Im achtzehnten Kapitel der Apostelgeschichte wird berichtet, daß ein Jude mit Namen Apollos nach Ephesus kam. Apollos war „ein beredter Mann und mächtig in der Schrift”, und predigte frei in der Schule. Sein tiefes Verständnis und sein inbrünstiger Ernst befähigten ihn, viele Juden davon zu überzeugen, daß Christus Jesus der Messias ist. Die Bibel hebt jedoch hervor, daß nicht der persönliche Einfluß des Apollos die Epheser überzeugte, sondern daß er sich auf die Schrift stützte, um ihnen diese Tatsache klar zu machen.
Dies war das sicherste und zuverlässigste Verfahren, das Apollos anwenden konnte, und die Christlichen Wissenschafter tun wohl daran, ihn hierin zum Vorbild zu nehmen. Apollos selbst kannte die Wahrheit über Jesus, den Christus. Hätte er versucht, auf seine Zuhörer nur durch sein persönliches Wissen über Jesus Eindruck zu machen, so wären seine Bemühungen wahrscheinlich vollständig gescheitert. Apollos war jedoch einsichtsvoll genug, seinen Lehrgegenstand auf Grund der Schrift zu erklären, und darum gründete sich das Verständnis seiner Zuhörer auf das ewige Wort. Nichtsdestoweniger gab es später Meinungsverschiedenheiten. Beide, Paulus und Apollos, hatten ihren Anhängerkreis. Und bald setzte sich der Gedanke an persönliche Führung bei den Leuten so fest, daß Paulus sie daran erinnern mußte, daß Gott das Gedeihen des Verständnisses gäbe, dessen Saat er und Apollos nur gepflanzt und begossen hätten. „Wer ist nun Paulus?”, sagte er, und „wer ist Apollos? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig geworden”. Diese Worte rügen persönliche Führerschaft und lenken die Aufmerksamkeit auf die Heilige Schrift, die alle Ehre Gott gibt.
Auch unser Meister sagt: „Suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darin”. Er hielt das Verständnis der Heiligen Schrift für so wichtig, daß er der Juden Lässigkeit im Verstehenwollen für den Grund hielt, warum sie seine Lehren nicht verstanden. Er verwies sie auf Moses und sagte: „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir”.
Dem Christlichen Wissenschafter wird empfohlen, in der Bibel und in den Schriften unserer Führerin zu forschen. Dort lernt er das Wort Gottes in der geistigen Auslegung durch Mrs. Eddys Schriften in einer Sprache kennen, die dem Denken unserer Zeit angepaßt ist. Durch die bestätigten christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften ist dafür gesorgt, daß die in der Christlichen Wissenschaft gemachten hilfreichen Erfahrungen und erbrachten Tatbeweise anderer gelesen und dem weit ausgedehnten Felde übermittelt werden können. Alle diese Schriften gelten als unentbehrlich für das Wachstum des Christlichen Wissenschafters. Doch nicht so allgemein anerkannt wird die Tatsache, daß diese Bücher und Zeitschriften nicht nur unentbehrlich sondern auch ausreichend sind, soweit es sich um Geschriebenes handelt. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir zuweilen versucht werden, das Lesen anderer Schriften zu empfehlen.
Manche, die das Vorrecht hatten, Klassenunterricht zu nehmen, müssen der Versuchung, bei ihrem Wunsch nach Hilfe nur auf die Versönlichkeit zu sehen, widerstehen und sie überwinden. Unterlassen sie dies, so sind sie gegen das Kirchenhandbuch ungehorsam (Art. VIII, Abschn. 1); denn „rein persönliche Zuneigung” sollte nicht „der Antrieb zu den Beweggründen oder Handlungen der Mitglieder Der Mutter-Kirche sein”. Eine hinterlistige Art des Irrtums liegt hier auf der Lauer. Wir sagen uns, daß es für uns eine unermeßliche Hilfe war, daß wir bei unserem Forschen von einem beglaubigten Lehrer der Christlichen Wissenschaft geleitet waren. Aber wir müssen in der Anwendung der Erklärungen unseres Lehrers vorsichtig sein, denn wir könnten uns manche von ihnen ungenau oder vielleicht falsch gemerkt haben. Andere sind in ähnlicher Weise für den Beistand eines Vertreters der Christlichen Wissenschaft dankbar und möchten daher vielleicht manche seiner hilfreichen Erklärungen in geschriebener Form besitzen. Was ist nun gegen derartige Hilfsmittel einzuwenden, wenn ein Einwand überhaupt berechtigt ist? Werden sie nicht leicht zu leeren Formeln? Mrs. Eddy selbst hat sich mit Bestimmtheit gegen „geschriebene Formeln” ausgesprochen. Sie sagt (Kirchenhandbuch, Art. VIII, Abschn. 9): „Kein Mitglied soll beim Unterricht in der Christlichen Wissenschaft oder beim Heilen der Kranken als Hilfsmittel geschriebene Formeln gebrauchen, oder seinen Vatienten oder Schülern dies erlauben. Alles, was zu beiden Zwecken nötig ist, ist in den Büchern der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft enthalten. Sie mag zuweilen den Glauben durch einen geschriebenen Text stärken, wie es niemand anders vermag”. Nicht einmal der ergebenste, berufenste und erfolgreichste Christliche Wissenschafter kann die Werke unserer Führerin ersetzen oder zu ihrer Vollkommenheit etwas hinzufügen. Die beglaubigten Lehrer, Lektoren und Vertreter der Christlichen Wissenschaft haben in der Befolgung der Vorschriften des Kirchenhandbuchs ein großes Werk zu verrichten.
