Nachdem ich in ein neues Hochhaus eingezogen war, kam ich mir vor, als sei ich am falschen Platz. Nahezu alle Ehepaare, die zur gleichen Zeit einzogen, waren so jung. Doch dann erkannte ich, daß dieses Gefühl der Trennung auf einer falschen Vorstellung von der Situation beruhte. In unserem wirklichen Sein waren wir alle Gottes Kinder. Mit dieser Erkenntnis stellte sich eine anhaltende Freude ein, die mir half, mir meiner Zugehörigkeit zur Gemeinschaft stärker bewußt zu sein.
Als Ebenbild Gottes — und die Bibel erklärt, daß der Mensch zum Bilde Gottes erschaffen wurde — ist der wahre Mensch unsterblich und ohne Alter, weil er in Gott existiert. Wie die „Weisheit“ in den Sprüchen, so können auch wir sagen: „Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.“ Spr. 8:22. Die Tatsache, daß der wahre Mensch von der Geburt und dem Tod der Sterblichen unberührt bleibt, ist universal gültig. Alle Ideen Gottes bestehen zugleich mit Ihm. Die Zahl der Jahre, die wir dem sterblichen Glauben nach schon gelebt haben, braucht uns nicht zu begrenzen. Jugend und Alter, das Ansteigen und Abklingen einer Generation, sind Begriffe des menschlichen Denkens. Sie sprechen von einer Einstellung, die nicht aus göttlicher Quelle kommt, und können dazu beitragen, Männer und Frauen, Jung und Alt voneinander zu trennen, anstatt sie zu vereinen. Da es dieser notwendigerweise begrenzten Vorstellung an den Elementen der ewiglich vereinigenden göttlichen Liebe mangelt, stützt sie sich auf die physischen Sinne, die nur körperliche Menschen und materielle Dinge wahrnehmen.
Wir brauchen dieses falsche Bild von Alter und Trennung nicht zu akzeptieren. Alle können sich mühelos einander nähern und sich gegenseitig anerkennen, weil sie sich tatsächlich niemals außerhalb der Einheit der Liebe befinden.
Gewiß, Bräuche, Gewohnheiten, Mode und der Lebensstil ändern sich und verschieben dadurch das menschliche Bild unterschiedlicher Altersgruppen etwas. Doch Mrs. Eddy erklärt in Wissenschaft und Gesundheit: „Man sollte es von Grund aus verstehen, daß alle Menschen ein Gemüt, einen Gott und Vater, ein Leben, eine Wahrheit und eine Liebe haben.“Wissenschaft und Gesundheit, S. 467. Sollten wir daher nicht sofort die Vorstellungen zurückweisen, die der Irrtum von einem veränderlichen und vergänglichen Menschenbild aufzeichnet? Der wirkliche Mensch ist niemals zu alt oder zu jung; er spiegelt ewiges Leben wider.
Wenn wir uns als geistig erkennen lernen, beginnt das sterbliche Bild mit all seinen störenden Nebenerscheinungen zu verschwinden. Wir sehen dann, daß alle Generationen in ihrem unsterblichen Wesen weder Anfang noch Ende haben und allein von Gott, ihrem Vater, regiert werden.
Die Erkenntnis, daß wir Kinder in Gottes universaler Familie sind, führt zu gegenseitiger Anteilnahme. Als Jesus zwölf Jahre alt war, ging er voll Verlangen nach Verständnis in den Tempel. Offenbar wurde er akzeptiert, denn man fand ihn bei den Lehrern im Tempel, denen er zuhörte und Fragen stellte. S. Luk. 2:46. Keine Kluft zwischen ihm und den älteren Männern beeinträchtigte ihn, denn er war immer daheim in seines Vaters Haus. Voreingenommenheit ist einer der falschen Richter des sterblichen Gemüts; sie hindert uns, gegenseitige Anteilnahme zu zeigen und einander liebevoll und verständnisvoll zu begegnen. Würde ein junger Mensch, der zu ertrinken droht, den Retter zurückweisen, weil er ihm zu alt erscheint? Oder würde jemand im vorgeschrittenen Alter einen frischen Trunk ablehnen, den eine junge Hand reicht, um ihn vor dem Verdursten zu retten, nur weil er keinen Kontakt zur Jugend hat?
Die immergegenwärtige Liebe führt uns zu spontanen Aufmerksamkeiten. Liebe gibt jedem die Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, Wärme zu spenden, zu trösten, zu heilen. Liebe kennt weder Rang noch Alter, sie stillt jede Not, beseitigt jeden Zweifel und Kummer. Das Gute in allen zu lieben ist wahre Liebe. Wenn wir lernen, über die Person hinauszublicken — überall die Widerspiegelung der Liebe zu sehen —, werden wir uns vielseitiger Freundschaften erfreuen. Dann wird nichts im Wege stehen, was entfremdet oder schmerzt. Der unpersönliche Christus, die wahre Idee Gottes, zieht an. Paulus erkannte: „Gleicherweise wie wir an einem Leibe viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder einerlei Geschäft haben, so sind wir viele ein Leib in Christus ...“ Rom. 12:4, 5.
