Inwieweit die leiblichen und die geistigen Bedürfnisse der Sterblichen voneinander unterscheidbar sind und bis zu welchem Grade den einen oder den anderen der Vorzug gegeben werden sollte, hat immer Schwierigkeit bereitet, besonders denen, die glauben, daß nur ihre Bestrebungen der Befriedigung geistiger Bedürfnisse dienen.
Der Christliche Wissenschafter weiß, daß Krankheit und Sünde mit der Wahrheit heilen die allerwichtigste Arbeit des christlichen Dienens ist, und daß, wie Mary Baker Eddy schreibt, „die Kranken und die Sünder mit der Wahrheit heilen beweist, was wir in Bezug auf die Christliche Wissenschaft bekräftigen, und nichts kann diesen Beweis ersetzen” (Kirchenhandbuch, Art. XXX, Abschn. 7). Er hat jedoch durch Erfahrung gelernt, daß das Leibliche außer acht lassen und darauf bestehen, daß nur geistige Werte in Betracht kommen, zu höchst verwirrenden Zuständen der Verwahrlosung oder des Grolls führen und außerdem Tadel, gutgemeinten oder andern, von seiten der Beobachter zur Folge haben kann.
Die Erfahrung hat gezeigt, daß viel davon abhängt, daß diesen beiden menschlichen Bedürfnissen in der rechten Weise gedient wird, und daß jedes auf seine Art wichtig ist, das Reich Gottes hier und jetzt aufrichten zu helfen.
Sehr früh in der Geschichte der Christlichen Kirche bot sich den zwölf Aposteln, die damals die einzigen Überwacher dieser neuen Religionsbewegung waren, ein ernstes Problem dar: die rechte Verteilung der Lebensmittelvorräte unter ihnen. Demgemäß sagten sie den Gläubigen, die noch nicht durch eine Organisation oder durch Satzungen aneinander gebunden waren, daß sie es nicht für vernünftig hielten, daß sie, die Apostel, ersucht werden, diese Arbeit zu tun, oder daß sie „das Wort Gottes unterlassen und zu Tische dienen”; und sie rieten ihnen, sieben geeignete Männer für diese Aufgabe zu ernennen.
Das Einverständnis war, daß sich die Apostel dann ganz dem Dienst des Wortes widmen würden, und daß diese Männer, die sie ernannten, die Verteilung von Nahrung und Kleidung oder die Sorge für die allgemeinen Bedürfnisse der Gemeinde mit ihren anderen Aufgaben verbinden würden.
In Anbetracht dieser Frage von relativer Wichtigkeit ist zu beachten, daß die unter dem neuen Plan vorgeschlagenen ersten zwei Namen Stephanus und Philippus waren, zwei Männer, deren Namen später in jener ersten Geschichte als Zeugen für das Evangelium des Christentums auffallender als die anderen, mit Ausnahme von Petrus und Paulus, hervortraten. Von Stephanus heißt es, daß er in den theologischen Erörterungen, die sich in den jüdischen Synagogen erhoben, hervorragte, und daß „sie nicht vermochten, zu widerstehen der Weisheit und dem Geiste, aus welchem er redete”. Dies zeigt, daß der Tischdienst seine geistige Wahrnehmung nicht abgestumpft hatte; ja, statt daß sein Dienst des Wortes als Folge seiner Sorge für die leiblichen Bedürfnisse seiner Mitmenschen nachgelassen hatte, schien er eine solch klare Erkenntnis der Anwendbarkeit der von seinem Meister gelehrten geistigen Wahrheiten gewonnen zu haben, daß er die gelehrten Gegner, deren Vorwände mehr auf intellektueller Sophisterei als auf einer auf Liebe zu Gott und dem Menschen gegründeten Religion des Herzens beruhten, widerlegen konnte.
Offenbar war es also zu einer sehr wichtigen Entscheidung gekommen, obgleich es geschienen haben mag, daß die Apostel, als sie sie trafen, das Dienen in zwei Teile teilten: den Dienst des Wortes und den Tischdienst. Der Hauppunkt war, daß sie erkannt hatten, daß die Sorge für das Wohlergehen unseres Nächsten ein wesentlicher Teil des christlichen Dienens ist.
Sie müssen wohl daran gedacht haben, wie in dem Gleichnis ihres geliebten Meisters der barmherzige Samariter den Verwundeten auf sein Tier gehoben und ihn in eine Herberge gebracht hatte, wo er verpflegt werden konnte, und wie er im voraus dafür bezahlt hatte. Dies alles erläuterte eine Lehre in der praktischen Sorge für unsern Mitmenschen in der Not und schilderte eine liebevolle Teilnahme, die so freundlich und rücksichtsvoll war, daß sie nur einer geistigen Quelle entspringen konnte: der Erkenntnis, daß Gottes Sorge für Seine Kinder in der Menschlichkeit der Menschen Ausdruck findet, und daß nur so „der Menschen Unmenschlichkeit gegen den Menschen” beschämt wird und alle ihre schlimmen Wirkungen null und nichtig gemacht werden.
