Mrs. Eddy schrieb auf Seite 148 von „Miscellaneous Writings“ in bezug auf die Regeln und Satzungen im Handbuch Der Mutter-Kirche: „Sie waren keine willkürliche Ansichten oder gebieterische Forderungen, die etwa eine Person einer anderen aufdrängt bzw. an sie stellt. Sie wurden von einer Macht veranlaßt, die man nicht sein eigen nennen kann, wurden zu verschiedenen Zeiten geschrieben, wie es die Umstände erforderten.“ Es ist weise diese Tatsache nie zu vergessen. Wenn sie bloß als Regeln zur Regierung der Kirche angesehen werden, wenn auch noch so menschlich weise, geht ihre Wichtigkeit und Bedeutung verloren. Sie sind, wie alles andere das unsere Führerin der Welt gegeben hat, die Demonstrationen ihres geistigen Verständnisses. Sie sind das Ergebnis ihrer Wahrnehmung der in der sterblichen Erfahrung vorkommenden Verlockungen und Felsen, die die Aufmerksamkeit des Christian Scientisten ablenken und seine Hoffnungen zunichte machen möchten; sie sind bestimmt den geraden Weg zu bezeichnen, der zu dem gewünschten Ziele führt. In dem Maße wie Mrs. Eddys geistiges Erkennen und ihre geistige Vision diejenige ihrer Nachfolger überragte, in dem Maße wird Gehorsam gegen die Forderungen des Kirchenhandbuches den Begriff desjenigen, der noch nicht bewiesen hat was die Früchte dieses Gehorsams sind, übersteigende Früchte bringen. Aus diesem Grunde erscheint bestimmt in der Erfahrung jener Christian Science Kirche, wo ein intelligenter und gewissenhafter Gehorsam gegen das Kirchenhandbuch herrscht, Friede, Harmonie und geistiges Wachstum die Dankbarkeit erwecken und vielleicht eine freudige Überraschung über eine so große Belohnung hervorrufen. Wenn man sich dessen inne wird, erwacht ein Verlangen nach gründlichem Verständnis des Buchstabens, und es wird der Wunsch erweckt Einsicht in die tiefe Weisheit dieser Gesetze und ihrer Beziehung zum Fortschritt zu gewinnen.
In Abschnitt 9 von Artikel VIII heißt es zum Teil: „Kein Mitglied soll beim Unterricht in der Christlichen Wissenschaft oder beim Heilen der Kranken als Hilfsmittel geschriebene Formeln gebrauchen, oder seinen Patienten oder Schülern dies erlauben.“ Dies erscheint unter dem Subtitel: „Formeln verboten,“ was wiederum unter der Überschrift: „Zur Anleitung der Mitglieder“ unter dem Titel „Disziplin“ steht. Die Bedeutung des Wortes „Formel,“ wie sie ein Wörterbuch gibt, lautet: „Eine vorgeschriebene oder bestimmte Form; eine feststehende Regel; eine fixe oder konventionelle Art und Weise in der irgend etwas getan, hergerichtet oder gesagt werden soll; eine bestimmte Form von Wörtern die bei irgendeiner Zeremonie gebräuchlich sind.“ Aus dieser Auslegung ist es offensichtlich, daß eine Formel naturgemäß das genaue Gegenteil erleuchteten Denkens ist. Es ist Tradition gegen Gedankenfreiheit; Aberglaube gegen Intelligenz; Dogma gegen Offenbarung; der Buchstabe gegen den Geist.
