In allen Ländern und zu allen Zeiten haben die Menschen ihre Herzen in tiefer Sehnsucht zu Gott erhoben und sich bestrebt, das, was sie und andere beständig daran erinnern sollte, daß Gott in der Tat bei den Menschen wohnt, greifbar auszudrücken. In der Urzeit war es ein von einem frommen Anbeter erbauter Altar, der den Vorübergehenden daran erinnerte, daß sehnsüchtige Hände sich zu Gott ausgestreckt hatten und als Zeichen Seiner bewußtgewordenen Nähe ein rauhes Denkmal hinterließen. So war es, wie wir lesen, bei Noah nach der Sündflut, und auch bei Abraham, während Jakob, zu Beth-El eine Säule aufrichtete, die als Andenken an die Himmelsleiter und die Engel, die ihm erschienen, dienen sollte. Später befahl Jakob seinem Hause alle fremden Götter von sich zu tun. Auch sagte er: „Laßt uns auf sein und gen Beth-El ziehen, daß ich daselbst einen Altar mache dem Gott, der mich erhört hat zur Zeit meiner Trübsal.“ Wird nicht mit diesen Worten in entsprechender Weise auf den wahren Grund hingewiesen, dem jede Kirche der Christlichen Wissenschaft ihr Bestehen verdankt? So einfach auch die irdische Form des Altars sein mag, sein wahrer Platz ist doch im Herzen derer, die, wie Jakob in Peniel, Gott „von Angesicht“ gesehen und deren Leben dadurch erhalten blieb.
Es gibt viele, denen die Wirklichkeiten des Seins zuerst am Familienaltar aufgingen, wo die langen Jahrhunderte sich mit jenem tiefsten aller Gefühle überbrückten, das sich des Menschen zu allen Zeiten und in jeder Umgebung bemächtigt und ihn antreibt, Gott zu suchen, selbst wenn er sich Seiner Nähe nicht bewußt ist und ihm die unendliche Wichtigkeit der Worte des Paulus auf dem Gerichtsplatz in Athen, „denn in ihm leben, weben und sind wir,“ entgangen ist. Hier laßt uns daran denken, daß Gott, wie Paulus sagt, „nicht in Tempeln mit Händen gemacht“ wohnt, denn diese stellen ebensowenig die Kirche dar, wie der sterbliche Körper den wahren Menschen enthält.
Im Jahre 1894, zu Anlaß der Grundsteinlegung der ursprünglichen Mutter-Kirche, schrieb Mrs. Eddy folgendes: „Die Kirche, mehr als irgendeine andere Einrichtung, ist in dieser Zeit der Zement der Gesellschaft, und sie sollte das Bollwerk bürgerlicher und religiöser Freiheit sein. Es wird jedoch die Zeit kommen, wenn das religiöse Element, oder die Kirche Christi, allein in den Herzen der Menschen leben wird, und keiner Organisation mehr bedarf, um sich auszudrücken. Bis dahin ist diese Form der Gottesverehrung zur Kundgebung ihres Geistes ebenso notwendig, wie Individualität erforderlich ist, um Seele und Substanz Ausdruck zu verleihen“ (Miscellaneous Writings, S. 144). Wir gedenken dieser Worte, wenn als Folge des großen Harmagedon-Kampfes der Welt, alle Dinge und alle Menschen aufs härteste geprüft werden, damit „Holz, Heu [und] Stoppeln“ des sterblichen Baumeisters von der heißen Glut der Wahrheit und Liebe verzehrt werden.
