Die Frage des Psalmisten: „Was betrübst du dich, meine Seele?”, ist von hoher Bedeutung für die Schüler der Christlichen Wissenschaft, besonders, wenn sie über die darauf bezüglichen Worte unsrer Führerin nachdenken. Mrs. Eddy zitiert aus dem dreiundvierzigsten Psalm, wo obige Stelle vorkommt — zuerst die wehmütige Frage, und dann die Antwort des geistigen Sinnes: „Harre auf Gott! denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Trost ist.” Diesem fügt sie die folgenden Worte aus dem hundertunddritten Psalm hinzu: „Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen”, worauf sie die Frage stellt: „Da dies der Fall ist, wozu haben wir Medikamente, Hygiene und medizinische Therapeutik nötig, wenn diese nicht die Erhalter des Menschen sind?” („Christian Science Versus Pantheism“, S. 4.)
Die beiden angeführten Psalmen haben einen unschätzbaren Wert. Sie können uns beim Beten als Muster dienen. Während in ihnen einerseits der betrübte menschliche Sinn seine Klage ertönen läßt, verkündet andrerseits der geistige Sinn die Unveränderlichkeit und Macht des göttlichen Gesetzes. Dies gibt uns ein Bild der menschlichen Erfahrung, ihrer mannigfachen Sorgen und Leiden, bei nur schwacher Erkenntnis des geistigen Seins; zugleich aber sehen wir (und es wird in unsrer heutigen Erfahrung bestätigt), daß selbst ein schwacher Schimmer des geistigen Verständnisses von hohem Wert ist, denn dieses Licht, das immer zu seinem göttlichen Ursprung führt, wird heller und heller, bis das Vertrauen auf Gottes Fähigkeit und Bereitwilligkeit, die Kranken wiederherzustellen, schließlich verwirklicht wird, und wir angesichts der Majestät der Wahrheit ausrufen können: „Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit.”
Nun weist aber gerade die Frage: „Was betrübst du dich”, auf die unabänderliche Tatsache hin, daß kein Kind Gottes je einen triftigen Grund zur Betrübnis hat. Allerdings haben die Sterblichen in all den Jahrhunderten gesündigt und gelitten, aber nur, weil sie an eine vermeintlich neben Gott bestehende Macht glaubten. Mit großer Inkonsequenz schrieben sie die Urheberschaft vieler Leiden Gott zu, wandten sich um Hilfe an die Materie und das sterbliche Gemüt (die in Wirklichkeit eins sind) und flehten zu Gott, er möge der Strafe Einhalt tun. Solange diese falsche Anschauung von Gott herrscht, kann hinsichtlich des Leidens keine wahre Besserung eintreten, und materielle Mittel können die traurigen Erfahrungen des sterblichen Daseins nur verlängern. Nun hat uns aber Christus Jesus gezeigt, wie wir eine volle Erlösung von all dem Elend der sterblichen Annahme erlangen können, ja er hat uns den Beweis gegeben, daß die Wahrheit, die er lehrte, Sünde, Krankheit und Tod vernichtet. Wie verhielt sich nun die Welt dieser befreienden Wahrheit gegenüber? Eine große Anzahl von Leidenden nahm sie an; aber die Vertreter der Theologie und Staatskunst jener Zeit verwarfen sie, weil sie geistige Gesinnung verlangt. Ja, noch mehr: in ihrem Bestreben, die Wahrheit zu vernichten, verurteilten die „Herrn der Welt” Jesus zum Tode und versetzten seine Nachfolger für kurze Zeit in Angst und Schrecken; als aber der Meister vom Tode erstand und der Welt dadurch die erhabenste Demonstration der von ihm gelehrten Wahrheit gab, hatten seine Jünger mehr Mut als je zuvor und bewiesen somit eine höhere Fähigkeit, die Werke zu tun, die er von allen denen fordert, die seine Nachfolger sein wollen.
Seit jener Zeit bis auf unsre Tage ist das sterbliche Gemüt, dessen Anschläge damals vereitelt wurden, unablässig bestrebt gewesen, die Nachfolger der Wahrheit zu einem Vergleich zu bewegen; mit andern Worten, es hat gesucht sie zu überreden, die Wirklichkeit der Materie und der materiellen Gesetze zuzugeben. Wohl erlaubte es ihnen, über Gott zu denken wie sie wollten, aber nur insofern dies nicht mit dem Glauben an die Materialität in Konflikt kam. Dieser Vorschrift hat sich die Menschheit blindlings unterworfen. Diejenigen aber, die durch die Christliche Wissenschaft erweckt werden, lernen die Antwort auf die Frage des Psalmisten. Sie gelangen zu der Erkenntnis, daß „der Gott dieser Welt” die Menschen nicht für die Macht der Wahrheit blind machen kann, wenn sie das göttliche Prinzip der Lehre Jesu erkannt haben; daß er sie in ihrem Streben, die Macht der Wahrheit durch das Überwinden von Sünde und Krankheit zu demonstrieren, nicht einzuschüchtern vermag. Wenn auch den Nachfolgern der Wahrheit „die Wasserwogen und Wellen” der Trübsal zuweilen über das Haupt zu gehen scheinen, wie dem Psalmisten vor alters, so schreiben sie dies doch keineswegs Gott zu, sondern wenden sich an Ihn um Hilfe. Sie suchen die Seele (den geistigen Sinn) zu erlangen, für die Gesundheit, Glück und Frieden stets vorhanden sind — eine Seele, die nicht betrübt ist, sondern die erklärt: „Du bist der Gott meiner Stärke.”
