Wie wir bereits in früheren Artikeln dieser Serie erwähnt haben, wurde die erste schriftliche Wiedergabe der Geschichte des hebräischen Volkes, die die Geschichte der Welt von ihrer vermutlichen Schöpfung bis zur Eroberung Kanaans behandelt, wahrscheinlich um 850 v. Chr. im südlich gelegenen Königreich Juda zusammengestellt. Da sie von Juda kam und der Name Jehova oder genauer gesagt Jahve als der hauptsächlichste Name für die Gottheit gebraucht wurde, wurde sie als die J-Quelle des Pentateuch bezeichnet.
Die zweite grundlegende Quelle, die in dem nördlichen Königreich Israel oder Ephraim etwa um 750 v. Chr. zusammengestellt wurde und hauptsächlich den Ausdruck Elohim für Gott verwandte, wurde als die E-Quelle bekannt, während D als Symbol gebraucht wurde, um die ursprüngliche Aufzeichnung des Buches Deuteronomium, des 5. Buches Mose oder „Gesetzbuches“ (siehe 2. Kön. 22:8), zu bezeichnen, das im Jahre 621 v. Chr. erschien, etwa 35 Jahre vor dem Exil der Juden in Babel.
Die letzte der vier Hauptquellen des Pentateuch, allgemein mit „P“ bezeichnet, das für den Ausdruck „Priesterliches Gesetzbuch“ steht, scheint in seiner endgültigen Form etwa aus dem Jahre 500 v. Chr. zu datieren. Die ersten drei, J, E und D, waren hauptsächlich das Werk prophetischer Schreiber, aber P war im wesentlichen das Werk von Priestern. Darüber hinaus ist zu sagen, daß, während J und E sich hauptsächlich mit der Geschichte und D mit dem Gesetz befassen, diese vierte Quelle, P, eine Kombination von Geschichte, Gesetz und Ritual ist.
Weil einige Gelehrte die Anfänge für die Entstehung dieser letzten Hauptquelle, P, in die Zeit der babylonischen Gefangenschaft verlegen und in ihr den Einfluß Hesekiels sehen, führen wir sie an dieser Stelle in die Serie über die Fortdauer der Bibel als zusammenhängendes Ganzes ein.
Es überrascht nicht, wenn man feststellt, daß die Ideen Hesekiels — der, obwohl hauptsächlich als Prophet bekannt, priesterlicher Herkunft war — mit dieser P-Quelle des Pentateuch vieles gemeinsam haben.
Trotz der Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Exil auftraten, arbeiteten die Verfasser und Herausgeber jener Tage anscheinend daran, das Gesetzbuch zu beenden, denn sie sahen, daß es das gesamte Leben und alle Tätigkeiten des Volkes regierte, und es sollte für den Gebrauch bereitstehen, wenn es dem Volk schließlich erlaubt sein würde — wie es seine geistigen Führer zuversichtlich erwarteten —, nach Jerusalem zurückzukehren.
Genauso, wie die Verfasser des fünften Buches Mose ihre Gesetze niedergelegt hatten, um den Auswirkungen von Manasses unheilvoller Regierung entgegenzutreten, so waren diese priesterlichen Denker davon überzeugt, daß die Exiljuden, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehrten, eine starke Verfassung brauchten, nach der sie alles neu organisieren konnten. Sie stellten sich vor, daß der Tempel, die Gottesverehrung und die Opferung im Mittelpunkt dieses Gesetzes stehen sollten. Die Macht des Volkes war zerstört, und es schien, als ob seine einzige Hoffnung darin bestand, die politische Macht durch ein starkes religiöses Gebilde, das von den Priestern regiert wird, zu ersetzen. Da der Plan von den Priestern selbst ausgearbeitet wurde, konnte sehr wohl erwartet werden, daß einer starken priesterlichen Organisation besonderes Gewicht beigemessen würde.
Einer der vielen Abschnitte in dem literarischen Werk, der das priesterliche Denken zum Ausdruck brachte, war Hesekiels prophetische Beschreibung der Gestalt des wiedererrichteten Tempels und die religiöse Gesetzessammlung, wie sie im 40. bis zum 48. Kapitel seines Buches zu finden ist.
Es ist vermutet worden, daß zu der Zeit, als das „Gesetzbuch“, die Grundlage des Deuteronomiums, erschien, der Tempel wie auch das Königreich der direkten Herrschaft des Königs unterstellt worden waren. Im Gegensatz dazu zeigen die Lehren Hesekiels, daß die Macht „des Prinzen“, wie Hesekiel ihn nennt, entschieden nachgelassen hatte und daß er jetzt als den Priestern untergeordnet angesehen wurde, die die ausschließliche Herrschaft über den Tempel ausübten (siehe Kapitel 44—46).
