Das Problem des Bösen bietet sich den Menschenkindern fortwährend dar. Beständig begegnen sie der Annahme vom Bösen in einer oder der andern Form. Einmal haben sie es mit Krankheit zu tun, ein andermal mit einer der vielen Erscheinungsformen der Sünde. Während des ganzen Zeitraumes, den wir das menschliche Dasein nennen, sieht sich das Menschengeschlecht vor das Problem des sogenannten Bösen gestellt; und entweder überwinden die Menschen seine Versuchungen oder sie fallen ihrem unheilvollen Einfluß zum Opfer.
Wiewohl das Böse heutzutage ebenso üppig wie je zu wuchern scheint, so hat doch das Problem seit Mrs. Eddys Entdeckung der Christlichen Wissenschaft eine ganz andre Gestalt angenommen. Mit wunderbar klarem geistigem Einblick erkannte sie, daß Gott vollkommen und unendlich ist, und sie zog folgerichtig den Schluß, daß das Gute unbegrenzt ist, oder mit andern Worten, daß das Gute in Wirklichkeit kein Gegenteil hat. Das kam einer Entdeckung der Tatsache gleich, daß das Böse, das Gegenteil vom Guten, nur ein eingebildetes Dasein hat oder einfach, daß das Böse unwirklich ist. Eine bedeutungsvollere Entdeckung ist noch nicht dagewesen in der Weltgeschichte. Zeitalter um Zeitalter hat die Menschheit im Dunkeln umhergetappt bei dem vergeblichen Versuch, den Ursprung des Bösen zu entdecken und so eine Erklärung für seine scheinbare Tätigkeit zu finden; aber es war alles umsonst. Das Böse Gott zuzuschreiben hieß die Tatsache leugnen, daß Gott vollkommen gut ist; anzunehmen, daß es von einem andern Wesen als Gott geschaffen wird, hieß voraussetzen, daß Gott nicht allmächtig ist,— beides unhaltbare Standpunkte, wenn Gott das unendliche und vollkommene göttliche Prinzip sein soll, das Er in Wirklichkeit ist. Mrs. Eddy gehorchte den logischen Schlüssen, die sie aus den geistigen Tatsachen zog, und mit unübertroffenem Mut erklärte sie einer zweifelnden Welt gegenüber die Wahrheit, daß das Böse unwirklich ist. Und als solches wird das Böse also in der Christlichen Wissenschaft betrachtet. Da das Böse unwirklich ist, hat es tatsächlich weder Gegenwart, noch Macht, noch Wesenheit. Es ist ein Traumschatten, ein vorübergehendes Wahnbild des materiellen Sinnes, eine bloße Vernenung.
Und doch bietet sich die Annahme des Bösen den Menschen immer noch dar, selbst wenn sie einigermaßen von der Christlichen Wissenschaft erleuchtet sind, ja manchmal zeigt es sich scheinbar in recht erschreckender Gestalt. Gibt es z. B. einen Menschen, an den nicht zuzeiten die Versuchungen des Zorns, der Eifersucht, des Neides, des Hasses, der Bosheit oder sonst einer fleischlichen Begierde herantreten? Tatsächlich wird sich das Böse solange scheinbar als Versuchung geltend machen, bis die letzte Spur der Annahme zerstört ist, daß die Materie oder das Böse wirklich besteht. Im gegenwärtigen Abschnitt der Geschichte der Menschheit scheint es oft besonders furchtbar zu sein, daher tritt an uns alle die Frage heran, wie die Annahme am besten und sichersten zu überwinden ist. Der Apostel Jakobus rät seinen Zuhörern, nachdem er sie ermahnt hat, Gott untertänig zu sein: „Widerstehet dem Teufel, so flieht er von euch.” Man beachte das Wort „widerstehet.” Viele haben den Ausdruck so aufgefaßt, als ob die von dem Bösen versuchte Person sich ihm mit Willenskraft widersetzen soll. Aber es ist schon unzählige Male bewiesen worden, wie wirkungslos das ist. Und zwar aus dem Grunde wirkungslos, weil die Willenskraft — selbst ein Sprößling des materiellen Sinnes oder des fleischlichen Gemüts — das, was mit dem fleischlichen Gemüt wesenseins ist — das Böse—, nicht zerstören kann. Der Widerstand gegen das Böse muß also etwas ganz andres sein als ein Aufwand von Willenskraft.
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