Als der Mann in Christi Jesu Gleichnis die „köstliche Perle” fand, ging er hin und verkaufte alles und kaufte sie. Hiezu bemerkt Mary Baker Eddy auf Seite 253 in „Miscellaneous Writings”: „Kaufte sie! Man beachte die weittragende Bedeutung dieser Bemerkung: daß das Christentum nicht bloß ein Geschenk ist, wie Paulus behauptet, sondern um einen Preis, einen großen Preis gekauft wird. Und welcher Mensch kennt ihren Wert, wie unser Meister ihn kannte, und den Preis, den er dafür zahlte?”
Solange die Menschen den Wert dieser köstlichsten aller Perlen nicht gewahr werden, werden sie nicht willens sein, dafür zu zahlen, und werden sie daher nicht besitzen. Sie werden fortfahren, darum zu feilschen, zu hoffen, daß sie sie auf irgend eine Art in Besitz nehmen können, ohne den vollen Preis zu zahlen. Oder sie werden versuchen, sich auf anderem Wege zu einem geringeren Preise, manchmal auf eigene oder eines andern Kosten zu befriedigen, und nur weil sie glauben, daß das, was sie jetzt besitzen und wünschen, durch etwas anderes gefährdet oder ihnen genommen werden könnte.
Christus Jesus zahlte den großen Preis, und er wußte, daß jeder ihn früher oder später zahlen muß. Er tat es ohne Zögern, ohne Bedauern, weil er erkannte, wo allein Wert zu finden ist. Der Meister verwarf aufs entschiedenste alles, was auf die Bewertung der Sterblichkeit, ihre Verehrung des Besitzes und des Zuwachses, ihre Beurteilung des Reichtums oder der Armut, des Wertes oder der Wertlosigkeit gegründet ist. Etwas hievon hatte der Prophet Haggai ausgedrückt, als er erklärte: „Ihr säet viel, und bringet wenig ein; ihr esset, und werdet doch nicht satt; ihr trinket, und werdet doch nicht trunken; ihr kleidet euch, und könnt euch doch nicht erwärmen; und wer Geld verdient, der legt’s in einen löchrigen Beutel”.
In materieller Anhäufung, in Verehrung oder Beneidung der von Haggai beschriebenen Dinge sehen die Menschen eine Welt der Bequemlichkeit und der Macht, der Sicherheit und der Befriedigung. Aber zu welchen: Preise? Wir tun gut daran, uns mit den Worten des Meisters zu fragen: Was hilft es uns, wenn wir in dem Vorgang unsere eigene Seele verlieren?
In der Führung ihres Lebens und in der Vorstellung von ihrem Los müssen die Menschen zuallererst erkennen, was sie am höchsten bewerten und daher am aufrichtigsten erstreben. Sind es materielle Gegenstände, menschliche Sicherheit, Menschenlob, oder ist es die „köstliche Perle”— das Bewußtsein des geistigen Seins — wofür, einmal erkannt, kein Preis zu hoch ist?
Beharrlich und aufdringlich in sterblicher Beweisführung, Anziehung und Überlieferung scheint der Vorteil der Materialität zu sein. Die Menschen sind ihre willigen Sklaven gewesen, haben sich ihren Qualen und Erpressungen unterworfen und nicht über ihren Preis gemurrt. Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie im Wettstreit, in unwürdigem Kampf, in Verrat und Gemeinheit das Opfer jedes Ideals der Freiheit und der Entschlußkraft mit in den Kauf genommen. Die Verfinsterung, ja sogar die Tilgung des geistigen Sinnes ist nicht als ein zu schweres Opfer angesehen worden. Und was ist am Ende vollbracht worden? Nichts, was nach Christus Jesus nicht zuerst ganz verkauft werden muß, damit gekauft werden kann, was allein von Wert ist, was allein befriedigt.
