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Das rechte Licht

Aus der Juni 1946-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Eine kugelförmige Vase aus böhmischem Glas pflegte im Heim eines Christlichen Wissenschafters auf einem Tisch zu stehen. Wenn sie an einem dunklen Platz stand, sah sie wie gewöhnliches dünnes gutes Glas aus, klar und farblos; stellte man sie aber ins Licht, dann schillerte sie sofort in allen Regenbogenfarben und wechselte mit wechselndem Sonnenschein von mattrosa zu leuchtendem violett, herrlichem blaugrün oder mattem gold. Man hätte nie gedacht, daß es dieselbe Glasvase sei. Was war die Ursache der plötzlichen Veränderung? Das rechte Licht. Nichts weiter.

In einer Gemäldeausstellung ist jeder Künstler darauf bedacht, daß sein Bild am rechten Platz hängt, nicht zu hoch und nicht zu nieder, nicht zu sehr im Schatten und auch in keinem zu hellen Licht. Wenn ein Teppichhändler einem Kunden Perserteppiche zeigt, legt er sie sorgfältig mit dem Strich gegen das Licht, nicht vom Licht weg, damit ihre ganze Farbenpracht und Schönheit zur Geltung kommt. Jedermann weiß, was ein erfahrener Photograph mit einer Kamera tun kann. Er versucht eine Stellung nach der andern und ändert unermüdlich Licht und Schatten, bis er ein vollkommenes Ergebnis erzielt, und selbst das unansehnlichste Antlitz kann beinahe schön erscheinen. Wenn wir verhältnismäßig so unwichtigen Dingen so viel Zeit und Gedanken widmen können, sollten wir dann nicht ebenso eifrig auf das bedacht sein, was tausendmal wichtiger ist, nämlich, unsern Bruder im rechten Licht zu sehen?

Es kommt zuweilen vor, daß ein Freund oder ein Mitarbeiter sich unfreundlich oder ungerecht oder unvernünftig gegen uns zu verhalten scheint. Laßt uns in einem solchen Fall die Lage nicht zu schnell nach dem äußeren Anschein beurteilen, sondern der Ermahnung der Bibel Folge leisten und „ein rechtes Gericht richten”! Die Kugelvase machte den Eindruck, daß sie nur gewöhnliches, farbloses Glas sei, solange sie in der dunklen Ecke stand. Laßt uns unsern Bruder in das Licht der Wahrheit rücken und sehen, was geschieht! Wir mögen viele schöne Eigenschaften entdecken, von denen niemand etwas wußte, die aber immer vorhanden waren.

In dem besseren, klareren Licht fangen wir an, ihn zu sehen, wie er wirklich ist: nie ein unfreundlicher, ungerechter, unvernünftiger Sterblicher, sondern der liebende, liebenswürdige und liebenswerte Mensch, den Gott schuf. Wir beginnen seine wahre Wesensart, die Wesensart des Kindes Gottes, zu erkennen und zu wissen, daß er uns nicht weh tun kann oder weh tun wollen kann. Er kann uns nicht beleidigen und nicht beleidigen wollen. Er kann uns nichts vorenthalten und nichts vorenthalten wollen. Die Harmonie unseres Seins bleibt unberührt; denn es gibt, da Gott das einzige Gemüt ist, kein Gemüt, das Mißverständnis oder Gedanken der Bitterkeit und des Streits erzeugt. Wenn wir nicht recht denken, läuft unser Denken auf nichts hinaus.

Die Welt sieht sich heute vor die große Aufgabe gestellt, zu erkennen, wie man miteinander auskommen soll, wie man einander verstehen soll, wie man in Eintracht und Liebe zusammenarbeiten soll. Man muß die Lage der ganzen Welt in ihrem wahren Licht sehen, und dies war noch nie nötiger als heute, wo auf allen Seiten zwischen einzelnen, Rassen und Völkern Streitfragen zutage treten. Doch ist dies nichts Neues.

