Inwiefern kann die Christliche Wissenschaft im Leben eines Historikers ein Einfluß zum Guten sein?
Ein Kollege von mir, ein Christlicher Wissenschafter, der geschichtlicher Studien halber ins Ausland gefahren ist, mußte feststellen, daß das wichtigste Material, mit dem er zu arbeiten gedachte, vor mehr als einem Jahrhundert zerstört worden war. Aber er betete darüber im Sinne der Christlichen Wissenschaft und fand unverhofft ein anderes Gebiet, das sich von seinem ersten abzweigte und mit dem er arbeiten konnte, und es wurde ein außerordentlicher Erfolg. Die Christlichen Wissenschafter verwerfen Begrenzungen. Ein Historiker, der Christlicher Wissenschafter ist und daher weiß, daß der Mensch der Ausdruck des allwissenden Gemüts ist, kann Anspruch auf alles Wissen und all die Intelligenz erheben, die er für seine Arbeit braucht.
Geschichtliches Quellenmaterial ist oft nicht überzeugend, und man darf den Beweis niemals mit Gewalt herbeiführen wollen, um ihn seinen Thesen anzupassen. Ein guter Gelehrter gibt niemals vor, mehr Gewißheit zu haben, als er wirklich hat. Gott ist Wahrheit, und es gibt nur eine Wahrheit. Jesus sagte: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll.“ Joh. 18:37; Das sollte das Motto für Historiker sein. Bei Ihrer Suche nach der Wahrheit — mit einem fettgedruckten „W“ geschrieben — wird es Ihnen nicht dienlich sein, wenn Sie die Wahrheit — mit einem gewöhnlichen „W“ geschrieben — mißachten. Selbst wenn in der Christlichen Wissenschaft die gesamte Menschheitsgeschichte als eine Traumerzählung angesehen wird, ist es besser, daß sie korrekt anstatt inkorrekt ist.
Was geschieht, wenn Nationen ihre eigene Geschichte ignorieren?
Sie werden ihre Fehler wiederholen! Die Israeliten ignorierten, was geschehen war, und die Propheten brachten sie immer wieder dorthin zurück. Jesus ignorierte die Geschichte auch nicht. Das Christentum schenkt genau wie das Judentum historischen Tatsachen große Beachtung. Das Leben großer christlicher Gestalten aller Jahrhunderte, wie Augustinus, Franziskus, Martin Luther, George Fox, John Wesley usw., ist wohl wert, daß man sich eingehend damit beschäftigt.
Was hat die Christliche Wissenschaft von der Bibelkritik zu befürchten, oder was kann sie daraus gewinnen?
Sie hat nichts zu befürchten, meine ich, und kann durch ehrliche Prüfung nur gewinnen. Mrs. Eddy sagt: „Die einzige Auslegung der Heiligen Schrift, die von Bedeutung ist, ist die geistige.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 320; Die Wahrheit ihrer Offenbarung kann durch archäologische oder literarische Entdeckungen nicht beeinflußt werden. Aber sie schenkte der biblischen Gelehrsamkeit ihrer Tage Beachtung und wünschte, daß ihre Nachfolger mit der Zeit Schritt hielten.
Es kann ihre Sache nur in Mißkredit bringen, wenn die Christlichen Wissenschafter sich an so überholte Annahmen halten wie die, daß alle Bücher der Bibel von ihren angeblichen Verfassern geschrieben wurden oder daß alle Teile gleicherweise glaubwürdig sind. Abschnitte, die historisch nicht einwandfrei sind, können jedoch als Allegorie oder Gleichnis sehr inspirieren. Wie Paulus schreibt: „Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch Geduld und den Trost der Schrift die Hoffnung festhalten.“ Rom. 15:4; Die Bibel bringt den Wissenschaftern in ihrer Heilarbeit laufend Inspiration.
Man braucht natürlich nicht jede Theorie der Kritiker zu glauben; ein guter Gelehrter wird zugeben, daß seine Schlüsse von neuem Beweismaterial umgestoßen werden können. Aber das zur Verfügung stehende Beweismaterial muß respektiert werden; nur ein Christlicher Wissenschafter wird nicht — im Gegensatz zu manchen Historikern — Beweismaterial allein deshalb verwerfen, weil es dem, was physisch als möglich angesehen wird, widerspricht. Paulus schrieb: „Prüfet aber alles, und das Gute behaltet.“ 1. Thess. 5:21;
Ein Bestehen auf der buchstäblichen Wahrheit aller Teile der Bibel hat schon viele Menschen vom Christentum abgebracht, wohingegen eine auf gelehrtem Studium beruhende scharfsinnige Auslegung die gegenteilige Wirkung erzielt hat. Was jedoch wirklich ausschlaggebend ist, ist die geistige Erkenntnis, wie Mrs. Eddy auf Seite 319 von Wissenschaft und Gesundheit sagt: „Die göttliche Wissenschaft, die in der Ursprache der Bibel gelehrt wurde, kam durch Inspiration, und es bedarf der Inspiration, um sie zu verstehen.“
Werden viele der biblischen Ereignisse durch die Geschichtsforschung und durch archäologische Grabungen bestätigt?