Ein geistreicher Schriftsteller hat den Zyniker definiert als einen, der den Preis von allem und den Wert von nichts weiß. Der Materialist kann nur ein Zyniker sein, wo geistige Werte in Betracht kommen; denn sein Beutel ist löchrig. Er befaßt sich nur mit dem Geben und Nehmen der launenhaften und trügerischen vergänglichen Welt um ihn her. Verachtung der Materialität oder Gleichgültigkeit gegen sie verdient nicht das, womit die „köstliche Perle” gekauft wird. Durch geduldiges, liebevolles Überwinden aller ihrer Erscheinungsformen der Versuchung zur Furcht, der Genußsucht und der Habgier wird dies vollbracht.
Bei dem Verhör vor Pontius Pilatus forderte das aufgebrachte Volk die Freigabe des Mörders Barabbas statt der Freigabe Jesu. Haß der Wahrheit, Unwissenheit und Vorurteil haben damals wie durch die ganze Geschichte hindurch weisen Rat verdunkelt und der Menschen Urteil beeinflußt. Und so wollten die Menschen in Freiheit setzen, was an sich ein Plünderer des Friedens und der Redlichkeit ist, und beteiligten sich an dem Versuch, die geistige Idee zu erschlagen und zu begraben.
Auf Seite 342 in „Miscellaneous Writings” schreibt unsere Führerin: „Trachte nach der Wahrheit und jage ihr nach. Sie sollte dich etwas kosten: du zahlst willig für Irrtum, ohne etwas dafür zu empfangen; wenn du aber den Preis der Wahrheit zahlst, wirst du alles empfangen”. Wer sich ungern von der vergänglichen Behaglichkeit und der falschen Sicherheit materieller Besitztümer trennt, sollte nicht glauben, daß am ersten und immer nach der Wahrheit trachten, selbst auf Kosten materieller Mittel und Wege, ein weit entferntes und übersinnliches Wohlergehen bedeute. Dem Mann, der alles verkaufte, was er hatte, und die „köstliche Perle” kaufte, wurde nicht gesagt, daß er erwarten müsse, sie zu besitzen. Im Gegenteil, er „kaufte sie”. Sie wurde sein Eigentum. Dies ist die Zusicherung eines Besitzes, der nicht von einem andern abhängig ist oder uns von einem andern verliehen wird, sondern den wir selber verdienen und voll bezahlen. Ist die Wahl des Barabbas statt des Christus nicht schuld an jedem Verbrechen in der Welt? Solange die Menschen bejubeln und wertschätzen, was sie beraubt, solange sie verhöhnen und kreuzigen, was sie erlösen würde, wird Niederträchtigkeit in Freiheit gesetzt und das Gute geopfert.
Der zu zahlende Preis kann dem sterblichen Sinn hoch erscheinen, wenn strenges, selbstloses Aufgeben der Materialität gefordert wird, um die Perle zu finden und zu kaufen. Aber wie klar die Wissenschaft die Wertlosigkeit alles andern, seine Enttäuschungen und Ernüchterungen, seine Abwege enthüllt, die enger, finsterer werden und schließlich sogar ihren flüchtigen Glanz verlieren! So finden wir, daß uns unsere geliebte Führerin auf Seite 122 in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany” erinnert: „Nur die Herrlichkeit ist unvergänglich, die in unserer sittlichen Eigenart feststeht”.
Wer die „köstliche Perle” kaufen will, erfährt, daß sie nur mit geistiger Währung gekauft werden kann. Es ist kein materieller Gewinn mehr nötig, sondern materielles Opfer, kein Wettbewerb und keine überlegene List mehr, sondern die Liebe, die die Rechte eines andern den eigenen gleichstellt. Wer um des einen großen Besitzes willen alles andere verkauft hat, ist in das Bewußtsein der göttlichen Einheit eingegangen, wo er die Unendlichkeit und Allumfassenheit des Guten in unvergänglicher Herrlichkeit wahrnimmt. Weil er den Preis der Wahrheit verstanden und willig bezahlt hat, weiß er, daß die Versicherung unserer Führerin: „Du wirst alles empfangen” für ihn in Erfüllung gehen wird.
