung findet sich in der Heiligen Schrift, dahin lautend, daß diese Übel wirklich seien. Im Gegenteil: wir haben viele Bibelstellen, die den Standpunkt der Christian Science rechtfertigen. So lesen wir z. B.: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.” Krankheit und Sünde gehören nicht zu den Dingen, die Gott geschaffen hat und die „sehr gut” sind; sie können daher nicht als von Ihm kommend betrachtet werden. Da nun Gott die einzige Ursache und der einzige Schöpfer ist, so ist es unmöglich, sich Sünde und Krankheit als etwas andres zu denken, denn als Erdichtungen. Die Christian Science ist daher konsequent, wenn sie behauptet, diese Übel seien nicht wirklich und nicht substantiell. Sie verneint jedoch keineswegs, daß Sünde und Krankheit im sterblichen Bewußtsein, in den irrigen Gedanken und Erfahrungen der Menschen zu finden sind. Sie ignoriert diese Dinge nicht. Im Gegenteil: sie besteht darauf, daß man gegen dieselben ankämpfen und sie mit der Macht Gottes, mit der Erkenntnis des Wirklichen überwinden muß.