Um der in der Überschrift gestellten Frage auf den Grund zu gehen, sollten wir uns eine parallele Frage stellen: „Bin ich in der Lage, Wahrhaftigkeit, Rechtschaffenheit, Schönheit und Liebe wahrzunehmen, selbst wenn sie nur in geringstem Maße auftreten?“
Durch die Christliche Wissenschaft lernen wir, in allem, was wir sehen und erleben, die geistige Tatsache zu erkennen. Wir verstehen, daß Gott Geist ist und daß der Mensch und das Universum Seine Ideen und rein geistig sind.
Wir können uns im täglichen Leben den unendlichen Reichtum geistiger Ideen zunutze machen. Unsere Empfänglichkeit für diese Ideen des Guten kann beständig und ununterbrochen sein. Manchmal bringt uns eine göttliche Eingebung plötzliche Erleuchtung, und allerlei Probleme — körperlicher, moralischer und wirtschaftlicher Art — werden gelöst. Manchmal wiederum mag eine Lösung oder Heilung nur schrittweise eintreten. Das Zurückweisen des Materiellen, des Falschen und Unwahren, ebnet den Weg zu harmonischen Lösungen. Dies geschieht durch unser überzeugtes Festhalten an der Unwirklichkeit der Materie und der Wirklichkeit des Geistes. Aber ganz gleich, welch eine Situation sich menschlich zeigen mag: wenn wir diese Wahrheit behaupten, werden wir fester in der Erkenntnis, daß unser Verständnis groß genug ist.
Mrs. Eddy lenkt unser Denken auf die nie versagende Intelligenz hin, die Gott ist: „Das göttliche Verständnis herrscht, ist alles, und es gibt kein anderes Bewußtsein.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 536; Wir benötigen die Bereitwilligkeit, uns dem segensreichen Einfluß des göttlichen Gesetzes zu öffnen und den göttlichen Willen geschehen zu lassen. So wie es nur einen Gott gibt, gibt es nur einen Willen. Jeder Gedanke, der mit Gott, Wahrheit, Leben und Liebe, in Übereinstimmung ist, besitzt mehr Macht, verfahrene Situationen zu berichtigen, als aller sogenannte menschliche Wille, und sei er noch so aufgebläht.
Die Christliche Wissenschaft tröstet, heilt und ermutigt; sie fordert aber auch, daß wir den Weg zu größerem Verständnis konsequent weitergehen. „Ein wenig Sauerteig bringt den ganzen Teig in Gärung“, schreibt Mrs. Eddy. „Ein Körnlein der Christlichen Wissenschaft tut Wunder für die Sterblichen, so allmächtig ist Wahrheit; man muß sich aber mehr von der Christlichen Wissenschaft aneignen, um im Gutestun beharren zu können.“ ebd., S. 449;
Wenn wir verstehen, daß der Wille Gottes die einzige aktivierende Kraft ist, werden wir mehr Harmonie, mehr Sicherheit und größere Freude erleben. Es ist also die Wahrheit über Gott und den Menschen, die als ein Gesetz wirkt und in unserer menschlichen Erfahrung das Gute zur Entfaltung bringt. Liebe ist der Antrieb für alles, ws hilfreich und nützlich, was gut und von Bestand ist.
Die göttliche Liebe ist die Grundlage menschlicher Zuneigung, Freundlichkeit und Höflichkeit. Der Apostel Paulus sagt uns, wie die Liebe Gottes zum Ausdruck kommt. Seine Worte geben uns einen Maßstab, an dem wir unsere Liebe zu Gott und dem Menschen messen können: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit; sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf.” 1. Kor. 13:4—8; Wir können sofort den Versuch machen, die Wirksamkeit dieser Liebe zu beweisen — nicht nur als abstrakte Übung, sondern praktisch, indem wir den menschlichen Willen aufgeben. Dies ist immer möglich, wenn wir ernsthaft und ehrlich beten: „Dein Wille geschehe.” Matth. 6:10;
Da Gott unendlich ist, ist die Liebe unendlich, und die Möglichkeiten, Liebe zum Ausdruck zu bringen, sind auch unendlich. Meine Erfahrung gegen Ende eines aufreibenden Arbeitstages war ein Beweis für die Macht der göttlichen Liebe. Überall um mich her war das Wort „Streß“ zu hören. Es wurde viel wegen Überlastung geklagt.
