Es ist der tiefste Herzenswunsch eines jeden aufrichtigen Christlichen Wissenschafters, dem Geheiß unsrer Führerin zu folgen, dem sie in Artikel XXX, Abschnitt 7 des Kirchenhandbuchs Ausdruck gibt: „Das Heilen der Kranken und Sünder durch die Wahrheit demonstriert, was wir in bezug auf die Christliche Wissenschaft bekräftigen, und nichts kann diese Demonstration ersetzen. Mein Rat ist, daß jedes Mitglied dieser Kirche danach streben soll, durch seine Praxis zu demonstrieren, daß die Christliche Wissenschaft die Kranken rasch und völlig heilt, und dadurch zu beweisen, daß diese Wissenschaft dem Wert, den wir ihr beimessen, vollständig entspricht.” Das Vordringen der christlich-wissenschaftlichen Bewegung in der heutigen Welt beruht auf dem Heilungswerk. Ohne dieses Heilen der Kranken durch geistige Mittel gäbe es weder Kirchen noch andre Betätigungsfelder der Christlichen Wissenschaft.
Bei eingehender Betrachtung der Art, wie Jesus und Mrs. Eddy heilten, sehen wir, daß ein aufrichtiger Christlicher Wissenschafter in seiner Arbeit beständig Fortschritte macht. Nicht von vornherein erweckte Jesus die Toten. Sein Werk schritt stufenweise vorwärts, und jeder von ihm unternommene Schritt war notwendig zu seinem großen Endsiege — der Auferstehung aus dem Grabe. Anfangs, wenn die Christliche Wissenschaft sich dem Schüler eben zu entfalten beginnt, kann er oft mit scheinbar erstaunlicher Macht zu den falschen Annahmen des sterblichen Gemüts sprechen. Aber er muß den Buchstaben dieser Wissenschaft weiter erforschen und ihren Geist in sich aufnehmen, wenn er im Verständnis wachsen will. Beim Gebet oder beim Lesen der Bibel oder des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy, mag er wohl einen Einblick in die Wahrheit erhaschen, der ihm oder andern augenblicklich hilft. Und nun sehnt er sich danach, dieses Licht, das allmählich trüber zu werden scheint, festzuhalten, und rechnet es sich oft als Schuld an, daß er nicht dazu imstande ist. Durch fleißiges Weiterarbeiten wird es ihm jedoch klar, daß seine erste Erfahrung nur ein Schimmer von der Herrlichkeit war, die erst noch offenbart werden muß, und daß dieses Licht irrtümliche Annahmen in seinem eignen Bewußtsein aufgedeckt hatte, die zunächst überwunden werden mußten, ehe er auf dem Wege, der aus dem materiellen Sinn heraus zur Verwirklichung der Geistigkeit hinaufführt, fortschreiten konnte. Der geistige Einblick war nicht verloren gewesen, sondern hatte ihn nur stärker angespornt, nach einer vollkommeneren Kundwerdung des Lichtes zu streben, das die ewige Wirklichkeit des Seins offenbart.
Dem treuen Christlichen Wissenschafter wird auf seinem Entwicklungsgange die innere Gewißheit zuteil, daß er immer enger verbunden mit Gott wandelt. Er merkt, daß er williger wird, für Gott zu arbeiten, und daß er diese Arbeit beharrlicher sucht. Die Denktätigkeit bei der Arbeit des Christlichen Wissenschafters enthüllt des Menschen Einssein mit Gott. Unser Wachstum sollte natürlich und ordnungsgemäß sein. Wenn wir uns auf das unendliche göttliche Prinzip als Führer verlassen, wird der Eigenwille nach und nach ausgerottet, und wir werden uns an die Arbeit gesetzt sehen, die unserm Können am besten angepaßt ist, und an deren Verrichtung wir nicht gehindert werden können. Jesus sagte: „Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke.”
