Jene Botschaft des Johannes, die man so oft hört und die die Jahrhunderte hindurch erklungen ist, „daß wir uns untereinander lieben sollen,” war der Leitruf bei jedem Schritt, den Mrs. Eddy bei der großen Demonstration unternahm, Die Mutter-Kirche, Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, zu gründen und sie mit ihren in alle Weltteile reichenden Zweigen fest zu verknüpfen. Die Christlichen Wissenschafter sollten sich diese Botschaft des öftern zuflüstern, in guten wie in stürmischen Zeiten, und danach trachten, ein erleuchtetes Verständnis von ihrer Bedeutung zu erlangen.
Mrs. Eddy sagt uns auf Seite 250 von Miscellaneous Writings: „Liebe kann nicht ein bloßer abstrakter Begriff, noch kann Güte ohne Betätigung und Kraft sein.” Eine nähere Betrachtung dieses Satzes in Verbindung mit der „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” im Handbuch Der Mutter-Kirche (Art. VIII, Abschn. 1) enthüllt unserm geistigen Blick die praktische Bedeutung der Offenbarung des Johannes, der da sah „das Zusammentreffen des Menschlichen und Göttlichen, wie es sich im Menschen Jesus zeigte, als die Göttlichkeit, welche die Menschlichkeit im Leben und dessen Demonstration umfaßt, und welche der menschlichen Wahrnehmung und dem menschlichen Verständnis das Leben erschließt, das Gott ist,” wie Mrs. Eddy auf Seite 561 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt. Gerade dieses „Zusammentreffen des Menschlichen und Göttlichen” werden wir in dem Verhältnis erleben, wie wir imstande sind, den Geist dieser wichtigen Regel des Kirchenhandbuchs auszulegen. Sie ist für den Christlichen Wissenschafter das weiße Gewand der Gerechtigkeit. Sie ist die Grundlage für eines Menschen Verständnis der Lehren und Werke Jesu, die uns Mrs. Eddy durch ihre Entdeckung der Christlichen Wissenschaft wissenschaftlich erklärt, sowie für seine Treue gegen diese Lehren. Denen, die wachen und beten und diese Satzung beständig anwenden, wird sich, wenn auch langsam so doch sicher, die Bedeutung der andern Satzungen offenbaren, wodurch sie einen klaren Einblick in die beschützende Macht und die Tragweite der durch unser Kirchenhandbuch aufgestellten Regierung erlangen werden.
Unsre einem dankbaren Herzen entspringende Liebe zu Jesus und zu unsrer Führerin können wir nur dadurch beweisen, daß wir in ihren Fußtapfen wandeln; und diese Satzung mit ihren drei deutlich unterschiedenen Teilen ermöglicht es uns, mit unsrer eignen Demonstration richtig zu beginnen. Gleich zu Anfang hebt sie unser Denken über die unharmonische Atmosphäre persönlicher Zuneigungen und Abneigungen empor zu dem Verständnis von der allumfassenden, unveränderlichen Liebe Gottes, die in dem harmonischen Wirken des geistigen Gesetzes zum Ausdruck kommt. Wenn der Christliche Wissenschafter in diesem geistigen Gesetz verbleibt und von den geistigen Ideen bewegt wird, mit denen unser himmlischer Vater alle Seine Kinder speist, kann er wahrhaft mit Jesus sagen: „Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.” Hierin kommt die Tätigkeit der Heilkraft des geistigen Gesetzes zum Ausdruck. Hier ist die Einladung an die Mühseligen und Beladenen: das bereitwillige Erkennen, Zurechtweisen und Verwerfen kranker und sündiger Gedanken; die wahre Brüderlichkeit, die unsern Nächsten während dieses Vorgangs ermutigt und stützt; die Christus-ähnliche Barmherzigkeit, die die Notdurft eines Bruders zu erkennen und zu stillen vermag; die Versöhnlichkeit, die Unwirklichkeiten austilgt und den hellen Glanz der geistigen Idee wahrnimmt. Von einem Herzen, das so mit dem Guten erfüllt ist, werden die aufrichtig Suchenden niemals abgewiesen werden.