In diesem Zusammenhang sei auf noch eine Art dieser Gefahr aufmerksam gemacht, in die kein Christlicher Wissenschafter sich freiwillig begeben möchte. Zur Veranschaulichung nehmen wir an, ein Lehrer der Christlichen Wissenschaft habe einem Schüler brieflich, wozu er durchaus berechtigt ist, einen Punkt richtig erklärt, der dem Schüler Schwierigkeiten bereitete. Der Schüler ist überglücklich vor Freude über die ihm bei der Überwindung seiner Schwierigkeit geleistete Hilfe und hat das Verlangen, es seinen Freunden zu erzählen. Er wiederholt, so gut er kann, die Worte des Lehrers. Ein Dritter wiederum versucht sie in gleicher Weise einem Vierten zu erklären, und so weiter. Mit der Zeit entsteht durch das fortwährende Wiederholen etwas Ähnliches wie bei dem bekannten Sprech-Spiel, bei dem der Reihe nach einer dem andern resch einen Satz zuflüstert, der schließlich bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Während der ganzen Zeit gilt die wiederholt geänderte Erklärung als die ursprüngliche eines Lehrers. Die Abweichung wird noch vielgestaltiger, wenn der erste Empfänger der Erklärung sie selbst vielleicht nicht klar verstanden hat und sich dessen nicht bewußt geworden ist. Wir dürfen nicht zulassen, daß ein Vorgang unterstützt wird, durch den solch verstümmelte mündliche Erklärungen über die Christliche Wissenschaft sowie Übersichten und Berichte über Erklärungen — sowohl ganz als auch oberflächliche — von Christlichen Wissenschaftern und Nichtwissenschaftern verbreitet werden. „Die Nachwelt”, schreibt Mrs. Eddy in Retrospection and Introspection (S. 61), „hat ein Recht zu verlangen, daß die Christliche Wissenschaft in ihrer ganzen Göttlichkeit und Erhabenheit erklärt und demonstriert werde; daß, wie wenig auch gelehrt oder gelernt werde, dieses Wenige richtig sei. Gebt den Kindern Milch, achtet aber darauf, daß die Milch lauter sei. Es sei denn, daß dieses Verfahren angewandt wird, so wird die Wissenschaft des christlichen Heilens wieder verloren gehen und das menschliche Leiden zunehmen”.
Man erzählt von einer Quelle, aus der das reinste Wasser hervorquoll, das in einer Anzahl Röhren aus verschiedenartigen Stoffen — Blei, Eisen, Ton, Stein u.s.w. — weiter geleitet wurde. Nun stand man vor der Frage, von welcher Röhre man es nehmen müsse, um unbedingt reines Wasser zu haben. Die Antwort war: Willst du völlig sicher sein, so schöpfe von der Quelle selbst.
Der Christliche Wissenschafter, der seine Erleuchtung aus der Bibel und den Werken unserer Führerin schöpft, ist sicher, die Christliche Wissenschaft in ihrer ganzen Reinheit zu erhalten. Warum sollte er also aus nicht beglaubigten Schriften schöpfen? Wenn wir treu und standhaft befolgen, was wir als richtig erkennen, so haben wir eine sichere Grundlage und werden mit den Früchten des Geistes belohnt.
Hamburg, Deutschland (Erste Kirche). — Zu einem öffentlichen Vortrag über die Christliche Wissenschaft hatte am Donnerstag Abend Erste Kirche Christi, Wissenschafter, noch der evangelisch-reformierten Kirche in der Ferdinandstraße eingeladen. — Hamburger Fremdenblatt, 20. März 1923.
Bemerkung. — Dies ist der erste christlich-wissenschaftliche Vortrag, der seit dem Bekanntwerden der Christlichen Wissenschaft in Deutschland — vor fünfundzwanzig Jahren — je im Gebäude einer evangelisch-reformierten Kirche gehalten worden ist.