Ein wahrer Arbeiter forscht täglich fleißig im Handbuch Der Mutter-Kirche und befolgt alle seine Vorschriften. Er gibt keine geheimnisvollen Zettel weiter, die andern beim Heilen behilflich sein sollen, wodurch er gegen die Vorschrift in Artikel VIII, Abschnitt 9 des Kirchenhandbuchs über Formeln verstoßen würde. Er spricht andern gegenüber nie von seinen Patienten, erzählt auch nicht von den Heilungen, die er vollbracht hat, noch mißbraucht er gewissenlos das Vertrauen seiner Patienten. Er empfiehlt keine Bücher über die Christliche Wissenschaft, außer den Werken von Mrs. Eddy. Er spricht nicht geringschätzig von andern Christlichen Wissenschaftern, sondern bemüht sich, seinen Eigendünkel und seine Selbstsucht zu überwinden. Er besucht nicht — auch nicht aus Neugierde — Vorträge von Leuten, die falsche Lehren vertreten oder geringschätzig von unsrer Führerin sprechen, und liest auch ihre Schriften nicht. Er strebt hingebungsvoll danach, seine geistige Nahrung in der Bibel und in Mrs. Eddys Werken zu finden, und wird infolgedessen durch die göttliche Liebe gespeist und erfrischt. Er zeigt seinen Patienten und denen, die bei ihm Aufklärung suchen, daß sie sich an das göttliche Prinzip um Führung wenden müssen. Er weiß, daß ein Vertreter der Christlichen Wissenschaft kein Recht auf seinen Patienten oder dessen Familie beanspruchen darf, daß er in keiner Hinsicht der Berherrscher, Machthaber, Führer oder Zuchtmeister seiner Patienten ist und daß andrerseits auch der Patient kein persönliches Anrecht auf den Vertreter hat.
krankheit und Sünde sind Versuchungen, und wir müssen ihnen entgegentreten und sie überwinden, wie Jesus und unsre Führerin es taten. Ganz zu Anfang von Jesu Amtstätigkeit war es, als die berichteten Versuchungen an ihn herantraten. Sie sind die Gesamtsumme aller Versuchungen, die auf unserm Wege zur Vollkommenheit an uns alle, an jeden einzelnen von uns herantreten. Jesus wurde versucht, unabhängig von seinem himmlischen Vater zu handeln und so gegen das Erste Gebot zu verstoßen. Bei der ersten Versuchung sollte er dahin geführt werden, die Macht des Geistes zu seinem eignen Vorteil zu gebrauchen. Er trat ihr mit dem Wort Gottes entgegen. Besteht heute nicht auch die Versuchung, die Christliche Wissenschaft zu sehr zu unserm eignen Vorteil anzuwenden? Wir hören manche davon erzählen, daß sie gute Geschäfte, Kraftwagen, Kleider, Häuser und schöne Möbel demonstriert haben! Es wird sogar die Redensart gebraucht: „Nichts ist zu gut für einen Christlichen Wissenschafter!” Ist das nicht ein Versuch, die Christliche Wissenschaft zu Zwecken der Genußsucht zu mißbrauchen, anstatt durch sie in der Selbstverleugnung zu wachsen? Und führt eine solche Auffassung nicht zu Geschäftemacherei? Durch diese Art der Anwendung kann die Wahrheit nicht bewiesen werden. Jesus überwand seine erste Versuchung dadurch, daß er die Sinne verneinte und sein ganzes Vertrauen auf Gott setzte.
