Das menschliche Dasein besteht aus lauter Unvollkommenheiten. Wie viele Anzeichen gibt es dafür, daß in der Geschichte der Menschheit eine Entwicklung zur Vollkommenheit stattgefunden hat? Das Wissen ist heute viel umfassender, aber oft fehlt es an Weisheit. Uns steht ein reiches Angebot an Gütern zur Verfügung, doch wir sind oft weniger zufrieden und glücklich. Die technischen Errungenschaften nehmen rapide zu, aber zur selben Zeit drohen dem Leben auf der Erde ökologische und atomare Gefahren.
Doch jedesmal wenn das Herz — unsere innersten Gedanken und Gefühle — sich einem höheren Begriff von Gott zuwendet, dämmert im Bewußtsein die Schau von der geistigen Vollkommenheit auf. Das bedeutet nicht, daß ein materielles menschliches Wesen vollkommen wird, sondern daß die Vollkommenheit des geistigen Menschen als Idee Gottes ans Licht kommt. Im selben Verhältnis verschwindet auch die Auffassung, der Mensch sei materiell und unvollkommen, und es tritt das ein, was als menschlicher Fortschritt bezeichnet wird.
Der wirkliche zu Gottes Bild und Gleichnis geschaffene Mensch ist immer vollkommen und bedarf keiner Verbesserung. Dieser wirkliche Mensch ist unsere wahre, unsterbliche Identität. Er tritt in Erscheinung, wenn wir unsere wahre geistige Identität erkennen. In dem Verhältnis, wie dieser geistige Mensch ans Licht kommt — und zwar bekundet sich dies in einer Veränderung des Denkens und Lebens —, schwindet der sterbliche Mensch, d. h. die biologische Auffassung vom Menschen.
Die Christliche Wissenschaft
Christian Science (kr’istjən s’aiəns) erhebt das menschliche Bewußtsein von dem Begriff einer materiellen Evolution und eines menschenähnlichen Gottes als der Ursache allen Lebens zu der Erkenntnis eines allerhabenen Prinzips, eines allerhabenen Gottes. Sie führt uns von der Vorstellung von einer zornigen, strafenden Gottheit zu dem Verständnis der unendlichen Liebe. Gott, Prinzip und Liebe, ist Alles-in-allem. Gott und Seine Schöpfung sind die einzigen Wirklichkeiten des Seins; und diese ewige Tatsache kann bewiesen werden.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Die drei großen Wahrheiten des Geistes: Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit — Geist, der alle Macht besitzt, der allen Raum erfüllt, der alle Wissenschaft ausmacht — widersprechen auf immer der Annahme, daß die Materie etwas Tatsächliches sein könne. Diese ewigen Wahrheiten enthüllen das Urdasein als die strahlende Wirklichkeit der Gottesschöpfung, in der alles, was Er gemacht hat, von Seiner Weisheit für gut erklärt wird.
So kam es, daß ich wie nie zuvor die schreckliche Unwirklichkeit erblickte, die das Böse genannt wird. Die Gleichgeltung Gottes brachte einen anderen herrlichen Lehrsatz ans Licht, nämlich die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen und die Aufrichtung des Himmelreichs auf Erden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 109.
Wenn die unendliche Güte Gottes sich des Bösen bewußt sein könnte, wäre sie nicht mehr völlig gut. Im Geist kann es keine Materie geben, in der Vollkommenheit keine Unvollkommenheit, in der Harmonie keine Disharmonie, in der absoluten Stärke keine Schwäche. In dem Bewußtsein des Guten kann kein Bewußtsein des Bösen existieren. Würde das ewige schöpferische Gemüt die Materie und das Böse kennen, dann würden die Materie und das Böse zum göttlichen Wesen gehören.
Was Gott weiß, ist dadurch erschaffen. Im göttlichen Gemüt sind Wort und Tat eins. Gottes Gedanken sind gut. Gott ist Geist. Gott ist allerhaben. Gott ist Alles-in-allem.
Christus Jesus war sich dieser Wahrheit über die „Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen“ bewußt. Er sagte: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist. “ Matth. 5:48. Er verstand völlig die Einheit, die zwischen dem vollkommenen Gott und dem vollkommenen Menschen besteht. Er heilte die Kranken und stellte die Harmonie wieder her. Heilung beweist, daß Vollkommenheit der wirkliche Zustand des Menschen ist. Heilung ist das schrittweise Erscheinen der Vollkommenheit in der menschlichen Erfahrung.
Jesus nahm oft auf den Glauben Bezug. Er sagte: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. “ Mark. 9:23. Der Glaube ist ein Zustand des Bewußtseins. Wenn wir unser Bewußtsein Gott, dem göttlichen Gemüt, öffnen und Gottes Allgegenwart und Allmacht erkennen, erleben wir die Harmonie, die in Wirklichkeit die einzige Tatsache des Seins ist. Dies zeigt die Möglichkeit geistigen Heilens. Sagte nicht Jesus manchmal dem Sinn nach zu denen, die geheilt worden waren: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Matth. 9:22.?
Wahrer Glaube beruht auf geistigem Verständnis. Jesus verstand vollkommen, daß der Mensch in Wirklichkeit das Kind Gottes, das Bild und Gleichnis Gottes ist; und das geistige Verständnis kommt durch die geistigen Sinne zu jedem Herzen, das sich nach göttlicher Weisheit sehnt.
