Von welchem Gesichtspunkt man auch immer das Wort „Harmonie” betrachten mag, es erweckt stets nur die angenehmsten Gedankenverbindungen. Das griechische Urwort άϱμός, bedeutet ein Ineinanderpassen oder Sicheinfügen, und so stellt Harmonie Zusammenklang, glückliche Beziehungen dar oder, wie es in Websters Wörterbuch lautet, „die richtige Anpassung der einzelnen Teile zu einander in einem System oder einer Verbindung von Dingen”. Es ist interessant festzustellen, daß selbst eine ungekürzte Bibelkonkordanz keine einzige Stelle aufweist, an der das Wort „Harmonie” erscheint, doch übermitteln die Worte, die als „Frieden” und „Seligkeit” übersetzt werden, recht oft den wahren Sinn des Wortes „Harmonie”. Erklären die Seligpreisungen, wie sie von Christus Jesus in der Bergpredigt gegeben werden, nicht die Grundlagen für ein harmonisches Leben?
So wesentlich für ein Verstehen und eine Demonstration der Christlichen Wissenschaft ist das Begreifen der Harmonie, daß Mary Baker Eddy die Worte „Harmonie”, „Harmonien” und „harmonisch” 369 mal in ihren veröffentlichten Werken gebraucht hat. Es ist eine höchst nutzbringende und angenehme Beschäftigung für einen Anhänger der Christlichen Wissenschaft, gelegentlich die Konkordanzen zu Mrs. Eddys Schriften zu nehmen und die heilenden und erhebenden Erklärungen zu lesen und zu ergründen, die wir an den entsprechenden Stellen finden. Überhaupt sollte er sich so bald wie möglich klarmachen, daß man ohne ein gewisses Verstehen der Harmonie nicht einmal den Saum des Gewandes der Wissenschaft des Christentums berühren kann. In ihrem Buch „Anfangsgründe der Christlichen Wissenschaft” (S. 1) beantwortet Mrs. Eddy die Frage, wie sie die Christliche Wissenschaft definieren würde, mit den folgenden Worten: „Als das Gesetz Gottes, das Gesetz des Guten, das das göttliche Prinzip und die göttliche Regel der allumfassenden Harmonie auslegt und beweist.”
Ist der Leser dieser Zeilen etwa ein Neuling in der Christlichen Wissenschaft? In dem Falle möchten wir ihm raten, so bald wie möglich mit den Schriften Mary Baker Eddys bekannt zu werden. Diese vergeistigte Nachfolgerin Christi Jesu zeigt der Menschheit wie das Himmelreich, die Harmonie, in die menschliche Existenz gebracht werden kann; wie man harmonisch denken, harmonisch handeln, und wenigstens anfangen kann, den Körper harmonisch zu regieren. Sie zeigt den Sterblichen, wie es für Menschen von verschiedener Kultur und Rasse möglich ist, in Harmonie und Freundschaft zusammen zu leben und zusammenzuarbeiten. Welche Botschaft könnte daher wichtiger sein für die Menschenkinder zu einer Zeit, wenn Eintracht von den meisten Teilen der Erde abwesend zu sein scheint.
In ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 304) schreibt Mrs. Eddy: „Harmonie wird durch ihr Prinzip hervorgebracht, von ihm beherrscht, und sie beharrt bei demselben. Das göttliche Prinzip ist das Leben des Menschen. Daher hat der physische Sinn über das Glück des Menschen nicht zu verfügen. Wahrheit wird vom Irrtum nicht befleckt. Harmonie im Menschen ist ebenso schön wie in der Musik, während Disharmonie unnatürlich und unwirklich ist.” Dann fügt sie auf der nächsten Seite hinzu: „Ein unzufriedener, unharmonischer Sterblicher ist ebensowenig ein Mensch, wie Mißklang Musik ist.”