Vor Jahrhunderten hatte Jakob dieselbe Schwierigkeit zu überwinden. In der Bibel lesen wir, wie sein Bruder Esau einst erzürnt mit vierhundert Mann gegen ihn auszog; aber Jakob erschrack nicht, denn er hatte gerade vorher dem Engel zugehört, der zu ihm gekommen war, und mit dem er bis Tagesanbruch gerungen hatte. In dem neuen Licht, das ihm aufgegangen war, erwartete er nicht mehr, einem erzürnten Bruder, einem neidischen Bruder oder einem gefährlichen Bruder zu begegnen, der ihn zu vernichten suchte. In jener denkwürdigen Nacht hatte er angefangen, den Menschen zu sehen, wie er wirklich ist, als das Bild, das Ebenbild Gottes, das alle gottgleichen Eigenschaften der Vollständigkeit besitzt. Als Esau ihm mit seinen vierhundert Mann (eine ziemliche Macht für die damalige Zeit) entgegenzog, konnte Jakob wahrheitsgetreu sagen: „Ich sah dein. Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht; und laß dir’s wohl gefallen von mir.” Und Jakob war nicht der einzige, der gesegnet wurde; denn wir lesen: „Esau aber lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küßte ihn; und sie weinten.”

Es ist nicht immer nötig, und vielleicht nicht immer möglich, den Irrtum offen zurechtzuweisen. Jakob hatte nicht mit Esau gesprochen. Er hatte ihn nicht einmal gesehen. Aber er hatte sein Denken über ihn geändert. Denkt der Jakob von heute immer daran, daß seine erste Arbeit in jedem Falle ist, einen Einblick in sich selber zu tun? Die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mary Baker Eddy, schrieb einmal: „Benütze jede Gelegenheit, Sünde durch deine eigene Vollkommenheit zurechtzuweisen” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 249). Allen persönlichen Meinungsverschiedenheiten und Übelständen allen boshaften und störenden Einflüssen, die im stillen oder hörbar arbeiten, liegt unser eigener Glaube an sie, unsere Furcht vor ihnen, unsere Annahme zugrunde, daß sie wirklich seien.

Wer ein wahrer Metaphysiker sein will, muß unter die Oberfläche der Dinge schauen. Es ist nicht Herr X., der die Harmonie unseres Seins stört, es ist auch nicht Frau Y. oder Fräulein Z. Es ist die fleischliche Gesinnung, die zuerst jemand findet, der für sie spricht, und dann jemand, der ihr zuhört. Das Zugeben dieser Tatsache befähigt einen, den Glauben zu vernichten, daß das Böse eine Persönlichkeit sei, und es vollständig zu zerstören; denn das Böse ist machtlos, sobald es sich nicht mehr an eine Person anklammern kann. Was für einen Himmel auf Erden wir hätten, wenn alle Furcht vor Personen, alle Abneigung gegen Personen oder jede Neigung, einer Person blindlings zu gehorchen, aus dem Bewußtsein jedes Christlichen Wissenschafters vollständig ausgerottet wären! Niemand wäre so mit dem „Aufdecken von Irrtum” beschäftigt, daß es zuweilen fast scheint, als vergäße er dessen völlige Nichtsheit.

Was für eine immer wachsende Freude es ist, genau dem nachzukommen, was in Wirklichkeit die erste Pflicht und das Recht derer ist, die geltend machen, Christi Nachfolger zu sein, nämlich, zu heilen, zu ermutigen, zu segnen, anzuspornen, und infolgedessen unsere Kirchen mit Leuten zu füllen, die des Bemühens hinfälliger Persönlichkeit schon längst überdrüssig sind und sich sehnen, mehr über die Liebe Gottes zu hören. In dem Verhältnis, wie dies getan wird, wird das Böse immer weniger Gelegenheit haben, sich unter der Maske störender Parteinahme, begrenzter Mittel, von Schulden und Spaltung Eingang zu verschaffen.

