Die Rechte des Menschen wohnen der Sohnschaft inne und können weder überwiesen noch vorenthalten werden. Die Menschen mögen sie ignorieren, zurückweisen oder verleugnen. Sie mögen glauben, daß sie erduldet und als etwas Sühnendes oder zu Opferndes erkämpft oder als etwas Fernliegendes und Unerklärbares ersehnt werden müssen. Aber göttliche Tatsache ist, daß die göttlichen Sohnesrechte dem Menschen unveräußerlich gehören. „Weil wir unsere gottgegebenen Rechte nicht kennen, unterwerfen wir uns ungerechten Verordnungen, und die einseitige Beeinflussung durch die Erziehung zwingt uns diese Knechtschaft auf”, schreibt Mary Baker Eddy auf Seite 381 des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”.
Obgleich die Rechte des Menschen ewig unzertrennlich von ihm sind, ergreifen und betätigen die Menschen die göttlichen Sohnesrechte nur durch Unterordnung des menschlichen Willens, durch intelligentes Aufgeben sterblichen Ehrgeizes und Verlangens.
„Selig sind”, schrieb Johannes, „die seine Gebote halten, auf daß sie Recht haben an dem Holz des Lebens und zu den Toren eingehen in die Stadt”. Diese Stelle erläuternd, mahnt uns Mrs. Eddy, daß „die göttliche Macht der Wahrheit gute Taten fordert, um die Wahrheit zu beweisen, und zwar nicht allein in Übereinstimmung mit menschlichem Verlangen, sondern mit geistiger Kraft” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 3).
Durch bloß menschliche Verfahren versuchen, die Rechte zu erlangen, die man nicht geistig verdient hat, oder anderseits versäumen, sie zu erkennen und daher zu ergreifen, wenn sie einem erreichbar sind, hat zu den unheilvollen Fehlern des sterblichen Menschen gehört.
Der im Evangelium des Lukas erwähnte reiche Oberste, der großen materiellen Reichtum besaß, der aber wußte, daß dies ihn nicht des ewigen Lebens versicherte, bat Jesus um Rat. Was waren die nötigen Schritte für ihn, der, obwohl seine weltlichen Interessen gänzlich befriedigend waren, keine bewußte Garantie geistiger Reichtümer besaß? Er bedurfte inmitten von so vielem, was in der Gegenwart sicher und günstig war, für seinen Seelenfrieden der Versicherung, daß seine Zukunft ebenso sicher war. Und er war bereit, alles, was recht und billig wäre, zu tun, um sie zu sichern. Menschliche Güte besaß er. Er sagte Jesus, daß er die Gebote stets gehalten habe. Trotzdem wußte er unwillkürlich—weshalb sonst diese Frage?— und auch Jesus, ihn ansehend, wußte, daß ihm etwas fehlte. Regte sich die göttliche Macht der Wahrheit beunruhigend in seinem Denken? Sicher, sonst würde ihn der Christus nicht so gedrängt haben, über die Gegenwart, wenn auch noch so kurz, hinauszublicken, um über das ewige Leben nachzudenken.
Seine imposanten, der Selbstachtung schmeichelnden machtvollen menschlichen Rechte bedeuteten ihm immer noch mehr als die Gewißheit der Schätze im Himmel. Traurig ging er von dannen. Sein Recht an dem Holz des Lebens überstieg den Preis, den er bis jetzt willens war zu zahlen.
Zwischen den Menschen und ihrem göttlichen Recht auf bewußtes geistiges Sein steht nur der Glaube, daß das Gute oder das Böse—und im sterblichen Denken sind sie vereinigt—in der Gewalt des menschlichen Denkens und Handelns sei; daß Glück und Wohlergehen nicht vom Geist, sondern von der Materie abhängen. So klammern sie sich an einen persönlichen Sinn des Lebens, des Besitzes, der Überlegenheit und verschließen der Unsterblichkeit die Tür.
