Freude wird oft als die Folge glücklicher menschlicher Zustände angesehen; aber dieser Begriff von Freude macht sie von sterblichen und irdischen Umständen abhängig. Die Christliche Wissenschaft dagegen enthüllt, daß Freude die Begleiterscheinung der Geistigkeit und daher von menschlichen Zuständen unabhängig und keinen Schwankungen unterworfen ist. Die Geistiggesinnten sind nie ohne wahre Freude oder Freude in der Wahrheit, und diese Freude ist ihnen eine Hilfe in der Not.
Im Laufe seines mühevollen Wirkens, das ihn der Verfolgung und sogar der Gefahr aussetzte, schrieb Paulus: „Auswendig [war] Streit, inwendig Furcht”. Dennoch sagte er auch: „Ich bin überschwenglich in Freuden in aller unsrer Trübsal”. Geistige Freude gewinnt also die Oberhand über sterbliche Befürchtungen und Streitigkeiten. Der weltliche Sinn kann sich nie freuen; denn seine Träume von Freude und Leid lassen ihn geistige Harmonie, Geborgenheit und Reinheit nicht verstehen. Die Christliche Wissenschaft ruft daher in ihren Schülern das schlummernde Verständnis wach, wodurch der geistige Sinn erweckt wird, „die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln” zu sehen.
Um nicht etwa in abergläubischer Weise dem Leiden als einzigem Erlösungsmittel zu huldigen, sollte man eingedenk sein, daß der Christliche Wissenschafter nicht wegen sondern trotz der Versuchungen und Anfechtungen frohlockt, und warum? Weil er es sich zur freudigen Aufgabe gemacht hat, beim Überwinden alles Widerwärtigen und Unwürdigen die Allmacht Gottes, des Guten, zu beweisen; denn „ihr werdet”, wie Jesaja sagt, „mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen”. Zweifel und Verzagtheit können nicht aus diesen Brunnen der Wahrheit und der Liebe schöpfen; aber freudiges Vorauswissen des Sieges kann unverzüglich Befreiung vom Irrtum bringen. Daher folgt Freude nicht nur auf jeden einzelnen Beweis in der Christlichen Wissenschaft, sondern sie geht ihm auch voraus. Geistige Freude und Lobpreisung sollten allen unseren Gedanken, Beweggründen und Gebeten vorangehen und an erster Stelle stehen; dann weichen die vielen falschen Annahmen des Irrtums der Freude, der himmlischen Pfadfinderin. Da also Freude ein unvergängliches Merkmal des Menschen als des Ausdrucks Gottes ist, so ist die Einflüsterung, daß der Mensch freudlos sei, so wenig wahr wie diejenige, daß er krank, sündhaft oder leblos sei.
Unsere Führerin schreibt (Miscellaneous Writings, S. 259): „In dieser ewigen Harmonie der Wissenschaft ist der Mensch nicht gefallen: er wird in demselben Ebenmaß regiert, das die Heilige Schrift beschreibt, als ‚die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Kinder Gottes‘”. Nach dieser Darlegung müssen wir allezeit frohlocken; denn durch die Christliche Wissenschaft werden wir befähigt zu beweisen, daß der Mensch nicht gefallen ist, daß er der wahre, vollkommene, ebenmäßige Ausdruck aller segensreichen Gesetze des Gemüts ist. Unsere Freude soll aber nicht zaghaft sein, sondern aus vollem Herzen müssen wir innerlich Sein Lob und Seine Macht singen. Das wahre Bewußtsein ist vollständig frei von jeder Reibung; denn alle geistigen Ideen widerspiegeln die Wesenheit des Geistes und das ebenmäßige Wirken des göttlichen Gemüts.
Freude hat einen klaren Blick, sie sieht immer die geistige Wirklichkeit und die Heiligkeit geistiger Widerspiegelung. Da der Christliche Wissenschafter dies weiß, läßt er sich durch Furcht oder Unglauben nicht hindern, sich durch geistiges Frohlocken über seine Schwierigkeiten zu erheben. Sich noch mehr freuen hat schnelleres Heilen zur Folge. „Ich will fröhlich sein in Gott, meinem Heil”. Der Christliche Wissenschafter, der sich vor eine Aufgabe gestellt sieht, sollte sich prüfen, ob er in seinem ganzen Denken wirklich auf volle Erlösung Anspruch erhebt. Denn wie soll sie vollständig zum Ausdruck kommen, wenn er es nicht tut? Zweifelt man nicht an seiner vollen Erlösung von dem fraglichen Irrtum, wenn man seine Aufgabe nicht freudig und fröhlich ausarbeitet? Erlösung ist jedem wahren Denker zugesichert. Weil die Beweisgründe des Zweifels und der Verzagtheit manchmal beharrlich sind, ist es wesentlich, daß man bei jeder Beweisführung die Freude als Vorbote und nicht bloß als Nachhut verwendet.
Paulus bezeichnet das Himmelreich als „Freude in dem heiligen Geiste”, und der heilige Geist ist gleichbedeutend mit der göttlichen Wissenschaft. Es muß also immer Freude in der Christlichen Wissenschaft sein, und zwar ebensoviel Freude beim Erfüllen ihrer Forderungen wie beim Ernten ihrer Segnungen, sonst können einem die Segnungen entgehen. Freude spornt zu Gehorsam gegen das göttliche Prinzip an und hilft einem beweisen, daß Gott Sein Bild und Gleichnis in keiner Weise betrübt, einengt oder beschränkt. Freude überwindet die Hindernisse, denen man auf dem Wege der Heiligkeit begegnet. Daher ist jede Gelegenheit zum Überwinden auch eine Gelegenheit zur Freude. Wenn Anfechtungen einen bedrängen, wenn der Friede bedroht ist und die Freude in Angst und Sorge gehüllt scheint, ist es gut, sich die himmlische Dreieinigkeit—„die Frucht des Geistes”, die Paulus u.a. als „Liebe, Freude, Friede” bezeichnet,— ins Gedächtnis zu rufen. Wer die göttliche Liebe widerspiegelt, ist sich auch der Freude und des Friedens bewußt; denn die Liebe „rechnet das Böse nicht zu”. Nur falsches Denken ist freudlos. Das sterbliche Verlangen nach Freudigkeit kann nur in dem Maße befriedigt werden, wie man demütig in den heiligen Tempel des geistigen Bewußtseins eintritt, wo „Freude nicht länger beben, und Hoffnung nicht länger trügen” wird, wie Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 298) sagt.