Viele sehen sich heute vor neue und immer schwerer werdende Lasten gestellt. Laßt uns versuchen, sie zu stützen! Laßt uns versuchen, sie zu ermutigen; denn sie mögen der Ermutigung mehr bedürfen, als wir je ahnen! Laßt uns liebreich Erbarmen haben mit allen Kindern Gottes, hoch und niedrig, reich und arm, krank und gesund, gut und böse, und ihnen sagen, daß, wie es in einem beliebten Kirchenlied heißt, „das Herz des Ewig-Vaters wunderbare Freundlichkeit” ist, und daß das, was sie eine Last nannten, vielmehr nur eine Gelegenheit sein mag, mehr von Gottes Güte und Liebe zu sehen.

Manche dieser Traurigen mögen der Versicherung bedürfen, daß das Schreckgespenst, das ihre Schritte schon so lange verfolgt, und das die Welt vielleicht eine gefürchtete Krankheit nennt, nicht mehr Wirklichkeit hat als der Nebel, der die Gipfel der Berge verhüllt. Das menschliche Gemüt — Jesus nannte es einst „einen Lügner” und „einen Mörder von Anfang” an — hat sich das Recht angemaßt, Krankheiten in heilbare und unheilbare einzuteilen; aber das göttliche Gemüt kennt keine solch grausame Einteilung.

Wie ein Lichtstrahl die Finsternis und die Nacht der Materialität durchdringt, ergeht der ewige Erlaß: „Es gibt keine Krankheit” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 421). Andern mag es not tun, daran erinnert zu werden, daß es auch keine unheilbare Lage, keine so wirren, verwickelten Umstände gibt, daß es fast hoffnungslos scheint, auch nur zu versuchen, sie in Ordnung zu bringen. Man bringe sie ans Licht! Das Unmögliche ist schon getan worden und wird jeden Tag getan. Es besteht ein Gesetz Gottes, das ganz unfehlbar, allgemein anwendbar und augenblicklich verfügbar ist. Es gibt nichts, was nicht gebessert werden könnte. Ein gebrochener Knochen kann wieder heil werden. Ein zerrüttetes Familienleben kann wieder aufgebaut werden, oder es kann ein besseres an seine Stelle treten. Eine gebrochene Freundschaft kann wiederhergestellt werden; und es ist wunderbar, was Gott mit einem gebrochenen Herzen tun kann, wenn wir Ihm alle Bruchstücke geben.

Wir sollten uns klar machen und behaupten, daß alles rechte Vollbringen sofort möglich und uns erreichbar ist, und daß das sterbliche Gemüt sein Kommen nicht verzögern kann. Gottes Gesetz ist das einzige Gesetz, das in dem einzigen Weltall, das es gibt, in Kraft ist. Steh beiseite und sieh, wie es wirkt! Wir brauchen ihm nicht zu helfen. Im Gegenteil, wenn wir die Wahrheit wüßten, haben wir es wirklich ein wenig beiseite gedrängt, indem wir so viel über das nachdenken, was wir „unser Problem” nennen, indem wir unaufhörlich darüber reden und mit solch unermüdlicher und unendlicher Hingabe dabei verweilen, daß es wirklich not tut, daß wir Gott mehr vertrauen und Sein Gesetz als das für uns maßgebende Gesetz anerkennen.

Es ist eine wunderbare Erfahrung, Dinge aus dunklen Ecken herauszuholen und zu beobachten, wie sie im Sonnenschein funkeln. Es ist manchmal eine solch plötzliche Veränderung, daß sie uns zuerst fast zu verwirren scheint. Wir können es nicht glauben. „Es kann nicht dasselbe sein”, sagen wir uns. „Wie kommt es, daß es so schön geworden ist?”

Die Antwort ist einfach. Nur das rechte Licht. Gar nichts weiter.

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