In dem Lehrbuch und ihren anderen Schriften erklärt Mrs. Eddy, daß Harmonie nur ein anderer Name für Himmel ist; wenn also der Meister seine Jünger unterwies, den Menschen zu verkündigen, daß das Himmelreich nahe herbeigekommen ist (Matth. 10:7), so wollte er ihnen die herrliche Möglichkeit zeigen, daß sie sich des Himmelreichs schon hier und jetzt erfreuen könnten. Daß der Himmel ein Geisteszustand ist und nicht etwa ein Ort, betonte er an einer andern Stelle, wenn er sagte (Lukas 17:20, 21): „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.”
Hier mag die Frage gestellt werden: „Wie kann denn die Harmonie in unserm täglichen Leben und Weben Ausdruck finden, wenn die Unstimmigkeiten zwischen Menschen und Völkern so ausgesprochen sind? Die Christliche Wissenschaft antwortet in den Worten des Jesaja (2:22): „So lasset nun ab von dem Menschen, der Odem in der Nase hat; denn für was ist er zu achten?” Wendet euch ab von dem materiellen Begriff des Menschen und strebt darnach, die Schöpfung so zu sehen, wie Gott sie kennt—als den harmonischen Ausdruck des allharmonischen Gemüts. Ärgern euch gewisse unschöne Charakterzüge einiger eurer Mitmenschen? Betrachtet ihr sie als etwas Wirkliches oder als etwas Unwirkliches? Gedenkt der Lehren Mrs. Eddys, daß ein unharmonischer Sterblicher nicht der Mensch ist. Wenn wir dem Unharmonischen in einem Bruder Wirklichkeit beimessen, so sollten wir nicht erstaunt sein, wenn Mißklang und Disharmonie sich in unserm Denken und in unsrer Erfahrung ausdrücken.
Warum sollte es so schwierig erscheinen, daß Menschen verschiedener Rassen harmonisch zusammenleben und -arbeiten? Ist der Grund hierfür nicht darin zu suchen, daß die Sterblichen in den Befürchtungen und Beschränkungen der Selbstsucht versunken sind und daher der christlichen Duldsamkeit und Geduld ermangeln? Manchmal hört man, wie Menschen sich bitterlich über die Unduldsamkeit einer andern Rasse oder Gesellschaftsklasse beklagen. Sollten sie sich nicht vielleicht weislich fragen: Bin ich duldsam genug mit meinem scheinbar unduldsamen Bruder? Helfe ich ihm, die Demonstration der brüderlichen Liebe zu machen, indem ich die Harmonie als die einzige Wirklichkeit und die Disharmonie als machtlose Illusion sehe? Ist das Erlangen sogenannter materieller Gleichheit so wichtig, wie Gott und den Menschen lieben zu lernen, wie verstehen zu lernen, daß des Menschen individuelle Harmonie, sein Herzensfrieden und seine Gesundheit, weder angegriffen noch geschwächt werden können?
Die Christlichen Wissenschafter beweisen immer wieder, daß es möglich ist, heute noch in den Himmel einzugehen. Ja, es ist möglich, heute noch die Harmonie der Seele zu empfinden, und die Stürme der Sinne zu überwinden. Und wenn sie hinausschauen aus den Fenstern des Himmels, der Harmonie, so ist es glücklicherweise möglich, den Menschen so zu sehen, wie der Vater ihn sieht: die Harmonie als das Wirkliche, die Disharmonie als das Unwirkliche.
Während dieses himmlische Verständnis im menschlichen Bewußtsein aufdämmert und zu unsrer Sonne und unserm Losungswort wird—können wir nicht harmonisch mit unsern Brüdern wandeln, bis wir, wie Paulus so tröstlich in seinem Brief an die Epheser sagt (4:13), „alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden, der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi”?
Der Dichter Dryden schrieb:
Die Gestalt des Weltalls entsprang
Aus der Harmonie, aus der himmlischen Harmonie,
Und durchlief die Tonleiter aller Noten,
Von Harmonie zu Harmonie,
Um seine Weisen abzuschließen
Mit der Fülle des Menschen.