In einer bekannten geschichtlichen Analyse des vierzehnten Jahrhunderts, betitelt „Der ferne Spiegel“, behandelt Barbara Tuchman einen Zeitabschnitt, der für den westlichen Kulturkreis besonders schwer war. Zwei große Probleme waren seinerzeit der Hundertjährige Krieg, in dem beiden Seiten die nötige Stärke zu einem klaren Sieg fehlte, und die Pest, von der nur wenige Familien verschont blieben. Wie Tuchman darlegt, herrschte damals die vielfache Meinung, daß die Katastrophen — vor allem die Pest — auf eine tiefsitzende, sündhafte Ichbezogenheit hinwiesen, die nun in gewaltigem Ausmaß gestraft wurde.
Die gegenwärtigen Diskussionen, Protestdemonstrationen und wissenschaftlichen Abhandlungen darüber, was es bedeutet, in einem Zeitalter zu leben, in dem thermonukleare Kriege möglich sind, haben in vielen Menschen ähnliche Besorgnisse erweckt. Aber die Frage des Überlebens hat heute neue Dimensionen angenommen, da die gegenwärtigen technologischen Entwicklungen die Gefahr der vollständigen Ausrottung der Menschheit heraufbeschwört haben.
Einige Leute meinen, daß die Menschheit sich am Rande eines Abgrunds befinde und vor gewaltigen Entscheidungen stehe wie nie zuvor.
Jeder Wendepunkt der Geschichte bringt eine besondere Gelegenheit mit sich — man könnte es auch eine Verheißung nennen —, die sich stets denen bietet, die den geistigen Scharfblick haben, sie zu erkennen und die Initiative zu ergreifen. Es ist die Verheißung des Überlebens — allerdings nicht so, wie man sich das heute allgemein vorstellt. Und manchen Phasen des menschlichen Intellekts erscheinen Art und Umfang des erforderlichen Wandels — wenn ausschließlich von einem materiellen Standpunkt Wandels betrachtet — noch schlimmer als die völlige Vernichtung! Aber es wird nur überleben, wer zu einem Wandel bereit ist — wer willens ist, sich einer höheren Lebensordnung zu unterwerfen.
Der Wesenskern dieser neuen Ordnung ist ihre geistige oder göttliche Dimension, die uns eine zeitlose christliche Disziplin auferlegt. Die Gefahr eines heutigen Armageddon ist für jeden, der diesen Artikel liest, nicht anders als die, der jemand in irgendeinem anderen Zeitalter ausgesetzt war, wenn Sünde, Krankheit oder Tod ihn zu überwältigen drohten. Armageddon ist keine ferne apokalyptische Abstraktion für den, der glaubt, er stehe an der Pforte des Todes.
Wenn der Christ die Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi in den Brennpunkt seines Interesses rückt, wenn eine junge Mutter das Vertrauen gewinnt, daß ihr Gebet und ihre geistige Erkenntnis den Eintritt ihres Kindes in diese Welt schützend umgeben oder wenn irgendwo in jemand das Verständnis aufdämmert, daß das Leben über materielle Begrenzungen und Erscheinungsformen hinausgeht, könnte man das mit der von allen Menschen geforderten tiefen geistigen Umwandlung gleichsetzen. Der Preis für das Überleben ist geistige Erleuchtung.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr'istjən s'aiəns), erkannte, daß diese moralische und geistige Notwendigkeit den Menschen von Natur aus innewohnt und in Gott, dem göttlichen Gemüt, verwurzelt ist, der, wie sie es sah, mehr ist als lediglich ein weiterer Akteur auf der großen Bühne des menschlichen Daseins. Sie schreibt: „Keine menschlichen Hypothesen, ob in der Philosophie, Medizin oder in der Religion, können dem zeitlichen Verfall entgehen, was aber aus Gott ist, behält immer Leben in sich und wird schließlich als selbstverständliche Wahrheit erkannt werden, beweisbar wie die Mathematik. Jede weitere Periode des Fortschritts ist eine humanere und geistigere. Der einzig folgerichtige Schluß ist, daß alles Gemüt und seine Offenbarwerdung ist, vom Kreisen der Welten im klarsten Äther bis hinab zu einem Stückchen Kartoffelland.“ Vermischte Schriften, S. 25.
