Die Verfasserin dieser Betrachtung ist lange Zeit stolz darauf gewesen, in jeder Lage und bei allen Aufgaben des Lebens besonders erfinderisch zu sein; und sie hatte diese Eigenschaft jahrelang sorgfältig gepflegt. Die erste Anregung dazu erhielt sie wohl gelegentlich eines Besuchs, den sie als junges Mädchen bei Freunden machte, die großen Wert auf ihre Erfindungsgabe, auf ihre Geschicklichkeit legten, wo es nötig schien, sich selbst zu helfen. Diese Freunde lebten auf einem großen Gut; sie waren als äußerst sparsam und haushälterisch bekannt. Es bereitete ihnen stets große Befriedigung, wenn sie nichts anzuschaffen brauchten und auf dem Gut immer etwas finden konnten, das an Stelle eines jeweils benötigten, augenblicklich jedoch nicht vorhandenen Gegenstandes verwendbar war. Die dabei angewandten Mittel und Wege versetzten die Verfasserin in Erstaunen und erregten ihre Bewunderung; und in den folgenden Jahren war sie eifrigst bestrebt, diese Gabe auch bei sich zu entfalten. War der für die Lösung irgend einer Frage notwendige passende Gegenstand nicht sofort zur Hand, so wandte sie sich immer an diese sogenannte Erfindungsgabe, an die eigene Geschicklichkeit oder Fähigkeit, sich selbst zu helfen, mit dem Ergebnis, daß die Aufgabe ausgeführt wurde, wenn auch nicht immer auf die beste Art. Erst neuerdings lernte sie einsehen, daß sie sich durch dieses Angewöhnungsverfahren, dem sie sich selbst unterwarf, eher zu Begrenzung als zu Freiheit erzog. Das Erwachen vollzog sich ungefähr in folgender Weise.
Bei der Vergrößerung einer kleinen Waldhütte machte sich gleich zu Anfang ein starkes Gefühl der Begrenzung bemerkbar. Nur etwa die Hälfte des nötigen Baustoffs war bestellt, weil, um zu sparen, beabsichtigt war, statt eines Holzdaches ein Segeltuch über die Hütte zu spannen. Das angeschaffte Segeltuch erwies sich aber nicht als wasserdicht. Nun wurde die vielgepriesene Gabe der eigenen Geschicklichkeit und Selbsthilfe angewandt, und man beschloß, das Segeltuch mit Dachpappe zu überdecken, obgleich man sich von vornherein klar war, daß ein Holzdach die einzig richtige Lösung war. Als dann die Dachpappe gelegt war, gab das Segeltuch nach, und es entstand eine Einsenkung, worin Regenwasser sich ansammelte. Es zeigte sich auch bald, daß sich das Dach nun in einem schlimmeren Zustand befand als vorher, und daß man bisher mehr Geld unnütz ausgegeben hatte, als ein gleich zu Anfang ausgeführtes Holzdach gekostet hätte. Schließlich mußte das Dach in der richtigen Weise von neuem gebaut werden. Über diesen Vorfall nachdenkend, kam es der Verfasserin zum Bewußtsein, daß es sich eigentlich in größerem Ausmaß um eine Wiederholung von etwas handelte, das schon von langer Hand her unerkannt vor sich gegangen war, und daß — in dem Glauben, das göttliche Prinzip würde demonstriert — in den verflossenen Jahren viel Zeit, Mühe und Geld auf das Planen und Ausführen von Dingen verwendet wurde, die eigentlich nur Notbehelfe waren.
Es ist notwendig, daß man zwischen „Notbehelf” und „Sparsamkeit” genau unterscheidet. Sparsamkeit ist eine lobenswerte Eigenschaft. Sie bedeutet haushälterisches Handeln, Fleiß, zweckmäßiges Anwenden; und unsere Führerin, Mrs. Eddy, sagt uns in Artikel XXIV, Abschnitt 5 des Kirchenhandbuchs: „Gott fordert, daß Weisheit, Sparsamkeit und brüderliche Liebe alle Handlungen der Mitglieder Der Mutter-Kirche, Der Ersten Kirche Christi, Wissenschafter, kennzeichne”. Sparsamkeit läßt Vergeudung, unnötiges Ausgeben und Verschwendung nicht zu. Sparsamkeit bedeutet Ordentlichkeit, weise ausgeübte Tätigkeit, Mäßigkeit. Die Notbehelfe, auf die man all die Jahre hindurch in der Annahme, daß Geschicklichkeit und Erfindungsgabe betätigt würden, zurückgegriffen hatte, wurden erkannt als wenig oder überhaupt nicht empfehlenswerte und äußerstenfalls nur vorübergehend zulässige Auswege, auf die man hauptsächlich aus Furcht und unter einer Annahme von Mangel geriet.