Denken wir, wir haben ein Recht auf etwas oder einen festen Halt daran, ehe wir gelernt haben, daß Sicherheit und Ständigkeit nur dem Gemüt gehören? Gewiß haben alle Menschen das Recht auf Gesundheit, aber nur in dem Maße, wie sie sie als einen von Gottes Gesetzen der Reinheit und der Kraft regierten Bewußtseinszustand erkennen und so die Furcht vor der Materie, vor Krankheit, Verfall und Tod oder den Glauben daran aufgeben. Gewiß haben sie das Recht auf Wohlergehen, wenn sie erkennen, daß sie Gottes Haushalter sind, die weise und gerecht nicht weniger zum Nutzen anderer als zu ihrem eigenen arbeiten. Gewiß haben sie ein Recht auf Frieden, auf Erfolg, auf jede Begünstigung, die Gott in Seiner großen Güte Seinem Sprößling verleiht, aber nicht in persönlicher Anmaßung von Verdienst, Fähigkeit oder Glück. Solche Gaben gehören ihnen rechtmäßig nur, wenn sie die Forderungen des Gemüts ausführen. Dann sind sie in der Tat geborgen und gesegnet; dann nehmen sie in der Tat teil an dem Holz des Lebens und teilen es mit anderen. Niemand sollte sich seiner menschlichen Rechte rühmen; denn sie alle haben keine Rechtfertigung, keine Bedeutung und keine Gewähr, wenn sie nicht auf die allumfassende Liebe gegründet und vom göttlichen Prinzip geleitet sind.
Recht an dem Holz des Lebens, „nicht allein in Übereinstimmung mit menschlichem Verlangen, sondern mit geistiger Kraft”— dies ist, was der Oberste, der Jesus so begierig fragte, nicht erkannt hatte; dies ist, was jedermann lernen muß. Dieses Halten der Gebote schließt nicht nur das Tragen des Kreuzes, sondern auch die sofortige, nicht aufgeschobene Nachfolge Christi in sich. Es schließt jene Einfalt des Beweggrundes und Zwecks in sich, außerhalb deren es weder Prinzip noch Ständigkeit gibt.
„Es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben”, sagte Jesus zu seinen Nachfolgern. Hier gibt es kein Zurückhalten, kein Feilschen, keine verzögerte Erfüllung. Das Reich Gottes ist ein Geschenk, und es ist die Verleihung der Liebe. Aber wie können die Menschen es empfangen, wenn zwischen ihnen und den Schätzen, die sie begehren, ein blinder Wille ist, der seiner eigenen Annehmlichkeit fügsam und seiner eigenen Absicht untertan sucht und plant, der wie der reiche Oberste auf verabredende und bedauerliche Art eine Fortdauer sucht, die die Gegenwart nicht gewährleisten kann?
Klammern wir uns zweifelnd an den Schatten, oder sind wir willens, was wir haben—unser Vertrauen auf materielle Mittel—für wahre Substanz zu verkaufen? Sind wir willens, unsern menschlichen Willen mit seinen Plänen und Verfahren, unser Vertrauen auf unsere eigenen persönlichen Talente oder Reize abzulegen? Oder haben wir, nachdem wir nach dem Christus getrachtet haben, das Gefühl, daß uns die Forderung zu groß ist, und gehen wir wie der junge Mann traurig von dannen, ohne daß unser Problem gelöst ist?
Denen, die sehen, was die Wahrheit in allen ihren grenzenlosen Schätzen des geistigen Seins zu bieten hat, die den Ruf zum Dienst verstehen, die bloß materielle Vorteile, Besitztümer und Liebhabereien willig aufgeben, denen wird das Tragen des Kreuzes nicht als Opfer, sondern als Triumph erscheinen. So wird ihnen ihr Recht an dem Holz des Lebens mit allen seinen Schätzen der Schönheit und der Versorgung, mit der ewigen Dauer seiner Früchte enthüllt. So wissen sie, daß sie jetzt schon zu den Toren eingehen können in die Stadt.