Sehr bald nach Beginn des Krieges, der die Welt gegenwärtig beunruhigt, mußten die Christlich-Wissenschaftlichen Direktoren erkannt haben, daß eine Lage entstehen wird, die reichlich Gelegenheiten für die in unserer Bewegung latenten Samaritertugenden bietet. Denn sie setzten in Boston und in London Komitees ein, die gewisse Notfallpläne zur Befriedigung der Bedürfnisse der Soldaten entwickeln und sofort ausführen sollten; ferner Pläne zur Versorgung der durch den Krieg obdachlos Gewordenen mit der nötigen Nahrung, Kleidung und Unterkunft; Pläne zur wirtschaftlichen Unterstützung derer, deren Unterhaltsmittel vorübergehend suspendiert waren, und denen eine kleine finanzielle Hilfe sofortige Linderung und Segnung bringen könnte.
Diese Notfallpläne sind von Zeit zu Zeit in den Zeitschriften beschrieben worden, und wenn man liest, was sie schon geleistet haben, kann man nicht umhin zu sehen, wie weit sie den oft gehörten Vorwurf widerlegt haben, daß die Christlichen Wissenschafter viel über ihren Glauben reden, aber wenig Wert auf materielle Hilfeleistung legen. Wäre dies in der Tat der Fall, dann würden die Worte des Jakobus: „So aber ein Bruder oder eine Schwester bloß wäre und Mangel hätte der täglichen Nahrung, und jemand unter euch spräche zu ihnen: Gott berate euch, wärmet euch und sättiget euch! ihr gäbet ihnen aber nicht, was des Leibes Notdurft ist: was hülfe ihnen das?” zu einer solchen Zeit eine starke Zurechtweisung sein. Der Apostel Jakobus hatte anscheinend selber die Lehre gelernt, daß der Tischdienst zum christlichen Dienen gehört und nicht als der Berücksichtigung unwert oder einer geistigen Bewegung weniger wert als der Dienst des Wortes beiseitegeschoben werden kann.
Als der Meister seinen Jüngern sagte, daß sie es ihm tun, wenn sie die Gefangenen besuchen, den Kranken dienen, die Nackten kleiden, konnten sie ihn nicht verstehen; und er wollte ihnen doch nur die einfache Lehre erteilen, daß jede kleinste Bemühung, die Annahmen materieller Begrenzung, die die Menschen an Sterblichkeit binden, zu zerstören, die Erkenntnis des Christus dem menschlichen Bewußtsein näherbringen hilft. „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan”.
Ebenso muß jede Gelegenheit, die die Christlich-Wissenschaftlichen Direktoren in der gegenwärtigen Notlage ergreifen, und die den Christlichen Wissenschaftern überall zu Gebote steht—jede Gelegenheit, diese begrenzenden Annahmen sowohl durch organisierte Tätigkeit als auch durch persönliches geistiges Verständnis zerstören zu helfen—sicher zu „den weiten Bahnen Der Mutterkirche” gehören, wovon Mrs. Eddy im Kirchenhandbuch (Art. VIII, Abschn. 15) schreibt: „Gott verlangt unser ganzes Herz, und Er bietet auf den weiten Bahnen Der Mutterkirche allen ihren Mitgliedern genügend Gelegenheit zu pflichtgetreuer Betätigung”.
Diejenigen, die glauben, daß es ihre Fähigkeit, als geistige Heiler zu wirken, gefährde, wenn sie sich mit solchen Tätigkeiten beschäftigen, sollten an Stephanus und Philippus denken, die ernannt wurden, den Tischdienst zu besorgen, und wegen dieser Arbeit dennoch nicht gehindert waren, sich als hervorragende Zeugen für das Wort Gottes zu erweisen.
Die Sprache, die das menschliche Denken heute verstehen kann, kommt klar zum Ausdruck in den Worten: Linderung des Elends stellt die Hoffnung wieder her.
Sicher ist die Beseitigung der Irrtumswirkungen eines der Verfahren, wodurch man das Zeugnis der körperlichen Sinne zerstören und für den Augenschein des Geistes Raum machen kann. Dies wird wiederum vielen, die in Gefahr sind, alle Hoffnung aufzugeben, Ermutigung und Zuversicht bringen. Immer mehr Hoffnung tut heute not; denn „wir werden durch Hoffnung gerettet”, wie Paulus uns sagt.
Folgende Stelle aus „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy (S. 209, 210) gibt uns weitere Anleitung über diesen Gegenstand: „Der geistige Sinn ist eine bewußte, beständige Fähigkeit, Gott zu verstehen. Er zeigt die Überlegenheit eines Glaubens durch Werke über einen Glauben in Worten”.