Durch beständige Wachsamkeit und beständiges Beten macht der Christliche Wissenschafter in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz immer größere Fortschritte in der Vergegenwärtigung von jenem „Zusammentreffen des Menschlichen und Göttlichen” und wird dadurch befreit von den verschiedenen Formen und Ansprüchen des Bösen, die im letzten Teil der „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” aufgezählt sind. Das bringt ihm nicht nur Erfolg in den weiten Bahnen der Arbeitszweige Der Mutter-Kirche, sondern gibt ihm auch Herrschaft über die nationalen und internationalen unharmonischen Zustände, die heute in der Welt so allgemein verbreitet zu sein scheinen. Der letzte Satz dieser Regel lautet: „Die Mitglieder dieser Kirche sollen täglich wachen und beten, um von allem Übel erlöst zu werden, vom Prophezeien, Richten, Verurteilen, Ratgeben, irrigen Beeinflussen oder Beeinflußtwerden.” Das bedeutet weit mehr als ein bloßes Aufzählen falscher oder richtiger Handlungen. Es gilt für alle Gebiete des menschlichen Lebens, für den einzelnen sowohl wie für die Gesamtheit. Wenn wir in den Arbeitszweigen unsrer Bewegung mitwirken, wenn wir lernen wollen, der Weltlage gegenüber eine richtige Stellung einzunehmen und die menschlichen Bedürfnisse der Jetztzeit zu erkennen, dann wird es immer notwendiger, daß wir uns vor den eben aufgezählten Fallgruben hüten.
Es ist daher ebenso anziehend wie lohnend, diese Fallgruben der Reihe nach einzeln zu betrachten. Dabei ist auf den ersten Blick erkennbar, daß eine Sünde, die den unbesonnenen Schüler betören und ihn schnurstracks zu diesen Gruben führen möchte, die Selbstgerechtigkeit ist — der Scharlachmantel der weltlichen Anbetung, der mit dem Blut der Propheten und Heiligen befleckt ist, das Pharisäertum, das den Gesalbten des Herrn kreuzigte und seitdem die geistige Idee bis auf den heutigen Tag ununterbrochen verfolgt hat. Wenn wir in Demut einsehen lernen, daß Gerechtigkeit (rechtes Erkennen) ausschließlich in und von Gott ist und nie von Ihm getrennt sein kann, daß es außer der von Ihm geschaffenen Individualität keine andre gibt, dann werden wir diese Fallgruben frohlockend in gesegnete Gelegenheiten verwandeln, die es uns ermöglichen, den Berg der Offenbarung zu erklimmen und die Früchte wahrer Gerechtigkeit hervorzubringen.
Mrs. Eddys Ausführungen lassen die Tatsache hervortreten, daß die großen Propheten der Bibel sich nicht einfach hinsetzten und die Mängel ihrer Zeit, die des einzelnen Menschen wie die des Volkes als Ganzes, aufzählten und als Mittel dagegen einschneidende Umwälzungen befürworteten. Sie waren durch das Studium und die Anwendung der Zehn Gebote tiefer in die geistigen Tatsachen des Seins eingedrungen als ihre Mitmenschen, und von dieser geistigen Höhe aus waren sie imstande, auf die Folgen der Sünde hinzuweisen und den Weg zu zeigen — nicht den der Umwälzung zugunsten einer Partei, sondern den der Gerechtigkeit für alle. Von diesem Standpunkt aus waren sie sogar imstande, die bestimmte Erlösung der Welt vorauszusagen. In gleicher Weise werden die Christlichen Wissenschafter lernen, die Siege richtig zu prophezeien, die ihre Sache in einzelnen Fällen wie im Ganzen über jeden Versuch des organisierten Bösen, die Stimme der Wahrheit zu ersticken, erringen wird.
Betrachten wir nun den nächsten mentalen Vorgang, den des Richtens oder Urteilens. Es liegt auf der Hand, daß jedes Urteil, das der Selbstgerechtigkeit entspringt, falsch sein muß. Von diesem Standpunkt aus, der den Balken im eignen Auge nicht sieht, versucht dieses falsche Urteil nun, das Gesetz auf den Bruder anzuwenden. Mit der Heuchelei, die sich gegen jedes persönliche Unbehagen sträubt, würde es mit wachsendem Nachdruck um sich greifen, bis die Umgehung der Forderung der Wahrheit, den Scheinwerfer nach innen zu richten, es zuletzt dazu treiben würde, jede wahre Idee zu zerstören. Als Jesus den Krüppel am Teiche Bethesda an einem Sabbattage heilte und die Pharisäer ihm nach dem Leben trachteten, weil er im Widerspruch zu ihren leeren Überlieferungen gehandelt hatte, sagte er: „Ich kann nichts von mir selber tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat.” Jesus war selbst so gesund, so heil und ganz, und war sich dieser geistigen Tatsache als der Wahrheit über den Menschen so klar bewußt, daß er diesen Begriff von Ganzheit oder Gesundheit augenblicklich auch seinem Mitbruder zum Bewußtsein bringen konnte, wodurch er die Falschheit der Annahme bewies, die diesen zum Krüppel zu machen beansprucht hatte. Er, der zwischen dem geistigen Gesetz und den falschen Überlieferungen so klar zu unterscheiden wußte, unterließ es nie, die zu heilen, die für die Heilung bereit waren; gleichzeitig wurde er selber stets aus der Hand derer befreit, die seine Bestimmung zu verhindern suchten.