Der Heiler bei einer Christian Science Behandlung, und der einzige Heiler, ist Christus, den Paulus als „göttliche Kraft und göttliche Weisheit“ beschreibt. Eine Formel ist eine bestimmte Form von Wörtern, und „die göttliche Kraft und göttliche Weisheit“ sind so verschieden von einer bestimmten Formel als nur irgend etwas sein kann. Das eine ist göttlich, das andere ganz menschlich; das eine ist geistig, das andere materiell, das eine ist die lebendige Inspiration der Liebe, das andere ist der Buchstabe welcher tötet; das eine offenbart Gott, das göttliche Prinzip, als nah und liebevoll, das andere nährt den Glauben an das fleischliche Gemüt, das in Feindschaft ist wider Gott. Die Natur und die Wirkungen von Formeln bleiben sich immer gleich. Ob es die Zauberformeln der Zauberer primitiver Stämme seien, oder das höher entwickelte System suggestiver Therapeutik, welche bisweilen in modernen Spitälern praktiziert wird, oder die Scheinwissenschaft des Malpraktikers, sie sind immer mesmerisch in ihrer Natur. Insofern als sie Sache der Abstufung sind, ist die letztgenannte die schlimmste Phase; denn während die suggestive Therapeutik, die in Spitälern praktiziert wird, schädlich ist, und den Patienten ureigner mentaler Rechte beraubt, ist sie wenigstens offen in ihrem Anspruch nichts anderes als die Wirksamkeit des menschlichen Gedankens zu sein, während die Scheinwissenschaft sich göttlich nennt und Beelzebub ist, der im Namen der Wahrheit praktiziert. Hier wie überall ist die hinterlistigste Form des Irrtums diejenige, die sich in die Gewänder des Guten hüllt. Oft kann der Buchstabe der Formel keine wissenschaftliche Analyse ertragen; doch ist das keine entscheidende Probe, denn bisweilen mögen die Worte richtig sein; es mögen sogar Zitationen aus der Bibel und Wissenschaft und Gesundheit angewandt und zum Mißbrauch verdreht werden. Die Gegenwart einer Formel wird durch den Gedanken und den Beweggrund bewiesen, die ihre Anwendung veranlassen, und der Beweggrund der Bemühung ist: das sterbliche Gemüt zum Vermittler der heilenden Arbeit zu machen.
Der Wert einer jeden Bibelstelle liegt gänzlich in der geistigen Idee welche sie ausdrückt. Wird sie umgekehrt so erscheint die Formel, und anstatt den Gedanken geistig zu dem Verständnis und Erfassen der, in der Stelle enthaltenen, lebendigen Wahrheit zu erwecken, wird der Glaube an irgendeine heilende Wirkung angefacht, deren Erscheinung vorausgesetzt wird wenn die Worte in den Gedanken festgehalten werden. Im vierten Kapitel der Sprüche ist eine Stelle welche heißt: „Mein Sohn, merke auf meine Worte. ... Denn sie sind das Leben denen, die sie finden, und gesund ihrem ganzen Leibe.“ Diese Stelle drückt eine tiefe Wahrheit aus; es ist eine liebevolle Einladung Gott zu suchen — auf Seine Stimme zu horchen und in den Offenbarungen des göttlichen Gemütes Leben und Heiligkeit zu finden. Sie gibt einen Schimmer der wunderbaren Tatsache, daß Gott wirklich das Gemüt der Menschen und des Universums ist, und daß die Idee des Gemütes alle Wirklichkeit ausmacht. Sogar eine geringes Verständnis dieser Tatsache erfreut das Herz und verbannt die mentale Dunkelheit die sich als Krankheit im Fleische äußert. Wenn aber ihre Bedeutung umgekehrt und sie dem Patienten als eine Formel gegeben wird, wie dem Schreiber vor vielen Jahren, wird sie ihres Lichtes beraubt und wirkt, als Formel, tötlich auf das geistige Streben, bis einem die Wahrheit der Christian Science, wie sie in unserem Lehrbuch offenbart wird, zu Hilfe kommt und, den Gedanken liebevoll aus der Dunkelheit hebend, die geistige Bedeutung des Buchstabens offenbart.
Vom Standpunkt der absoluten Wissenschaft aus gibt es keine Abstufung, weder des Guten noch des Bösen. Das Böse ist immer böse; es verkörpert nie ein Iota des Guten. Geradeso ist das Gute immer gut. Es ist ganz geistig und göttlich. Aber menschliche Wesen, die ihr Heil ausarbeiten, trennen sich nach und nach vom Bösen und nehmen das Gute allmählich an. Aus diesem Grunde bezieht sich die Forderung des Kirchenhandbuches in bezug auf Formeln nicht nur auf den vorsätzlichen Gebrauch beim Lehren oder Heilen, sondern sie ist auch für jeden Schüler der Christian Science eine beständige Warnung und Mahnung, wie viele Jahre der Erfahrung er auch gehabt haben mag. Immerwährend muß man gegen das Bestreben des Bösen auf der Hut sein, das die Christian Science in eine menschliche Form gießen möchte; denn das ist gerade der Irrtum der jeder Formel unterliegt. Das menschliche Gemüt kämpft instinktiv für seine eigene Unwissenheit, und kaum ist eine neue Wahrheit gewonnen, so wird die Bemühung gemacht sie in eine tote Formel umzuwandeln und so ihren Zweck zu vereiteln. Der Dichter Lowell hat das sehr stark betont in „The Present Crisis“ (Die gegenwärtige Krise), wo er, auf die Pilger hinweisend, schreibt:
Aber wir machen ihre Wahrheit zur Lüge, und wähnen sie unsre Befreierin,
Sammeln sie in modrige Urkunden, während unsere zarten Geister fliehn
Vom harten Banne jenes mächt'gen Impulses, der sie bewog übers Meer zu ziehn.
