Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Das sechste Gebot

Aus der Juli 1911-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft

Christian Science Monitor


Der eigentliche Sinn der zehn Gebote erschließt sich uns erst durch einen richtigen Begriff von Gott. Ohne diesen Begriff mögen die Menschen danach trachten, diese Gebote zu verstehen und danach zu handeln; jedoch irgend eine Art der Selbstsucht, oder ein scheinbarer Anspruch, den die materielle Existenz stellt, schleicht sich in solchem Falle ein und verdunkelt das Verständnis der Tatsache, daß die Gebote für jedermann und auf alle Zeiten gültig sind. Die tiefere Bedeutung der Gebote ahnen wir nicht, bis das Licht der Erkenntnis Gottes dieselben beleuchtet.

Seiner wörtlichen Auslegung nach wird das sechste Gebot, „Du sollst nicht töten”, heutzutage von der menschlichen Gesellschaft wohl strenger befolgt als alle andern; aber selbst dieses Gebot wird in so beschränktem Sinne gedeutet, daß das menschliche Recht den Mörder mit einer Strafe belegt, die sich ihrem Wesen nach von der ihm zur Last gelegten Tat nicht unterscheidet. Die Christian Science geht weiter als menschliches Recht. Sie erklärt, daß der Glaube an die Sterblichkeit, daß Furcht vor dem Tode, daß Furcht- und Todesvorstellungen in Bezug auf einen Mitmenschen ein Vergehen wider den Geist des sechsten Gebotes ist. Ferner zeigt sie, wie die Menschen durch das Gesetz Gottes, der die Liebe ist, dieses Gebot halten können. Das volle Verständnis Gottes in der göttlichen Wissenschaft wird schließlich die ewige Unverletzlichkeit aller Gebote offenbaren. Sie dürfen aber auch im Reich der menschlichen Daseinsbegriffe nicht übertreten werden, wenn die Menschheit zur Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeit gelangen will, in der nichts Seinem Willen Entgegengesetztes sich je ereignen kann.

Für dieses endgültige Verständnis bereitete Jesus den Weg vor, indem er den Menschen zunächst zu der Erkenntnis von Gott als Liebe und Leben verhalf und ihnen klarmachte, daß das Töten im Gegensatz der Liebe, nämlich im Haß seinen Ursprung hat. Schon der innere Entstehungsgrund, die Zornesempfindung, war in Jesu Augen eine Nichtachtung des göttlichen Gesetzes. Seine Lehre besteht nicht etwa im bloßen Abschneiden der unansehnlichen Zweige oder im Entfernen der schlechten Früchte. Sie beseitigt vielmehr den ganzen Baum, indem sie seine Wurzel zerstört. Ein genaues Verständnis von dem Entstehungsgrund des Übels im menschlichen Bewußtsein ist daher vor allem nötig. Durch die Christian Science Lehre wird es uns klar, daß das Übel mit dem Irrglauben beginnt, die Materie sei Substanz, sei der Träger des Lebens und besitze Intelligenz. Nur das Verständnis von der Allheit Gottes, des Geistes, vernichtet den verborgenen Irrtum, der da spricht, es gebe eine Gott entgegengesetzte Macht oder Existenz, eine sterbliche Entstehung des Menschen, etwas Gutes, das nicht von Gott stammt, ein Leben, das erlöschen kann.

Durch die Christian Science lernen wir Gott als Liebe kennen und sehen dann, daß, wenn wir der Liebe entgegengesetzte Gefühle hegen, wir uns auf die Seite des vermeintlichen Übels stellen. Wir sehen in absoluter und wissenschaftlicher Weise ein, daß wir „wider Gott streiten”, wenn wir andre Gefühle als die der Liebe im Herzen haben. Dies ist sowohl töricht wie sündlich. Gott ist allmächtig, Er ist die Allmacht. Uns mit dem sich Ihm Gegenüberstellenden verbinden, heißt, auf die Seite des Vergeblichen, Nichtigen treten. Wenn wir hingegen schon im Sinnendasein jene große Liebe und Barmherzigkeit hegen, die Jesus zum Ausdruck brachte, und uns ernstlich bestreben wahrhaft liebevoll zu sein, so wird dadurch eine gewisse Übereinstimmung des Menschlichen mit dem Göttlichen herbeigeführt; d. h. der menschliche Sinn wird gottähnlicher. Jesu Gebot lautete, wir sollten Gott über alles lieben. Wenn die Liebe zu Gott, zum Guten, zum Prinzip, zur Wahrheit in uns obenansteht, so werden uns die Augen geöffnet über das Wesen der wahren Liebe — der Liebe, die ein Widerschein der einen göttlichen Liebe ist. Wir werden befähigt zu unterscheiden zwischen sterblichem Mitgefühl mit dem Irrtum und der wunderbaren Langmut Jesu, der sprach: „So verdamme ich dich auch nicht”, und der dann, ohne die Schuld gutzuheißen, hinzufügte: „gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.”

