Wohl jeder, der mit dem Studium der Christlichen Wissenschaft beginnt, gesteht sich, daß er eigentlich nicht weiß, wie er beten soll; daher ruft er mit den Jüngern des Meisters aus: „Herr, lehre uns beten”. In dem schönen Kapitel über Gebet im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft sagt Mrs. Eddy: „Wir müssen die Lippen schließen und die materiellen Sinne zum Schweigen bringen” (S. 15). Wir sehen also, daß Gebet die Tätigkeit des Gemüts offenbart; auch haben wir gelernt, daß es nur ein Gemüt, einen Gott, einen Geist gibt. Und so gelangen wir zu der Erkenntnis, daß uns Gott nichts gewähren kann, was vom Standpunkt der materieller Sinne aus begehrenswert erscheint, denn „das Fleisch gelüstet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch; dieselbigen sind widereinander”.
Was ist nun unser Heilmittel? Worum können wir Gott bitten? Wie können wir in diesem physischen Reich Hilfe erhoffen? Unsre Führerin sagt: „Das unsterbliche Gemüt, das alles regiert, muß im sogenannten physischen Reich sowohl wie im geistigen als allerhaben anerkannt werden” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 427). Dies hilft uns erkennen, daß, was wir als physisches Reich zu bezeichnen pflegen, nur eine materielle Vorstellung vom Himmelreich ist, eine irrige Darstellung der Kundgebungen des unendlichen Gemüts; daß der Irrtum lediglich in unsrer Sinnenvorstellung zu suchen ist. Unser Gebet, das ein Wiederspiegeln des einen Gemüts sein muß, vermag diesen falschen Sinn zu verscheuchen, und hierin besteht die Wirksamkeit des Gebets.
Gott und Seiner Schöpfung haftet nichts Unvollkommenes an, denn Gott ist das unendlich Gute, das alles gemacht hat, was gemacht ist, und es für „sehr gut” erklärte. Jesus sagte: „Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehedenn ihr ihn bittet”; und der Vater, der die unendliche Versorgungsquelle für all unsre Bedürfnisse ist, kann aus eben diesem Grunde von nichtgestillten Bedürfnissen Seiner Kinder keine Kenntnis haben. Der Vater weiß, was not tut; daher muß auf Grund Seines Wesens, der unendlichen Liebe, alles zum Wohl und zur Zufriedenheit Seiner Kinder Nötige bereits vorgesehen sein und braucht von ihnen nur erkannt zu werden. Unser Gebet besteht demnach darin, daß wir uns über das falsche Bewußtsein materieller Not erheben, zur Erkenntnis von dem geistigen Wesen des Menschen, der zur unversiegbaren Quelle aller Versorgung Zugang hat.
Wenn den materiellen Sinnen zufolge Mangel irgendwelcher Art zu herrschen scheint, ob an Gesundheit, Kraft, Harmonie oder Versorgungsmitteln, so müssen wir diese falschen Sinne zum Schweigen bringen, indem wir uns von ihnen ab- und dem Geist zuwenden und zu erkennen suchen, was wir wohl bei unserm Widerspiegeln des einen Gemüts versäumt haben. Gott wiederspiegeln bedeutet reine, geistige Gedanken denken. Wenn wir diese richtigen Gedanken nicht wiederspiegeln, so strahlen wir „das wahrhaftige Licht”, in welchem „ist keine Finsternis”, nicht völlig wieder, und diese Unterlassung verursacht einen Schatten, der sich als materieller Mangel kundtut. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns, daß Geist die einzige Substanz ist, daher kann ein Schatten nur durch mangelhafte Widerspiegelung von Substanz im Bewußtsein entstehen. Laßt uns also den Rat des Paulus befolgen und einen Blick ins eigne Innere tun, um zu sehen, woran wir es fehlen lassen und warum wir den Geist, die Substanz, nur unvollkommen widerspiegeln oder zum Ausdruck bringen.
Vielleicht üben wir uns nicht in der Geduld, die Gottes Zeit willig abwartet, ohne an der Macht der Wahrheit zu zweifeln. Fehlt es uns an dem Glauben, ohne den wir Gott unmöglich gefallen können, mit dem wir aber, wie unser Meister erklärte, Berge von Schwierigkeiten und Furcht versetzen könnten? Fehlt es uns an Mut, an dem Mut, der uns befähigen würde, jeden Irrtum Lügen zu strafen? Vielleicht bringen wir nicht den Frieden zum Ausdruck, der nur mit dem Bewußtsein der Gegenwart Gottes kommt, oder wir vergessen, daß der Mensch die unendliche Weisheit wiederspiegelt, die vollkommene Führung bedeutet. Bringen wir die Dankbarkeit zum Ausdruck, die weit über eine äußerliche Dankesbezeugung hinausgeht und zu allen Zeiten weitere Segnungen möglich macht? Gedenken wir der Wahrheit, die in den Worten liegt: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke”, und verbreiten wir Freude um uns her, wo wir uns auch befinden mögen? Sind wir stets bestrebt, die Liebe widerzuspiegeln, die „das Böse nicht zurechnet” und suchet nicht das Ihre”— Liebe zur Demut, die Macht bedeutet, Liebe zur Sanftmut, die willens ist, das eigne Ich in den Hintergrund zu stellen und alles dem Vater zu überlassen?
Der Vater weiß, daß wir dieser Dinge, dieser Früchte des Geistes bedürfen. Ehe wir hoffen können, sie zu erlangen, müssen wir willens sein, die materiellen Sinne zum Schweigen zu bringen, indem wir uns von den Lüsten des Fleisches abwenden. Auf diese Weise gehorchen wir der Ermahung des Meisters, am ersten nach dem Reich Gottes zu trachten. Solange wir in dieser Hinsicht unser Teil nicht getan haben, können wir nicht erwarten, daß die Verheißung: „So wird euch solches alles zufallen”, an uns erfüllt werde. Durch die vollere Widerspiegelung der Wahrheit werden wir erfahren, daß Gott in der Tat die Quelle aller Versorgung ist — werden uns selber den Beweis dafür liefern können, daß „alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt ... von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.”
