Überlegt man sich, was Dankbarkeit ist, kommt man oft zu dem Schluß, daß es lediglich ein Ausdruck des Dankes für etwas ist. Man empfindet im Herzen Dankbarkeit, und die Anerkennung für das, was man empfangen hat, kommt ganz natürlich zum Ausdruck. Mit der Dankbarkeit ist es jedoch wie mit anderen Dingen in unserem Leben: Wir können von einer allgemeinen Vorstellung dieses Begriffs zu einer tieferen Bedeutung vordringen; wir können besser verstehen lernen, wie wichtig und umfassend diese Eigenschaft ist. Ja, je klarer wir deren Bedeutung erfassen, desto näher fühlen wir uns Gott.
Daß wir eine reinere Vorstellung von Dankbarkeit gewinnen, können wir daran erkennen, daß das, wofür wir in unserem Leben dankbar sind, sich durch zunehmenden geistigen Gehalt kennzeichnet. Als Drittkläßler freute ich mich sehr über eine Reise, die meine Angehörigen an einen Ort unternahmen, an dem wir noch nie zuvor gewesen waren; später war ich dankbar für eine echte Freundschaft; dann wurde mir immer klarer, daß Gott, der Geber alles Guten, hinter jedem Geschenk steht, und mein Begriff der Dankbarkeit erweiterte sich noch mehr. Wenn wir uns bewußt sind, daß Gott der Geber ist, dann wird sogar die kleinste Begebenheit des Guten außerordentlich bedeutsam. Das Denken richtet sich dann vom Geschenk auf den göttlichen Geber.
„Was ist Dankbarkeit anderes“, erklärt Mrs. Eddy, „als eine starke camera obscura, etwas, was Lichtstrahlen in einem Brennpunkt sammelt, wo Liebe, Erinnerung und alles, was im menschlichen Herzen lebt, gegenwärtig ist, um Licht zu bekunden.“ Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 164. Man könnte also sagen, daß Dankbarkeit, eine „camera obscura, etwas, was Lichtstrahlen in einem Brennpunkt sammelt“, die Lichtstrahlen der Wahrheit, die von ihrer endgültigen Quelle, Gott, kommen, vereinigt und sie in den Brennpunkt des Bewußtseins rückt; dieses Licht kann dann im Denken, im Wort und in der Tat kund werden.
Das Bewußtsein — in dem bereits alle Eigenschaften der göttlichen Liebe vorhanden sind — wird von Dankbarkeit erleuchtet, um somit in Gaben, die ihren Ursprung in Gott haben, mehr Eigenschaften der Vollkommenheit wahrzunehmen. Immer mehr erkennen wir den Geber „aller guten Gabe“.
Dann müssen wir diese Eigenschaften ausdrücken, indem wir sie leben — in unseren Tätigkeiten verkörpern. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wir die Fähigkeit besitzen, Gottes Eigenschaften zu erkennen und widerzuspiegeln, weil wir in Wahrheit Gottes Kinder sind. Sind wir Gottes Kinder, so muß unser Sein bereits Güte und Liebe in sich schließen. Diese geistige Identität zu leben, sie auszudrücken, ist unsere höchste Form der Anerkennung, und häufig stellen wir diesen Aspekt unseres Begriffs der Dankbarkeit heraus. Doch können wir unseren Ausdruck der Dankbarkeit verstärken, indem wir daran arbeiten, Gott noch umfassender als die Quelle des Lichts anzuerkennen; von Ihm gehen alle Strahlen der Liebe, der Schönheit und Wahrheit aus, die uns täglich begegnen.
Wieviel Zeit verbringen wir jeden Tag, vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, im Schatten und sind uns nicht bewußt, daß wir uns erheben und diese immergegenwärtige Quelle des Lichts erkennen können? Weltliche und menschliche Hindernisse lenken uns ab, so daß wir nicht sehen, was in unserem Leben gut, positiv und harmonisch ist; jeder Tag bringt uns Nachrichten aus aller Welt, die der biblischen Wahrheit über des Menschen Ursprung, Sein und Einheit mit Gott widersprechen; ebenso möchten uns unsere momentanen Umstände davon überzeugen, daß das Böse und seine Anschläge die Zügel in der Hand haben.
