Keine Wolke des sterblichen Gemüts kann lang den Ausblick dessen trüben, der Gott liebt; der sich mit guten Vorsätzen und rechtem Verlangen wappnet; der um die Fähigkeit betet, den Scharfsinn und die Einsicht auszudrücken, die ihn befähigen, dem Prinzip der Christlichen Wissenschaft genau Folge zu leisten. Durch ein solches Gebet, das immer erhört wird, flutet der Sonnenschein der Wahrheit in solchem Maße in das Bewußtsein ein, daß die Wolken des sterblichen Denkens in nichts zergehen.
Es gibt keine Formeln für das Ausarbeiten unserer Schwierigkeiten in der Christlichen Wissenschaft, doch steht es nicht im Widerspruch mit unmittelbarem geistigem Folgern, daß der Wissenschafter sein Denken jeden Tag berichtigt hinsichtlich der Geltendmachung des sterblichen Gemüts, daß der persönliche Sinn ihn beherrsche, daß sein Wahrnehmungsvermögen nicht geistig, sondern materiell sei. Er sieht, daß man durch die unzerstörte Annahme des persönlichen Sinnes irrige Eindrücke empfängt, und dann die furchteinflößenden Schmerzen und fragwürdigen Genüsse erlebt, die solche Eindrücke mit sich bringen. Und er erkennt auch, daß der Mensch den wahren Begriff des Daseins mit seiner unausbleiblichen und dauernden Harmonie durch den geistigen Sinn erfaßt, der Gott widerspiegelt.
Die Verfasserin hat oft gefunden, daß sie durch ein rechtes Überlegen in dieser Hinsicht ihre Daseinsauffassung so vervollkommnen konnte, daß es entscheidende Heilungen von Krankheit und Schmerzen, Befreiung von Entmutigung, Verbesserung in wirtschaftlichen Angelegenheiten und ein Freiwerden von innerer Unruhe zur Folge hatte. Besonders in Erinnerung ist ihr, daß ein solches wissenschaftliches Denken sie schnell von Gram über das Hinscheiden eines geliebten Angehörigen heilte. Bei ihrem Bestreben, diesen Angehörigen nur durch den geistigen Sinn oder das geistige Bewußtsein zu sehen und den Augenschein der körperlichen Sinne aus dem Denken auszuschalten, fand sie in Mary Baker Eddys Schriften in reichem Maße Erleuchtung und Ermutigung.
In ihrem Buch „Miscellaneous Writings“ (S. 64, 65) erklärt Mrs. Eddy ausdrücklich: „Den einzigen Augenschein vom Dasein eines sterblichen Menschen oder eines materiellen Zustandes und Weltalls bekommt man durch die fünf persönlichen Sinne. Die Wissenschaft hat diesen täuschenden Augenschein durch wiederholte Beweise seiner Unwahrheit gestürzt.“ Sie konnte also nichts dadurch gewinnen, daß sie dem Zeugnis des persönlichen Sinnes über ihren Angehörigen Glauben schenkte. Dies war tatsächlich eine Zeit, wo sie an dem geistigen Verständnis, das die Christliche Wissenschaft ihr gegeben hatte, ununterbrochen festhalten mußte. Sie bestand auf dem rechten, wissenschaftlichen Begriff vom Menschen, den nur der geistige Sinn geben kann, und den die Trugvorstellung Tod nicht nehmen konnte, und sie konnte ihre Geltendmachung verwirklichen. Als die Nachricht kam, daß der Angehörige verschieden war, war sie nicht überwältigt. Sie sah, daß die wertvollen Eigenschaften, die sie so geschätzt hatte, nie im materiellen Körper gewesen waren; sie hatte sie auch nicht durch den persönlichen Sinn, sondern durch den geistigen Sinn, der dem Menschen von Gott gegeben ist, begriffen. Und sie wußte, daß sie immer fortbestanden; es hatte sich also nichts Wahres geändert.
Jedes Werk, das Christus Jesus vollbrachte, diente dazu, eine Wolke des materiellen Sinnes zu vertreiben, das Denken von der Materie auf den Geist, von einer menschlichen, persönlichen Daseinsauffassung auf das geistige Bewußtsein des Zusammenbestehens des Menschen mit Gott hinzulenken. In dem Wunsche, den Römern eine „geistliche Gabe“ mitzuteilen, und in dem Verlangen, sie zur Erkenntnis der wunderbaren Möglichkeiten des Christentums zu erwecken, predigte Paulus: „Fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.“ Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 95): „Der materielle Sinn entfaltet die Tatsachen des Daseins nicht; der geistige Sinn dagegen hebt das menschliche Bewußtsein zur ewigen Wahrheit empor.“ Überzeugende Werke verliehen den göttlich eingegebenen Worten dieser christlichen Kämpfer Nachdruck und sind für uns ein hinreichender Grund, daß wir sofort beginnen, einen materiellen, persönlichen Sinn der Dinge aufzugeben, um den geistigen Sinn zu erlangen.
