Ich habe einmal anhand einer eigenen Erfahrung gesehen, wie sich eine typisch christlich-wissenschaftliche Heilung vollzieht. Ich gehörte zu einer Gruppe von Bergsteigern, die an einer steilen, mehrere hundert Meter hohen Felswand kletterte. An drei verschiedenen Stellen in der Wand mußten wir uns umgruppieren. Ein einzelner Bergsteiger erklomm dann das nächste Felsband, wobei er sich anseilte, um im Falle eines Sturzes gehalten zu werden und die Seilschaft hinter sich abzusichern.
Schließlich kletterte der Bergführer den letzten Abschnitt empor; und als er den Gipfel erreicht hatte, machte er sich sogleich bereit, dem nächsten Bergsteiger zu helfen. Der war ich.
So gut ich konnte, folgte ich dem Aufstieg, den der Bergführer gewählt hatte, da er sich ja als sicher erwiesen hatte. Als ich mich dem Gipfel näherte, schwoll meine Zuversicht, und ich war überzeugt, daß ich es praktisch geschafft hatte. Doch als ich nur noch etwa sechs Meter vom Gipfel entfernt war, sah ich, daß ich noch das schwierigste Hindernis der gesamten Kletterpartie vor mir hatte. Es war ein leicht geschwungener Felsvorsprung — wahrscheinlich das schwierigste Hindernis für einen Bergsteiger —, und er erhob sich drohend in meinem furchterfüllten Denken. Ich konnte den Bergführer nicht sehen und fühlte mich schrecklich allein. Instinktiv klammerte ich mich an den Felsen und drehte mich langsam um, um zu sehen, was hinter mir war — oder was in diesem Fall nicht hinter mir war —, und meine Furcht wuchs noch mehr, als ich nichts als mehrere hundert Meter der steilen Felswand unter mir sah. Ich hatte keine andere Wahl, ich mußte weiter.
Ich rief zu meinem Bergführer hinauf und bat ihn um Rat, und er antwortete genau das, was ich befürchtet hatte. Er sagte: „Sie müssen eben loslassen ... nur Mut!“ Ich hatte mich noch fester an den Felsen geklammert, und nun sagte er mir, ich solle loslassen. Ich hätte mich gegen die Anweisung wehren können, aber das hätte das Unvermeidliche nur hinausgezögert. Ich konnte nicht umkehren.
Als ich hinaufblickte, sah ich, wo ich mich möglicherweise halten konnte, doch es war gerade außer Reichweite. Es schien jedoch die einzige Möglichkeit zu sein. Ich schob entschlossen die Angst und das Gefühl der Begrenzung beiseite, ließ los, und sprang buchstäblich hinauf zu diesem Felsgriff, erfaßte ihn und zog mich zum Gipfel hinauf. Oben grüßte mich das warme Lächeln meines Bergführers und ein herrlicher Rundblick. Mir erging es wie allen Bergsteigern, die neue Höhen erklommen haben und neue Horizonte erblicken. Ich fühlte mich ganz und gar erhoben.
Dies läßt sich mit einer Heilung in der Christlichen Wissenschaft vergleichen. Materielle Hindernisse wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, mangelnde Versorgung, Zwietracht zwischen uns und anderen mögen bisweilen unüberwindbar erscheinen und sich drohend in unserem Bewußtsein erheben. Aber sie können in der gleichen Weise gemeistert werden, wie dieser Felsen bezwungen wurde.
Wenn ein Problem auftaucht, erscheint es im ersten Moment oft leichter, sich an menschliche Annahmen zu klammern. Diese Annahmen können sogenannte Gesundheitsgesetze sein oder Vermutungen über mangelnde Arbeitsplätze oder andere begrenzende Theorien. Doch der Mensch, wie Gott ihn geschaffen hat — vollkommen, frei, alles Gute zum Ausdruck bringend und immer mit allem Guten versorgt —, lebt im Reich Gottes, des Guten, und ist unberührt von unrechtmäßigen materiellen Gesetzen. Diese Gesetze bestehen nicht im Reich der Liebe, und wir können unseren wirklichen Status, den des wahren Menschen, wie er von Jesus demonstriert wurde, beanspruchen. Paulus sagte: „Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus.“ Gal. 3:26; Dies ist die Grundlage christlich-wissenschaftlichen Heilens.
Als ich die Felswand emporkletterte, erreichte ich einen Punkt, von dem aus ich mich praktisch nur in einer einzigen Richtung fortbewegen konnte. Genauso ist es bei jeder Demonstration in der Christlichen Wissenschaft. Täglich treten Anforderungen an uns heran, und wir müssen Entscheidungen treffen. Manchmal erscheinen uns unsere bisherigen Positionen oder Standpunkte so sicher und verläßlich, daß wir versucht sind, aus Faulheit oder Furcht vor Fehlschlägen auf Fortschritt zu verzichten. Doch dieselben Probleme werden immer wieder auf uns zukommen, wenn auch vielleicht in anderer Form, bis wir sie schließlich erfolgreich gemeistert haben.
Wenn wir jeder Erfahrung auf einer christlich-wissenschaftlichen Grundlage begegnen, können wir des Erfolgs sicher sein. Wir erreichen ihn, indem wir ein besseres Verständnis von Gott und der Beziehung des Menschen zu Ihm erlangen. Mrs. Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit: „In der Christlichen Wissenschaft gibt es niemals einen Rückschritt, niemals eine Rückkehr zu einem Standpunkt, dem man entwachsen ist.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 74; Geistiges Wachstum ist uns gewiß und inspiriert zu neuem Fortschritt. Jede neue Stufe des Verständnisses wird zu einem neuen Stützpunkt, von dem aus wir weitere Ziele erreichen können. Das bedeutet, daß wir auf jeder Erfahrung aufbauen. Mrs. Eddy erklärt: „Der Mensch versteht das geistige Dasein in dem Verhältnis, wie sich seine Schätze an Wahrheit und Liebe vergrößern.“ ebd., S. 265;
Wenn wir Fortschritte machen wollen, müssen wir damit beginnen, unsere Annahmen von materiellen Gesetzen und Begrenzungen hinter uns zu lassen. Manchmal bedeutet dies, etwas zu opfern, was uns sehr am Herzen liegt — beispielsweise unseren Plan für ein bestimmtes berufliches Ziel, für ein bestimmtes Ereignis oder unsere vorgefaßten Ansichten darüber, wie eine Heilung stattfinden wird. Doch wir müssen willens sein, alles um Christi willen zu verlassen. Christus Jesus sagte: „Liebe Kinder, wie schwer ist's ..., ins Reich Gottes zu kommen!“ Mark. 10:24. Wir können nicht die Bürde falschen Glaubens in unserem Streben nach geistigem Wachstum mit uns herumtragen. Wenn wir unsere selbstsüchtigen Wünsche fahrenlassen, Können wir furchtlos in die Arme der göttlichen Liebe springen. Dann haben wir die Höhen der Heilung erklommen.