Wir kommen nun zum Verurteilen. Das falsche Richten oder Urteilen, das einen Menschen an Krankheit und Sünde fesseln möchte, wird ebenso gewiß auch den nächsten Schritt tun und ihn dieses Zustandes wegen verurteilen und dann auf der andern Seite an ihm vorübergehen. Und doch sagte „der Zöllner und der Sünder Geselle”: „Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.” Kraft seines geistigen Verständnisses war Jesus imstande, Sünde und Heuchelei zurückzuweisen, und er tat es stets in dem liebevollen Verlangen, den Betreffenden zu segnen, und nie, um sich selbst zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Er hatte einen wunderbaren Sieg über den menschlichen Haß errungen, als er vom Kreuz herab aus der Tiefe seines reinen Herzens heraus seine Feinde segnete. Der gesinnungstreue Christliche Wissenschafter, der bestrebt ist, in den Fußtapfen des Meisters zu wandeln, wird so sicher in seiner Überzeugung von der schließlichen Erlösung der Welt, daß er auch dahin kommen wird, die Gerechtigkeit zu verstehen, die in dem geistigen Begriff von Liebe liegt und die einen befähigt, der Versuchung zu widerstehen, sich in vernichtendes Verurteilen von Personen zu ergehen.
Nachdem wir nun gesehen haben, daß Selbstgerechtigkeit falsches Prophezeien, falsches Richten und das Verurteilen von Personen zur Folge hat, kann man leicht begreifen, wie ein Mensch, der eben nicht mehr wachsam ist, sich so täuschen kann, daß er seine eignen menschlichen Ansichten für den Rat des Herrn hält. Durch die ganze Heilige Schrift hindurch finden sich zahlreiche Beispiele für den Unterschied zwischen dem Rat von Menschen, der zu einem schlechten Ende führt, und dem weisen Rat, der uns dadurch zuteil wird, daß wir Gott ernstlich suchen und Ihn erkennen. Dieser Unterschied wird auch in dem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” bestätigt, welches lehrt, daß die Sterblichen vom Richten, Verurteilen und Ratgeben des persönlichen Sinnes nur durch die Christliche Wissenschaft erlöst werden, den Tröster, der durch die vollkommene Liebe die Furcht austreibt und so die Menschen dazu frei macht, zu schaffen, daß sie selig werden.
Falschen Rat geben oder annehmen läßt sich natürlich vom „irrigen Beeinflussen oder Beeinflußtwerden” nicht trennen. Es ist also leicht ersichtlich, daß richtiger Einfluß erstens von der Wahrheit abhängt; zweitens, von dem Richten jenes rechten Gerichts, das das zerstoßene Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht, und das so lange geübt werden muß, bis der Irrtum bereit ist, der ewigen Liebe zu Füßen zu fallen, und bis die siegreiche Wahrheit geoffenbart ist; drittens, von dem Geist der Erlösung, der die Ewigdauer des vollkommenen Menschen ans Licht bringt und nichts zum Verurteilen übrig läßt; viertens, von der Weisheit, die stets wachsamen Auges die Samenkörner der Wahrheit von dem göttlichen Prinzip sammelt und sie unter der gleichen göttlichen Führung sät.
Durch solche oder ähnliche Betrachtungen der „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” im weitesten Sinne sowohl wie in ihrer Anwendung auf die unmittelbarsten Aufgaben des einzelnen lernen die Mitglieder Der Mutter-Kirche den wahren Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit kennen. Wollen wir Jesus, der „sanftmütig und von Herzen demütig” war, in diesem Zeitalter beharrlich und rückhaltlos nachfolgen, so dürfen wir die Erleuchtung nie aus den Augen verlieren, die wir durch das geistige Verständnis der Heiligen Schrift, wie es uns in der Christlichen Wissenschaft geoffenbart wird, erlangen — die Erleuchtung, die uns zu geweihten und starken Streitern macht. Diese Erleuchtung wird unsre Sache in jener herrlichen Einigkeit festigen, gegen die sich die Begierde und Heuchelei der menschlichen Macht erheben wird, nur um in stummer Anerkennung vor Ihm niederzufallen, vor dem sich alle Knie beugen sollen.
Waren die Worte des Johannes, „das wir uns untereinander lieben sollen,” nicht eine Aufforderung, unsre Liebe so rein zu erhalten, daß alle Menschen in ihr stets die unwandelbare Wirkung Gottes sehen, der uns zuerst geliebt? Diese Botschaft des Jüngers, „welchen Jesus liebhatte,” erreicht uns heute durch „die holde Anmut der Liebe,” wie sie unsre Führerin in der besprochenen Satzung erklärt; und sie wird bei uns bleiben, damit wir ihre Forderung in alle Zukunft befolgen können, bis eine Herde und ein Hirte in Israel sein wird.