Da griff mich ein Kollege in einer sehr gereizten Form an und äußerte unbegründete Beschuldigungen, die mir reichlich Anlaß gegeben hätten, beleidigt zu sein. Ich erwiderte kein Wort. Mein Schweigen allein wäre aber nicht genug gewesen. Das Bedeutende in diesem Moment war, daß der offensichtliche Angriff mich nicht erreichte, da ich nur liebevolle und freundliche Gedanken in mir wahrnahm. Ich brauchte in diesem Falle nicht erst etwas zu berichtigen, weil ich weder Groll noch Abneigung empfand. Ich spürte, daß alles Harmonie war und alle von der göttlichen Liebe umgeben und Gottes Kinder waren. Ich konnte tatsächlich nichts anderes sehen.
Mein Kollege verließ plötzlich das Zimmer. Nach kurzer Zeit kam er wieder und verhielt sich, als ob nichts geschehen wäre. In Wirklichkeit war ja auch nichts geschehen, weil Liebe immer gegenwärtig ist. Ein weiterer Beweis für die Wirksamkeit der Liebe war, daß ich, obwohl ich fast selbst am Ende gewesen war, mich plötzlich frisch und kräftig fühlte wie am Tagesanfang oder nach einem erholsamen Urlaub.
Die Frage: „Ist mein Verständnis groß genug?“ hängt eng mit der Frage zusammen: „Ist meine Liebe groß genug?“ Und diese Frage können wir mit Ja beantworten, wenn wir verstehen, daß Gott unerschöpfliche Liebe ist und daß Sie und ich als Ideen Gottes die Liebe Gottes zum Ausdruck bringen. Möglichkeiten, uns in der Tätigkeit der Liebe zu üben, haben wir immer und überall, denn Liebe ist allumfassend, immer gegenwärtig.
Es braucht deshalb keine Trennung und keine Feindschaft unter den Menschen zu geben. Menschliche Zustände, die solche Abirrungen zeigen, sind niemals der Ausdruck des göttlichen Willens, sondern immer das Ergebnis eines Denkens, das sich von Gott entfernt hat. Da Gott das einzig wahre Bewußtsein ist, kann jeder einzelne, in ebendiesem Augenblick, in seinem Denken anstelle von Feindseligkeit und Disharmonie die im göttlichen Gemüt bestehende Einheit aufrichten.
Wir können eine scheinbar unüberwindliche trennende Mauer mit der freiheitbringenden Macht des Geistes überwinden. Feindschaft und Haß weichen der Wahrheit, daß wir „nun Gottes Kinder“ 1. Joh. 3:2; sind. Durch diese Wahrheit sehen wir das Unhaltbare und Nutzlose der sterblichen Impulse von Haß, Zorn und falschem Ehrgeiz. Die in unserem Leben betätigten rechten Eigenschaften — Liebe, Treue, Hingabe an ein erstrebenswertes Ziel, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit — sind ein Hinweis auf die Wirklichkeit und Wirksamkeit des göttlichen Gemüts.
Paulus gibt unserem Denken einen bedeutenden Anstoß in der rechten Richtung, wenn er sagt: „Weiter, liebe Brüder: Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!“ Phil. 4:8.
Wir können über die Dinge nachdenken, die auf Gottes Güte und Liebe Bezug haben, und uns durch Betätigung göttlicher Eigenschaften mit der göttlichen Macht verbinden. Auf diese Weise erkennen wir unsere Verbundenheit mit Gott. Unser Denken ist geöffnet für Gottes heilende Wahrheit.
Zeugnisse in den Mittwochabendversammlungen der Kirchen Christi, Wissenschafter, veranlassen manchmal Menschen zu der Bemerkung: „Ja, so weit möchte ich auch sein!“ Wir alle können in einem gewissen Grade vom Wirken der göttlichen Liebe Zeugnis abgeben. Zeugnisse und Erfahrungen werden nicht gegeben, um aufzuzeigen, wie weit wir sind, sondern um zu veranschaulichen, daß wir Gott preisen und Ihm für das Wirken des Christus, der Wahrheit, im menschlichen Bewußtsein danken. Wenn wir der Liebe Gottes Ausdruck verleihen, wird die von uns zum Ausdruck gebrachte Liebe wie das Senfkorn, das das kleinste unter den Samen ist, aber ein großer Baum wird, wenn es wächst.