Wahre Erfindungsgabe ist jedoch etwas ganz anderes. Das Wort „Erfindung” weist auf etwas hin, das man zu seiner Versorgung oder Hilfe „finden” kann; es veranlaßt also den suchenden Blick, sich unmittelbar dorthin zu wenden, von wo einem die einzig wahre Versorgung zuteil wird, — auf den Geber „aller guten Gabe und aller vollkommenen Gabe”. Wahrhaft erfinderisch sein heißt, ein klares Verständnis von Gott und von des Menschen Beziehung zu Ihm besitzen und imstande sein, dieses Verständnis zu beweisen, und zwar nicht durch das Anwenden irgend welcher Notbehelfe oder das Einschlagen bloßer Auswege sondern durch vollkommenes Zum-Ausdruck-Bringen. Gott, das göttliche Prinzip, ist die Grundlage und Quelle, von der alles ausgeht, also ist diese Quelle unbegrenzt, ohne Schranken, unermeßlich, übervoll. Der Mensch als Gottes Ebenbild spiegelt diese Überfülle wieder. Der Mensch kann von jeder ihm, geoffenbarten rechten Idee Gebrauch machen. Auf Grund dieser Tatsache sollte die Menschheit bestrebt sein, bei der Ausführung dieser Idee die Vollkommenheit genau in dem Maße zum Ausdruck zu bringen, wie es menschlich möglich ist. Dieser Begriff von Vollkommenheit sollte erkannt werden in allem, was wir unternehmen, wie wichtig oder wie unbedeutend es auch erscheinen mag, handle es sich um das Einschlagen eines Nagels, das Schreiben eines Briefes, die Leitung eines Geschäfts, das Annähen eines Knopfes oder die Verwaltung eines großen Landguts.
Der Mensch ist stets erfinderisch oder erfindungsreich; besitzt er doch immer die Gott-verliehene Fähigkeit, jeder Anforderung gerecht zu werden. Unsere Führerin sagt vom Menschen in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 518): „Herrschaft ist sein Geburtsrecht, nicht Unterwerfung. Er ist Herr über die Annahme von Erde und Himmel — allein seinem Schöpfer untertan”. Es ist nur der Glaube an eine von Gott getrennte Macht, der uns zu der Ansicht verführen möchte, daß wir uns auf unseren materiellen Glauben an den vermeintlichen Quellenreichtum von Hilfsmitteln verlassen können, wo doch das Sichverlassen auf Gott, das göttliche Gemüt, unser einziges Heil bedeutet, den einzig richtigen Weg zur wahren Hilfsquelle.
Als hilfreiche Unterweisung zum richtigen Verständnis des Reichtums wahrer Erfindungsgabe kann uns der Vorfall dienen, der sich in der Wüste ereignete, als Moses Wasser aus dem Felsen hervorbrachte. Moses war ein erfindungsreicher Führer. Er führte die Israeliten durch Lagen, die so schwierig waren, daß menschlicher Scharfsinn versagte. Doch ihm gelang es, weil er verstand, daß Gott die Quelle seiner Erleuchtung und Macht war. Nur einmal hielt er sein Denken nicht im Einklang mit dieser Erkenntnis. Es war zu einer Zeit, als die Israeliten schon viele Jahre ihrer Wanderung hinter sich hatten. Sie hatten bis dahin zahlreiche Beweise von Gottes Schutz und Fürsorge empfangen; aber als sie in die Wüste Zin kamen, „versammelten sie sich wider Mose und Aaron”, denn sie hatten kein Wasser. An diesem Ort, fern von materiellen Wasserquellen, ohne jede menschliche Hilfe, umgeben von einem aufrührerischen Volk, — in dieser Lage gab es nur eine Entscheidung. Moses rief Aaron zu sich und begab sich mit ihm „unter den Schirm des Höchsten”, um durch Gemeinschaft mit Gott das Denken so zu erheben, daß er sich für sein Volk die Allgegenwart und Macht Gottes wieder vergegenwärtigen konnte. Moses gehorchte sodann, wie wir in der Schrift lesen, dem göttlichen Befehl und „hob seine Hand auf und schlug den Fels mit dem Stab zweimal. Da ging viel Wasser heraus, daß die Gemeinde trank und ihr Vieh”. Aber weil Moses die dieser Kundgebung zu Grunde liegende Macht sich selbst und Aaron zuschrieb, wurde ihm das Vorrecht versagt, sein Volk in das Gelobte Land zu führen.
Wieviele von uns können heute in irgend ein gelobtes Land nicht gelangen, weil sie auf ihre eigene menschliche Macht vertrauen oder es unterlassen, Gott die Ehre zu geben? Den von Gott regierten Menschen steht jederzeit alles zur Verfügung, was sie brauchen, um jede rechtmäßige Arbeit auszuführen; denn Gott verleiht allezeit Mut, Fähigkeit, Verstand, Geduld, Fülle. Der Mensch als Gottes Ebenbild ist überreich an Hilfsmitteln, weil er die Fülle des göttlichen Gemüts wiederspiegelt. Eine mit diesem Verständnis ausgeführte Aufgabe kann nicht vergebens sein; auch braucht sie nicht noch einmal gelöst zu werden. Auf diese Weise kann des Menschen Einssein mit der unendlichen göttlichen Quelle bewiesen werden.