In einer Erzählung von Scott ist von der wundersamen Erfahrung eines Knaben die Rede, der von einer Art Fee (offenbar dem Sinnbild des Protestantismus, denn die Zeit der Handlung ist der Beginn der Reformation) in ein tiefes unterirdisches Gewölbe geführt wird, dessen Wände dem Glanz und der Herrlichkeit des heiligen Jerusalem gleichen. Inmitten des Gewölbes steht ein Altar, auf dem ein den ganzen Raum erleuchtendes Feuer brennt, dessen glühende Flammen die Bibel, die darin liegt, nicht zu verzehren vermögen. Dem Knaben wird befohlen die Hand auszustrecken und das heilige Buch aus dem Feuer zu nehmen, was ihm auch bei seinem zweiten Versuche, nachdem ihn die „weiße Frau“ mit folgenden Worten ermutigt, gelingt:
Sterbliches Wirken und sterbliches Weben,
Kann dies verzauberte Dach nicht bergen;
Alles was menschliche Kunst vollbracht,
In unsrer Zell' wird zunicht' gemacht,
Das geschmolz'ne Gold wird wieder Lehm,
Der geschliff'ne Demant muß vergehn.
Alles wird anders, alles zerfließt,
Nur das besteht, was Wahrheit ist.
Ein Blick über die Jahrhunderte seit Beginn des Christentums zeigt, daß jeder menschliche Fortschritt nach der Wahrheit bemessen werden muß, die von der Christlichen Kirche verstanden und durch dieselbe zum Ausdruck gekommen ist. In dem Maße wie die Wahrheit zu irgendeiner Zeit erkannt und gelebt wird, erhebt sich die Menschheit aus den erniedrigenden Trieben des Materialismus zu geistigen Idealen, durch welche die Wahrheit des Seins als die uns von allem Übel erlösende Macht verstanden wird. Die Botschaften an die sieben Kirchen in Asien, wie sie in der Offenbarung Johannes zu finden sind, haben auf die menschliche Erfahrung aller Zeiten Bezug und charakterisieren einzelne Menschen sowohl als Kirchen. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß die Versuchungen die Christus Jesus zu bestehen hatte, sozusagen dieselben waren, die an jeden anderen Menschen herantreten; für uns aber liegt wohl der Hauptwert dieser Erfahrung in der Tatsache von Jesu Fähigkeit, eine jede derselben zu überwinden, und dadurch die unendliche Macht der Wahrheit und der Liebe zu beweisen, die den Menschen vor allem Gottunähnlichen bewahrt. Obschon es wahr ist, daß die Sterblichen, bis sie sich die gottgegebene Macht, sich über alles Niedrige zu erheben, zu eigen machen, stark von ihrer Umgebung beeinflußt werden, so ist es doch für einen jeden, der sich von sinnlichen Versuchungen umringt fühlt, stets möglich, eben diese Gelegenheit wahrzunehmen, um den Sieg der Wahrheit zu verkünden. Dies würde ihn nicht allein zum Sieger stempeln, sondern seine Erfahrung würde sich auch auf alle Gleichgesinnten, die sich im Bereiche seiner Gedanken befinden, erstrecken, und sein leuchtendes Beispiel würde es ihnen erleichtern, die Höhen des Gottesmenschen zu erreichen.
Im ersten Kapitel der Offenbarung, bevor Johannes die Botschaften an die Kirchen erhält, sehen wir, wie der sterbliche Begriff von Leben und Intelligenz seine falschen Ansprüche vor dem göttlichen Ideal des Menschen, das in diesem Kapitel sinnbildlich dargestellt ist, aufgibt. Von dem Gottesmenschen heißt es da: „Fürchte dich nicht! ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige; ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes.“ Wenn wir dann die Botschaften an diese Kirchen lesen, und dabei im Auge behalten, daß es der mächtige Einfluß des wahren Christusgeistes ist, welcher das der sterblichen Annahme entspringende Übel aufdecken und zerstören und den Beweis des allgegenwärtigen Lebens, das Gott ist, erbringen muß, so sehen wir auch, wie wundervoll sich dieselben auf die heutigen Weltfragen anwenden lassen.
