Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen.— Jesaja.
In dunkler Stadt, wo nie der Sonne Licht
Mit güldnem Kuß die Dämmerung durchbricht,
Wohin kein Lufthauch dringt, kein kühler Wind,
Da lag im Todeskampf ein bleiches Kind.
Des Irrtums wegen könnt’ es nicht gedeih'n.
Nie zauberte die Waldluft ros'gen Schein
Auf seine Wangen, küßte nie sein Haar;
Den kleinen schwachen Füßen war
Es nie vergönnt, durchs blütenreiche Tal
Zu wandern froh im Abendsonnenstrahl.
Sterblicher Sinn sein Todesurteil spricht,
Wie sorglos er ein zitternd Röslein bricht.
Und gramgebeugt, im fahlen Dämmerschein,
Die Mutter kämpft in tiefster Seelenpein:
„Umsonst mein Beten, Wachen, o mein Gott,
Ich kann erforschen nicht Dein hart Gebot!
Den Gatten mein und Glück und Reichtum gab
Ich schon dahin ins stumme, gier'ge Grab.
Hör’ mich, o Christus, der du einst geweilt
Hienieden und der Witwe Sohn geheilt,
Ich kann nicht rufen auf zur Himmelshöh’
In meinem Schmerz: ‚Dein Wille, Herr, gescheh’!‘”
Und von der Straße her, mit leichtem Schritt,
Ein lieblich Wesen in das Zimmer tritt.
Wo hoffnungslos in dunkler, banger Nacht,
An Gott verzweifelnd, eine Mutter wacht.
Und sieh’, als wär’ es der lebend'ge Christ,
Die Finsternis in Licht gebadet ist!
„Wer trat hier ein?” Die Mutter flüstert's bang;
Und an dem Bettlein stand die Fremde lang,
Indes der Mutterliebe Widerschein
Den dunklen Augen milden Glanz verleih'n,
Die zärtlich lächelnd auf den Knaben sehn,
So wie Maria auf ihr Kindlein schön.
„Ich komme zu dir”, spricht sie leise dann,
„Damit dein zagend Herz empfinden kann,
Wie Gott erhört die Seinen unverweilt —
Wie Seine nimmermüde Liebe heilt.
Sieh’, meine Schwester, dieses Kindlein klein,
Es reflektiert die Gottheit, hehr und rein,
Substanz, Geist, Leben — es bleibt ewiglich
Das Gleichnis Gottes! Warum weinst du, sprich?
Ist Gott denn eine böse Macht,
Die ’s Blümlein tötet über Nacht?
Rede ich töricht? Laß es also sein!
Vor Gottes Allmacht flicht des Todes Schein.”
Die Mutter wandte sich zur Fremden hin,
Halb zweifelnd noch, halb wundersam zu Sinn:
„Zwar kann ich's nicht verstehn, doch bitte bet’,
Vielleicht, daß Gott dich schickt!” Die Fremde geht
Zum Fensterlein, zum duft'gen Blütenbord,
Und seltsam schweigend saß sie lange dort,
Indes ihr ernstes, sinnendes Gesicht
Von seelenvoller, tiefer Andacht spricht.
Und sieh’! Das Kind, das nie von Schmerzen frei,
Sitzt auf und lacht. Mit einem Freudenschrei
Umfaßt die Mutter ihn. „Herzliebling mein!”
„Es geht mir besser, liebes Mütterlein,
Komm, küsse mich”, so spricht er lächelnd dann
Und sinkt in Schlaf. Die Mutter sieht ihn an,
Schaut lange auf das teure Bild. Dann irrt
Ihr Blick zum Himmel; sie steht auf verwirrt.
„O Christus,” haucht sie, „offenbart mir heut’,
Hier kniee ich, Du hast mein Kind befreit.
Noch Hab’ ich nichts als meine Tränen heiß—
Für bittre Jahre meiner Reue Preis!”
Die Fremde nickt ihr liebreich zu und spricht:
„Nimm dieses kleine Buch; im rechten Licht
Erforsch’ die Wahrheit, die es dir enthüllt,
Und all das Zwielicht, das dein Denken füllt,
Sich wandelt dann in strahlend’ Morgenrot,
Und deine Dankbarkeit steigt auf zu Gott,
Der stets in Seinem Licht Sein Kind schließt ein,
Vollkommen, ewig eins mit Ihm zu sein;
Der alles geistig schuf, der alles gibt,
Wenn die Erkenntnis im Gebete siegt”.