Widerstand gegen“ diese Neigung des sterblichen Gedankens verlangt Wachsamkeit, Selbstlosigkeit, Demut und immer erneuerte Hingebung. Dies ist heute vielleicht notwendiger als je. Die Zeit der Verfolgung ist bald vorbei und die Zeit der Volkstümlichkeit nähert sich rasch; aber es ist am Tage der Volkstümlichkeit, daß die Flut des Formalismus hoch geht. Dies kann man aus der Geschichte lehren, und das Geschichtsstudium hat keinen anderen Wert als durch die Erfahrung zu belehren und zu zeigen wie Treue zu einem rechten Ideal, im Leben der Nationen, wie auch im Leben der Einzelmenschen, unvermeidlich Fortschritt bringt, und daß Ungehorsam Mißerfolg bedeutet. Es gibt kein tragischeres Beispiel dieser Tatsache als das zeitweilige Verschwinden des christlichen Heilens in der Kirche, etwa dreihundert Jahre nach Jesu Wirksamkeit. Es ist wahr, Jesus hinterließ keine vollständige und systematische Erklärung der Christian Science, wie sie Mary Baker Eddy der Welt heute durch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ gegeben hat, weil dazumal der Gedanke der Welt nicht dafür bereit war. Er sagte zu seinen Jüngern: „Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“ Das war jedoch nicht der Grund warum christliches Heilen in der Kirche verloren ging; das was er gesagt und bewiesen hatte, wenn es gelebt und gelehrt worden wäre, hätte genügt um die Welt von den „finstern Zeiten,“ von dem Krieg und der Pestilenz der dazwischenliegenden Jahrhunderte zu erretten. Während einiger Zeit war die Kirche ihrem Lichte treu. Sie bot den Preis einer hohen Berufung dar, doch war es nicht ein Preis der den Sinnlichen und Weltlichgesinnten angenehm war. Jesu Lehren anzunehmen und ihnen nachzufolgen bedeutete in den Pfad einzugehen der jäh von der beliebten, breiten Straße abzweigte. Es verlangte ein Aufgeben der Hoffnung auf politische Vorzüge und hieß sich der sozialen Verbannung aussetzen; Mitglied einer verachteten Sekte sein, anstatt von einer populären Schule der Philosophie; mit einfachen Leuten in Kellern und an verborgenen Orten Gott anzubeten, anstatt in prächtigen, mit allen Schätzen der Kunst verschönerten Tempeln. Es war nichts weniger als die eigentliche Vision geistiger Wirklichkeit, die die ersten Christen veranlaßte so viel von dem, was den Sinnen so lieb ist, aufzugeben. Das Christentum war für sie ein lebendiger Glaube, und die Gegenwart dieses lebendigen Glaubens an Gott wurde während diesen Jahren durch die Demonstrationen christlichen Heilens kundgetan. Sie kannten Gott, und angesichts einer bitteren Verfolgung, bewiesen sie ihren Glauben durch ihre Werke. Verfolgung ist nicht wünschenswert, aber während sie dauert erweckt sie Hingebung zu einem Ideal, die in sich ein Schutz gegen einige der hinterlistigsten Phasen des Bösen ist. Aber die Welt verfolgt ihre eigenen nicht, und nach und nach wurde immer mehr die Norm der Welt angenommen, diese Übereinstimmung mit der Welt erreichte im ersten Teil des vierten Jahrhunderts ihren Höhepunkt mit der Bekehrung Konstantins, der sich zum Beschützer der Kirche machte, und nun verminderte sich die Verfolgung. Es war jetzt populär ein Christ zu sein. Ehrliche Überzeugung und moralischer Mut waren nicht mehr Bedingungen. Die Tradition und der Aberglaube, die sich durch ein heidnisches Priestertum angehäuft hatten, vereinigten sich mit dem Kirchentum und nahmen Besitz von der Kirchenorganisation, und diese nahm es auf sich mit endgültiger Autorität für alle Menschen die einfachen Lehren Jesu auszulegen. Der Formalismus herrschte und die geistigen Wahrheiten gingen dem Blick verloren als verblendete Anbeter die Seiten-und Mittelschiffe der mächtigen Kathedralen füllten.