In ihrer Botschaft an Die Mutter-Kirche vom Jahre 1900 sagt Mrs. Eddy: „Die Geschichte zeigt, daß der Irrtum sich wiederholt bis er ausgerottet ist“ (S. 10) und fügt bei (S. 11): „In der Offenbarung weist Johannes auf das hin, was ,der Geist den Gemeinden sagt.' Seine Sinnbilder sind die vornehmste Kritik aller menschlichen Handlungen, Typen und Systeme. Seine symbolische Ethik tritt der Gesetzlosigkeit mutig entgegen. Seine Vorbilder der Reinheit legen das Laster bar, mehr als es die Feder zu tun vermag.“ Sie geht dann auf die wundervollen Botschaften an die sieben Kirchen in Asien ein, und wer könnte sagen, wie groß der Einfluß dieser Botschaft unserer Führerin auf Die Mutter-Kirche und ihre sich entwickelnden Zweige war, verbindet diese doch unsere Zeit mit dem ersten Jahrhundert des Christentums.
Die heutigen Zustände der Welt sind ein deutlicher Beweis, in welchem Maße die „Gesetzlosigkeit,“ auf welche Mrs. Eddy hier hinweist, um sich greift, und wir sollten nicht außer acht lassen, daß wer sich der moralischen Verpflichtungen entzieht, gewöhnlich die Religion zum Angriffspunkt macht. Wie unvollkommen die moralischen Begriffe der Vergangenheit und der Gegenwart auch sein mögen, und wie mangelhaft deren Befolgung, so bieten sie doch für die Welt ein gewisses Maß des Schutzes und ermöglichen den Fortschritt. Ohne die Forderungen der Moral und deren Befolgung, wäre kein Familienleben möglich, noch könnten sich einzelne Menschen oder Völker der Sicherheit erfreuen.
Unsere verehrte Führerin erkannte zweifelsohne die Tragweite dieser Forderung, als sie das Studium der Zehn Gebote als eine der ersten Lektionen für die Kinder in den christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschulen bestimmte, und es ist nun Sache der Sonntagsschullehrer, es dem sich entfaltenden Kindergedanken einzuprägen, daß das Verständnis des göttlichen Gesetzes, das in den Zehn Geboten seinen Ausdruck findet, ein unbedingter Schutz gegen das Böse ist. Aus diesem Grunde, wenn aus keinem anderen, sprach Mrs. Eddy stets mit Respekt wenn nicht mit Verehrung, von den religiösen Überzeugungen Andersgläubiger, offenbar weil sie die Religion und die Kirche als unumgänglich notwendige Elemente erkannte, bis diese höchsten aller menschlichen Einrichtungen ihren Zweck erfüllt haben, und die Zeit da ist, wenn keiner den anderen zu ermahnen braucht, Gott zu erkennen, weil sie Ihn alle kennen werden, vom „Kleinsten an bis zu dem Größten,“ wie die Heilige Schrift uns versichert.
In diesen schweren Zeiten, wenn alle menschlichen Einrichtungen angegriffen werden, sollten wir wohl das Gleichnis Jesu am Ende der Bergpredigt, von dem Haus, das auf den Felsen und dem Haus, das auf den Sand gebaut war, beherzigen. Während die Bedeutung dieses Gleichnisses uns allen bekannt ist, dürfen wir doch nicht außer acht lassen, daß obwohl in beiden Fällen die mentalen Bauer mit den Lehren Jesu mehr oder weniger vertraut waren, der Hauptunterschied der ist, daß der törichte Mann die Worte des Meisters nicht befolgte, so daß sein mentales Gebäude den Winden und Platzregen der sterblichen Annahme nicht standhalten konnte und, wie der Meister es ausdrückt, „einen großen Fall“ tat.
Gegenwärtig, wenn alle Religionsbekenntnisse der Feuerprobe unterworfen werden, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Kirche Christi, der Scientisten, ebenfalls eine große Prüfung zu bestehen hat; und wenn wir uns des Gleichnisses des Meisters von dem klugen und törichten Manne erinnern, so sehen wir, daß sie beide genau dieselbe Prüfung zu bestehen hatten; „ein Platzregen fiel und ein Gewässer kam und wehten die Winde und stießen an das Haus,“ aber nur das Haus, das auf den Felsen, Christus, die Wahrheit, gebaut war, blieb stehen.