Die Bedeutung des sechsten Gebotes ist klar, wenn wir bedenken, daß Gott das Leben ist. Es ist unmöglich das zu töten, was seinem innersten Wesen nach unsterblich ist. Allerdings hat es den Anschein, als könnten wir uns oder andern das Leben nehmen, und zwar, weil wir uns der Sinnestäuschung hingeben und glauben, es gebe zweierlei Arten des Lebens, ein sterbliches und ein unsterbliches. Das tiefere Verständnis offenbart jedoch die Tatsache, daß man das sechste Gebot übertritt, wenn man denkt, der Sinnentraum oder die materiellen Begriffe vom Sein schlössen das Leben in sich. Der Irrglaube, daß es in unsrer Macht stehe, den Tod eines Menschen herbeizuführen, ist die Folge des tiefer liegenden Irrtums, daß das Leben an die Materie gebunden sei. Die Christenheit nähert sich allmählich der richtigen Anschauung über das Leben, die die Erkenntnis mit sich bringt, daß, wenn auch der scheinbare materielle Körper stirbt, das wahre Selbst von diesem Vorgang unberührt bleibt. Die tiefliegende Überzeugung, daß wir aus Gott nicht heraustreten können, selbst wenn der Tod einzutreten scheint, ist ein Schritt näher der vollen Erkenntnis von der Allgegenwart Gottes, des Lebens, die, der Verheißung Jesu gemäß, den Tod zum Schwinden bringen wird. Durch das Verständnis seiner Worte: „Und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben”, können wir dem Gebote, „Du sollst nicht töten”, am ehesten nachkommen. Ein zur Erkenntnis der allwaltenden Liebe erwachtes Herz kann dieses Gebot unmöglich übertreten.

Mit der wachsenden Überzeugung, daß Gott das Leben ist, werden Kriege aufhören, und die Staatsgesetze werden das vereinte Vorgehen ganzer Körperschaften zur Ausführung dessen, was dem Einzelnen als das schwerste Verbrechen angerechnet wird, nicht mehr als eine Notwendigkeit betrachten, ja selbst im Falle der Selbstverteidigung vom Einzelnen nicht erwarten. Mrs. Eddys Lehren führen uns wahrlich schon hienieden auf den Weg der Liebe. In „Miscellaneous Writings“ (S. 11) schreibt sie: „Früher glaubte ich recht genug zu handeln, wenn ich mich auf die Landesgesetze stützte. Ich meinte, es sei recht, wenn ich jemandem, der eine Kugel nach meinem Herzen zielt, zuvorkäme und ihn tödlich träfe, um das eigne Leben zu retten. ... Die Liebe mißt nicht mit dem Maße der menschlichen Gerechtigkeit, sondern mit dem der göttlichen Barmherzigkeit.” Der denkende Mensch kann sich der Tatsache nicht verschließen, daß das Töten eines andern, um das eigne Leben zu retten, nur beweist, wie sehr der Täter am sterblichen Sinn vom Leben hängt. Nur diejenigen, die erkennen lernen, was das Leben eigentlich ist, können den Gleichmut eines großen Mannes angesichts einer Gewalttätigkeit verstehen. Das sterbliche Sinnesgebilde mit dem damit verbundenen Irrglauben, daß das Leben vernichtet werden könne, ist es, was sich auf Kosten eines andern schadlos halten möchte. In der Erkenntnis, daß Gott das Leben ist, findet Furcht vor dem Tode keinen Raum.

Das Gebot, „Du sollst nicht töten”, befolgen wir erst dann, wenn wir nicht mehr an den Tod glauben und ihn weder durch Furchtvorstellungen noch durch Haßgefühl uns und andern zumessen.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Juli 1911

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.