Macht heute die Lehre dieser früheren Jahrhunderte keinen Eindruck auf unsere Herzen? Enthält sie nicht eine Warnung gegen die Suggestion das Wachstum der Christian Science Kirche nach der Zahlenzunahme ihrer Kirchenmitglieder zu bemessen? Ist sie nicht ein Tadel für die Eitelkeit, welche der Versuchung, auf ihre köstlichen Gebäude stolz zu sein, erliegt, und die ihre Kirchen eher aus Stein als mit geläuterten Gedanken und selbstlosen Taten bauen möchte? Laßt uns eingedenk sein was Mrs. Eddy auf Seite 162 von „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany“ gesagt hat: „Wir errichten Kirchengebäude damit die Christen darin Gott anbeten sollen, und nicht, damit sie die Kirchengebäude anbeten sollen.“
Die Christian Science Bewegung hat die Tage der Verfolgung bald hinter sich. Es sind noch nicht viele Jahre her seit Anhängerschaft an diesen neu-alten Glauben fast allgemein eine Trennung von alten, jahrelangen Verbindungen bedeutete, und es hieß sich zu einer ungeehrten Lehre zu bekennen, der alle Mächte des Kirchentums und der Medizin mit erbittertem Widerspruch gegenüber standen. Während das zwar noch ganz und gar nicht völlig verschwunden ist, zeigten die letzten Jahre dennoch große Veränderungen. Christian Science ist nicht mehr der Name einer unbekannten Lehre. In Städten und Dörfern und auf dem Lande kennt man ihren Namen und ihre Kirchen. Viele ihrer Anhänger sind in ihren Sonntagsschulen aufgewachsen und kennen kein anderes Kirchenheim. Solche, die ihre Lehren angenommen, sind in ihren Gemeinden angesehen und gehören den fortschrittlichsten Bewegungen des Tages an. Das alles ist wie es sein sollte und es ist Ursache für Dankbarkeit. Doch gleichzeitig verlangt es zunehmende Wachsamkeit und starke Verteidigungen gegen solche Phasen des Irrtums, die anfänglich, beim ersten Grade des Fortschrittes, nicht so bemerkbar waren, die aber nicht weniger gefährlich sind wenn auch weniger sichtbar. Es ist ein Weckruf zur Achtsamkeit und zum Gehorsam, aber keine Gelegenheit zu Entmutigung. Gehorsam gegen den Buchstaben und den Geist der Forderungen im Kirchenhandbuch, in bezug auf den Gebrauch von Formeln, wird unsere Sache gegen den betäubenden Einfluß der Formalismus schützen und die preislosen Schätze des christlichen Heilens bewahren. Es ist ein mächtiger Befehl zur Hingebung, Demut und Treue gegen das geistige Ideal der Christian Science; aber diese sind in der göttlichen Liebe in unendlicher Fülle vorhanden und sie gehören zur wahren Selbstheit des Menschen. So laßt uns darum beten, daß wir in immer größerem Maße Hingebung, Demut und Treue ausdrücken; denn wenn diese Eigenschaften reichlich vorhanden sind und vorhanden bleiben, dann findet die Ansteckung des Formelwesens keinen Einlaß. Unser Vorrecht, unsere Gelegenheit und unsere Verantwortung sind durch die Worte unserer Führerin im folgenden Paragraph von Wissenschaft und Gesundheit auf Seite 367 wunderbar erhellt worden: „Ein Christlicher Wissenschafter nimmt in der heutigen Zeit die Stelle ein, über die Jesus mit folgenden Worten zu seinen Jüngern sprach: ‚Ihr seid das Salz der Erde.‘ ‚Ihr seid das Licht der Welt. Es mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.‘ Laßt uns wachen, arbeiten und beten, daß dieses Salz seine Würze nicht verliere, und daß dieses Licht nicht verborgen bleibe, sondern in mittäglicher Herrlichkeit erstrahle und erglänze.“