O ja, in jeder Menge. Wir haben Zeitdokumente, die Sanheribs und Nebukadnezars Feldzüge beschreiben. Und ich habe zum Beispiel Überreste gesehen von Hazor, der Festung, die Josua einnahm, oder von Salomos Ställen in Megiddo und von Ahabs Palast in Samaria und von der Halle am Teich von Bethesda — alles durch Ausgrabungen ans Licht gebracht. Aber es stimmen nicht alle Gelehrte darin überein, wieviel diese Entdeckungen bestätigen. Man kann sagen, daß sie allgemein das Geschehnis bestätigen, aber nicht unbedingt jede Einzelheit.
Gibt es Gelehrte, die zu beweisen suchen, daß die Bibel eine Sammlung von Mythen ist?
Ich möchte sagen, daß man von dieser Einstellung vollkommen abgekommen ist. Viele Gelehrte sehen in der Bibel mythische Elemente, aber keiner wird mehr die Behauptung aufrechterhalten, daß alles in ihr mythisch oder unhistorisch ist.
Sind Sie davon überzeugt, daß es einen Menschen Christus Jesus gab?
O ja! Und auch, daß er von den Toten auferstand! Ich hege darüber keinen Zweifel. Aber Sie können niemanden zwingen, das zu glauben.
Meinen auch andere Historiker, daß es einen historischen Jesus gab?
Ja. Das kann niemand leugnen. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet, daß zur Regierungszeit des Kaisers Tiberius Jesus von Pontius Pilatus zum Tode verurteilt wurde.
Was gehört dazu, die Echtheit eines biblischen Manuskripts nachzuweisen?
Als erstes muß man versuchen festzustellen, inwieweit das Manuskript eine wahre Kopie von dem ist, was der Verfasser geschrieben hat. Das bedeutet, die Grundsätze der Textkritik anzuwenden. Dann muß man seine Echtheit überprüfen — ob es wirklich das ist, was es vorgibt zu sein. Man muß wissen, wer es zuerst erwähnte und seinem angeblichen Verfasser zuschrieb. Weiter muß man prüfen, ob seine Sprache, sein Stil, seine Ansichten mit dem übereinstimmen, was wir über diesen Verfasser von anderen Quellen wissen. Ist es in sich selbst folgerichtig? Wenn das 5. Buch Mose den Tod des Mose erwähnt, kann es nicht sehr gut von Mose selbst geschrieben sein, nicht wahr?
Ist Ihr Glaube jemals durch eine historische Erwägung erschüttert worden?
Nein, das möchte ich nicht sagen. Aber es gibt viele Dinge, die rätselhaft sind und über die man besser Bescheid wissen möchte. Ein aufmerksamer Leser wird in den Evangelien Widersprüche feststellen und manches, was wie seltsame Auslassungen aussehen mag. Viele Menschen werden kaum annehmen, daß die langen Darlegungen Jesu genaue Niederschriften von dem sind, was er sagte. Andererseits muß man bedenken, daß für die Apostel die Tage ihres Zusammenseins mit Jesus das größte Ereignis in ihrem Leben waren. Sie haben bestimmt den allgemeinen Inhalt seiner Bemerkungen behalten und vieles wortwörtlich. Aber was für die Christlichen Wissenschafter sowie für die anderen Christen von Bedeutung ist, ist die fundamentale Wahrheit der Prophezeiung Jesu: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“ Mark. 13:31; Seine Lehren sind erhalten geblieben und haben nichts von ihrer heilenden und erlösenden Macht eingebüßt.
Wie können Sie es sich erklären, daß Jesus von den Historikern seiner Tage beinahe übersehen wurde?
Nun, hier ging etwas in einer abgelegenen Provinz des römischen Imperiums vor sich, und hauptsächlich unter unscheinbaren Menschen, die nicht in die Geschichte eingegangen sind. Vielleicht dachten viele, die geheilt wurden, daß er nichts weiter war als ein Wundertäter. Ich nehme nicht an, daß sie alle Christen wurden. Die Menschen dachten ähnlich von Mrs. Eddy, als sie solche wunderbaren Heilungen in Neuengland vollbrachte. Warum nahmen sie nicht alle ihre Lehre an? Sie lief ihren allgemeinen Ansichten zu sehr entgegen.
Glauben Sie, daß die in den Evangelien erwähnten Heilungen Tatsache sind?
Sie scheinen mir ein wesentlicher Teil des Evangeliums zu sein. Wenn man die Berichte in den Evangelien in der Hauptsache als historische Tatsachen ansieht — wie man es tatsächlich tun muß —, muß man auch die Heilungen akzeptieren.
Warum ist dem geistigen Heilen in der Geschichte der christlichen Kirche so wenig Raum gegeben worden?
Ich glaube, wenn das geistige Heilen im Leben der christlichen Kirchen nach dem Zeitalter der Apostel eine größere Rolle gespielt hätte, würden wir von den Kirchenhistorikern mehr darüber hören.
Ist es historisch belegt, daß die ersten Christen Heiler waren?