Nehmen wir nicht auch bei der Heilarbeit mitunter Gedanken auf, die uns ablenken, so daß wir das Wirken der Wahrheit, Gottes, nicht voll erkennen? Vielleicht konzentrieren wir uns auf das physische Wohlergehen, das die Heilung mit sich bringt, vielleicht halten wir vor lauter Staunen und Zufriedenheit inne, oder vielleicht schenken wir der Suggestion teilweise Glauben, daß die Heilung möglicherweise sowieso eingetreten wäre. Solche Ablenkungen hindern uns an der Erkenntnis, daß allein Gott der Ursprung alles Guten ist, und begrenzen somit unser Verständnis, was Dankbarkeit ist.
Wenn wir uns aber vor Augen halten, daß Gott der Geber alles Guten ist, lassen wir uns nicht von den Ansprüchen des Irrtums ablenken, und wir sehen dann klarer das Gute in unserer Erfahrung. Die Kundschafter, die Mose auf Gottes Geheiß hin ausgesandt hatte, um das Land Kanaan zu erkunden, kehrten mit der Nachricht zurück, daß in dem Land „Milch und Honig“ fließe.
Die meisten Kundschafter aber hatten ihre Aufmerksamkeit auf Schwierigkeiten, Befürchtungen und Begrenzungen gerichtet: „Und sie brachten über das Land, das sie erkundet hatten, ein böses Gerücht auf unter den Kindern Israel und sprachen: Das Land, durch das wir gegangen sind, um es zu erkunden, frißt seine Bewohner, und alles Volk, das wir darin sahen, sind Leute von großer Länge. Wir sahen dort auch Riesen, Enaks Söhne aus dem Geschlecht der Riesen, und wir waren in unseren Augen wie Heuschrecken und waren es auch in ihren Augen.“ Doch Josua und Kaleb betrachteten das Land von einem geistigeren Standpunkt aus; sie waren sich bewußt, daß Gott es ihnen gab: „[Sie] sprachen zu der ganzen Gemeinde der Kinder Israel: Das Land, das wir durchzogen haben, um es zu erkunden, ist sehr gut. Wenn der Herr uns gnädig ist, so wird er uns in dies Land bringen und es uns geben.“ 4. Mose 13:27, 32, 33; 14:7, 8.
Alle Kundschafter hatten ein und dasselbe Gebiet erkundet; und doch kam es zu zwei völlig gegensätzlichen Beurteilungen. Wir befinden uns manchmal in einer ähnlichen Situation, wenn wir uns entscheiden müssen, worauf wir uns konzentrieren sollen. Bei unseren täglichen „Erkundigungen“ könnten wir einmal darauf achten, worauf wir unser Augenmerk richten.
Neigen wir dazu, das um uns herum zu sehen, was schwierig, bedrückend oder aus den Fugen geraten ist? Wenn wir im riesigen Ausmaß Negatives sehen und uns wie kleine Heuschrecken vorkommen, so sehen wir nicht viel, wofür wir dankbar sein können. Richten wir aber unser Denken auf das Gute, das Wahre und das Schöne und sind wir uns stark bewußt, daß das Gute existiert, weil Gott gut ist, weil Gott allein Gutes erschafft, dann spüren wir nach und nach unsere immanente und enge Beziehung zu diesem allerhabenen Geber. Diese Erkenntnis erhebt uns buchstäblich aus den Anschauungen, die sich auf die Materie gründen, zu einem höheren, geistigen Begriff der Wirklichkeit. Wie sehr sich doch dadurch der Tagesverlauf ändert!
Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Die unreifen Schöpfungen des sterblichen Denkens müssen schließlich den herrlichen Formen weichen, die wir, wenn das mentale Bild geistig und ewig ist, zuweilen in der Kamera des göttlichen Gemüts erblicken. Die Sterblichen müssen über die vergänglichen, endlichen Formen hinausblicken, wenn sie den wahren Sinn der Dinge erlangen wollen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 264. Das ist uns möglich, wenn wir über die allgemeine Auffassung von dem, was Dankbarkeit ist, hinausblicken und mit jedem Geschenk Gott verherrlichen und damit unsere Beziehung zu unserem göttlichen Geber ans Licht bringen. Selbst die schlichtesten Alltagserfahrungen werden dann umgewandelt und mit neuer Kraft erfüllt, denn eine jede Erfahrung bringt uns der Erkenntnis unseres Gottes und Seiner Liebe näher.