Umfassenderes menschliches Wissen ohne göttliche Weisheit ist keine Garantie für echten Fortschritt in der menschlichen Entwicklung. Aber durch die Weisheit metaphysischer Wahrheit, die die geistige Vollkommenheit offenbart, zeigt sich unser wahres Selbst in dem Verhältnis, wie wir das göttliche Wesen demonstrieren, d. h. Christlichkeit zum Ausdruck bringen.
Wenn wir erkennen, daß die auf die Materie ausgerichteten Ziele uns täuschen, beginnen wir, nach der göttlichen Vollkommenheit zu streben, die immerdar in der göttlichen Schöpfung besteht. Wir trachten nach geistigen Eigenschaften anstatt nach materiellem Besitz, nach Freude anstatt bloßer Unterhaltung, nach geistiger Freiheit anstatt persönlicher Herrschaft, nach echter Liebe anstatt bloßer Befriedigung der Sinne. Wir denken mehr an das, was wir sind, als an die materiellen Güter, die wir zusammengetragen haben.
Ein Bekannter von mir litt jahrzehntelang an einer Augenentzündung. Die Ärzte wiesen warnend darauf hin, daß die Symptome regelmäßig wieder auftreten würden und es zum Verlust des Augenlichts führen könnte, wenn er sich nicht unverzüglich ärztlich behandeln ließe.
Durch das Studium der Christlichen Wissenschaft gewann mein Bekannter ein solches Gottvertrauen, daß er sich allein durch geistige Mittel schützen konnte, wenn ein neuer Anfall kam. Ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft half ihm; und er war dankbar für die Kraft, die er durch diese Behandlung erhielt. Die Symptome verschwanden.
Dann nahm er am Klassenunterricht in der Christlichen Wissenschaft teil. Durch dieses tiefere Studium, durch Gebet und inspiriertes Lehren erkannte er immer mehr die Vollkommenheit vom Wesen Gottes. Er spürte, daß er etwas von der „Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen“ in seinem Leben erfahren hatte, und zwar nicht nur durch die Heilung des Augenleidens und anderer physischer Probleme, sondern auch durch geistiges Wachstum, das immer mehr Harmonie in alle Phasen seines täglichen Lebens brachte.
Zu seiner Überraschung trat das Augenleiden wieder auf und verursachte ihm heftige Schmerzen. Er wußte jedoch, daß er noch gründlicher studieren mußte. Ihm wurde klar, daß die ganze Sache eine Illusion der physischen Sinne darstellte und nicht die Wahrheit über sein Wesen als Gottes Bild und Gleichnis. Er wußte, daß er nichts anderes als die Wahrheit seines geistigen Seins erleben konnte, wenn diese Wahrheit sein Bewußtsein erfüllte. Er erkannte auch, daß nur Gottes Gesetz wirksam ist, in dem alle Ideen in vollkommener harmonischer Beziehung zueinander stehen.
Schwäche und Müdigkeit wollten ihm einreden, er sei besiegt. Als sein Gemütszustand den tiefsten Punkt erreicht hatte, wurde ihm klar, daß ihm allein Gottes Wille und Sein Wirken in ihm helfen könne. Er klammerte sich fest an Gott; er war dankbar für die Christliche Wissenschaft, für den Klassenunterricht und für die wunderbaren Offenbarungen der geistigen Vollkommenheit, von der er einen Schimmer erhascht hatte. Die Schmerzen verschwanden.
Mein Bekannter hatte sein Denken von den Augen und einem persönlichen Selbst abgewandt. Er vertraute auf Gott und fühlte sich von Seiner Gegenwart umgeben. Er wußte nicht genau, wann die Heilung eingetreten war. Er hatte erlebt, daß die Worte in Wissenschaft und Gesundheit wahr sind: „Berichtige die materielle Annahme durch geistiges Verständnis, und Geist wird dich neu bilden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 425. Er war vollständig geheilt, und das Leiden ist nie wieder aufgetreten.
Unvollkommenheit, wie z. B. Krankheit, ist eine Lüge über Gott und Seine Schöpfung. Unvollkommenheit und Übel nehmen wir nur dann wahr, wenn wir vom Standpunkt der materiellen Sinne und eines persönlichen Selbst ausgehen anstatt von der geistigen Tatsache und unserem wahren Selbst als dem Bild und Gleichnis Gottes. Der Mensch ist der individualisierte, unmittelbare Ausdruck der Vollkommenheit Gottes. Diese wahre Idee, daß Gott und der Mensch, Vater und Sohn, eins sind, heilt. Sie öffnet uns das Herz und läßt uns die Immergegenwart der göttlichen Liebe spüren.
Wenn wir unseren Standpunkt für den höheren Ausblick, den uns die Wahrheit bietet, aufgeben, wird die materielle Anschauung, die Lüge der Unvollkommenheit und des Bösen, aufgedeckt, und sie weicht der Wahrheit der göttlichen Vollkommenheit. Wenn eine solche Veränderung in unserem Denken und unserer Einstellung das menschliche Leben verbessert, beweist dies „die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen“.
