Wer die Art und Wiese, wie Christus Jesus, durch Demonstration die Dinge in den Augenschein treten ließ, deren die Menschen gerade bedursten, im Lichte der Christlichen Wissenschaft betrachtet, kommt zu der Überzeugung, daß der Nazarener diese Ergebnisse nicht durch die Betrachtung der materiellen Dinge erzielte, die in einer gegebenen Lage zur Herbeiführung harmonischer materieller Zustände erforderlich schienen, sondern durch sein tiefes Verständnis von der göttlichen Wahrheit und durch seine außergewöhnliche geistige Erleuchtung. Mochte sich nun der Bedarf auf einen Zinsgroschen, auf mehr Wein für das Festmachl, auf Speise für die hungrige Menge erstrecken, oder ein Verlangen nach Wiederherstellung der Gesundheit, also des materiellen Begriffs von Leben vorhanden sein, die Demonstration kam nicht durch die Betrachtung des scheinbaren Mangels zustande, sondern stets und ausnahmslos durch Jesu vollkommenes Verständnis von wahrer Substanz. Haben wir als Christliche Wissenschafter nicht das größte Bedürfnis, eine höhere Einsicht in die große Bedeutung der wohlbekannten Erfahrungen des Meisters zu bekommen?
Allem Anschein nach gibt es Christliche Wissenschafter, die sich beim Kirchenbau nicht immer streng an diesen wissenschaftlichen Standpunkt halten. Die geistige Ermahnung außer acht lassend, daß „wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen,” widerstehen sie nicht immer der Versuchung, einen materiellen Standpunkt einzunehmen und von ihm aus zu handeln; sie wenden weltliche Mittel an, die zu Mißerfolg führen müssen, weil sie das geistige Wachstum aufhalten. Sie vergessen, daß wahrer Kirchenbau, d. h. die Entfaltung des göttlichen Bewußtseins, ein rein geistiger Vorgang ist, und glauben irrtümlicherweise, daß die Errichtung eines materiellen Gebäudes an sich Kirchenbau bedeutet. Die Folge davon ist, daß sie sich hauptsächlich mit dem materiellen Bau befassen, anstatt bestrebt zu sein, sich das Christus-Gemüt anzueignen und ein stets wachsendes Bewußtsein von der wahren Substanz und von der Unendlichkeit der göttlichen Liebe, der göttlichen Wahrheit und des göttlichen Lebens zu erlangen.
In den letzten Jahren hat sich bei Zweig-Kirchen in gewissem Grade das Verfahren eingebürgert, ein größeres Kirchengebäude zu bauen, als die Mitglieder der betreffenden Kirche glauben demonstrieren zu können, und dann das christlich-wissenschaftliche Arbeitsfeld aufzufordern, ihnen Schuldscheine abzukaufen. Ein solches Verfahren beweist Mangel an geistiger Einsicht und kann zu schlimmen Folgen führen. Es ist schwer zu verstehen, wie Christliche Wissenschafter sich selber glauben machen können, daß Mitglieder von Zweig-Kirchen in andern Gegenden, ja vielleicht in einem andern Staat oder einem andern Lande verpflichtet sein sollen, einer besonderen Zweig-Kirche Schuldscheine abzunehmen. Und, will es nicht scheinen, als ob das Borgen großer Geldsummen zur Fertigstellung eines Kirchengebäudes, sei es durch Hypotheken oder auf andre Art, eine umittelbare Verletzung der biblischen Mahnung ist: „Seid niemand nichts schuldig”? In der völligen Gewißheit, daß geistige Entfaltung nicht erst am Ziel unsres Strebens erreicht wird, sondern daß jeder Schritt vorwärts in dem Verständnis vom geistigen Wesen der Substanz zur Befriedigung unsrer Bedürfnisse führt, können wir Christlichen Wissenschafter geduldig darauf warten, daß die göttliche Liebe ihr vollkommenes Werk vollbringt. Es ist mehr als ein Krümchen Wahrheit in dem alten Sprichwort: „Blinder Eifer schadet nur.”
Der Verwaltungsrat für die testamentarische Verfügung Mary Baker Eddys ist bereit, die Zweig-Kirchen beim Bauen von Kirchengebäuden zu unterstützen, wenn gewissen Vorschriften Genüge geleistet wird. Des weiteren scheint es klar, daß sich keine Zweig-Kirche die überaus segensreiche Gelegenheit entgehen lassen sollte, geistig zu wachsen, dadurch daß sie bei der Errichtung ihres Kirchengebäudes ihren eignen Tatbeweis erbringt.
Es liegt auf der Hand, daß die Kirchengemeinschaften, die mit wahrhaft geistiger Einsicht innerhalb der Grenzen dessen bleiben, was sie zu demonstrieren imstande sind, und die ein materielles Kirchengebäude durch ihr wachsendes Verständnis von wahrer Substanz erstehen lassen, auf sicherem Boden sind und wahren Fortschritt machen. Verschwendung findet in der Christlichen Wissenschaft durchaus keine Ermutigung, habe sie nun ihren Ursprung in einer falschen Auffassung von Notwendigkeit oder in falschem Stolz. Man darf nie vergessen, daß die Sache der Erlösung der Menschheit, die die christlich-wissenschaftliche Bewegung bezweckt, eine Bewegung, zu deren Begründung unsre geliebte Führerin so lange und so unermüdlich gearbeitet hat, durch die Errichtung eines noch so großartigen Gebäudes nicht gefördert wird, es sei denn, der Herr baue es.
Gerade wie der ausübende Vertreter der Christlichen Wissenschaft daran festhält, daß es unnötig ist, beim Heilen der Kranken materielle Mittel auzuwenden, so können Christliche Wissenschafter mit gleicher Berechtigung daran festhalten, daß es beim Kirchenbau nicht nötig ist, zu Mitteln und Wegen Zuflucht zu nehmen, wie sie von vielen religiösen Gemeinden in ähnlichen Lagen allgemein angewandt werden. Die Christlichen Wissenschafter betrachten sich als über dem Handelsgeist stehend, darum sollten sie die Notwendigkeit verneinen, von den üblichen Methoden Gebrauch zu machen. Und wird nicht die Würde unsrer geliebten Sache am besten dadurch gewahrt, daß man sich genau an die geistige Demonstration hält und nur solche menschlichen Schritte tut, die mit der Würde, der Erhabenheit und dem hohen Charakter der Sache Gottes vereinbar sind? In dem Augenblick, wo dem Gedanken gestattet wird, sich an den scheinbar notwendigen materiellen Dingen festzuklammern, in diesem Augenblick scheint die Substanz materiell zu sein, und das Banner der Wahrheit wird in den Staub gezogen. Und doch sind die Lehren unsrer Führerin über diesen Gegenstand nicht mißzuverstehen. Auf Seite 468 von „Wissenschaft und Gesundheit” gibt uns Mrs. Eddy die kurze Erklärung von Substanz als „das, was ewig und der Disharmonie und des Verfalls unfähig ist.” Und sie fügt hinzu: „Geist, das Synonym für Gemüt, Seele oder Gott, ist die einzig wirkliche Substanz.” Können also die Christlichen Wissenschafter eine weniger hohe Norm annehmen und dann erwarten, im wahren Kirchenbau, d. h. in der Entfaltung des Christus-Gemüts im menschlichen Bewußtsein, Fortschritte zu machen? Unsre geliebte Führerin hat allen Christlichen Wissenschaftern ein edles Beispiel christlichen Strebens gegeben. Können wir etwas Besseres tun als danach zu trachten, ihm in allen Einzelheiten nachzueifern?
