Es wird so viel über die Ehe und die Freuden eines eigenen Familienlebens gesprochen, daß man fast zu dem Schluß kommen könnte, ein Unverheirateter könne nicht glücklich sein. Aber diese Voraussetzung ist absurd. Ein Gefühl der Vollständigkeit ist wesentlich für ein befriedigendes Leben, aber das gilt in jedem Fall, ob ein Mensch verheiratet ist oder nicht. Die große Frage ist, wie man wahre Vollständigkeit erlangt. Wie uns die Christliche Wissenschaft
Christian Science; sprich: kr'istjən s'aiəns. zeigt, wird diese Vollständigkeit nur durch das Verständnis erlangt, daß der Mensch geistig ist, eine Idee im göttlichen Gemüt, in Gott, und daß er alles widerspiegelt, was Gemüt in sich schließt — und diese Wahrheit muß im Leben zum Ausdruck gebracht werden.
In dem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift stellt Mary Baker Eddy in ihrer Auslegung der biblischen Allegorie über Eden dem sterblichen Menschen, der im materiellen Körper lebt und ihn pflegt, den geistigen Menschen gegenüber, der im Gemüt weilt. Sie schließt mit den Worten: „Der Mensch ist die Widerspiegelung Gottes und bedarf keiner Pflege; er ist vielmehr immerdar schön und vollendet.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 527;
Ein unverheirateter Mensch, der freudig die geistige Selbstheit demonstriert, läßt sich nicht so leicht durch das beunruhigen, was manche Sterbliche jenen Personen — besonders Frauen — aufstempeln möchten, die unverheiratet geblieben sind. Andere Unverheiratete, die sich durch diese Stempelung beeinflussen lassen, fühlen sich im Leben benachteiligt, weil sie das Glück auf eine zu persönliche Grundlage stellen. Rechte menschliche Beziehungen können immer dadurch erlangt werden, daß Gottes Wille demonstriert wird, demzufolge jeder einzelne das bekommt, was für seine geistige Entwicklung am besten ist. Aber selbst in der Ehe muß sich ein Gefühl der Vollständigkeit oder Vollendung auf eine individuelle und geistige Basis gründen.
Nicht zu heiraten beraubt niemanden der wissenschaftlichen Verwirklichung seiner Vollständigkeit — Vollständigkeit seiner Wesensart als Widerspiegelung des Vater-Mutter Gottes und Vollständigkeit seiner Fähigkeiten und Nützlichkeit, die sich als das Ergebnis davon zeigen, daß er die Intelligenz, die Gemüt ist, ausdrückt.
Es ist unter allen Umständen wichtig, mit Entschiedenheit an der Erkenntnis der Individualität festzuhalten und sich darauf zu verlassen, daß Gott sie ans Licht bringen wird. Mrs. Eddy sagt: „Der Mensch geht nicht in der Gottheit auf, er kann seine Individualität nicht verlieren, denn er spiegelt ewiges Leben wider, auch ist er keine abgesonderte Einzelidee, denn er stellt das unendliche Gemüt, die Summe aller Substanz, dar.“ S. 259;
„Niemand ist eine Insel, ganz für sich allein“ Devotions XVII;, schrieb John Donne. Und in unserer heutigen durch enges Zusammenleben und große Mitteilsamkeit gekennzeichneten Welt scheint es fast unmöglich, sich abzusondern. Harmonische Freundschaften, nützliche Tätigkeit, Entwicklung von Talenten — all dies sind Zeichen, daß der Mensch, der das unendliche Gemüt darstellt, in Erscheinung tritt — daß die wahre Individualität, die nicht verlorengehen kann, demonstriert wird.
Natürlich kann jemand so ganz ohne Interessen und selbstlose Ziele sein, daß er die Möglichkeiten seiner Individualität nicht voll zu entfalten vermag. Und das kann ihn zu einem uninteressanten Gesellschafter und einsamen Menschen machen. Je lebendiger das Gemüt und je vitaler die dem Guten dienende Rolle, die jemand auf der Bühne des menschlichen Lebens spielt, um so anziehender wird er für andere sein. Frohsinn hat seinen eigenen Reiz, und jemand, der interessiert und großherzig ist, ist glücklich.
Außerdem ist Gemeinschaft ein inneres Erlebnis und nicht notwendigerweise von der Gegenwart physischer Persönlichkeiten abhängig. Die beste Gemeinschaft ist im gemeinsamen Verstehen großer Wahrheiten zu finden. Wir pflegen Gemeinschaft mit den Denkern aller Zeiten, wenn wir lesen, was sie geschrieben haben, oder ihre Beiträge zum religiösen, künstlerischen oder sonstwie kulturellen Fortschritt der Menschheit schätzen lernen. Wenn wir dies tun, nimmt unser Freundeskreis ein weltumfassendes Ausmaß an.
Christus Jesus pflegte Gemeinschaft mit den Gedanken der Patriarchen und Propheten, die ihm vorangegangen waren. Und er pflegte Gemeinschaft mit den Männern und Frauen seiner Zeit, deren Gedanken mit seinen vereinbar waren. Er verließ offensichtlich seine Familie, um seine Mission als Erlöser der Welt zu erfüllen. Sein Glück hing nicht vom Familienleben ab. Als er hörte, daß seine Mutter und seine Brüder ihn gesucht hatten, sagte er: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Matth. 12:48. Der Bericht geht weiter: „Und [er] reckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“
Für den Meister stand die Vergegenwärtigung, daß Gottes Familie universal ist und daß es seine Pflicht war, dies zu offenbaren, an erster Stelle in seinem Leben. Das führte jedoch nicht dazu, daß er seine persönliche Familie von seiner Liebe ausschloß. Selbst als er am Kreuz war, vertraute er seine Mutter der Fürsorge des Johannes an (siehe Joh. 19:26, 27), und sein Bruder Jakobus wurde ein Apostel (siehe Gal. 1:19).
Je vollkommener der Unverheiratete die große Familie Gottes erkennt, die durch die Christliche Wissenschaft ans Licht gebracht wird, um so weniger wird er das Gefühl des Ausgeschlossenseins und eines unerfüllten Lebens haben. Er wird keine Forderungen an das sterbliche Gemüt stellen. Er wird daran festhalten, daß es ihm weder etwas geben noch etwas vorenthalten kann. Er wird sich auch nicht betrogen vorkommen, sondern er wird sein Alles darin finden, daß er Gottes Willen tut.
Selbstlose Liebe sichert unser Glück; sie demonstriert wirkliche Individualität; sie gibt das Sterbliche für das Unsterbliche auf. Was immer für einen Menschen nötig ist, um solche Liebe auszudrücken — tätige Kirchenmitgliedschaft, barmherzige Heilarbeit, aufbauende Interessen, die Freuden zuträglicher Kameradschaft —, wird zu seiner bewußten Erfahrung werden. Er wird seine Einheit mit seinem Schöpfer demonstrieren und wissen, daß er tatsächlich geistig vollständig ist.
