Als Helena aus der Schule kam und das Haus betrat, hörte sie, wie ihre Eltern sich wieder stritten. Sie waren im Wohnzimmer, und so ging sie leise die hintere Treppe hinauf zu ihrem Zimmer und schloß die Tür. Sie fand ein Fleckchen Sonnenlicht auf dem Fußboden, setzte sich in seine Wärme und lehnte sich gegen das Bett und betete.
Ihr kam der herrliche Gedanke: „Gott regiert deine Mutter und deinen Vater, und Er regiert dich.“ Sie hatte immer geglaubt, daß Gott regiert — hatte dies immer in ihrer christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschule gehört. Aber jetzt, wo sie es am meisten brauchte, kam dieser Gedanke mit einer Art von Autorität zu ihr, die darauf bestand, daß seine Wahrheit ebenjetzt für sie da war. Diese Offenbarung gab ihr ein Gefühl der Erleichterung, als ob eine große Verantwortung von ihren Schultern genommen worden wäre. Sie neigte den Kopf und sagte: „Danke, lieber Gott, danke.“
Sie wußte nicht genau, wie diese Engelsbotschaft ihre Probleme lösen würde, aber sie fühlte, daß die Gegenwart Gottes, der Liebe, machtvoll und unvermittelt für sie sorgte. Sie war daran gewöhnt, zu fühlen, daß Gottes Liebe zu ihr durch ihre Eltern und andere kam. Aber bei ihr zu Hause gab es Ärger und Eigenwillen, und manchmal war ihre Liebe zu ihren Eltern ganz mit Gefühlen von Furcht und Haß vermischt. Dann fühlte sie sich schuldig, weil sie sie lieben sollte.
Während sie jetzt auf dem Fußboden saß, wurde ihr alles klar. Gott liebte sie, und sie konnte dieser Liebe vertrauen, die immer liebevoll und weise bleiben würde. Und Gott liebte auch ihre Eltern. Sie waren ebenfalls Seine geliebten Kinder. Er sprach direkt zu ihnen, ebenso wie Er zu ihr sprach. Es lag bei ihnen, zu lauschen.
So fühlte Helena sich sehr erleichtert, weil sie erkannte, daß sie nicht in den Ärger ihrer Eltern verwickelt oder zwischen deren Willen hin und her gerissen war. Sie sah die Allheit der Liebe Gottes und verstand, daß alles, was sie zu tun hatte, darin bestand, dieser Liebe zu vertrauen und sie auszudrücken. Das war alles, was über sie herrschen konnte, nicht menschlicher Wille. Sie würde diesem lieben Gott, der sie liebte und so sicher führte, sehr gehorsam sein müssen. Und sie beschloß, es zu sein. Mary Baker Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit: „Pilgrim auf Erden, deine Heimat ist der Himmel; Fremdling, du bist der Gast Gottes.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 254;
Helena dachte über ihre Gefühle nach. Sie fühlte sich jetzt so unabhängig und frei — sollte sie sich so fühlen? Es war solch ein Gegensatz zu jenem Gefühl der Bitterkeit und des Gefangenseins, das sie vorher gehabt hatte. Sie kam auf ihre Engelsbotschaft zurück: „Gott regiert deinen Vater und deine Mutter, und Er regiert dich.“ Sie dachte daran, daß sie in Wirklichkeit alle gleich alt waren, weil sie kein Alter hatten; sie waren alle unsterblich und ewig. Und sie hatten alle denselben Vater-Mutter Gott. Sie konnte ihnen nicht eine Art von Liebe geben, die Gott ihnen nicht schon gegeben hätte. Alles, was sie tun konnte, war, Seine Liebe widerzuspiegeln.
Als sie einige Jahre später auf dieses Erlebnis zurückblickte, erkannte sie, daß sie in jenen wenigen Minuten endgültig die Kinderschuhe abgelegt hatte. Es hätte Jahre früher geschehen können. Aber immerhin wurde danach alles viel freier für sie. Nicht alle ihre Probleme waren augenblicklich gelöst, aber Helena hatte solch einen verborgenen Platz gefunden, wie ihn der Psalmist im 91. Psalm besingt: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, wird unter dem Schatten des Allmächtigen bleiben.“ Ps. 91:1 [n. der engl. Bibel]; Ihr Vater und ihre Mutter waren unter der Fürsorge des Allmächtigen, ebenso wie sie selbst.
Eines der Lieder im Liederbuch der Christlichen Wissenschaft wurde ihr Lieblingslied. Es fängt an: „Himmel und Heim sind in dir, Erdenpilger.“ Liederbuch, Nr. 278. Jedes Wort in allen drei Versen schien für sie geschrieben worden zu sein. Nimm doch dein Liederbuch zur Hand und lies sie auch.