Ob man die Gefahr der Vernichtung auf einer individuellen oder weltweiten Basis betrachtet, im eigenen Privatleben oder im Rat der Mächtigen, das Endergebnis jeder Entscheidung kann man nicht von der Tatsache trennen, daß schließlich nur die Tüchtigsten überleben werden; und mit den „Tüchtigsten“ sind hier diejenigen gemeint, die geistig gesinnt und human sind. Jede Analyse der menschlichen Erfahrung, die dieser Schlußfolgerung widerspricht und die eine Anpassung an Sünde, Krankheit oder Tod fordert, ist nicht nur antichristlich, sondern schenkt der verhängnisvollen Annahme Glauben, daß man sich mit dem Untergang abfinden müsse.
Das menschliche Dasein muß eine moralische und geistige Grundlage haben, sonst hat es praktisch gar keine und ist nur der Selbstzerstörung fähig. Andererseits sind moralische Erneuerung und körperliche Heilung in der Christlichen Wissenschaft ein Vorspiel für das wachsende Verständnis, daß der Mensch das geistige Ebenbild des Gemüts, Gottes, ist. Macht man sich diese christliche realistische Einstellung zu eigen, so ruft das im menschlichen Bewußtsein und Verhalten einen tiefgreifenden Wandel hervor. Es kann jede mißliche Lage ändern und in Übereinstimmung mit Gottes guter Absicht bringen, alle zu segnen. Und dieses Schließen der Lücke zwischen Idealismus und Praxis ist der Prüfstein der Christlichen Wissenschaft.
Mrs. Eddy schreibt: „Da außer Ihm keiner ist und da Er durch und durch gut ist, kann es nichts Böses geben. Doch ist es nicht genug, diesen großen Gedanken bloß auszusprechen! Wir müssen ihm gemäß leben, bis Gott das Ein und Alles unseres Seins wird. Als Paulus durch große Trübsal diesen wesentlichsten Punkt in der göttlichen Wissenschaft erlangt hatte, sagte er: ‚Nun aber sind wir dem abgestorben, das uns gefangen hielt, und vom Gesetz los, so daß wir dienen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens.‘ “ Nein und Ja, S. 24.
Hieraus entfalten sich nicht nur die Weisheit und die Wege zur Erhaltung dessen, was der Errettung wert ist, sondern auch die gegenwärtige individuelle Erfahrung, Gott als das zu spüren und zu erkennen, was Er ist, nämlich unerschöpfliches Leben und treue Liebe. Diese Erfahrung ist die kostbarste Verheißung, die das Urchristentum zu bieten hat. Sie macht das Leben so lebenswert, daß echte christliche Denker und Propheten in jedem Zeitalter sogar inmitten von Unterdrückung und Kriegen ein sich lohnendes, würdevolles, inhaltsreiches und krafterfülltes Leben führen konnten. Eine derartige christliche Rechtschaffenheit entgeht „dem zeitlichen Verfall“ und bietet heute durch die Christliche Wissenschaft jene moralische Disziplin, die zu einer allgemeinen Erlösung führen kann und die Gefahr einer weltweiten Zerstörung beseitigt.
Vielleicht gibt es Augenblicke, in denen sich viele von uns wie Jesu Jünger vor seiner Kreuzigung vorkommen: Wir hoffen das Beste, befürchten aber das Schlimmste. Die übliche Reaktion auf eine Gefahr ist, nach dem erstbesten Fluchtweg zu suchen und auf irgendein übernatürliches göttliches Eingreifen zu hoffen oder sich vielleicht einzureden, daß das Ende, wenn es kommt, kurz und schmerzlos sein wird.
Das Heilmittel für einen solchen Fatalismus finden wir in Jesu Gleichnis von den zehn Jungfrauen. Fünf waren töricht und unvorbereitet. Die anderen fünf waren weise und auf die Ankunft des Bräutigams dadurch vorbereitet, daß sie ihre Lampen gefüllt hielten. Der Preis für das Überleben ist die Mühe, bereit zu sein, beständig vorbereitet zu sein; ja die Mühe, in das Herz und den Geist der göttlichen Wissenschaft vorzudringen und Gott, das Gute, „das Ein und Alles unseres Seins“, unserer Beweggründe, Wünsche und unseres täglichen Lebens werden zu lassen. Auf diese Weise werden die Menschen erleben, wie sich die volle Bedeutung der Verheißung Jesu erfüllt: „ ... Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“ Joh. 8:12, 51.
So entfaltet sich der Weg, der aus gedanklicher Finsternis und Zweifel herausführt. Gebet und tätiges christliches Leben werden sich als die notwendigen Verhandlungen erweisen, die die Menschen jetzt und für zukünftige Generationen von allem Übel — sei es individuell oder kollektiv — befreien können. Wir können es uns alle leisten, diesen Preis zu zahlen.