Das Böse geht im Grunde immer nach demselben Muster vor, obgleich die Einzelheiten verschieden sein mögen. Es kommt durch den materiellen Sinn, oder es wendet sich an den materiellen Sinn — sein einziges Werkzeug, um sich zur Kenntnis zu bringen. Um das Böse loszuwerden, muß man ihm offenbar sein einziges Mittel zu seinem Fortbestehen nehmen. Wir geben also Entschuldigungen oder die Neigung, jemand anders für unsere mißliche Lage verantwortlich zu machen, auf und erkennen, daß wir unsere menschliche Erfahrung selber schaffen. Unwillig, weiterhin unter einer sinnlosen Herrschaft der Selbsttäuschung Zeit zu vertrödeln, vergleichen wir die geschmacklosen Früchte des persönlichen Sinnes mit den vollständig befriedigenden Ergebnissen des geistigen Sinnes und kommen vielleicht zu Schlüssen wie den folgenden: Eine persönliche, körperliche Daseinsauffassung bringt körperliches Leiden oder vergängliche materielle Genüsse mit sich; durch den geistigen Sinn vergegenwärtigt man sich dauernde Gesundheit und Freude.
Durch einen persönlichen, begrenzten Sinn geben wir Beschränkungen der Bildung oder wirtschaftlicher Mittel oder Schranken des Standes zu; durch einen geistigen Sinn der von Gott vorgesehenen unbegrenzten Hilfsquellen werden die Beschränkungen aufgehoben. Durch einen persönlichen Sinn falscher Verantwortlichkeit oder des Eigendünkels wird weltlicher Erfolg entweder nicht erreicht oder er beruht auf unsicherer Grundlage; durch einen geistigen Sinn der von Gott widergespiegelten Fähigkeit des Menschen wird wahrer, in der Liebe sicher geborgener Erfolg erreicht. Durch einen persönlichen, trägen Sinn erliegen wir müßigem Denken und vernachlässigen Verpflichtungen; durch den geistigen Sinn dagegen bekunden wir ein wachsames Achtgeben auf göttliche Forderungen.
Der irrige Glaube an ein von Gott getrenntes persönliches, materielles Selbst — ob es als gut oder böse auftritt — ist schuld an allem, was in der Erfahrung des einzelnen verkehrt ist. Wenn die göttliche Wissenschaft uns zurechtweist, entdecken wir, daß es kein Selbst, kein Dasein außerhalb Gott gibt. Das Selbst des Menschen ist im Geist. Die Seele ist seine Wesenheit. Die göttlich individuellen, aber völlig unpersönlichen Eigenschaften Gottes kennzeichnen ihn. Das Jetzt ist die Zeit, diese Wahrheiten über den Menschen zu behaupten und zu beweisen. Man lasse sie die Wolke des persönlichen Sinnes verjagen und erkenne sein einzig wahres Selbst — das Kind Gottes!
Wenn diese dunkle Wolke sich vor unserem klarer werdenden Blick zerteilt, sehen wir, daß wir Gottes Sein widerspiegeln. Wir entdecken, daß des Menschen Schönheit wie Gottes Schönheit herrlich, unvergänglich ist. Laßt uns unsern erhabenen und sicheren Platz in Gottes Reich einnehmen! Laßt uns verstehen lernen, daß unser Dasein in Wirklichkeit schön und lehrreich ist! Laßt uns wissen, daß der Vater-Mutter Gott uns versteht; daß Er uns ewig gesund, von Schmerzen frei sein läßt! Laßt uns Dank sagen, daß wir den Segen der Erfüllung erleben — daß wir keiner Vereitelung erliegen! Laßt uns sehen, daß uns der Geist unsere einzige Auffassung von uns selber und von andern gibt!
Einen persönlichen, materiellen Sinn aufgeben, um den geistigen Sinn zu erlangen, heißt ein schon bewiesenes Prinzip anerkennen. Unsere lehrreiche und nutzbringende Aufgabe ist, unser Denken dem unbestreitbaren Beweis dieser Wissenschaft zu öffnen, ihr göttliches Prinzip begeistert zu erforschen und es zuversichtlich auf Schwierigkeiten, in welcher Verkleidung sie auch vor uns stehen mögen, anzuwenden. Wie könnte es uns an Erfolg mangeln, wo das Gemüt fähig und willens ist, jedes derartige Vorgehen zu unterstützen? Wir haben schon gesiegt, wenn wir erkennen, daß es in der Wissenschaft keinen persönlichen Sinn gibt. Und wir beweisen die Wahrheit der Worte unserer geliebten Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 284): „Der Christlichen Wissenschaft zufolge sind die einzig wirklichen Sinne des Menschen geistig und gehen vom göttlichen Gemüt aus.“