Manchmal fühlen wir uns ausgeschlossen, weil wir uns fürchten, enttäuscht oder verbittert sind. Aber die göttliche Liebe kennt keine Unterschiede, keine falschen Vorstellungen, keine Unsicherheit. Unter dem Einfluß der Liebe wird Freude statt Kollision, Anerkennung statt Ablehnung zum Gesetz.
So wie Gott jedes Seiner Kinder wertschätzt, sollten auch wir alle achten, denen wir begegnen, ob alt oder jung. Keiner sollte uns entbehrlich sein. Dann finden wir das Geheimnis des Glücks wie Ruth, die junge Frau, von der in der Bibel berichtet wird. Sie war freiwillig bei ihrer Schwiegermutter, Naomi, geblieben, nachdem beide Frauen ihre Ehemänner verloren hatten. Selbstlos und bescheiden, aber freudig in liebevollem Verständnis, sorgte die jüngere für die ältere und wurde reichlich belohnt.
Niemand braucht sich von seiner, Generation eingeengt zu fühlen. Viele große Menschen standen ihrer Ära fern, da der Radius ihrer Geistigkeit unendlich weit über sie hinausging. Ihre Sicht war nicht auf die zeitlichen Probleme ihrer unmittelbaren Mitmenschen beschränkt; sie waren um die Erhebung und Erlösung der ganzen Menschheit bemüht. Ob wir nun jung oder alt sind, jeder kann die Grenzen der Sterblichkeit überwinden. Das Licht dieses Verständnisses führt zu gegenseitiger Achtung und zu Harmonie zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lehrern und Schülern. Wir erkennen, daß weder junge noch alte Menschen „nutzlos“ sind. Jeder hat etwas beizutragen.
Es besteht kein Grund zur Entmutigung, wenn unser Bemühen um gute zwischenmenschliche Beziehungen nicht gleich ein Echo findet. Der Blick eines anderen, der uns willkommen heißt, wird oft bewußt oder unbewußt sehnlich erwartet. Da wir in Wirklichkeit alle die Söhne und Töchter Gottes sind, ist im Herzen immer Platz für Bruder oder Schwester. Alle sind durch das eine Gemüt, Gott, vereint. Wie die Sonnenstrahlen ihr Licht bedingungslos verbreiten und sich keinem vorenthalten, so leuchtet das Licht der Wahrheit gleichermaßen für alle und löscht die dunklen Annahmen des Ärgers, des Hasses und der Kälte aus.
Frieden, geistige Kraft, Gerechtigkeit, Wahrheit, Gesetz und Ordnung beseitigen die Grenzen irdischer Generationen. Alles, was Christus Jesus seine Jünger lehrte, ist auch für uns wertvoll; es reicht über deren Zeit hinaus. Er sagte ihnen: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Matth. 24:35. Generationen werden vergehen, aber der Christus leuchtet in allen Zeiten.
Viele Familien lassen sich noch immer von Omen der Vererbung und von Voraussagen beeindrucken, die oft Kummer mit sich bringen. Wollen wir uns von ihnen befreien, müssen wir den Blick von der materiellen Folge der Generationen abwenden und ihre geistige Bedeutung sehen. Dann wird uns klar, warum Jesus sagte: „Ihr sollt niemand euren Vater heißen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist.“ Matth. 23:9. Gewöhnlich lieben und achten wir unsere Verwandten; aber wie sind nicht verpflichtet, von einer Generation zur anderen falsche Vorstellungen vom Menschen weiterzutragen. Gott allein ist der Vater und die Mutter des Menschen, und unser wahres Erbgut kommt von Ihm allein. Das bedeutet nicht, daß wir unsere Eltern oder Kinder bevormunden sollten. Aber wir können durch Gebet Gottes Weisheit erkennen, die uns alle richtig leitet.
Gott ist der Eine, und Sein Ausdruck, der Mensch, kann bei aller Vielfalt seiner Individualität nur in diesem Einen gefunden werden. Da alle Identitäten von Gott kommen, können sie nicht alt, krank oder weniger werden. Was wir als die besondere Frische der Jugend erkennen, deutet die immerwährende Kraft der Inspiration an, die für alle da ist. Ein nützlicher, lebensvoller und freudiger Ausblick erstrahlt, wo immer Leben zum Ausdruck kommt; es ist nicht in einen Körper eingeschlossen oder durch Lebensjahre begrenzt.
In einem Chor werden hohe und tiefe Stimmen gebraucht, um dem Gesang Farbe und Ausdruck zu verleihen; gleichermaßen wird unser Leben reichhaltiger, wenn wie die Verschiedenheit des Gemüts erkennen.
Der heilende Christus ist immer gegenwärtig. Er bewegt die Menschenkinder dazu, ihre Verwandtschaft mit Gott in geistiger Moral, sündloser Freude und Frieden zu erkennen und mit der unendlichen Liebe, die jede Generation überdauert, eins zu sein.