Bei der zweiten Versuchung sehen wir, daß das Böse die Heilige Schrift anführt, um seinen Zweck zu erreichen, also die Waffe ergreift, mit der Jesus seine erste Versuchung besiegt hatte, um sie nun gegen ihn zu gebrauchen. „Bist du Gottes Sohn” stichelt das Böse, um Stolz und Zweifel wachzurufen, „so laß dich hinab,” denn steht nicht geschrieben: „Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen”? Wäre das nicht ein großartiger Beweis deines unbedingten Gottvertrauens? Hier bedient sich das Böse einer Bibelverheißung, die nur auf jemand Anwendung finden kann, der auf dem Pfad des Gehorsams wandelt. Es wendet sich an den Stolz. Beobachten wir nicht, daß diese Versuchung heute bei gewissen Christlichen Wissenschaftern Einlaß findet, die über ihre wunderbaren Demonstrationen sprechen und damit andeuten wollen, daß sie ganz besondere Menschen sind? Ist sie nicht an dem falschen, ehrgeizigen Streben nach Kirchenämtern zu erkennen? Christus Jesus, der Wegweiser, überwand diese Versuchung mit Gottes Wort.
In der dritten Versuchung wurde die Anbetung der Materie und der persönlichen Macht verlangt. Sie zeigt sich heuzutage in der Sucht zu herrschen, unter Umständen in dem Bestreben eines Vertreters, seine Patienten, oder in dem eines Lehrers, seine Schüler zu beherrschen. Wir erkennen sie in dem Verlangen nach Anerkennung unsrer Arbeit durch die Welt, in dem Verlangen nach dem Beifall der Menschen, nach Volksgunst und Ruhm, nach äußerem Schein anstatt nach innerer Gnade. Dieses Verlangen ist der Ursprung für Disharmonien aller Art, denn es ist ein Ausfluß des menschlichen Willens. Jesus trat auch dieser Versuchung mit dem Wort Gottes entgegen.
Überblicken wir noch einmal die Art, wie Jesus bei der Überwindung dieser Versuchungen vorging, so finden wir, daß er seine geistige Macht ausschließlich zur Förderung des Reiches Gottes auf Erden anwandte. Mit dem Wort Gottes trat er den Versuchungen der Sinne, des Stolzes und der Herrschsucht entgegen und überwand sie. Auf diese Weise zeigte uns Jesus, wie wir alle und jede Versuchung mit dem Wort Gottes überwinden und so die heilende Wahrheit auf alle Lebenslagen anwenden können. Die Bibel und „Wissenschaft und Gesundheit” sind für jeden Christlichen Wissenschafter da, und wer sich bemüht, die Christliche Wissenschaft in seinem täglichen Leben zu betätigen, kann die mannigfachen Ansprüche der Sünde auf diese Weise überwinden. Die Annahme, daß es Sünde gibt, muß durch die Wahrheit zerstört werden, und ebendieselbe Macht heilt Krankheit. Jesus war „versucht ... allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde.”
Um die geistige Bedeutung von Gottes Wort, das sowohl Sünde wie Krankheit überwindet, verstehen zu lernen, müssen wir die Bibel und Mrs. Eddys Werke erforschen. Wir müssen diese Bücher gebrauchen, gerade wie die Gesetzbücher bei einer Gerichtsverhandlung gebraucht werden. Um in menschlichen Rechtssachen zu entscheiden, bedarf es einer Kenntnis des sterblichen Gesetzes; geistiges Richten jedoch erfordert eine Kenntnis des Gottes-Gesetzes. Haben wir es mit einem Krankheitsfall zu tun? Dann sollten wir die christlich-wissenschaftlichen Lehrbücher, d. h. die Bibel und Mrs. Eddys sämtliche Werke, durchforschen, um zu erfahren, was darin über Gesundheit gesagt ist. Sind wir von Leid übermannt? Dann wollen wir mit Hilfe der Konkordanzen nach dem Gegenmittel davon, nach Freude, forschen. Ist unsre Bürde schwer? Dann wollen wir unser ganzes Forschen dem Gegenstand geistiger Kraft widmen. Handelt es sich um Verwirrung und Leiden, um Zittern und Bangen aus