Im zwölften Kapitel der ersten Epistel an die Korinther erklärt Paulus die Bedeutung der Kirche und ihre verschiedenartigen Aufgaben, indem er sich sinnbildlich auf den menschlichen Körper bezieht. An einer Stelle sagt er: „Und so ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und so ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem Teil.“ Und er ermahnt diese Glieder: „Strebet aber nach den besten Gaben! Und ich will euch noch einen köstlichern Weg zeigen.“ Im nächsten Kapitel erläutert er dann diesen köstlicheren Weg.
Man sagt, daß Henry Drummond die Inspiration zu seinem wundervollen kleinen Buch „Der größte Schatz der Welt“ aus diesem Kapitel schöpfte. Es ist klar, daß nur Liebe, und zwar die Liebe die auf geistiger Basis beruht, den hier gemachten Forderungen gerecht zu werden vermag. Paulus sagt: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.“ Und er fügt bei, daß selbst wenn sein Glaube stark genug wäre um Berge zu versetzen, dieser Glaube ohne die Liebe, ihm nichts zu nützen vermöge. Nichts wird uns so sehr fördern und stärken als das häufige Lesen dieses Kapitels. Vor allem müssen wir dessen höchster Verheißung im achten Vers eingedenk sein, die da heißt: „Die Liebe höret nimmer auf.“ Paulus fährt alsdann fort: „Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.“ Das Kind sehnt sich nach Liebe, ja es verlangt sie, denn ohne Liebe ist sein Leben freudlos. Aber ein kleines Menschenkind hat einen sehr unvollkommenen Begriff von dem, was die Liebe wirklich ist, von der Liebe, die sich nicht mit einer unvollkommenen Wiederspiegelung begnügt, sondern Liebe „von Angesicht zu Angesicht“ sehen will. Der Anfänger in der Christlichen Wissenschaft nimmt es mit der Liebe gewöhnlich sehr ernst und verlangt, wie das Kind, daß dieselbe bei anderen besser zum Ausdruck komme, aber er versteht nicht wirklich was Liebe ist, bis er Gott als Liebe kennt, und für sein eigenes Leben die Liebe als die führende und leitende Macht rückhaltlos anerkennt.
Während der Erfahrungen der letzten drei Jahre, vielleicht gerade infolge derselben, ist die Bedeutung der göttlichen Wissenschaft, wie unsere geliebte Führerin sie entdeckte und demonstrierte, deutlicher denn je am Horizont unseres Denkens emporgestiegen, und je mehr wir ihre unbezahlbaren Werke Tag um Tag studieren, lernen wir verstehen, daß deren Inspiration der Wiederschein der göttlichen Liebe ist. Dies erweckt in uns ein tiefes Sehnen nach dem Verständnis, das uns liebevoller machen wird, bis wir die Liebe, die nimmer aufhöret, finden. Es wird aber auch täglich klarer, daß Liebe nur durch die Vergeistigung des Denkens erlangt werden kann, und die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, liegt klar vor uns. „Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist,“ sagte der Apostel Johannes, und dies bedeutet natürlich, daß wir Geist und geistige Dinge mehr und mehr lieben lernen müssen. Von diesem Bestreben erfüllt, werden die Worte Mrs. Eddys am Ende ihres Gedichtes „Liebe“ (Poems, S. 6) zum unaufhörlichen Gebet für uns:
Du, dessen Allgewalt wir Hoffnung anheimgeben,
Befreie uns von Menschenstreit.
In deiner Gottesliebe finden wir das Leben,
Denn Liebe nur ist Leben weit;
Süßestes Leben auch, da Herzen sich erkennen,
Wenn wir uns finden und wenn wir uns trennen.