Das Deuteronomium läßt auch durchblicken, daß die Vorrechte des Priesteramtes allen Leviten vorbehalten werden sollten, aber Hesekiel hebt hervor, daß nur jene auserwählten Leviten, die die Nachfahren Zadoks waren, als Priester dienen sollten, denn es waren gerade die Leviten im allgemeinen, die der Prophet beschuldigte, das Volk zum Götzendienst verführt zu haben (siehe Hesek. 44:10—12), anstatt daß sie ihre Stellung als Diener des Herrn aufrechterhielten und auf diese Weise dazu beitrugen, das Volk Gott angenehm zu machen.
Das priesterliche Denken, das in dem Werk Hesekiels zutage tritt, fand auch seinen Ausdruck in der allmählichen Vorbereitung und Bearbeitung der letzten Quelle des Pentateuch, P. Ein wichtiger Teil der P-Quelle, der jetzt in den Kapiteln 17—26 des dritten Buches Mose erscheint, wird allgemein als das Heiligkeitsbuch bezeichnet und heißt abgekürzt „H“. Obwohl dieses Buch Gesetze enthält, die ihrem Charakter nach zeitlos sind, scheint es nicht viel später als 570 v. Chr. geschrieben worden zu sein, und es weist starke Züge von Hesekiels Stil auf. Wie in den letzten neun Kapiteln des Buches des Propheten Hesekiel, dem die Heiligkeit Gottes große Ehrfurcht einflößte, wird in diesem Gesetzbuch großer Nachdruck auf die Heiligkeit des Volkes als dem Diener eines heiligen Gottes gelegt.
Die Verfasser und Herausgeber des Gesetzbuches P arbeiteten auch daran, die bestehenden Werke zu revidieren und zu vereinigen und ihre religiöse Bedeutung hervorzuheben, wobei sie in ihrer Neubearbeitung auch das Material, das heute als die J-, die E- und die D-Quelle bekannt ist, mit einbegriffen. Es war an diesem Punkt, daß das majestätische und inspirierende erste Kapitel der Genesis, in dem die Ordnung der Schöpfung als göttlich anstatt als materiell erkannt wird, geschrieben worden zu sein schien. Obwohl in seiner Gestaltung Spuren babylonischen Einflusses zu finden sind, ist sein Inhalt zu sehr durchgeistigt, als daß er durch babylonisches Denken festgelegt worden sein konnte.
Wenn die Bibel als Ganzes gelesen wird, sind die im biblischen Muster miteinander verwobenen Stränge der Wahrheit, die von den verschiedenen Zeitaltern der Geschichte des hebräischen Volkes herstammen, nicht leicht zu entwirren oder voneinander zu unterscheiden. Gewisse charakteristische Aussagen wie „Dies ist das Geschlecht von“ und auch die langen Geschlechtsregister helfen uns jedoch, die P-Quelle zu identifizieren. Sorgfältige Listen, genaue Abmessungen und chronologische Daten lassen die P-Quelle methodischer erscheinen als die früheren Quellen. Es ist anzunehmen, daß Stellen, die großes Gewicht auf die Heilighaltung des Sabbats, auf Opferung, auf priesterliche Anordnungen und auf den Ritus legen, der einer gut organisierten Hierarchie zukommt, zu dieser Quelle gehören.
So kann man vielleicht sehen, warum es praktisch unmöglich ist, die ganze Bibel in detaillierter chronologischer Reihenfolge neu zu gliedern. Die ausschließlich historischen Aufzeichnungen könnten zwar herausgetrennt und auf diese Weise angeordnet werden, aber es sind eigentlich allein die Stufen der geistigen Entfaltung, denen man erfolgreich nachgehen kann, und diese kann man in unterschiedlichem Grade in all den vielen Quellen finden. Und diese Quellen wurden von zahlreichen Verfassern — einige sind bekannt, aber noch mehr sind unbekannt — zu verschiedenen Zeiten und unter weit voneinander abweichenden Bedingungen geschrieben.
Der Wert im Erforschen der vielfältigen Quellen der Bibel liegt darin, daß man Beweise des zunehmenden geistigen Verständnisses sucht, sowie es sich entfaltet. Von der frühesten Quelle J über E und D bis zu P hinauf, einschließlich H, kann man verfolgen, wie sich das Denken erhebt, von der allegorischen Darstellung der Schöpfung bis zu dem erhabenen Bericht von der Ordnung und Herrlichkeit der geistigen Schöpfung in dem glorreichen ersten Kapitel der Genesis, wie die Priester es beigetragen haben.
Während die P-Quelle für die ermüdenden genealogischen und ritualistischen Einzelheiten verantwortlich ist, fällt ihren Verfassern und Herausgebern aber auch das Verdienst zu, die moralischen und religiösen Ideale verbessert und ein strenges Verbot des Heidentums und des Götzendienstes ausgesprochen zu haben. Dem priesterlichen Gesetzbuch gebührt die Ehre, „das Gesetz eines heiligen Volkes“ und „die Charta der neuen jüdischen Kirche“ genannt zu werden. Seine Ideale wurden in die Tat umgesetzt, als die Verbannten nach Palästina zurückkehrten und in den Tagen Esras und Nehemias der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut wurde.