Furcht? Diese Bücher offenbaren uns Gottes Heilmittel dagegen, und das ist: mehr Liebe üben. Sind wir gefesselt, eingeengt und am freien Handeln verhindert? Laßt uns die Tore des Bewußtseins weit auftun, uns selbst vergessen und unsern Bruder lieben wie uns selbst, dann wird und geholfen werden. Macht sich der vergiftende Einfluß des Neides, der Habgier, der Eifersucht und der Selbstsucht geltend, sodaß der materielle Körper uns eine größere Last zu sein scheint, als wir zu tragen vermögen? Dann laßt uns daran denken, daß Gott Liebe, daß Gott Alles ist. In ihrer Botschaft an Die Mutter-Kirche vom Jahre 1900 (S. 6) sagt Mrs. Eddy: „Der geistige Sinn der Heiligen Schrift ist der wissenschaftliche Sinn, der den heilenden Christus offenbart.” Darum sollten wir eine Bibelstelle oder ein Wort Mrs. Eddys festhalten, wenn es uns beim Behandeln einfällt, denn es ist das Wort Gottes, das die Versuchung, an das Böse zu glauben, verscheucht und so das erforderliche Heilen ermöglicht. Den Berichten gemäß heilte Jesus die Volksmenge von allen möglichen Krankheiten. Er überwand alle diese Versuchungen in sich selbst durch die Anwendung des geistigen Gesetzes. Er heilte die Kranken und Sünder dadurch, daß er den Glauben an das Böse durch sein geistiges Verständnis verneinte, zurechtwies und zum Schweigen brachte.
Auf Seite 539 von „Wissenschaft und Gesundheit” spricht Mrs. Eddy davon, daß Jesus den Pharisäern Beweisgründe für die Wissenschaft der Schöpfung gab. Auch Paulus tut das, wenn er die Korinther fragt: „Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie stimmt Christus mit Belial?” Mrs. Eddy spricht in ihren Werken von der Anwendung gedanklicher Beweisgründe beim Heilen von Krankheit und Leiden. (Siehe „Wissenschaft und Gesundheit,” SS. 411, 412 u. 418). Auf Seite 359 von Miscellaneous Writings schreibt sie: „Setze bei der Betätigung des christlichen Heilens die gedanklichen Beweisgründe fort, bis du ohne sie augenblicklich und allein durch die Macht des Geistes heilen kannst.”
Es gibt heute wohl kaum einen Christlichen Wissenschafter, der soweit vorgeschritten wäre, daß er alle Krankheiten in allen Fällen augenblicklich zu heilen vermöchte, und bis wir dahin gelangt sind, scheint es oft nötig, gedankliche Beweisgründe anzuwenden. Wir sollten uns in der jetzigen Zeit vor der Stimme des Versuchers hüten, die uns zu dem Glauben verleiten möchte, wir seien soweit vorgeschritten, daß das gar nicht mehr nötig sei. Auf diese Weise könnte das Böse uns unsrer Macht zu heilen berauben und durch gedankliche Einflüsterungen unsern Stolz dazu verleiten, diese Waffe, die nicht fleischlich ist, sondern mächtig im Zerstören der Befestigungen von Krankheit und Sünde, zu früh beiseite zu legen. Ein auf Wahrheit beruhender, gedanklicher Beweisgrund widersteht den Lügen des sterblichen Gemüts und überwindet sie.
Soweit aus den Berichten zu ersehen ist, heilte Jesus die Kranken, die er behandelte, fast ohne Ausnahme augenblicklich. Sein hörbares Verneinen der Annahmen der Kranken war ohne Zweifel für die Dabeistehenden hilfreich. Wir wissen auch, daß Mrs. Eddy augenblicklich heilte. Beide wandten sich im Geiste Gott zu und erkannten in dieser geistigen Anbetung die Vollkommenheit Gottes und des Menschen. Die Anwendung der Heiligen Schrift und der christlich-wissenschaftlichen gedanklichen Beweisgründe, sowie die Vergegenwärtigung, daß Gott, der Mensch und das Weltall vollkommen sind, stellen die in der Christlichen Wissenschaft geoffenbarte Verfahrungsart dar, deren wir uns heute beim Heilen von Sünde und Krankheit bedienen können.