Ja. Zweifellos. Sie werden feststellen, daß die Kirchenväter im ersten, zweiten und zum Teil auch im dritten Jahrhundert davon sprachen, daß in der Kirche Heilungen vor sich gingen. Aber die Dokumente dieser Zeit geben selten Einzelheiten an, und es hat den Anschein, daß dieses Heilen immer weniger geistig wurde. Die Christen glaubten weiterhin an Dämonen, wie auch die Menschen zu Jesu Zeit an sie geglaubt hatten. Und sie riefen über den Kranken den Namen Jesu an, was nicht gerade das ist, was wir unter christlich-wissenschaftlicher Behandlung verstehen! Aber es wird anerkannt, daß in der ersten Zeit das Heilen zum Christentum gehörte.
Folgt die Christliche Wissenschaft dem historischen Christentum in direkter Linie?
In manchen Punkten ja, in anderen nicht. Die Christlichen Wissenschafter haben wie andere Christen die Lehren Jesu zu ihrer Lebensregel gemacht. Sie betrachten ihn als ihren Meister und Herrn, machen ihn zu ihrem Vorbild und bemühen sich, so „gesinnt [zu sein], wie Jesus Christus auch war“. Phil. 2:5; Aber sie beten nicht Jesus als Gott an. Von Anfang an waren die Christen über das Wesen Jesu, des Christus, verschiedener Meinung und stritten sich darüber. Schließlich kamen die bedeutendsten Kirchen in Ost und West auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. Chr. überein, daß Jesus gleicherweise Gott und Mensch war. Die Christlichen Wissenschafter machen einen Unterschied zwischen Jesus und Gott und auch zwischen Jesus und dem Christus.
Zweitens stehen die Lehren Mrs. Eddys, daß Böses und Krankheit unwirklich sind — was die Grundlage des Heilens in der Christlichen Wissenschaft ist —, im Gegensatz zu den traditionellen Lehren der christlichen Kirchen. Ich glaube, Sie können behaupten, daß im Neuen Testament niemand jemals sagte, daß das Böse unwirklich ist. Jesus sagte, der Teufel „ist ein Lügner und der Vater der Lüge“, Joh. 8:44; aber das ist nicht ganz dasselbe, als wenn man sagt, der Teufel ist unwirklich.
Aber er bewies zweifellos, daß das Böse unwirklich ist...
O, er trat die materiellen Gesetze mit Füßen. Er heilte Krankheit und vermehrte das Brot. Er zeigte, daß das Böse unwirklich ist, aber er hat es nicht eigentlich gesagt.
Die Christlichen Wissenschafter meinen, daß er der Welt so viel gab, wie sie aufnehmen konnte. Er sagte: „Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten... und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.“ 16:12, 13; Die Christliche Wissenschaft hat ihre historischen Wurzeln im Christentum, genauso wie das Christentum seine Wurzeln im Judentum hatte. Sie steht völlig mit den Lehren Jesu in Einklang. So möchte ich sagen, daß sie in direkter Linie mit dem Christentum steht, obwohl historisch gesehen nicht in dessen Hauptstrom. Ich glaube, die traditionellen Kirchen bedauern es, daß sie die Jahrhunderte hindurch nicht den Nachdruck aufs Heilen gelegt haben, wie die ersten Christen. Eine anglikanische Kirche in Cambridge, wo ich wohne, hat begonnen, regelmäßige Gottesdienste abzuhalten, die das geistige Heilen fördern sollen.
Halten Historiker die Christliche Wissenschaft für zu jung, als daß sie eine bedeutungsvolle Geschichte haben könnte?
Ich glaube nicht, daß sie sie für zu jung halten, aber ich fürchte, sie halten sie für nicht wichtig genug! Ich nehme an, die meisten Menschen denken, die Christliche Wissenschaft sei ein unorthodoxes therapeutisches System, oder sie verwechseln sie mit allen möglichen Arten von Quacksalberei oder mit psychosomatischen Heilmethoden.
Zu Beginn des Christentums hat es sehr lange gedauert, bis es ernst genommen wurde. Paulus schrieb über das Predigen vom Kreuz, es sei „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als göttliche Kraft und göttliche Weisheit“. 1. Kor. 1:23, 24 Mrs. Eddy legte die Vergeistigung des Denkens nahe; sie konnte aber auch sagen: „Auf allen Seiten grüßen uns Zeichen des Fortschritts und der Vergeistigung.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 158;
Ist dies das nachchristliche Jahrhundert, wie manche sagen?
Nur in dem Sinne, daß sich die Menschen in gewissen Ländern nicht mehr so allgemein zum Christentum bekennen, und das überlieferte Christentum hat viel an Boden verloren. Paulus sagte, daß „zuvor der Abfall komme“ 2. Thess. 2:3., und dies könnte dafür ein Beispiel sein. Aber ein Christlicher Wissenschafter wird behaupten, daß Mrs. Eddys Entdeckung das Christentum glaubwürdiger macht und es den Absichten seines Gründers näherbringt als je zuvor. Er glaubt, daß in der christlichen Geschichte eine neue Ära beginnt.