Paulus muß aufrichtig gehofft haben, daß der Rat, den er den Philippern gab: „Freuet euch in dem Herrn allewege!” buchstäblich befolgt werde, denn er wiederholte: „Und abermals sage ich: Freuet euch!” Manche mögen jedoch die klare Forderung in des Apostels Worten übersehen und fragen: „Wie kann ich mich angesichts so vieler Versuchungen, entmutigt oder beunruhigt zu sein, allezeit wahrhaft freuen?”
Wenn wir den Glaubenssatz anerkennen, den uns Mary Baker Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 497) gibt: „Als Anhänger der Wahrheit haben wir das inspirierte Wort der Bibel zu unserem geeigneten Führer zum ewigen Leben erwählt”, können wir dann nicht auch den Rat des Paulus, uns beständig zu freuen, dankbar als göttlich eingegebene Vorschrift anerkennen?
Vielleicht erfreuen wir uns der Allgegenwart der göttlichen Liebe nicht immer, weil wir die angreifenden Einflüsterungen, die sich anmaßen, diese Allgegenwart zu bestreiten, zu leicht ins Bewußtsein einlassen. Hiefür sind wir allein verantwortlich. „Erhebe dich in der Stärke des Geistes, um allem zu widerstehen, was dem Guten unähnlich ist”, sagt uns Mrs. Eddy auf Seite 393 in Wissenschaft und Gesundheit. „Gott hat den Menschen dazu fähig gemacht, und nichts kann die dem Menschen göttlich verliehene Fähigkeit und Kraft aufheben.”
Um sich „allewege in dem Herrn zu freuen”, muß man beständig recht denken — die Allheit der Wahrheit, des Lebens und der Liebe behaupten, und das verneinen oder zurückweisen, was der Wirklichkeit des geistigen Seins entgegengesetzt ist. Dies hat unumgänglich Freude zur Folge; denn die Vergegenwärtigung der Wirklichkeit der Liebe — der Welt des Geistes — und der Nichtsheit des Bösen, des Irrtums, kann nur von wahrer Freude, von Dankbarkeit und Frieden begleitet sein.
Der Wille und die Fähigkeit, allezeit recht zu denken, überwiegen für den Christlichen Wissenschafter vollständig die scheinbare Fähigkeit oder Notwendigkeit, falsch zu denken. Die Menschen haben zu lange geglaubt, daß die nutzlosen, unglücklichen und niederdrückenden Gedanken des Materialismus und des Weltsinnes tatsächlich fähig seien, sich dem Bewußtsein aufzudrängen und es zu beherrschen. Dies ist offenbar so falsch, wie es falsch wäre anzunehmen, daß man nicht aufhören könne zu glauben, zwei und zwei sei fünf, und daß man es durch die Tatsache, daß zwei und zwei vier ist, nicht aus dem Bewußtsein austreiben könne. Wir müssen entschieden und so schnell wie möglich zu der Überzeugung kommen, daß wir den Willen und die ununterbrochene Fähigkeit haben, recht zu denken und stets vollständig Herr unseres eigenen Denkens zu bleiben.
Was würde man von jemand denken, der seinen Nachbarn klagte, daß sein Privatbüro oder seine Werkstatt immer voll von ungebetenen und unerwünschten Personen sei? Oder was würde man von einer Frau sagen, die ihren Nachbarn klagte, daß immer Eindringlinge in ihre Wohnung kommen? Wir würden natürlich sofort erwidern: „Warum lassen Sie sie ein?” oder: „Warum weisen Sie sie nicht hinaus?” Noch mehr als unser menschliches Heim gehört unser Denken uns allein, und wir haben es zu schützen und Ordnung und Frieden darin zu bewahren. Was wir nicht darin haben wollen, dürfen wir nur entweder erst nicht einlassen, oder wir müssen es hernach aus dem Bewußtsein ausscheiden. Sogar der berufsmäßige Hypnotiseur gibt ohne weiteres zu, daß er niemand, der nicht seine Einwilligung gibt, und auch niemand, der sich seinen Bemühungen innerlich widersetzt, beeinflussen kann.
In Wahrheit ist „das Reich Gottes”, von dem Jesus sagte, es „ist inwendig in euch”, das geistige Heim des Menschen. Der vollkommene Mensch ist fähig, diese heilige Stätte geistigen Verständnisses vertrauensvoll zu hüten. Hier kann er sich „in dem Herrn allewege freuen”, ohne daß er je beunruhigt zu sein braucht.
Der Umstand, daß wir unsere Gedanken nicht immer hörbar ausdrücken, ändert nichts daran, daß wir beständig Gedanken hegen, noch beseitigt es die Notwendigkeit, unser Augenmerk sorgfältig auf sie zu richten und sie in der Gewalt zu behalten. „Die sterblichen Gedanken jagen einander wie Schneeflocken und fallen dann auf die Erde”, sagt Mrs. Eddy auf Seite 250 in Wissenschaft und Gesundheit. Wer wünscht sein Bewußtsein als Schauplatz für ein solch unersprießliches, nutzloses, unbeherrschtes Treiben herzugeben? Sicher niemand, der die Christliche Wissenschaft gewissenhaft beweist!
Man kann das Einzelbewußtsein, das beständig dem Geist zustrebt, manchmal mit einer großen Orgel vergleichen, die ein Musiker, der sich in seiner Kunst ernstlich zu vervollkommnen sucht, täglich spielt. Wenn er versehentlich von der schönen und befriedigenden Harmonie abweicht, die ihn und seine Angehörigen und Freunde ergötzt, und einen falschen Ton, einen falschen Akkord anschlägt, gibt er nicht kurzerhand die ganze Aufgabe auf; er zieht auch nicht den Schluß, daß die Orgel nunmehr auf Mißtöne beschränkt sei, und daß er machtlos sei, die Lage zu ändern. Er ist sich voll bewußt, daß die Orgel uneingeschränkt harmonische Tonverbindungen und schöne Melodien hervorbringen kann. Er weiß, daß er nur auf ihre Möglichkeiten zurückzugreifen und sich an seine Noten zu halten braucht, um die falschen Töne zu vermeiden, die die Folge seines fehlerhaften Spielens waren. Irrtum ist immer Irrtum. Er hat keine Ursache, keine Macht, und ist nie die Tatsache des Daseins oder das Denken des Menschen. In Wirklichkeit beschäftigt er nie das Bewußtsein oder die Erfahrung; denn wenn wir uns „in dem Herrn allewege freuen”, können wir ihn durch geistiges Verständnis ausrotten.
Allezeit auf das Denken achten, so daß es das geistig Gute widerspiegelt, heißt nicht nur uns selber, sondern alle Menschen segnen. Es heißt den Rat des Meisters befolgen: „Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.” So können wir für uns und einigermaßen für alle, mit denen wir täglich in Berührung kommen, den scheinbar ermüdenden Kreislauf des sterblichen Daseins verbannen. Der Dichter Whittier hat es in die schönen Worte gefaßt:
Durch des Alltags lauten Lärm klingt leise
An unser Ohr eine liebliche Weise.
Und wir werden finden:
Unser alltägliches Leben ist göttlich,
Und jedes Land ein gelobtes Land.
